von Sabine
Jeder, der mal einen Halbmarathon oder Marathon gelaufen ist, kennt das Credo: Einen Wettkampf läuft man dann am besten, wenn man ein gleichmäßiges Tempo über den gesamten Lauf durchhält. Also nicht losstürmen, was das Zeug hält, denn für jede Minute, die man am Anfang reinholt, muss man später doppelt und dreifach bezahlen. Und umgekehrt hat es wenig Wert, zu langsam zu starten, weil man die Reserven aufgrund der allgemeinen Ermüdung am Ende nicht mehr voll ausschöpfen kann.
Was bei der Geschwindigkeitssteuerung auf Ebenen recht
einfach ist, wird am Berg schwierig – denn wie soll man da gleichmäßig laufen?
Und wie soll man sich für einen Lauf wie den Eiger Ultra Trail eine Marschtabelle
machen?
Bei früheren Wettkämpfen – Liechtenstein Marathon,
Karwendelmarsch, Rennsteig Supermarathon – habe ich auf Erfahrungswerte
zurückgegriffen … die aber eher meine Fähigkeiten den Berg hoch- oder
runterzulaufen reflektieren und meilenweit weg von einer gleichmäßigen Belastung sind.
Deshalb wollte ich es dieses mal etwas wissenschaftlicher
angehen.
Die Forderung nach gleichmäßigen Splits beim Marathon oder
Ultra in der Ebene sind letztendlich nur die Konsequenz daraus, dass der Körper
am effizientesten funktioniert, wenn man die Belastung wählt, die man über den
gesamten Lauf durchhalten kann. Beim Laufen am Berg bedeutet allerdings eine
gleichbleibende Belastung eine sehr unterschiedliche Geschwindigkeit. Thomas A.
McMahon hat hierzu 1984 in seinem Buch “Muscles, Reflexes and Locomotion” ein
auf Messungen basiertes Modell vorgestellt: Es sagt voraus, wie hoch die
Energie ist, die für die Überwindung unterschiedlicher Steigungen im Gehen und
Laufen aufgebracht werden muss. Und daraus kann man bestimmen, wie viel
länger eine Strecke in der Ebene sein muss, damit die aufgebrachte Energie der
Strecke am Berg entspricht. So entspricht z.B. einer Strecke von 1 km bei
15%iger Steigung hinsichtlich der Energie einer ebenen Strecke von 1903 Metern,
bei einem Gefälle von 15% entspricht 1 km einer ebenen Strecke von 820 Metern.
Man walzt also sozusagen für die Berechnung die bergige Strecke platt und
transformiert die Zusatzenergie für die Überwindung der Steigung (oder weniger
Energie bei Gefälle) in die Strecke in der Ebene. Aus dem oben genannten
Beispiel kann man schon sehen: Die Zusatzenergie, die man für eine
Steigung am Berg braucht, kann beim Herunterlaufen der gleichen Höhenmeter nicht
wieder „reingeholt“ werden. Am Berg verbraucht man also immer mehr
Kalorien als für die gleiche Strecke in der Ebene.
Das ist ja vielleicht noch jedem Bergläufer einleuchtend.
Aber dieses Modell hat noch einen weiteren großen Vorteil:
Jeder weiß ungefähr, wie schnell er in der Ebene gleichmäßig über größere
Strecken laufen kann. So kann man diese Äquivalenzstrecken dazu verwenden, eine
Marschtabelle für Bergläufe zu erstellen. Und zwar so, dass die Leistung für alle
Teilstrecken identisch ist, unabhängig davon, wie steil es hoch oder runter
geht.
Und hier kommen wir zu unserem Projekt des Eiger Ultra: Ich
habe für den E35 und den E101 die Strecken in Outdooractive eingegeben und
Teilstrecken definiert, deren Steigung/Gefälle und Länge ich mir in einer
Tabelle notiert habe. Und dann habe ich ein ziemlich geniales Tool benutzt, das
ich auf der Seite Laufen in Siegen gefunden habe: Ein
Leistungskilometerrechner,
der genau nach dem oben beschriebenen Prinzip funktioniert. Damit habe ich –
wie oben schon erwähnt – die profilierten Strecken praktisch „plattgewalzt“.
Und nun kann ich für jede beliebige Geschwindigkeit, die ich als meine
„konstante Langstreckengeschwindigkeit in der Ebene“ ermittelt habe, mit einem
Klick die Marschtabelle für die beiden Eigerläufe berechnen.
Übrigens: von der verbrauchten Energie her entspricht der
E35 einem flachen Lauf von 46,5 km, der E101 einem flachen Lauf von 134,7 km.
Wer ebenfalls den Eiger läuft, der kann sich gerne die
Strecken des E35 und E101 bei Outdooractive anschauen. Und wer
an der excel-Tabelle Interesse hat: Bitte e-mail an eiger.nordwand.2017@gmail.com. Ich schicke Euch dann die Tabelle zu.
Diese Tabelle ist zwar für den Eiger Ultra Trail
geschrieben, aber prinzipiell kann man sie sich nach dem beschriebenen „Rezept“
für jeden anderen Berg- oder Hügellauf anpassen.
Und zum Schluss noch etwas zur Relativierung: Es gibt
natürlich bestimmte Faktoren, die dieser Leistungsrechner und die
Marschtabellen nicht berücksichtigen:
- Einflüsse der Umgebung: So wird man z.B. einen technisch schwierigen Weg sehr viel langsamer laufen (vor allem abwärts) als eine breite Fahrstraße. Beim E101 muss außerdem auch der Einfluss der Tageszeit berücksichtigt werden – die sich z.B. durch Temperaturschwankungen auf die Leistungsfähigkeit auswirken kann oder durch eine limitierte Sichtweite in der Nacht zu geringeren Geschwindigkeiten führt.
- Die Tabelle berücksichtigt keine Ermüdungsfaktoren – geht also davon aus, dass man die Geschwindigkeit und damit die Äquivalenzleistung nimmt, die man wirklich über die ganze Strecke durchhalten kann. Prinzipiell spricht aber nichts dagegen, zusätzlich Ermüdungsmodelle in die Tabelle zu integrieren wie z.B. von Hannes Christiansen beschrieben.
- Die angegebenen Äquivalenzwerte sind natürlich nur Mittelwerte. In der Realität hat z.B. auch das Körpergewicht, die Kräftigung bestimmter Muskelgruppen und die Geschicklichkeit Einfluss auf den Äquivalenzfaktor. Ein Kilian Jornet wird mit Sicherheit schneller den Berg herunterflitzen als die meisten von uns, und einem Läufer mit 100kg wird eine Steigung mehr zu schaffen machen als einem Läufer mit 60kg.
Das heißt: Die Werte in den Tabellen sind ungefähre
Richtwerte. Bei mir stimmen sie - getestet an gemessenen Splits von vorherigen
Wettkämpfen - tatsächlich recht gut. Am besten sollte jeder, der die Tabelle
anwenden will, sie vorher mal auf einer „Hausstrecke“ ausprobieren.
So weit zur Theorie – jetzt muss ich aber
weitertrainieren. See
you on the trails!
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