von Sabine
Wer von uns hat das nicht schon erlebt: Man steht an der Startlinie eines Laufs. Das Vorhaben: eine Strecke, die man zuvor noch nie bewältigt hat - weder im Training noch im Wettkampf. Ein Schritt ins Ungewisse. Es ist eine Mischung aus Aufregung, Spannung und einem unbestimmten mulmigen Gefühl, das einen da beschleicht. Was dabei dominiert – ein optimistisches oder pessimistisches Grundgefühl – das hängt sehr stark von der jeweiligen Persönlichkeit ab. Und davon, ob eine Frau oder ein Mann an der Startlinie steht.
An der Schwelle zum Unbekannten, möglicherweise sogar Riskanten, scheinen sich Frauen und Männer zu unterscheiden. Hier tobt sich die Wirtschafts- und Organisationspsychologie seit Jahrzehnten mit einer Vielzahl von Gender-Studien aus. Ihr Ergebnis: Frauen sind im Mittel risikoscheuer als Männer. Männer zeigen dagegen häufiger ein Verhalten, das die Psychologen als „Selbstüberschätzung“ (Overconfidence) klassifizieren. Kann das erklären, warum beim Ultrarunning umso weniger Frauen an den Start gehen, je länger die Strecke ist?
Eine Studie von Hewlett Packard hat gezeigt, dass Frauen sich nur auf eine höhere Position bewerben, wenn sie 100% aller Anforderungen zu erfüllen glauben, für Männer reichen gerade mal 60%. Das wäre eine gute Erklärung dafür, warum Frauen auf langen Strecken so selten antreten. Bei einem 5 km Wettkampf weiß man, dass man die Strecke mit ein bisschen Training sicher schaffen wird. Das gilt auch für 10km, vielleicht auch für Halbmarathon. Schon beim Marathon wird es schwieriger: Denn hier läuft man im Training nie die volle Strecke. Spätestens aber beim Schritt zum Ultra kann man nicht mehr vorhersagen, ob man eine Strecke sicher schaffen wird. Und je länger die Ultra-Strecke, desto größer die Ungewissheit.
Problem ist: Die oben genannte Studie gab es nie. Auch wenn diese Zahlen immer wieder genannt werden: Es ist einfach nur eine Geschichte aus einem internen Report von HP. Sie wurde in der Business-Welt von McKinsey verbreitet und dann von Sheryl Sandberg in ihrem Bestseller „Lean In“ aufgegriffen. Damit war diese „Studie“ dann in der Welt.
Entscheidend: Das Umfeld
Fehlt es Frauen generell an Selbstvertrauen, wenn es an den nächsten Schritt geht – sei es in der Kariere oder im Ultrarunning? So plakativ wie in der oben erwähnten „Studie“ von HP ist das nicht. Es ist nicht so, dass sich Frauen grundsätzlich weniger zutrauen als Männer. Sie haben nicht generell Angst zu scheitern. Sie fürchten sich einfach viel mehr davor sich zu blamieren. Ein kleiner, aber wichtiger Unterschied. Denn nicht das Ergebnis ist das Problem (Scheitern), sondern seine Wahrnehmung auf der Bühne des sozialen Umfelds (Blamage). Oder umgekehrt: Es geht nicht darum, Frauen ihre angebliche Selbstunterschätzung abzutrainieren. Gebraucht wird vielmehr eine positive Umgebung, in der Misserfolge nicht zur persönlichen Abwertung genutzt werden. In der (unvermeidliches) Scheitern nicht zur Blamage wird.
