ZUGSPITZ BASETRAIL 2019 – Erinnerungslücken

von Sabine



„Und wann … soll es jetzt … wieder flacher … werden?“ – Andrea braucht für diese Frage mehrere Atemzüge, während sie sich über einen steilen Pfad die Osthänge des Kreuzecks hinaufquält. „Ich dachte eigentlich … nein, ich sag nix mehr“ antworte ich nicht weniger atemlos. Wir sind beide beim Zugspitz Basetrail im langen Anstieg, von dem ich noch vor ein paar Minuten behauptet habe, dass er zwar steil beginnt, dann aber in mäßig steilen Serpentinen mündet. Doch es will und will nicht flacher werden. Wir sind steiles Gelände durchaus gewohnt … schließlich haben wir ja mehrfach auf der heimischen „Himmelsleiter“ trainiert, einem Naturtreppen-Pfad in der Nähe von Heidelberg mit ca. 50% Steigung. Aber wenn man glaubt, eine Strecke in besserer (flacherer!) Erinnerung zu haben, kann das schon dazu führen, dass einem die tatsächliche Strecke sehr viel härter vorkommt. Normalerweise kann ich mir Wege sehr gut merken. Manchmal weiß ich sogar noch, wer was wo gesagt hat. Aber heute? Da tun sich doch erhebliche Erinnerunglücken auf. Dabei ist das verwunderlich. Denn diesen Weg kenne ich nicht nur vom Papier.



Basetrail oder Basetrail XL

Letztes Jahr war ich auch beim ZUT – damals war ich mit Katrin auf dem Basetrail XL unterwegs. Und damals war für mich die härteste Steigung das kurze Stück von der Partnachklamm bis zur Partnachalm. Eigentlich lächerlich kurz, aber ich war unterzuckert und versuchte, die Geschwindigkeit zu halten. Alles was danach kam – Bodenlainetal, Anstieg zum Kreuzeck, Hochalmweg, Schlussanstieg zum Osterfelder Kopf – ist in meiner Erinnerung gegenüber diesem kurzen Leidensstück verblasst.

Katrin wollte auch in diesem Jahr den Basetrail XL laufen, Andrea – die im letzten Jahr zwar für den Basetrail XL gemeldet war, dann aber „Rücken“ hatte und kurzfristig absagen musste wollte sich dagegen am kürzeren Basetrail versuchen. So war ich innerlich hin- und hergerissen. Laufe ich mit Katrin den Basetrail XL oder mit Andrea den Basetrail? Aber nachdem ich im vorletzten Jahr beim Eiger E35 und im letzten Jahr beim Basetrail XL mit Katrin gelaufen war und für die Streckenmathematik (Wie viel Prozent von Strecke und Höhe haben wir schon geschafft?) sowie für das Sightseeing (Wie heißt der Berg vor uns? Wo ist die Partnachklamm?) zuständig war, sollte in diesem Jahr Andrea von diesen Dienstleistungen mit fragwürdigem Nutzen profitieren. Für mich war es auch die richtige Streckenlänge, weil ich mich nach dem unbefriedigend verlaufenen Wettkampfjahr 2018 zunächst mal auf kürzeren Strecken konsolidieren wollte. Katrin würde den Basetrail XL also im Alleingang machen. Wobei sie mit 727 Mitstreiterinnen und Mitstreitern nicht wirklich allein auf der Strecke sein würde.

Der Basetrail ist – nach einem „Auftakt“ von 6 km, der über den Kochelberg und Teile des Hausbergs zur Partnachalm führt – die Kulminationsstrecke aller anderen Distanzen des ZUT. Denn ab der Partnachalm laufen alle Strecken parallel, und nach dem Motto „das Beste kommt zum Schluss“ sind nach einer kurzen Überführungsstrecke durch das Partnachtal auf etwa 15 km nochmal 1050 Höhenmeter aufwärts und 1200 Höhenmeter abwärts zu überwinden. Das heißt: Der Basetrail kennt eigentlich nur zwei Richtungen: Entweder steil nach oben oder steil nach unten.



Auf geht’s!

