von Sabine
Auf den letzten Blogpost "Der XX-Faktor im Ultrarunning: Mit zweierlei Maß" gab es viele Reaktionen. Viele Leserinnen und Leser äußerten sich klar für gleiche Preisgelder für Männer und Frauen im Sport und gegen eine Normierung der Preisgelder an den Teilnehmerzahlen des jeweiligen Geschlechts. Einige argumentierten dagegen – dass es doch in der Tat ungerecht sei, wenn bei Rennen, bei denen sehr viel mehr Männer als Frauen antreten, beide das gleiche Preisgeld bekommen. Und dann gab es einen Kommentar, der es meiner Meinung nach auf den Punkt brachte: „Gerechtigkeit ist eine Wertediskussion und keine absolute Größe“.
Zahlen und Statistiken sind eine feine Sache. Als Wissenschaftlerin liebe ich Excel-Tabellen. In Veränderungsprozessen sind Statistiken ein gutes Instrument, um zu analysieren, wie weit man noch vom Ziel entfernt ist, wo Probleme liegen und wo verändernd eingegriffen werden muss. Aber eine Sache nehmen einem Statistiken nicht ab: Das Ziel zu definieren. Und die Richtung dieser Kompassnadel offenbart vor allem eines über uns: die zugrundeliegenden Werte.
Nochmal ein Schritt zurück
Gehen wir also nochmal einen Schritt zurück. Wer sich intensiver mit dem Status von Männern und Frauen im Sport – hier insbesondere im Ultralauf – beschäftigt, muss sich irgendwann fragen: Wie sollte denn der Zugang zu Sportdisziplinen geregelt sein und wie sollten Leistungen honoriert werden.
Meine persönliche Position dazu: Frauen müssen die gleichen Chancen besitzen, den Sport ausüben zu können, den sie wollen. Sollte es für bestimmte Sportarten tatsächlich geringeres Interesse bei Frauen geben als bei Männern, dann sei’s drum. Dann sollten natürlich Frauen nicht zu einer Sportart gedrängt werden, nur um Parität in der Teilnehmerquote zu garantieren. Doch viel häufiger sind es nicht offenkundig sichtbare Schranken, Erwartungshaltungen, nicht zugängliche Ressourcen oder die so oft zitierte „gläsernen Decke“, die das Interesse oder die Teilnahme an bestimmten Sportarten reduzieren.
Meine zweite Position: Leistungen von Frauen haben aus sich heraus ihren Stellenwert, und nicht erst nach Normierung auf Leistungen oder Teilnehmerzahlen bei den Männern. Ein Wettkampf ist ein Wettkampf. Dabei gibt es am Ende einen Sieger und eine Siegerin –aufgrund der unbestrittenen physiologischen Unterschiede ist es klar, dass Frauen nicht mit Männern konkurrieren. Der Sieg bedeutet: Man hat sich gegen alle durchgesetzt, die in der gleichen Wettkampfklasse (d.h. einem Feld mit grundsätzlich gleichen Möglichkeiten) gestartet sind. Dabei ist nicht wichtig, gegen wie viele man sich durchgesetzt hat.
Damit das etwas klarer wird, hier mal ein Beispiel, das keinen Gender-Aspekt beinhaltet: Der Speedgoat 50k ist ein von Karl „Speedgoat“ Meltzer seit 2008 ausgerichtetes Trail- bzw. Skyrace in Utah. Karl Meltzer war einer der ersten, der für die Top-Platzierten ein saftiges Preisgeld ausschrieb. Dies wiederum führte dazu, dass sich 2012 und 2013 etliche Läufer der Weltelite im Snowbird Resort unweit von Salt Lake City versammelten: Kilian Jornet, Max King, Tony Krupicka, Thomas Lorblanchet, Philipp Reiter, Dylan Bowman, Sage Canaday, Timothy Olson und viele andere: eine verdammt hohe Leistungsdichte. So war es kaum verwunderlich, dass die Rennen sehr knapp wurden. 2012 und 2013 lagen zwischen Platz 1 und 3 jeweils weniger als 10 Minuten. Das änderte sich in den folgenden Jahren – 2014 und 2015 siegte jeweils Sage Canaday mit fast 20 bzw. fast 30 Minuten Vorsprung vor dem Zweiten. Dabei veränderte sich die Siegerzeit im Verhältnis zu den Vorjahren kaum. Der deutliche Vorsprung war vielmehr auf die mittlerweile deutlich geringere Konkurrenz zurückzuführen - wegen einem immer dichteren Veranstaltungskalender und der aufkommenden internationalen Rennserien zog es nicht mehr so viele Top-Läufer ins Snowbird Resort.
