Der XX-Faktor im Ultrarunning - Teil 4: Mit zweierlei Maß



von Sabine


Inzwischen ist die Geschichte legendär: Als das deutsche Frauenfußball-Nationalteam 1989 den Europameisterschaftstitel gewann, bekam jede der Spielerinnen zur Anerkennung vom DFB ein 40-teiliges Kaffeeservice. Für den Titelgewinn bei der WM ein Jahr später bekam jeder Spieler der Herrenfußball Nationalmannschaft 125.000 DM. Ein „kleiner“ Unterschied. Nun könnte man sagen: Das war vor fast 30 Jahren – damals galt noch der „Schwulenparagraph“ §175 - und die Vergewaltigung in der Ehe war straffrei. Die Zeiten haben sich doch geändert! Inzwischen hat selbst das ominöse Kaffeeservice seinen Platz im Museum gefunden. Fazit: Heute ist alles anders – besonders in modernen Sportarten wie Trail- und Ultrarunning. Wenn man sich da nicht täuscht …

Fast Forward … wir schreiben das Jahr 2015. In Chamonix werden die Sieger und Platzierten des UTMB geehrt. Bei vielen großen Ultraläufen ist es Tradition, dass das „Podium“ nicht nur aus den ersten drei, sondern aus den besten zehn Läufern besteht. So auch beim UTMB. Zumindest bei den Männern. Denn als die Frauen mit ihrer Siegerehrung dran sind, werden nur die ersten Fünf auf die Bühne gerufen: Nathalie Mauclair, Uxue Fraile, Denise Zimmermann, Silvia Trigueros Garrote, Darcy Piceu. Begründung? Geringere Leistungsdichte bei den Damen.

Ein Jahr später: Beim Zugspitz Ultratrail gewinnen Thomas Farbmacher und Kristin Berglund; Kristin Berglund wird sogar im Gesamtklassement Fünfte. Während die Leistung von Thomas Farbmacher mit 800 Euro honoriert wird, muss sich Kristin Berglund mit 400 Euro begnügen. Als das bekannt wird, legen verschiedene Blogger den Finger in die Wunde und fragen: Ist das fair?

Das Glen Coe Skyline Race ist eines der attraktivsten Skyrunning-Events und versammelt seit seiner ersten Austragung 2015 die Weltelite im Sky- und Trailrunning. Allein schon die Siegerliste ist imposant: Joe Symonds, Emelie Forsberg, Jonathan Albon, Jasmin Paris, Kilian Jornet, Hillary Geradi. Im Jahr 2017 kündigen die Veranstalter des Glen Coe Skyline an, dass es ab sofort Preisgeld gibt. So weit, so gut. Doch während an vielen diese Mitteilung ungelesen vorbeigeht, schauen die bekannten Trail- und Ultraläufer Ellie Greenwood, Sage Canaday und Sandi Nypaver etwas genauer hin: Es ist geplant, dass die ersten 10 Männer ein gestaffeltes Preisgeld erhalten – bei den Frauen jedoch nur die besten 5. Die initialen Reaktionen von Greenwood, Canaday und Nypaver führen zu einer breiten Diskussion im Netz. Das Verrückte: Es geht noch nicht einmal um viel Geld oder einen großen Anteil des Preisgelds: Eine Gleichbehandlung von Läufern und Läuferinnen würde bei einem Preisgeld-Gesamtvolumen von 17000 Britischen Pfund gerade einmal Mehrkosten von 500 Pfund bedeuten. Und dennoch rechtfertigen die Organisatoren zunächst ihr Vorgehen: "Die Statistik des Salomon Glen Coe Skyline™ im Jahr 2016 spricht für sich selbst; es ist für einen männlichen Teilnehmer viel schwieriger, in die Top Ten (5,49% der Teilnehmer) zu kommen, als für eine weibliche Teilnehmerin, in die Top 5 (15,63% der Teilnehmer) zu kommen.“