Dann gibt es da eine weitere Beobachtung: Frauen formulieren am Anfang ihrer Karriere durchaus ambitionierte Ziele und trauen sich auch zu, diese zu erreichen. Sind sie aber zwei Jahre lang dem Arbeitsalltag ausgesetzt, ist nur noch ein kleiner Teil von ihnen überzeugt, einmal an der Spitze anzukommen. Der Grund: Von Männern formulierte Stereotype, fehlende Unterstützung und fehlende Vorbilder. Wenn Frauen immer nur zu hören bekommen, dass man(n) auf dem Weg zur Spitzenposition 7 Tage die Woche 24 Stunden arbeiten muss, dann verlieren sie irgendwann den Glauben daran, dass sie diese Position überhaupt wollen. Schließlich ist es hierzulande immer noch gesellschaftliche Realität, dass Frauen die Hauptlast der Kindererziehung, Haushaltsführung und Pflege der Angehörigen tragen. Oder übertragen auf den Sport: Wenn Männer auf facebook, Instagram oder Strava ihre 150+ km Trainingswochen posten, dann schreckt das viele Frauen ab, sich ebenfalls an die langen Ultrastrecken heranzuwagen. Auch wenn es mit einem vernünftigen Trainingskonzept nicht immer diese riesigen Trainingsumfänge bräuchte…
„Ohne Sieg ist alles nichts“ versus „Dabeisein ist alles“
Und so sind wir wieder beim Thema Ultrarunning. Beginnen wir nochmal mit einem Blick auf die Teilnahmequote von Frauen bei Ultra-Veranstaltungen unterschiedlicher Streckenlänge. Wenn man die vier „klassischen“ Ultradistanzen (50 km, 50 Meilen, 100 km, 100 Meilen) betrachtet, dann kann man in den USA und in Deutschland den gleichen Effekt beobachten: Je länger die Strecke, desto geringer der Frauenanteil. Nur sind in den USA auf den ganz langen Distanzen immer noch so viele Frauen unterwegs, wie man sie in Deutschland gerade mal bei 50 km Rennen findet.
Hierfür gibt es viele Gründe, und im letzten Post hatten wir schon einige davon erwähnt: Die Rolle des Schulsports zum Beispiel oder den Title IX des „Omnibus Education Act“. Aber das ist mit Sicherheit nicht alles. Es gibt in der Lauf-, vor allem aber in der „Ultrakultur“ deutliche Unterschiede zwischen USA und Mitteleuropa. Hierzulande dominiert bei klassischen Ultra-Veranstaltungen der Wettkampfcharakter. In den USA haben Ultrarennen viel mehr den Charakter eines Events, eines Happenings: „Dabeisein ist alles“ wäre hier das passende Motto. Mit großer Bewunderung für jeden, der überhaupt einen Ultra läuft. „I wouldn’t even drive that far“ ist häufig der Kommentar. Völlig unüblich, im zweiten Satz nach der Bestzeit gefragt zu werden. Während hierzulande facebook und Instagram gerne mit Strava-Statistiken geflutet werden, ist man in den USA viel allergischer gegen „Bragging“ (Prahlerei). Das mussten auch schon Top-Läufer erfahren. Als Jim Walmsley in einem iRunFar-Interview 2017 vor dem Western States die Leistung des Siegers von 2016 herabwürdigte, ging ein wahrer Shitstorm los. Das gleiche passierte nach einem Interview von Camille Herron bei Ultrarunnerpodcast. Umgekehrt ist die Achtung vor denen, die kurz vor dem Cutoff ins Ziel kommen, in den USA bedeutend höher. So ist beim hochkompetitiven Western States das Zuschauer- und Medieninteresse für die sogenannte „Golden Hour“ (die letzte Stunde vor dem 30:00 Cutoff) vergleichbar mit dem für die Top 10. Tim Twietmeyer, Ann Trason, Scott Jurek: Sie alle haben regelmäßig – viele Stunden nach ihrem eigenen Finish – an der Ziellinie in Auburn gestanden und den letzten Finishern zugejubelt. Unvergessen das Jahr 2015, als der Sieger Rob Krar spontan an die Strecke ging und die damals 70-jährige Gunhild Swanson auf dem letzten Kilometer begleitete – sie erreichte das Ziel ganze 6 Sekunden vor dem Cutoff.
Rob Krar (2.v.l.) begleitet Gunhild Swanson (4.v.l.) auf den letzen Metern zum Ziel des Western States 100 durch die Straßen von Auburn. Foto: Brian Burk |
Angenommen die Ergebnisse der wirtschaftspsychologischen Studien gelten auch im Sport, angenommen, dass auch hier Frauen mehr als Männer ein Umfeld brauchen, in dem ein Misserfolg nicht zur Blamage wird, ein Umfeld mit Vorbildern und Unterstützung. Dann ist klar: Ultrarennen in den USA sind für Frauen ein Traum. Denn dort, wo auch die Letzte noch so gefeiert wird wie der Sieger, ist ein positives Umfeld vorhanden, in dem man sich besser ausprobieren kann als wenn nur die Leistung im Vordergrund steht.
Aber auch in Sachen weiblicher Vorbilder ist man in den USA sehr viel weiter als in Deutschland. Um nur zwei Beispiele aus unterschiedlichen Epochen zu nennen: Ann Trason und Courtney Dauwalter. Beide haben den Ultrasport geprägt bzw. prägen ihn. Beide sind zunächst gescheitert, bevor sie die ersten Erfolge einfahren konnten – und sie machen daraus keinen Hehl. Sicher, auch hierzulande gibt es hervorragende (Ultra)läuferinnen – nur ist deren mediale Präsenz bedeutend geringer. Leider. Es fehlen nicht nur die passenden Formate; die hiesigen Läuferinnen gelten eher als medienscheu (mit wenigen Ausnahmen …).