Sage Canaday hatte also 2014 und 2015 viel weniger Konkurrenz als beispielsweise bei seinem Sieg 2013. Ist deshalb Karl Meltzer auf die Idee gekommen, die Siegesprämie dramatisch zu reduzieren? Natürlich nicht.
Es ist also überhaupt nicht üblich, Siegesprämien auf die Stärke der Konkurrenz zu normieren.
Warum soll das gerade bei Frauen so sein? Warum sollen hier die Teilnehmerzahlen von Männern und Frauen als Normierungsfaktor für die Siegesprämien der Frauen herhalten? Dies wertet den Frauensport als eigenständige Entität ab.
Dazu kommt: Wer sich beschwert, dass zu wenige Frauen an einem Wettbewerb teilnehmen, der sollte an einem anderen Stellschraube drehen: Frauen motivieren, an Wettkämpfen teilzunehmen (und sie nicht durch geringere Preisgelder demotivieren). Unsichtbare Schranken abbauen helfen, die oft Zugang zu Wettbewerben erschweren.
Laufen als Disziplin ist glücklicherweise wenig milieuverhaftet oder traditionsorientiert – da ist zu hoffen, dass mit solchen Maßnahmen schneller eine Änderung gelingt als in manch anderer Sportart.
Die Katze beißt sich in den Schwanz: Wir ändern erst was, wenn sich etwas geändert hat
Auch wenn hierzulande seit mehr als 60 Jahren die Gleichberechtigung von Mann und Frau gesetzlich verankert ist, ist das noch lange nicht bei jedem angekommen. Bei aller Bedeutung dieser Gesetze: sie können nicht verhindern, dass in einigen Köpfen noch ein sehr traditionelles Rollenverständnis vorherrscht: In diesem Weltbild ist klar, dass Männer die Entscheidungen treffen, mehr verdienen, medial präsenter sind. Und es wäre in diesem Weltbild kein Verlust, wenn Frauen in manchen Sportarten erst gar nicht mitmischen würden. Wenn überhaupt, dann besser nur als schmückendes Beiwerk.
Das Problem ist: Solche Äußerungen hört man in Diskussionen nicht. Zumindest nicht direkt. Da werden lieber Statistiken bemüht, die zeigen sollen, dass die Leistungen der Sportlerinnen eben nicht gleichwertig sind. Und dass man deshalb leider nichts ändern könne, auch wenn man das doch so gerne wollen würde und sich sowieso immer für Frauen im Sport einsetzt.
Im Klartext: Wir würden gerne etwas ändern, aber wir ändern erst etwas, wenn sich etwas geändert hat. Ein sehr komfortabler Ringschluss, denn damit bleibt alles beim Alten. Wie das Sprichwort sagt: „Es regnet immer dorthin, wo es schon nass ist“. Oder für die, die es etwas deftiger mögen: „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen“.
Dabei negieren diejenigen, die so argumentieren, die Gestaltungsmöglichkeiten, die jeder von uns hat. Wir sind eben nicht Gefangene der Statistik. Wenn wir ehrlich hinter den Werten der Gleichberechtigung stehen, dann gibt es sehr wohl Möglichkeiten, gestaltend einzugreifen. Wie schon im letzten Blogpost beispielhaft skizziert: Rennen wie der UTMB oder der Western States haben es durch eine Vielzahl von Maßnahmen geschafft, zumindest an der Spitze die Leistungsdichte der Männer und Frauen so anzugleichen, dass eine Diskussion über unterschiedliche Preisgelder etc. obsolet ist.
Es ist also wichtig, eine Wertedebatte zu führen. Diese Wertedebatte kann einem keine Statistik der Welt abnehmen.
Zu Teil 1: Der XX-Faktor im Ultrarunning: Mythen
Zu Teil 2: Der XX-Faktor im Ultrarunning: Dabei sein ist alles
Zu Teil 3: Der XX-Faktor im Ultrarunning: Zwischen den Ohren
Zu Teil 4: Der XX-Faktor im Ultrarunning: Mit zweierlei Maß
Zu Teil 5: Der XX-Faktor im Ultrarunning: Eine Sache der Werte
Zu Teil 6: Der XX-Faktor im Ultrarunning: The Why
Außerdem gibt es folgende weiterführende Artikel zum Thema:
- FAKTENCHECK: Einfluss von Alter und Geschlecht auf die Laufleistung im Ultramarathon
- (Un)sichtbare Heldinnen: Der Gender Performance Gap im Ultrarunning
Hinweis: Gerne können Themen dieses Artikels von anderen aufgegriffen und verwendet werden - sei es in Blogs/Internetseiten oder Printmedien. Die Fairness gebietet es aber, dass in solchen Fällen TrailrunningHD erwähnt bzw. die Quelle verlinkt wird. Danke!
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