Der Vermont 100 ist einer der ältesten 100 Meiler in den USA. Im Jahr 2015 übernimmt Amy Rusiecki beim Vermont 100 das Ruder als Race Director. Amy ist selbst eine begeisterte und sehr erfolgreiche Ultraläuferin: Sie hat mehr als 100 Rennen gefinisht und davon etwa 1/3 gewonnen. Und: die hauptberufliche Ingenieurin bezeichnet sich selbst als „Zahlenfreak“. Als Amy Rusiecki bekanntgibt, dass 2018 beim Vermont 100 die besten 10 Männer, aber nur die besten 5 Frauen ausgezeichnet werden sollen, regt sich großer Unmut. In diesem Fall angeführt von Clare Gallagher, der Siegerin beim Leadville 2016 und beim CCC 2017. Auch hier geht es nicht um viel Geld – es gibt beim VT100 lediglich Sachpreise. Und dennoch verteidigt Amy Rusiecki ihre Entscheidung zunächst mit Zähnen und Klauen und einer guten Portion an Statistik: „Die Zahlen sind ziemlich konstant, mehr als 3/4 der Teilnehmer sind Männer; das bedeutet, dass die besten 3,7% Männer jedes Jahr ausgezeichnet werden und die besten 6,9% Frauen.  Wie kann das unfair gegenüber den Frauen sein? …. In den Jahren, in denen wir die Top 5 Frauen ausgezeichnet haben - anders als früher, wo nur die Frauen ausgezeichnet wurden, die in der Gesamtwertung in den Top 10 waren - war das Teilnehmerfeld bei den Frauen sogar weniger kompetitiv. Das zeigt, dass zusätzliche Auszeichnungen für mehr Top-Frauen nicht zu einem besseren Rennen bei den Frauen geführt haben  .....

Klingt doch eigentlich logisch. Weniger Frauen – weniger Wettbewerb – weniger Auszeichnungen. Think – and think again …


Zwei Rennen in einem

Nein, es ist nicht logisch. Auch wenn es ein gutes Beispiel dafür ist, dass man für fast jede Behauptung eine Statistik findet, die diese stützt.

Es ist eine mittlerweile anerkannte Tatsache, dass in fast allen Sportarten, insbesondere in der Leichtathletik und den Ausdauersportarten, die physiologischen Voraussetzungen von Männern und Frauen zu unterschiedlich sind, als dass man die Leistungen im Rennen direkt miteinander vergleichen dürfte. Denn in den Spitzenleistungen besteht weiterhin ein „Gender Gap“, der über alle Strecken vom Sprint bis zum Ultramarathon nahezu konstant ist. Während es bei den kürzeren Strecken sowie bei Radrennen üblich ist, zwei separate Rennen zu veranstalten – eines für Frauen und eines für Männer – gehört es zur Kultur bei Volksläufen, im Halbmarathon, Marathon, Ultramarathon, Trailrunning und auch im Triathlon, dass Frauen und Männer gemeinsam an den Start gehen – dann aber getrennt gewertet werden. Frauen und Männer laufen zusammen, kämpfen aber nicht gegeneinander.

Und so werden selbstverständlich bei allen internationalen Wettbewerben Frauen und Männer zwei Ranglisten geführt und Sieger und Platzierte getrennt geehrt. Ob bei Olympiade, Weltmeisterschaften, kontinentalen oder nationalen Meisterschaften: Bei Frauen und Männern werden die ersten drei Plätze ausgezeichnet. Clare Gallagher schreibt hierzu zutreffend: „Für die Rangliste der Frauen entscheidet alleine der Frauenwettbewerb. Kein internationaler Sportverband berücksichtigt bei der Vergabe von Preisen die Gesamtbeteiligung eines Geschlechts. Somit geht es im Wettbewerb der Frauen nicht darum, die Zeit der leistungsstärksten Frau ins Verhältnis zum Gesamtfeld aller teilnehmenden Frauen zu setzen.