Risiko: Wettkampf
Man kann aus den oben zitierten Studien den Eindruck bekommen, dass es letztlich die Frauen sind, die ein Problem haben. Sie sind zögerlicher, wenn es um den „nächsten Schritt“ geht. Unweigerlich geht man dabei immer davon aus, dass es auch richtig ist, den nächsten Schritt zu gehen.
Die Frage ist: Wo ist denn die „Ground Truth“? Wir gehen immer davon aus, dass es zu wenige Frauen sind, die an (Ultra)wettkämpfen teilnehmen. Dass sie zu viele Skrupel vor der nächstlängeren Distanz haben. Dass sie ihr Potential nicht ausschöpfen. Dass sie sich unterschätzen. Ist das wirklich so?
Die beiden Wissenschaftlerinnen Muriel Niederle und Lise Vesterlund berichten in ihrem Artikel „Do women shy away from competition? Do men compete too much?“ über eine Studie, in der sie die Bereitschaft von Frauen und Männern zum Wettbewerb untersucht haben. „Wettbewerb“ ist hier nicht gleichbedeutend mit sportlichem Wettkampf – die Schlachten wurden mit einfacher Mathematik geschlagen. Die Versuchsteilnehmer mussten 5 zweistellige Zahlen richtig zusammenaddieren – ohne Hilfsmittel. Gewertet wurde die Zahl der korrekt gelösten Aufgaben in einer Zeit von 5 Minuten. Es gab sogar etwas zu gewinnen – sozusagen als Vergütung für den Erfolg: Entweder 50 Cent für jede korrekt ausgeführte Addition (Stücklohn) oder 2 Dollar, wenn der Teilnehmer bzw. die Teilnehmerin am besten innerhalb einer 4-köpfigen Gruppe (zwei Frauen und zwei Männer) abgeschnitten hatte. Im Experiment haben die Versuchsteilnehmer in den ersten beiden Runden zunächst beide Vergütungssysteme durchlaufen – und gleichzeitig lernten sie ihre eigenen Fähigkeiten beim Addieren kennen. In einer dritten Runde sollten sie den Vergütungsmodus dann selbst wählen: Entweder den sicheren, aber mageren Stücklohn oder den riskanten, aber möglicherweise ertragreicheren Wettkampf.
Niederle und Vesterlund stellten zunächst einmal fest, dass es zwischen den mathematischen Fähigkeiten von Männern und Frauen in ihrem Experiment keine Leistungsunterschiede gab. Doch wenn es daran ging, zwischen Stücklohn und Wettbewerb zu wählen, dann gab es drastische Unterschiede: 73% aller Männer wählten den Wettkampfmodus, während sich bei den Frauen gerade mal 35% für dieses Vergütungsmodell entschieden. Während zu viele weibliche High-Performer davor zurückschreckten, ihre Leistung im Wettkampf zu messen, haben sich zu viele männliche Low-Performer in einen Wettkampf verrannt, bei der die Niederlage schon vorprogrammiert war. Nein, es waren nicht nur die guten Kopfrechner, die sich mit anderen messen wollten. Auch bei denjenigen, die gerade mal 8 korrekte Additionen in 5 Minuten hinbekamen und die daher am Ende des Leistungsspektrums lagen, entschieden sich die Männer mehrheitlich für den Wettkampf.
Ökonomisch gesehen ist das Harakiri. Denn in dem Versuchsdesign, das Niederle und Vesterlund für ihr Experiment gewählt hatten, wäre der Wettkampf nur für die Top 25% der Kopfrechner ökonomisch sinnvoll gewesen. Wenn man nun nicht nur die Extremfälle (Low-Performer und High-Performer) anschaut und bedenkt, dass Männer und Frauen gleich gut rechnen können, würde das bedeuten: Bei Männern und Frauen müssten sich rund 25% für den Wettkampf entscheiden. Tatsächlich waren es aber 35% (Frauen) bzw. 73% (Männer): Das heißt: Im Mittel überschätzen sowohl Frauen als auch Männer ihre Leistungsfähigkeit. Doch hier gibt es einen qualitativen Unterschied, denn die Selbstüberschätzung fällt bei Männern sehr viel drastischer aus.