Die Tage vor dem Rennen bringen viel Aufregung – zumindest im Netz. Da ja bekannterweise nach dem schneereichen Winter noch recht viel Schnee in den Hochlagen vorhanden ist, wird häufig gefragt, ob denn die Strecke zu belaufen ist oder ob es „Umleitungen“ geben würde. Einige Läufer testen die Streckenverhältnisse vorab, und Plan B kündigt an, dass man bis zwei Tage vor dem Rennen die Schneeverhältnisse beobachten und dann eine Entscheidung treffen würde. Dann wird – wohl versehentlich – die Alternativroute über den Osterfelder Kopf ins Netz gestellt … und auch gleich wieder dort rausgenommen, nachdem sich erste Screenshots der Alternativroute verbreitet haben. Schließlich wird am Donnerstag an alle Läuferinnen und Läufer die Nachricht ausgegeben, dass es im Bereich des Hochfeldernjöchls und des Osterfelder Kopfs zu Streckenänderungen kommen würde. Die Streckenänderungen am Osterfelder Kopf – das waren die einzigen, die uns auf dem Basetrail betreffen würden – halten sich in Grenzen und lassen Streckenlänge und Höhe in etwa konstant. Also alles gut …

Die wirkliche Aufregung kommt dann am Freitag: Der Wetterdienst hat starke Gewitter mit Hagel ab Samstagnachmittag gemeldet. Daraufhin canceln die Organisatoren den Ultratrail und den Supertrail XL – die Läufer auf diesen Strecken werden gemeinsam mit den Supertrailern in Leutasch auf die Strecke gehen und haben damit nur 63km bis zum Ziel. Gleichzeitig werden die Startzeiten der drei Läufe nach vorn verlegt: Aus 9 Uhr (Basetrail), 10 Uhr (Basetrail XL und Supertrail) werden einheitlich 8 Uhr. Für uns passt das super, denn ich fand schon im letzten Jahr den Start viel zu spät – und die angekündigte Hitze am Samstagmorgen würde bewirken, dass es schon früh zu einer schweißtreibenden Angelegenheit werden würde.

Als wir nach unserer Anreise und einem Spätnachmittags-Kaffee & Kuchen die Startnummer abgeholt haben, überlassen wir es Katrin und Erik, das Race-Briefing zu besuchen. Sechs Stunden lang im Auto sitzen und dann noch eine Stunde im vollgefüllten Pavillon mit stickiger Luft unter dem Zeltdach – das wäre zu viel. So nehmen wir das überteuerte Abendessen (10,50 Euro für einen Teller Nudeln, eine Flasche Wasser und einen Joghurt) auf der Wiese vor dem Pavillon ein und gehen dann zurück zum Hotel, um dort unsere Sachen für den nächsten Morgen zu richten. Die Pflichtausrüstung muss noch platzsparend gepackt und die Tapes und andere Utensilien vorbereitet werden, damit wir nach dem frühen Aufstehen nichts vergessen.



Um 5 Uhr ist dann die Nacht vorbei – es folgen ausgiebiges Tapen, einfetten und eincremen, Verabschiedung von Katrin und Erik, die zu den Shuttlebussen müssen, ein kurzes Frühstück – und um 6:50 stehen wir an der Haltestelle des Eibseebusses bereit, der uns mit etlichen anderen Läuferinnen und Läufern zum Start nach Garmisch bringen soll. Dort angekommen sehen wir einen schon gut gefüllten Startplatz, das benachbarte Theater ist geöffnet und hat ausreichend Toiletten – das ist fast schon Luxus. Jetzt noch die Kontrolle des Pflichtgepäcks. Wir stellen uns in der Schlange an, die im Schatten steht – in der Sonne ist es jetzt, um 7:45, schon unerträglich heiß. Was soll das erst beim Rennen geben?

Während am Start Peter Schlickenrieder interviewt wird, rücken wir langsam auf die Gepäckkontrolle vor. Die ist jetzt nicht mehr ganz so gründlich, und auch die Verständigung fällt wegen des großen Lärms im Startbereich schwer. „Regenjacke?“ Ich öffne den Rucksack und zeige auf die vakuumverpackte Regenjacke. Die Ordnung im Rucksack muss den Kontrolleur so beeindruckt haben, dass er nur sagt: „Und ein Handy haschd auch.“ Ich nicke und bin durch. Kurz danach ist auch Andrea fertig. Wir machen noch ein paar Selfies, dann wird auch schon heruntergezählt – wie gut, denn sonst hätten wir sicher nochmal die Toilette aufsuchen müssen …



Start in Garmisch-Partenkirchen: We will rock you!