Vielleicht wird der Irrsinn einer Normierung der Preisgelder an der Gesamtzahl der Teilnehmer noch klarer, wenn man ein Beispiel nimmt, das weniger ideologisch vorbelastet ist als das Gender-Thema. Genauso unbestritten wie die unterschiedliche Leistungsfähigkeit von Männern und Frauen ist die Veränderung der Leistungsfähigkeit mit dem Alter. Gerade deshalb gibt es ja Altersklassen. Man könnte nun – würde man der Logik von Amy Rusiecki & Co. folgen - bei der Siegerehrung dem Ersten der Hauptklasse eine Magnumflasche Champagner überreichen, dem der Master-/Seniorklasse nur eine Piccoloflasche. Begründung: In der Master-/Seniorklasse sind viel weniger Läufer gestartet als in der Hauptklasse. Schwachsinn, oder? Schließlich hat sich der Sieger der Masterklasse gegen alle anderen dieser Klasse durchgesetzt und sein Sieg zählt nicht deshalb weniger, weil er weniger Gegner hatte. Die oben skizzierte Siegerehrung würde die Leistung des Siegers der Masterklasse herabwürdigen.

Aber bei Frauen soll das in Ordnung sein? Nein, natürlich nicht! Denn auch in diesem Fall würdigt es die Leistung der Siegerin oder der Platzierten herab. Wenn man etwas dafür tun will, dass es auch bei den Frauen interessante Wettkämpfe gibt, dann muss man etwas für eine höhere Leistungsdichte tun – und eine Reduktion der Preisgelder ist da sicher nicht das geeignete Werkzeug …


Es tut sich was

Bevor wir jetzt in (Selbst)Mitleid versinken, sei gesagt: Es hat sich in den letzten Jahren viel getan, was den Aspekt der Gleichbehandlung der Geschlechter im Trail- und Ultrarunning angeht. Zunächst sind Ungerechtigkeiten überhaupt mal aufgefallen, die jahrelang als gottgegeben hingenommen wurden. Dann wurden sie von Athleten adressiert. Und: Die meisten Veranstalter haben inzwischen reagiert: Seit 2016 umfasst das Podium beim UTMB die besten 10 Frauen und die besten 10 Männer. Plan B, die als Veranstalter unter anderem hinter dem Zugspitz Ultratrail und dem Transalpine stehen, haben 2016 angekündigt, dass sie bei allen ihren Veranstaltungen die Preisgelder für Damen und Herren angleichen. Die Organisatoren des Glen Coe Skyline Race haben noch vor der Austragung 2017 ihre Preisgeld-Policy geändert und zahlen jetzt identisches Preisgeld für die Top 10 der Damen und der Herren. Und auch Amy Rusiecki ließ sich am Ende noch umstimmen: Bei der Siegerehrung 2018 wurden die 10 schnellsten Läufer und die 10 schnellsten Läuferinnen auf die Bühne gerufen und ausgezeichnet. Bravo!

So ist es perfekt: Beim Cimarron 50k 2015 erhalten die bestplatzierten Läuferinnen und Läufer das gleiche Preisgeld. Foto: Clare Gallagher



Vor allem die großen Veranstalter und Rennserien haben eine 180°-Wende hingelegt: Sie bekennen sich nun zur Gender Equality. Bei UTMB, Western States, bei der Skyrunning World Series und der Salomon Golden Trail Series finden sich in den Statuten klare Verpflichtungen, Frauen und Männer gleich zu behandeln. Man könnte fast den Eindruck bekommen, dass es sich um ein Marketinginstrument handelt – sei’s drum. Wichtig ist, dass es gelebt wird.

Korrekturen können manchmal über das Ziel hinausschießen - so auch in diesem Fall: Einige Veranstaltungen in den USA haben angekündigt, dass sie Frauen mehr Preisgeld zahlen als Männer: Beim Ouray 100 soll die Siegerin 1250$, der Sieger nur 1000$ bekommen. Und beim Antelope Island Fall Classic gibt’s 120$ für die schnellste Läuferin, jedoch nur 100$ für den schnellsten Läufer. Warum? Jim Skaggs, der Race Director des Antelope Island Fall Classic sagt: „Frauen bekommen verglichen mit Männern in der Regel für die gleiche Arbeit nur 80% der Bezahlung. Das ist mein kleiner Beitrag, dieses Defizit auszugleichen.“ Das ist gut gemeint. Aber – wie es im Sprichwort heißt: das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Denn Preisgelder sind kein Instrument, um Ungerechtigkeiten in der Bezahlung von Frauen auszugleichen. Sie sind nichts anderes als die Belohnung für den Sieg in der jeweiligen Wertungsklasse. Nichts mehr und nichts weniger.

