von Sabine
Das Jahr 2018 verlief läuferisch für mich nicht so wie geplant. Wobei ich gleich vorausschicken muss: Selten hatte ich in Sachen Laufen so viel geplant wie in diesem Jahr.
Anfang Januar hatte ich mich hingesetzt und vier Wettkämpfe ausgeguckt:
- 27.1.: Rodgau 50km Ultramarathon (C-Ziel; eher als "organisierten langen Lauf“, ohne Zwang, die vollen 50km zu laufen)
- 25.2.: Joker Trail, Heidelberg (B-Ziel)
- 16.6.: Zugspitz Ultratrail - Basetrail XL (B-Ziel, als Begleitung von Andrea und Katrin)
- 14.7.: Eiger Ultra Trail, E51 (ganz klar das A-Ziel)
Das nagte an mir. Schon begann ich nach läuferischen Herausforderungen im Herbst Ausschau zu halten. Der Pfalztrail kam nicht in Frage – er folgte zu schnell auf unseren Urlaub. Aber dann sah ich eine Ankündigung von Michael Irrgang (LG Ultralauf), dass es einen 50 km Jubiläumslauf bei Troisdorf in der Wahner Heide geben sollte. Ich schaute mir den Streckenplan an: Einige Wege kannte ich von Spaziergängen mit Andrea und ihren Eltern. Mir gefiel das Konzept, dass man als GastläuferIn einfach nur eine oder mehrere Runden laufen kann. Und das ganze dann mit Kaffee und Kuchen abschließt. Vielleicht wäre das auch was für Andrea und ihre Mutter? Sozusagen ein Familien-Event?
Ich fragte mal vorsichtig an – und die beiden waren Feuer und Flamme. Es folgte die Anmeldung – ich für die 50 km, Andrea und ihre Mutter als Gastläuferinnen mit leicht unterschiedlichen Zielsetzungen. Wir bekamen ein sehr nettes Antwortschreiben von Michael Irrgang – Anmeldung geglückt! Jetzt mussten wir nur noch trainieren und das Wetter gut werden.
Punkt 1 – Training. Naja. Zunächst war es der Hitzesommer, der meine Trainingsrunden kürzer werden ließ als geplant. Dann konnten wir uns bei unserem Urlaub auf Hawaii wegen der schwülen Hitze körperlich sehr viel weniger austoben als eigentlich geplant. Nicht so wie vor 3 Jahren auf La Reunion und wie wir es uns eigentlich vorgestellt hatten. Nein, bitte keine Beileidsbekundungen! Es war trotzdem sehr schön. Nur hatte ich das Gefühl, dass ich nach dem Urlaub sportlich die Form einer Meeresschildkröte (an Land!) hatte …
Nach dem 3-wöchigen Urlaub folgte viel Arbeit. Und leider wenig Training. Spontan lief ich mit Katrin und Elli den Quartertrail beim Pfalztrail im Leininger Land (16,8 km) – was sehr viel Spaß machte. Und es war tatsächlich die längste Strecke, die ich seit dem Eiger Ultra am Stück zurückgelegt hatte.
Uff – und nun sollte ein 50 km Lauf folgen? Nein, dieses mal wollte ich mich nicht wie beim Eiger Ultra im Vorfeld schon demotivieren. Keine Splits planen, die eingehalten werden müssen. Einfach um 10 Uhr anfangen zu laufen … und dann möglichst lange durchhalten. Mit dem Ziel: 50 km.
Anders als bei mir war beim Wetter die Vorbereitung geglückt – der Sommer scheint dieses Jahr nicht enden zu wollen, und so empfing uns strahlender Sonnenschein und Temperaturen bis Mitte 20 Grad in der Wahner Heide. Wahnsinn!
Samstag, 9:30 Uhr. Andrea, ihre Mutter und ich laufen gut gelaunt in Troisdorf am Aggerstadion ein – die „Anmeldung“ ist schnell erledigt. Wir bekommen sogar eine Goodie-Bag. Ansonsten ist alles wohltuend familiär. Keine Stände mit Beach Flags von Salomon, Gore, Leki und wemauchimmer. Keine Boxen mit lauter Musik und wummernden Bässen. Kein Shuttle Service.