5 … 4 … 3 … 2 … 1 – Es geht los! Wir gehen bis zur Startlinie und traben dann leicht an. Ein paar hundert Meter später läuft mir schon der Schweiß ins Gesicht, gemischt mit Sonnencreme, die eigentlich die Stirn schützen sollte. Die Augen fangen an zu tränen, die Nase läuft. Klasse. Ich freue mich jetzt schon auf die Dusche!

Es geht durch ein paar Straßenzüge von Garmisch-Partenkirchen, dann übers freie Feld. Schon sieht man den Hausberg – Ziel unseres ersten Aufstiegs. Wir müssen zwar nicht ganz hoch, aber wir haben zwischen Kilometer 2 und Kilometer 5 etwa 450 Höhenmeter zu überwinden. Nach knapp 3 km laufen wir auf einen Stau auf – ein Single-Trail zweigt rechts ab und bringt uns über steile Stufen hinauf zur Kochelberg-Alm. Hätte ich mir das vorher genauer auf der Karte angeschaut, hätte ich gewusst, dass wir diesen kurzen Trail-Abschnitt leicht hätten umgehen können, wenn wir dem Weg weiter gefolgt wären – etwas länger, gleiche Höhenmeter, aber kein Stau. So bleibt uns nur, uns hinten anzustellen und uns mit ein paar Mitstreitern zu unterhalten. Einige sind Wiederholungstäter – einige sind zum ersten Mal dabei und sind jetzt schon am Klagen, wie steil es ist…



Bald wird es noch steiler – denn kurz nach der Kochelberg-Alm geht es parallel zum Skihang, über den im Winter die Kochelberg-Abfahrt verläuft. Die Steigung beträgt nun mehr als 20%. Wir gehen stetig – und genauso stetig rinnt der Schweiß, denn weite Teile dieses Wegs verlaufen in der Sonne. Dann geht es endlich in den Wald, der Weg wird flacher. Von weitem kann ich schon sehen, dass links der Pfad abzweigt, der uns zur Partnachalm bringen wird. Das war schon mal eine ganz schöne Viecherei … und dabei ist erst ein Viertel der Gesamtsteigung geschafft.

Jetzt aber kommt zuerst mal eine Genussstrecke: In weiten Serpentinen führt ein breiter Pfad im Wald abwärts. Man kann es wunderbar rollen lassen und das Laufen macht hier genauso viel Spaß wie beim längeren Downhill vom Eckbauer zur Partnach, der beim Basetrail XL auf dem Programm steht. Jetzt habe ich ein Grinsen auf dem Gesicht, und der Anstieg ist schon vergessen.



Schon bald öffnet sich der Wald und die Partnachalm liegt vor uns. Andrea ist schon mal vorgelaufen – im Downhill ist sie schneller und sie kann sich dann für die Verpflegung mehr Zeit lassen. Auch ich habe mir dieses Mal vorgenommen, mich gut zu verpflegen. Die amerikanischen Trailrunner sprechen bei ihren Aid Stations oft von „grazing“ – von grasen. Und genauso mache ich es: Wie eine Kuh auf einer Blumenwiese schaue ich mir an, was es gibt, nehme das, worauf ich Lust habe. Das ganze konsequent, aber ohne Hast. So pendle ich von Wassermelone zu Banane, danach zu Brot, Käse und wieder zu Melone. Irgendwann entdecke ich Andrea. Auch sie hat gut „gegrast“. Wir füllen unsere Wasserblasen auf, rufen den Helfern nochmal ein DANKESCHÖN zu … und dann geht es weiter.