Umgekehrt gibt es leider noch immer „Nischen“, in die die Idee von Gender Equality noch nicht vorgedrungen ist. So gibt es bei kleineren Wettbewerben, aber auch bei Wettbewerben mit internationaler Strahlkraft immer noch Veranstalter, die unterschiedliche Preisgelder für Frauen und Männer ausloben. Besonders verbreitet ist dies noch im Berglauf. Der Hochfelln-Berglauf,  immerhin seit Jahren einer der Wettbewerbe des Mountain Running Grand Prix, zahlt Geldpreise für die ersten 10 Männer, aber nur für die ersten 6 Frauen. Ähnlich wird es zum Beispiel auch beim Karwendel-Berglauf (Top 8 bei den Männern, Top 6 bei den Frauen) und beim Dreizinnenlauf gehandhabt (Top 10 bei den Männern, Top 6 bei den Frauen). Im Berglauf scheint die Bereitschaft, gesellschaftspolitisch eine Vorreiterrolle einzunehmen, nicht sehr groß zu sein – dies ist einer von vielen Gründen, warum man sich um diese Disziplin Sorgen machen muss.

Eines muss noch betont werden: Es sind nicht ausschließlich Männer, die Frauen keine Gleichbehandlung zuteilwerden lassen. Auch Frauen können die gleichen Denkfehler begehen. Zwei der vier oben genannten Rennen werden von Frauen (mit)organisiert (UTMB: Catherine Poletti, Vermont 100: Amy Rusiecki). Und auch wenn es darum geht, Ungleichheiten anzuprangern, muss man konstatieren: Es waren nicht NUR Frauen, die den Mund aufgemacht haben, die auf unterschiedliche Preisgelder für Männer und Frauen hingewiesen haben. Der Mehrzahl der Läufer ist klar, dass eine gleiche und gerechte Behandlung der Läuferinnen ihnen nichts wegnimmt – weder Preisgelder noch den medialen Fokus. Denn was ist besser als ein spannendes Rennen? ZWEI spannende Rennen – eines in der Männer- und eines in der Frauenwertung, zusammengefasst im Rahmen EINER Veranstaltung.

 

Gleichbehandlung stärkt die Leistungsdichte – nicht umgegekehrt!

Noch eine Erkenntnis ist wichtig: Der Teufelskreis aus geringerer Teilnahmequote und niedrigerer Leistungsdichte lässt sich nicht aufbrechen, indem man Frauen ein niedrigeres Preisgeld zahlt oder weniger Frauen auszeichnet. Damit verfestigt man den Status Quo. Es ist wichtig, das Rennen für Top Läufer und -Läuferinnen gleichermaßen interessant zu machen. Durch gezielte Maßnahmen ein kompetitives Elitefeld sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern anzusprechen. Denn dann gleicht sich die Leistungsdichte in der Spitze erfahrungsgemäß an. Beispiele: Western States 100 und UTMB. Beide Rennen besetzen einen Teil der Startplätze mit Eliteläufern – beim Western States sind es die Top 10 des Vorjahrs, die Gewinner der Golden Tickets und ein Kontingent von Läufern in der UTWT – damit ist das Elitefeld bei den Frauen in etwa so groß wie bei den Männern. Der UTMB hat sein Eliteprogramm, bei dem er Läufern und Läuferinnen ab einem bestimmten ITRA-Leistungsindex den direkten Zugang zum Rennen (ohne vorherige Lotterie) ermöglicht. Es hat sich gezeigt, dass dies genau das richtige Instrument ist, das Rennen bei Männern UND Frauen spannend zu machen: Die Leistungsdichte an der Spitze hat sich immer mehr erhöht – und die Frauen haben die Männer inzwischen eingeholt.

Sind die Rennen bei den Frauen wirklich so uninteressant? Nicht, wenn der Veranstalter alles richtig macht. Sowohl beim Western States als auch beim UTMB hat sich die Leistungsdichte an der Spitze vor allem bei den Frauen stark erhöht und ist inzwischen vergleichbar mit der der Männer. Die Graphiken zeigen die Zeitdifferenz zwischen dem jeweiligen Sieger/der Siegerin und Platz 10 der Männer- bzw. Frauenwertung.