Liegt also das Problem nur darin, dass sich Frauen zu wenig zutrauen? Nein, es ist eher anders gelagert: Männer trauen sich viel zu viel zu, Frauen etwas zu viel; bei ihnen liegt aber die Selbsteinschätzung viel näher an der Realität. Das sollte sich doch eigentlich ganz positiv im Ausdauersport auswirken …
Selbstüberschätzung versus konstante Pace
Das tut es tatsächlich. Calvin Hubble und Jinger Yu Zhao haben den Einfluss der Selbstüberschätzung auf das Pacing beim Marathon angeschaut. Ihre „Versuchskaninchen“ waren die Teilnehmer des Houston Marathon 2013. Bei dieser Veranstaltung, die zu den 10 teilnahmestärksten Marathons in den USA zählt, werden die Läufer in vier unterschiedliche Startgruppen eingeteilt. Hierzu wird bei der Anmeldung unter anderem gefragt, mit welcher Marathonzeit der Teilnehmer bzw. die Teilnehmerin rechnet. Hubble und Zhao haben diese Selbsteinschätzung dann mit der tatsächlich gelaufenen Marathonzeit verglichen – und zusätzlich untersucht, wie lange die Läufer und Läuferinnen für die erste und zweite Hälfte des Marathons brauchten (positiver vs. negativer Split).
Die Analyse der Zeiten ergab, dass sich die Teilnehmer im Mittel deutlich überschätzten: Die von ihnen anvisierten Marathonzeiten waren um 8,5% kürzer als die Zeit, die sie dann tatsächlich liefen. Bei einer Zielzeit von 4 Stunden zum Beispiel wären das ganze 20 Minuten! Dabei überschätzten sich Männer und Frauen, Männer jedoch signifikant mehr (9,0% bei den Läufern vs. 7,6% bei den Läuferinnen).
Frauen laufen beim Marathon konstantere Splits. Links: Frauen müssen auf der zweiten Hälfte des Marathons weniger Tempo rausnehmen als Männer. Rechts: Auch die 5km Splits sind bei Frauen gleichmäßiger als bei Männern: Sie gehen das Rennen langsamer an, und der Tempoabfall in der zweiten Hälfte des Marathons ist geringer. Außerdem können sie im Endspurt nahezu auf die Durchschnittspace beschleunigen. (Abbildungen aus Hubble C, Zhao J. Gender Differences in Marathon Pacing and Performance Prediction. Journal of Sports Analytics 2 (2016) 19–36) |
Man könnte jetzt sagen: Schön und gut, Männer überschätzen sich nun mal. Müssen sie nach dem Marathon halt zurückrudern und zugeben, dass sie doch nicht ganz so schnell waren. Aber ganz so einfach ist es nicht. Denn die Selbstüberschätzung hat ganz wesentlich Einfluss auf die Pacing-Strategie. Die Studie zeigte: Männer gehen Marathons zu schnell an. Nicht, dass Frauen das nicht auch tun. Aber Männer stürmen noch schneller los: In der Studie von Hubble und Zhao liefen die Männer die zweite Hälfte des Marathons 11% langsamer als die erste – die Frauen dagegen wurden nur 8% langsamer. Schlecht für die Männer, denn die beste Pacing-Strategie bei einem Marathon ist diejenige, bei der eine möglichst konstante Geschwindigkeit über das gesamte Rennen durchgehalten wird. Der ungestüme Start ist dabei nicht nur dem Herdentrieb geschuldet. Je mehr sich die Männer überschätzen, umso mehr überpacen sie am Anfang.
Und wie ist das beim Ultramarathon? Hier gibt es bislang nur eine Studie, die ähnliche Ergebnisse fand: Auch hier starteten die Frauen am Anfang konservativer, ihre relative Endgeschwindigkeit war dafür aber höher. Problem: Die Untersuchungen wurden bei den 100 km Weltmeisterschaften durchgeführt – hier betrachtete man also nur Eliteläufer.
Männer sind anders - Frauen auch
Bleibt die Frage, ob man die Ergebnisse auch auf den durchschnittlichen Ultraläufer übertragen kann. Hierzu müssen wir selbst in die Daten schauen. Wobei das gar nicht so einfach ist, denn bei Ultra(trail)läufen sind aufgrund von Höhenmetern und unterschiedlicher Streckenbeschaffenheit die erste und zweite Streckenhälfte häufig nicht vergleichbar. Genauer: ein hypothetischer Läufer, der tatsächlich einen kompletten Ultralauf mit konstanter Leistung läuft, muss nicht zwangsläufig die beiden Streckenhälften gleich schnell laufen.