Steil bergauf

Bevor es richtig zur Sache geht, laufen wir zunächst 3 km den „Hohen Weg“ entlang – so genannt, weil der Weg hoch über dem Partnachtal verläuft. Der Weg selbst ist wellig – ein paar kurze, heftige Rampen gefolgt von Strecken mit leichtem Gefälle. Während wir locker dahintraben, höre ich hinter mir schnelle Schritte. Ich drehe mich um: Es ist der Führende des Basetrail XL, der Wahlheidelberger Pierre-Emanuel Alexandre. Ein kurzer Anfeuerungsruf, dann ist er schon im Wald verschwunden. Kurz danach stürmen die ersten Verfolger an uns vorbei. Wahnsinn! Wir haben gerade mal 8 km geschafft – und die Führenden des Basetrail XL schon über 20 km. Und während wir auf dem Hohen Weg Kräfte sammeln für den kommenden langen Aufstieg, sind die Top-Läufer des Basetrail XL in einer Geschwindigkeit unterwegs, als wären sie schon auf der Zielgeraden.

Dann zweigt der Weg zum Kreuzeck ab – jetzt wird es ernst. Es wird immer steiler. An der Laubhütte sitzen ein paar Männer von der Bergwacht – wir gehen an ihnen vorbei direkt zum Brunnen hinter der Hütte, in dem ich Kappe und Bandana nochmal ordentlich tunke und mir so Abkühlung verschaffe.

Nach der Laubhütte geht es noch eine Weile auf dem steilen Schotterweg weiter, bis dieser unvermittelt aufhört und ein Pfad über ruppiges Gelände nach unten in ein ausgetrocknetes Bachbett führt. Hier habe ich ein Déjà-vu: Genau an dieser Stelle hatte im letzten Jahr eine Läuferin Probleme, über ein paar Felsbrocken zu steigen. Das ist jetzt wieder so. Die Läuferin vor uns tut sich offensichtlich schon schwer mit mäßig schwierigem alpinem Gelände – da wundert es mich nicht, dass die Veranstalter hinsichtlich des Wetters mehr als vorsichtig sind und überall Fixseile spannen, wo auch nur annähernd die Gefahr des Abrutschens besteht. Hier sind wahrscheinlich doch so viele alpine Anfänger unterwegs, dass man von ihnen weder eine vernünftige Entscheidung bei einsetzenden Wetterveränderungen noch sicheres Verhalten in Schnee und Fels erwarten kann.

Eine junge Frau holt uns leichtfüßig ein. Es muss die Führende des Basetrail XL sein. Ich gehe aus dem Weg und drehe mich kurz um. Das Gesicht … kenne ich doch … ist das nicht … ? Da mein Blut mittlerweile vorwiegend in den Waden gebraucht wird, dauert es etwas länger, bis ich das Gesicht zugeordnet habe. „Das war doch … das war doch Laura Dahlmeier“ rufe ich Andrea zu. Für einen Anfeuerungsruf ist es jetzt zu spät – innerhalb kürzester Zeit ist Laura aus unserer Sichtweite entschwunden.

Anders als ich es in Erinnerung hatte wird der Pfad jetzt steiler. Ich rufe Andrea nochmal zu, dass es gleich flacher wird. Irgendwann müssen doch mal diese Serpentinen beginnen, und ab dann ist alles easy. So meine Erinnerung. Es geht zwischen zwei Felsen hindurch – ja, diese Stelle kenne ich noch vom letzten Jahr. Wenn ich mich recht entsinne, sollte es jetzt flacher werden. Wir steigen weiter.


Rechts und links stehen immer wieder Läuferinnen und Läufer, die sich ausruhen. Wir machen auch eine kurze Pause und essen die Buttersemmel, die wir uns vom Frühstücksbuffet mitgenommen haben. Das tut jetzt gut! Nach dieser kurzen Pause geht es weiter. Die Steigung aber will nicht enden. „Und wann … soll es jetzt … wieder flacher … werden?“ – Ich verweigere die Aussage. Ich habe jetzt schon ein fürchterlich schlechtes Gewissen. An der Partnachalm hatten zwei Läuferinnen angesichts der Steigungen am Hausberg Zweifel bekommen, ob sie es schaffen würden – und ich hatte mit dem Brustton der Überzeugung gesagt: „Alles, was jetzt kommt, ist nicht mehr ganz so steil.“ Die werden mich wahrscheinlich verfluchen. Naja, wenigstens haben sie nicht aufgegeben …

Und dann – zuerst noch ganz vage, dann aber deutlicher – hören wir die Anfeuerungsrufe vom Hochalmweg. Vom letzten Jahr weiß ich, dass man die Rufe weit den Hang hinunter hört, aber es kann nicht mehr sooo weit sein. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass es jetzt doch flacher wird. Täuscht dieser Eindruck - sind es einfach nur die Anfeuerungsrufe, die uns beflügeln? Denn gemäß meiner nachträglichen Analyse der Strava-Daten ändert sich die Steigung hier nur geringfügig.