Sponsoren – oder die Sache mit der Wirtschaftlichkeit

Es gibt aber noch ein weiteres Argument, das ins Feld geführt wird, wenn es um die Begründung von Ungleichbehandlung von Männern und Frauen geht: Wirtschaftliche Entscheidungen.

Eines der krudesten Argumente, die mir zur Rechtfertigung unterschiedlicher Preisgelder im Ausdauersport untergekommen sind, las ich in der Ausschreibung der Schoeckel Classics, einer Duathlon Veranstaltung bestehend aus einem Radrennen und einem Berglauf. Hier heißt es: „Wir wollen einerseits – in Würdigung der von uns übrigens vollauf geteilten gesellschaftlichen Zielsetzung um Abschaffung von Diskriminierungen von Frauen - möglichst keinen Unterschied bei der Prämierung der Männer- und Frauenwertungen machen. Dabei darf jedoch die beklagenswerte Tatsache, dass die Anzahl an Teilnehmerinnen (und damit deren Beitrag zum Topf, aus dem das Preisgeld ausgeschüttet wird) trotz intensiven Bemühungen um Motivation des weiblichen Publikums zur Teilnahme nach wie vor leider nur äußerst bescheiden ist, nicht übersehen werden.“ Mit dieser Begründung kommen die Veranstalter dann zu einem Preisgeld für Männer von 400/300/200/150/100 Euro (Platz 1-5) und von 300/200/100 Euro (Platz 1-3) für Frauen; zusätzlich gibt es noch Preisgelder für den Gesamtersten (600 Euro) sowie den schnellsten Radfahrer bzw. Läufer (je 100 Euro); Preise, die prinzipiell natürlich sowohl eine Frau als auch ein Mann gewinnen könnten … praktisch aber immer an Männer gehen.

Auch diese Argumentation geht am Kern von Ausdauersportveranstaltungen vorbei: Zwei Wertungen in einer Veranstaltung. Dabei geht es nicht darum, welche Gruppe wie viel in den „Gesamtpott“ eingezahlt hat. Auch nicht bei unterschiedlichen Altersklassen - aber interessanterweise wird hinsichtlich der Altersklassen keine entsprechende Rechnung aufgemacht.

Doch es sind nicht nur die Einnahmen aus den Anmeldungsgebühren, die in der Argumentation gegen gleiche Preisgelder ins Feld geführt werden. Es geht auch um die Sponsorengelder. Und hier hört man immer wieder: Frauen bringen der Sport- und Outdoor-Industrie weniger Geld ein – daher sind sie auch weniger wert. Wirklich?

Tatsächlich gibt es bei Sponsorenverträgen mit Spitzenathleten und -athletinnen im Trail- und Ultrarunning einen Gender Pay Gap. Gina Lucrezi von den „Trail Sisters“ und Meghan Hicks von iRunFar haben Anfang 2017 eine Umfrage bei über 100 Top Athletinnen und Athleten gemacht. Und sie trafen auf interessante Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Dazu gehört, dass 71% der Athletinnen durch Sponsoring 10.000$ pro Jahr oder weniger verdienen – während 71% der Athleten mehr als 10.000$ pro Jahr verdienen. Und auch bei der Art des Sponsorings gibt es deutliche Unterschiede: Es gibt deutlich mehr Frauen als Männer (39% vs. 12%), die von ihren Sponsoren ausschließlich Material zur Verfügung gestellt bekommen – und während 88% der männlichen Athleten auch Zahlungen (Festgehalt, Reisekosten, Teilnahmegebühren, leistungsbezogene Bonuszahlungen) erhalten, ist das nur für 61% der Frauen der Fall.

Sind also Frauen für die Sport- und Outdoorindustrie weniger interessant? Weit gefehlt! Man braucht sich nur einmal die Anzeigen, Videos und die Beiträge in den Kanälen der sozialen Medien anzuschauen: Hier werden mehr und mehr Frauen als „Werbebotschafter“ eingesetzt. Und das hat auch einen Grund: Frauen geben mehr Geld für „Activewear“ aus als Männer – mit beträchtlichen Wachstumsraten.