Wir spazieren mit den übrigen Läufern 500 Meter zum Start-Ziel-Verpflegungs-Siegerehrungs-Bereich, wo schon alles aufgebaut ist. Andrea inspiziert als erstes den Verpflegungstisch – vom Feinsten! Da könnten sich Veranstaltungen wie der Eiger Ultra Trail mal eine Scheibe von abschneiden … Wie gut, dass Andrea die im rückwärtigen Bereich schon bereitstehenden Kuchen nicht gesehen hat, sonst wären sie und ihre Mutter wohl gar nicht erst gestartet.
Kurzes Briefing von Michael mit einer Kurzbeschreibung der Streckenführung: Auf der ersten Streckenhälfte geht’s hoch, auf der zweiten runter. Macht 3,88 km und 60 Höhenmeter. Das ganze 13 mal. Oder auch weniger. Und schon hat er eine Sirene in der Hand – und gibt das Startsignal.
Start des Jubliäumslaufs. Foto: Manfred Hupka |
Das Feld trabt davon. Ich reihe mich hinten ein. Mit diesem Trainingsdefizit sollte ich auf keinen Fall zu schnell angehen! Noch weiter hinten: Andrea und ihre Mutter. Andrea will ihre Mutter auf der ersten Runde walkend begleiten und sich dann für die eine oder andere Runde mir anschließen.
Foto: Manfred Hupka |
Die erste Runde eignet sich immer ganz gut zum Streckenstudium. Denn anders als von Michael im Streckenbriefing erwähnt zerfällt die Strecke nicht einfach in zwei Hälften. Nach flachen 100 Metern geht es gleich in einen Anstieg. Dann folgen etwa 500 Meter welliges Gelände, bevor ein zweiter, etwas steilerer und längerer Anstieg kommt. Ich nenne die beiden Anstiege „Little Hell“ und „Big Hell“ – frei nach den natürlich ungleich brutaleren Anstiegen bei den Barkley Marathons. Weil man mit Gegnern besser umgehen kann, wenn sie erst mal einen Namen haben.
Nach „Big Hell“ kommen wir am Kronenweiher vorbei, dann geht es ein Stück durch einen dichten Eichenwald abwärts – bevor wir auf einen schönen Singletrail abbiegen, der zunächst leicht ansteigt und dann zum Wanderparkplatz „Wahner Heide“ hin abfällt. Von dort aus geht es schließlich über einen sandigen Weg an der Heide entlang hinunter bis zum Start&Ziel.
Die erste Runde vergeht schnell. Nun, da ich die Streckenbeschaffenheit kenne, mache ich meinen Plan: Mit möglichst wenig Kraft durch die einzelnen Runden zu kommen. Ich erinnere mich nochmal an die Riesenschildkröten auf Hawaii. Sie lassen sich von der Flut an Land spülen, und minimieren dann - außerhalb ihres Elements - alle Anstrengungen. Erst wenn die nächste Flut kommt, paddeln sie mühsam im Sand, bis sie „in Fahrtrichtung“ Meer liegen. Dann warten sie so lange, bis eine Welle sie mitnimmt und ins Meer hinein zieht. So viel wie möglich überlassen sie den Kräften der Natur.
Genauso will ich es auch machen! Möglichst wenig Kraft verpulvern, und die Kräfte der Natur - in meinem Fall die Schwerkraft - so weit wie möglich ausnutzen. Also beschließe ich, alle steilen Anstiege zu gehen und auch auf den abfallenden Strecken bei kurzen Gegenanstiegen eine Gehpause einzulegen, damit die Muskulatur nicht zu schnell ermüdet.