Dann sind wir oben. Noch ist nicht alles geschafft, aber bis zum nächsten Verpflegungspunkt ist es nicht mehr weit – und es geht hier über den mäßig steilen Hochalmweg. Die vielen Touristen, die uns hier entgegenkommen, reagieren zweigeteilt – während die einen applaudieren, schauen die anderen verständnislos. Naja, vielleicht riechen wir auch nicht mehr so gut. Mittlerweile hat es sich glücklicherweise zugezogen, und so ist es in diesem Abschnitt, der sonst der Sonne sehr ausgesetzt wäre, angenehm kühl.

An der Hochalm tun wir das, was wir schon an der Partnachalm getan haben: Ausgiebig grasen. Hier gibt es – neben vielen anderen Dingen – gekochte Kartoffeln und saure Gurken! Ein Traum!! Wechselweise stopfe ich also Kartoffeln und Gurken in mich rein, dazwischen noch Melone und etwas Käse. Und noch eine Cola. Dann nochmal Blase auffüllen, einen großen Dank an die Helfer, der allerdings in der lauten Musik untergeht – und los geht es zum letzten Teil des Anstiegs.

Der Weg verläuft direkt unter der Seilbahn, die von der Hochalm zum Osterfelder Kopf führt. Und er ist steil – steiler als alles vorher! Die hohen Stufen geben den Rhythmus vor, und dieser Rhythmus bringt mich an meine Grenzen. Katrin sagt in solchen Fällen immer: „Wenn ich noch langsamer gehe, fall‘ ich um“. Und tatsächlich kann ich an einer Stelle gerade noch vermeiden, dass ich nach hinten kippe. Achtung! Konzentration halten!


Two happy (?) girls

Von einem kleinen Sattel kann man hinüber zum Hupfleitenjoch schauen – wir aber steigen weiter aufwärts. Ab hier ist der Weg mit dem einen oder anderen Schneefeld durchsetzt. Einige Touristen nutzen die gute Fixseilversicherung, die die Organisatoren in diesem Bereich angebracht haben, als Gelegenheit, an ihr hinabzusteigen. Um das Seil wäre es nicht schade – das brauche ich größtenteils nicht – aber sie blockieren die ausgetretene Spur. Und da diese Touristen sichtlich nicht die besten Downhiller sind, dauert die Blockade lange. Ich werde ärgerlich … für die schnelleren Läufer vom Basetrail XL war ich ja noch gerne aus der Spur gegangen – aber muss denn jetzt auch noch dieser Gegenverkehr sein?


Nur noch wenige Meter ...

Aber der Ärger setzt die letzten Kräfte frei, die uns schließlich auf das „Dach“ des Basetrail bringen: An die Bergstation des Osterfelder Kopfes. Hier gibt es ein paar Zuschauer, die aufmunternd klatschen. Am meisten muntert uns jedoch auf, dass wir den Aufstieg geschafft haben und es abwärts geht. Ab jetzt geht es also um Konzentration, weniger um Kondition.


Osterfelder Kopf: It's all downhill from here ...


Der lange Downhill: Konzentration halten!

Hatte ich es schon gesagt? Downhill ist nicht meine Paradedisziplin. War es noch nie, und seit meinem Sturz auf die Schulter im letzten Jahr auf ebenem Asphalt hatte ich lange eine Totalblockade im Kopf. Deshalb war ich nicht unglücklich, dass aufgrund der Schneelage am Osterfelder Kopf die Richtung geändert wurde: bergauf Trail, bergab Schotterweg. Hatte ich doch auch den Schotterweg oberhalb der Hochalm im Aufstieg gehasst – er hat sich ewig hingezogen, und breite Wege mag ich bergauf sowieso nicht. Aber ich habe mir das zu einfach vorgestellt. Was ich nämlich vergessen habe: Wie steil der Weg ist und wieviel grober Schotter es da gibt. Ergebnis: Man muß aufpassen, dass man nicht wegrutscht – das geht sichtbar und hörbar auch einigen anderen so. Und so wird der Weg zurück zur Hochalm auch bergab lang. Andrea habe ich vorausgeschickt – sie ist im Downhill besser als ich, wozu sollte sie auf mich warten? Außerdem ist es im Downhill meiner Erfahrung nach wichtig, dass ich mich ganz auf mich konzentriere.