In den USA gibt es einen Lauf, der sich trotzdem für eine Untersuchung der Pacing-Strategie eignet: Der Javelina Jundred in Arizona. Dieser Lauf wird auf einem Rundkurs ausgetragen und ermöglicht so einen direkten Vergleich der Geschwindigkeit von Runde zu Runde. Zwar hat sich die Strecke und die Zahl der Runden über die Jahre mehrmals geändert, aber in den Jahren 2013-2015 war die Streckenführung konstant: Es wurde sechsmal eine Runde von 15,3 Meilen gelaufen, zum Abschluss nochmal 8,2 Meilen - macht zusammen 100 Meilen. Vergleicht man nun die Runden 1-3 mit den Runden 4-6, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass es kaum jemand schafft, tatsächlich einen „even Split“ oder gar einen „negative Split“ zu laufen: In der zweiten Hälfte sind die Läufer im Durchschnitt 30% langsamer – der Leistungsabfall in der zweiten Hälfte ist also viel größer als beim Marathon. Außerdem nehmen der Mittelwert und die Streuung dieses Leistungsabfalls zu, je langsamer die Läufer sind. Wenn man aber Männer und Frauen vergleicht, so ist der Leistungsabfall in der zweiten Hälfte nahezu identisch: 32,2% bei den Frauen, 32,5% bei den Männern.
Sind also hinsichtlich Pacing die Unterschiede zwischen Männern und Frauen beim Ultramarathon nicht mehr vorhanden? Das könnte eine Erklärungshypothese sein, aber die muss nicht stimmen. Vielleicht schafft es einfach niemand, eine falsche Pacing-Strategie über 50 Meilen durchzuhalten.
Deshalb lohnt noch einmal ein genauerer Blick in die Daten: Vergleicht man nämlich Runde 6 mit Runde 1 beim Javelina Jundred, dann wird der Unterschied wieder sichtbar: Männer laufen die sechste Runde im Durchschnitt 60,8%, Frauen nur 57,8% langsamer als die erste. Sicher: von einer gleichmäßigen Geschwindigkeit sind beide weit entfernt - aber die Männer eben noch weiter als die Frauen.
Und noch ein letzter Griff in die Datenkiste: Wenn wir von Ultramarathons reden, sollte auch der UTMB nicht außen vor bleiben. Da hier die Strecke eine große Schleife ist, kann man natürlich anhand der Splits nicht beurteilen, ob die Läufer mit einer gleichmäßigen Leistung laufen. Aber man kann die Splits von Frauen und Männern vergleichen. Und die Ergebnisse hier bestätigen auf frappierende Weise das, was wir schon beim Javelina Jundred gesehen haben. Vergleicht man die Zeiten für die erste und die zweite „Hälfte“ (Chamonix-Courmayeur bzw. Courmayeur-Chamonix), so sieht man eine geringfügige Tendenz, dass Frauen auf der zweiten Hälfte das Tempo besser halten können als die Männer. Dieser Trend wird deutlicher, wenn man die Zeiten für das letzte „Viertel“ (Champex Lac – Chamonix) mit denen für das erste „Viertel“ (Chamonix – Chapieux) vergleicht: Hier sind die Splits der Frauen um 3% konstanter als die der Männer. Da ist er wieder, der Unterschied von 3% - wie schon beim Houston Marathon und beim Javelina Jundred ...
Das Fazit: Mag auch die Physiologie beim Ultramarathon auf Seiten der Männer stehen – die Psychologie gibt den Frauen zumindest einen kleinen Vorteil. Eine gute Nachricht – denn Frauen haben nicht nur mit Nachteilen in der Physis zu kämpfen, sondern mit so manch anderen Hindernissen. Mit denen beschäftigt sich dann der vierte Teil …
Zu Teil 1: Der XX-Faktor im Ultrarunning: Mythen
Zu Teil 2: Der XX-Faktor im Ultrarunning: Dabei sein ist alles
Zu Teil 3: Der XX-Faktor im Ultrarunning: Zwischen den Ohren
Zu Teil 4: Der XX-Faktor im Ultrarunning: Mit zweierlei Maß
Zu Teil 5: Der XX-Faktor im Ultrarunning: Eine Sache der Werte
Zu Teil 6: Der XX-Faktor im Ultrarunning: The Why
Außerdem gibt es folgende weiterführende Artikel zum Thema:
- FAKTENCHECK: Einfluss von Alter und Geschlecht auf die Laufleistung im Ultramarathon
- (Un)sichtbare Heldinnen: Der Gender Performance Gap im Ultrarunning
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