Startgerade - Little Hell – Rollercoaster – Big Hell – Downhill – Trail – Heideweg – Verpflegung. Auf dieser Runde lässt sich wirklich ein guter Rhythmus laufen, und der Weg ist obendrein sehr schön. Größtenteils schattig, aber in den sonnigen Abschnitten merkt man jetzt schon, dass es heute sehr warm werden wird. Nach etwa 1 ½ Runden überholt mich der führende Läufer. Ich feure ihn an. Dann kommen die nächsten. Man grüßt sich, ruft sich ein paar Worte zu, alles sehr nett. Ich stelle fest, dass ich mir heute die erste Überrundung etwas länger vom Pelz gehalten habe als beim Rodgau. Fein!
Auf dem Heideweg sehe ich von weitem zwei mir bekannte Personen: Andrea und ihre Mutter. Sie sind kurz vorm Abschluss ihrer ersten Runde. Kurzer Fotostopp, dann geht es für mich weiter. Nach meiner dritten Runde will Andrea zu mir stoßen.
Wieder Verpflegung. Die besteht für mich zunächst mal aus TUC und Wasser, später aus Nüssen und Cola. Auf Süßigkeiten habe ich bei diesem warmen Wetter keine Lust.
Dritte Runde. Erstmals überhole ich die älteste Teilnehmerin im Feld, die mit über 80 Jahren ganz tapfer Runde um Runde walkend und in ganz flottem Tempo zurücklegt. Kurz vorher bin ich an der jüngsten Teilnehmerin vorbeigelaufen, die gerade mal 8 Jahre alt ist. Sie spult 3 (!) Runden ab, bevor sie am Verpflegungsstand mithilft. Wahnsinn – eine Spanne von 8 bis über 80 Jahren, und alle sind sie mit Freude und Freundlichkeit bei der Sache. So ein Lauf macht wirklich Spaß!
Foto: Manfred Hupka |
Vierte Runde. Andrea hat auf mich gewartet. Sie ist nach der Walking-Runde noch ganz frisch und zieht immer wieder los. Erst recht, wenn wir überrundet werden … dann muss ich sie immer einbremsen. Zu zweit vergeht die Zeit noch schneller, und so sind wir schnell wieder am Verpflegungstisch. Andrea’s Mutter war kurz nach uns zu einer zweiten Walking-Runde aufgebrochen. Wir sollten sie auf unserer nächsten Runde eigentlich wieder einholen. Aber wir laufen … und laufen … und laufen. Nichts ist von ihr zu sehen. Kann es wirklich sein, dass sie schon so weit gelaufen ist? Endlich, kurz bevor wir wieder zum Start&Ziel kommen, holen wir sie ein. Ein paar Fotos, dann geht es weiter. Andrea hängt eine vierte und finale Runde dran, für mich ist es die sechste.
Danach ist für Andrea und ihre Mutter Schluss – sie werden mit einer Medaille und einer liebevoll handgeschriebenen Urkunde ausgezeichnet und gönnen sich ein Stück Kuchen. Dann geht es für sie nach Hause.
Ich habe inzwischen meinen Fuß mit Kinesiotape versorgen müssen, da sich unter dem Längsgewölbe eine schmerzhafte Stelle gebildet hat, die ohne Versorgung wohl zur Blase geworden wäre. Aber auch mit Tape wird der Laufstil schwerfälliger, Little Hell und Big Hell werden immer steiler und der Hüftbeuger beginnt zu schmerzen. Als ich zum Heideparkplatz komme, steht dort ein kleiner Tisch – die Veranstalter haben die „Eiszeit“ ausgerufen, eine „Gipfelbar“ aufgebaut und verteilen daraus Eis. Zuerst lehne ich ab – Eis während des Laufs – ob ich das wohl vertrage? Aber dann drehe ich doch noch um und nehme eins. Schmeckt gut - und es geht super runter!
Ich gewinne eine neue Erkenntnis: Eis ist super auf langen Läufen. Ist gut verträglich und macht richtig satt. Gleichzeitig liegt es nicht schwer im Magen. Ich jedenfalls brauche für den Rest der Strecke nur noch Flüssignahrung.