So „stürze“ ich mich praktisch mit angezogener Handbremse Richtung Tal. Wo immer es seitlich etwas Gras gibt, laufe ich auf diesem „Seitenstreifen“, weil man dort den besseren Grip hat. Oberhalb der Hochalm steht die Bergwacht. „Nicht nachlassen!“ ruft mir einer von ihnen zu – solche Aufmunterungen sind sehr nett!

In einem kleinen Gegenanstieg geht es nun zum Längenfelder, um dann wieder zurück zum Hochalmweg geführt zu werden. Andrea ist aus meiner Sichtweite verschwunden, und auch an der letzten Verpflegungsstation ist keine Spur mehr von ihr. Sie hat sich also anscheinend hier nicht so lange aufgehalten wie bei den anderen Stationen. Auch ich lasse mir nicht allzu viel Zeit für die Verpflegung. Nach etwas Banane, Melone und Cola geht es auf den langen Abstieg: Den Jägersteig.



Rücksicht kann ganz schön nerven …

Beim allseits gefürchteten Jägersteig hilft mir ausnahmsweise meine Erinnerung. Ich hatte im letzten Jahr festgestellt, dass der Jägersteig technisch gar nicht so schwierig ist – seine größte Schwierigkeit ist die Länge und damit die Gefahr, dass die Konzentration nachlässt und man Opfer einer der vielen Fußangeln wird. Im Prinzip zerfällt der Jägersteig in vier Teile: Der obere (und längste) Teil ist von Stufen und Steinen/Felsen durchsetzt. Das geht so bis zum „Wasserfall“ – wo ein Bach an zwei Stellen den Weg quert; hier ist Konzentration angesagt, um nicht auszurutschen. Danach geht es auf einen Waldpfad, der zunächst sehr angenehm zu laufen ist und nach einem kleinen Intermezzo auf einem breiten Weg ziemlich steil und wurzelig wird. Schließlich sind zwei Wiesen zu überqueren – meist mit tierischen Zuschauern in Form vereinzelter Kühe. Und ganz unten wird es tricky: Man hört schon den Hammersbach und weiß, dass man den Abstieg gleich geschafft hat … aber genau an der Stelle wird der Weg sehr feucht und schlammig und es müssen diverse glitschige Holzbohlen überwunden werden. Wen es bis dahin noch nicht hingehauen hat, der kann es hier nachholen 😉.

In diesem Jahr kommt eine weitere Schwierigkeit dazu: Da alle Rennen zum gleichen Zeitpunkt gestartet wurden, teile ich mir den Jägersteig mit dem „Mittelfeld“ vom Basetrail XL … und dieses Mittelfeld ist ganz schön groß. Vor allem sind diese Läuferinnen und Läufer schneller als ich. Daher wird der Jägersteig in diesem Jahr zu einer Geduldsprobe für manchen schnelleren Läufer und für mich zu einer besonderen Form des Abduktorentrainings: Sobald ich schnelle Schritte hinter mir höre, trete ich seitlich aus dem Pfad heraus und lasse die Läuferin oder den Läufer vorbei. Eine Weile geht das ganz gut, dann fängt die Rücksicht an zu nerven. Und ich versuche, den Überholvorgang so lange wie möglich hinauszuziehen, indem ich möglichst schnell laufe. Mit dem Erfolg, dass ich kurz hinter dem Wasserfall wegrutsche und mich nur durch eine Pirouette wieder fangen kann. Kurz darauf kann ich nochmal um ein Haar einen Sturz vermeiden, ich fange mich – doch dann fällt mir zweimal mein Stock aus der Hand. STOP! Ich bleibe stehen. In den Oberschenkeln habe ich eine ziemliche „Nähmaschine“ – wahrscheinlich ist aufgrund des Fast-Sturzes mein Blut voller Adrenalin. FOKUS HALTEN! Jetzt gut durchschnaufen, sammeln, konzentrieren, weiterlaufen. Es mag mich vielleicht eine halbe Minute gekostet haben, aber danach läuft alles ohne Probleme. Der Fokus liegt wieder bei mir und nicht auf den Läufern hinter mir.