Hinsichtlich der Sponsorenverträge gilt das gleiche wie für die Preisgelder: Dadurch, dass in einigen Fällen Ungleichheiten in den sozialen Netzwerken offengelegt, angesprochen und diskutiert wurden, hat sich in den vergangenen Jahren schon einiges geändert. Aber die Umfrage von Gina Lucrezi und Meghan Hicks bringt es an den Tag: Auch hier ist man noch weit von der Gender Equality entfernt.


Was tun? 

Ich bin mir sicher, dass vielen gar nicht bewusst ist, wie groß die Ungleichheiten zwischen der (finanziellen) Anerkennung von Männern und Frauen im Trail- und Ultrasport sind. Wieder andere lassen sich durch Argumente überzeugen, die den Kern der Sache aber verfehlen und die letztlich nur helfen (sollen), den Status Quo zu zementieren. Das Problem ist vielschichtig – und einige Vorreiter in den USA haben gezeigt: Je offener man die Probleme diskutiert, umso eher ändert sich etwas.

Daher kann meines Erachtens jeder etwas dazu beitragen, die „Gender Inequality“ verringern:
  • Informieren: Egal ob es um einen Veranstalter geht oder um einen Titelsponsor: Schaut nach, wie die Leistungen von Männern und Frauen honoriert werden. Falls keine Informationen vorhanden sind: nachfragen.
  • Diskutieren: Wenn Ihr auf Ungleichbehandlungen stößt: Sprecht die Veranstalter/Sponsoren höflich an. Wie sich in der Vergangenheit allerdings gezeigt hat, bringt oft erst eine offene Diskussion in den Kanälen der sozialen Medien eine Änderung.
  • Konsequent sein: Wenn Argumente auf Granit stoßen, hilft oft nur die „Abstimmung mit den Füßen“. Glücklicherweise haben wir beim Trail- und Ultrarunning sowohl hinsichtlich der Veranstaltungen als auch der Ausstatter eine große Auswahl. Warum dann nicht die Veranstaltung oder den Hersteller auswählen, die ein klares Bekenntnis zur Gender Equality abgeben – und hier auch Taten sprechen lassen. Einige Player im Bereich der Sport- und Outdoorindustrie haben schon erkannt, dass die Gender Equality auch ein Marketinginstrument sein kann.
  • Empowerment: Häufig finden die Leistungen von Männern eine größere Resonanz in den Netzwerken als die gleichermaßen hervorragenden Leistungen von Frauen. Dabei sind immer mehr Frauen aktiv, die Unglaubliches abliefern: Nele Alder Baerens, Courtney Dauwalter, Camille Herron, Jasmin Paris – um nur einige zu nennen. Deren Leistungen haben ebensoviel Applaus, Likes, Retweets oder Kudos verdient wie die ihrer männlichen Kollegen. Nebenbei steigert mehr Sichtbarkeit und mehr Resonanz auch den „Marktwert“ dieser Athletinnen.



Alles nur ein Problem der Elitesportler?

Viele werden jetzt sagen: Was hat das mit mir zu tun? Ich habe nie ein Rennen gewonnen und werde auch niemals eines gewinnen können. Preisgelder oder Unterstützung durch Sponsoren sind für mich nicht relevant. Ich bin froh, wenn ich mich überhaupt für bestimmte Rennen qualifizieren kann.  Wenn ich überhaupt innerhalb der Cutoffs bleibe. Oder wenn ich mein mir selbst gestecktes Leistungsziel erreiche.

Das mag so sein. Doch jede Diskussion um Ungerechtigkeiten, die Top-Läuferinnen widerfahren, stärkt auch die Sensibilität gegenüber Dingen, die Middle- oder Back-of-the-pack Läuferinnen ebenfalls sauer aufstoßen. Denn auch sie müssen sich mit dem einen oder anderen Stein im Weg auseinandersetzen. Aber das ist das Thema des nächsten Blogposts.




Zu Teil 1: Der XX-Faktor im Ultrarunning: Mythen
Zu Teil 2: Der XX-Faktor im Ultrarunning: Dabei sein ist alles 
Zu Teil 3: Der XX-Faktor im Ultrarunning: Zwischen den Ohren
Zu Teil 5: Der XX-Faktor im Ultrarunning: Eine Sache der Werte 


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