Auf der nächsten Runde, meiner achten, fange ich an zu rechnen. Und mir wird klar: Das wird heute nichts mit dem 50er. Aber bevor ich mich der Enttäuschung hingebe, formuliere ich lieber ein neues Ziel. Ich denke nach: Wie viele Runden müsste ich laufen, um am Ende einen Marathon gelaufen zu sein. Eine Runde sind 3,88 km. Vielleicht 11 Runden? Ich fange an zu rechnen: 3 mal 11 sind 33, und 11 mal 0,88 ... sind ... Ich versuche es immer wieder, aber in meinem sauerstoffarmen Gehirn gleiten die Zahlen immer wieder weg, kaum dass ich etwas berechnet habe. Dann anders herum: 11 mal 4 sind 44 – minus 11 mal 0,12 ... das sind ... 1,32. Das wären also 42,68 km. Ich mache nochmal den Gegentest und komme wieder auf die gleiche Zahl. Mit 11 Runden hätte ich also zumindest einen Marathon! Und der Plan ist geboren: Ich werde nicht 13, sondern 11 Runden laufen.
Als ich auf der neunten Runde bin, ist die Kühltasche verschwunden und durch eine Cocktailbar ersetzt. Was sich die Leute vom LG Ultralauf alles haben einfallen lassen! Es gibt diverse Fruchtsäfte und Wasser. Da kann ich nicht nein sagen. Und auch auf der zehnten Runde genehmige ich mir einen alkoholfreien Cocktail. Happy hour – drink two, pay zero.
Seit kurzem habe ich den mp3-Player angeschaltet – es ist jetzt deutlich weniger los auf der Strecke, und der Kopf muss beschäftigt werden. Zuerst höre ich eine Weile das Hörbuch „North“ – über den FKT von Scott Jurek auf dem Appalachian Trail. Aber ich ertrage es irgendwann nicht mehr, dass er fortwährend über seine schmerzenden Knie nöhlt. Wenn einem selbst alles weh tut – dann sollte man sich nicht mit negativen Dingen umgeben. Also wechsle ich Anfang der elften Runde das Programm: Beethoven statt Jurek. Viertes Klavierkonzert. Das mag nicht jedermanns Geschmack sein, hat aber bei mir Erfolgsgarantie. Mich hat Beethoven schon mal über den ganzen Röntgenlauf gepusht.
Ich melde mich bei Andrea. Sie soll wissen, dass ich bald im Ziel bin. Denn sie will bei meinem Zieleinlauf dabei sein und mich abholen. Hoffentlich denkt sie daran, das Auto möglichst nah an der Strecke zu parken!
Ob es nun Beethoven ist oder das Wissen um das nahe Ziel – die Runde 11 laufe ich fast 9 Minuten schneller als Runde 10! Ich bin fast so schnell wie auf der ersten Runde. Schließlich sehe ich Andrea mit der Kamera – Zielfoto! Die Mitläufer, die bereits bei Kaffee und Kuchen sitzen, applaudieren. Es ist geschafft!
Auch ich erhalte meine Urkunde und eine Medaille. Auf der Urkunde ist die gelaufene Strecke vermerkt: 42,68 km. Eigentlich mehr als ein Marathon. Naja, Ultramarathon kann man es auch nicht wirklich nennen. Sagen wir, es ist ein Ultramarathönchen.
Damit bin ich im Reinen mit dieser Saison. Es war ein schöner, stimmungsvoller, super organisierter Lauf zum Abschluss. Ich bin – quasi aus dem Stand – etwas mehr als einen Marathon gelaufen. Darauf lässt sich aufbauen. Es reicht aber jetzt mit den Wettkämpfen. Ich hab‘ jetzt wieder richtig Bock zu trainieren. Es gibt viel zu tun: Mal wieder schnelle Einheiten machen. An meiner Geschwindigkeit arbeiten, von der nicht allzu viel übriggeblieben ist. Meinen Laufstil verbessern. Und natürlich wieder längere Strecken trainieren.
Um dann vielleicht beim nächsten Jubiläumslauf den 50er anzugreifen: Beim 20. Geburtstag des Rodgau Ultra am 26. Januar 2019. Aber das wird eine andere Geschichte ...
See you on the trails!
Kommentare
Kommentar veröffentlichen