DOWN DOWN DOWN

Bis ein Schrei ertönt: ACHTUNG LÄUFER! Ausgerechnet im rutschigen unteren Teil des Jägersteigs fliegt ein „blauer Blitz“ an mir vorbei. Es muss der Führende des Supertrail sein. Und tatsächlich: Es ist Florian Reichert. Wahnsinn – er hat sich tatsächlich von Tofol Castaner und Dylan Bowman abgesetzt!

Schließlich ist es geschafft: Ich bin unten angekommen – die Oberschenkel sind müde, aber alles ist heil. Jetzt sind es nur noch zwei flache Kilometer bis ins Ziel. Einige Läufer kommen mir entgegen – sie haben es bereits geschafft und sind jetzt auf dem Rückweg zum Parkplatz. Alle feuern mich an, sagen mir, dass es nicht mehr weit ist. Ja, dank GPS weiß ich das auch, aber es ist trotzdem nett, es zu hören.

Dann kann auch ich das Ende sehen: Der Bahnübergang. Ich hoffe, dass jetzt nicht die Zusgpitzbahn kommt … und habe wie im vergangenen Jahr Glück.  Dann sehe ich die Zielgerade und schließlich den Zielbogen. YEAH! Am Ende sind es 6 Stunden, 12 Minuten und 14 Sekunden.


Andrea ist schon da – sie hat mir auf dem Downhill fast sieben Minuten abgenommen – ich hätte allerdings damit gerechnet, dass ich noch mehr Zeit verlieren würde. Vor allem freut mich aber, dass sie so gut durchgekommen ist!

Wir duschen, warten auf Katrin und Erik, die schließlich auch glücklich im Ziel ankommen. Als wir gerade wieder im Hotel sind, fängt ein heftiger Schauer an. Ich denke an die, die noch auf der Strecke sind und bin froh, dass es uns nicht erwischt hat. Das befürchtete Gewitter aber bleibt zunächst aus – erst kurz nach Mitternacht legt es los, es regnet und hagelt und Blitze durchzucken die Nacht. Die Organisatoren haben also mit der Verkürzung und Vorverlegung Recht behalten: Als das Gewitter loslegt, sind längst alle Läuferinnen und Läufer im Ziel.

Two happy girls




FAZIT
  1. Steigungen sind relativ – was einem im Vorjahr sehr steil erschienen ist, muss gar nicht so steil sein … und umgekehrt. Die Erinnerung kann einem da ganz schön ein Schnippchen schlagen.
  2. Wenn beim Downhill die Konzentration nachlässt, ist es besser, kurz mal stehenzubleiben und sich wieder zu sammeln. Die Zeit dafür ist gut investiert, denn jeder Sturz kostet das Mehrfache an Zeit.
  3. Essen! Essen! Essen! Wenn die Energiespeicher nicht richtig aufgefüllt sind bzw. leer werden, dann geht das nicht nur auf Kosten der Leistung, sondern auch auf Kosten der Stimmung.
  4. Es muss nicht immer Ultra sein. Auch bei einem kürzeren Traillauf kann man sich richtig auspowern – und man ist nach dem Wettkampf schneller wieder auf den Beinen. Für mich war der Basetrail genau das richtige Rezept nach dem DNF beim letztjährigen E51: Bei einem kürzeren Rennen Selbstvertrauen sammeln – und dann wieder angreifen.
Und dieser „Angriff“ ist schon geplant, denn schon in Kürze geht’s wieder auf die Ultra-Distanz: In vier Wochen treten Katrin und ich beim Mountainman in Reit im Winkl an – auf der Strecke XL. Für Katrin der erste echte Ultra, für mich der erste Ultra seit vier Jahren.

Deshalb heißt es jetzt: Regenerieren, kurz trainieren und dann gleich wieder tapern. See you on the trails!




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