Trailrunning Trends 2019

von Sabine




Wir gleiten gerade vom Jahr 2019 in das Jahr 2020. Für viele ein Anlass, auf das vergangene Jahr zurückzuschauen. Auch sportlich. Ich möchte mich in diesem Jahresrückblick nicht auf die eigenen Leistungen, Herausforderungen und Tiefpunkte fokussieren, sondern die Sportart Trailrunning selbst in den Mittelpunkt rücken. Trailrunning wächst weiter. Und es verändert sich. Neue Trends entstehen. Hier eine (subjektive) Zusammenstellung der wesentlichen Entwicklungen, die sich für mich als interessierte Beobachterin 2019 erkennen ließen.



DAS ENDE DER FETTEN JAHRE?

Trailrunning ist immer noch ein junger Sport. In den letzten Jahren, vor allem aber seit 2015, hat er eine fast explosionsartige Entwicklung hingelegt. Alleine bei der Zahl der Wettkampfveranstaltungen mit jährlichen Steigerungsraten von 25-35%. Im Jahr 2019 sind diese Steigerungsraten erstmals deutlich zurückgegangen. So verzeichnete man bei den von der ITRA gelisteten Rennen nur noch einen Anstieg von 16%, bei den Ultratrails gab es mit gerade mal 2% praktisch schon eine Stagnation, was die Zahl der Wettkampfveranstaltungen anbetrifft. Auch wenn noch nicht alle Ergebnisse aus 2019 in den Datenbanken registriert sind, zeichnet sich auch bei der Zahl der Teilnehmer ein ähnliches Szenario ab, wobei bei den Frauen der Anstieg bei der Zahl der Leistungen etwas höher ist als bei den Männern (5,6% vs. 1,6%).
Sind also die fetten Jahre vorbei? Es scheint tatsächlich so, dass man in den nächsten Jahren die Sättigung erreichen wird. Das ist an und für sich nichts Schlechtes, denn das wilde Wachstum der letzten Jahre hatte nicht nur positive Auswirkungen: Bei den Rennveranstaltungen, die wie Pilze aus dem Boden schossen, gibt es große Unterschiede, was Qualität, Nachhaltigkeit und Sicherheit anbetrifft. Auf Veranstalterseite tummeln sich neben Vereinen und Sportbegeisterten "Machern" nun auch mehr und mehr kommerzielle Anbieter. Aber auch um Strukturen hat man sich beim Trailrunning noch recht wenig Gedanken gemacht: Wie sieht es mit der Abgrenzung gegenüber den Nachbardisziplinen (Ultralauf, Skyrunning, Berglauf, Wandern) aus? Wie ordnet man sich in die  bestehenden, großen Verbände ein? Wie sorgt man dafür, dass bei den Veranstaltungen wirklich die Besten der Besten aufeinandertreffen?
Außerdem hat Trailrunning in der Phase des wilden Wachstums vor allem eine demographische Gruppe angesprochen: Junge Männer. Bei fast allen Veranstaltungen, aber auch in der Gesamtstatistik machen männliche Teilnehmer zwischen 23 und 50 Jahren rund 60% des Teilnehmerfelds aus. Dass das auch anders geht, zeigt beispielsweise die Nachbardisziplin Marathon: Beim Berlin Marathon 2019 betrug der Anteil der männlichen Teilnehmer zwischen 23 und 50 Jahren am Gesamtfeld 50%, beim Boston Marathon gar nur 37%.
Wachsen kann jeder. Die Kunst wird darin liegen, die vor uns liegende Konsolidierungsphase des Trailrunning so zu gestalten, dass breitere Läuferschichten angesprochen werden und dass sich gleichzeitig das Profil von Trailrunning als (Elite-)Wettkampfsport weiter schärft. Doch dazu unten mehr ...



FAR, FAR AWAY

Die Salomon Golden Trail Series hat ihren Saisonabschluss in diesem Jahr beim Annapurna Trail Race in Nepal gefeiert - für nächstes Jahr ist das Finale in Villa la Angostura in Patagonien angekündigt. Ganz schön weit weg. Und auch der UTMB strebt auf ferne Kontinente: Die UTMB "Ableger" (UTMB International oder "by UTMB"), mit denen man mittlerweile auch die UTMB-Lotterie umgehen kann, gibt es inzwischen unter anderem im China (Panda Trail, Gaoligong), Feuerland/Argentinien (Ushuaia) und im Oman. Und selbst einige kleinere Veranstalter, wie z.B. der Schinder Trail, bieten Veranstaltungen bzw. Gruppenläufe in fernen Ländern an (Condor Circuit). Nun ist der Anteil von Trailrunnern am weltweiten Flugreiseaufkommen eher vernachlässigbar - und trotzdem stellt sich für mich die Frage: Wie lässt sich das mit dem Klimanotstand vereinbaren, gerade in einer Sportart, die den Raubbau an der Natur aus nächster Nähe mitbekommt? Um gleich eines klarzustellen: Ich bin nicht grundsätzlich gegen Fernreisen, denn Reisen können auch zu Begegnungen und zu vertieftem Verständnis anderer Kulturen führen. Und damit letztlich zu friedlicherem Zusammenleben. Aber muss es wirklich sein, dass man für einen Wettkampf tausende Kilometer fliegt, obwohl das eigene Land, der eigene Kontinent so viele tolle Trails bereithält? Sicher, durch ausschließlichen Verzicht auf solche Trailrunning-Fernreisen ließe sich der Klimawandel nicht aufhalten - aber man könnte zumindest damit anfangen. Think global - run local!



LAST RUNNER STANDING

Es ist das Rennformat mit der überraschendsten Entwicklung im letzten Jahr. Die Idee kam von Gary Cantrell, dem Veranstalter der Barkley Marathons. Eine Schleife von 100 Meilen/24 = 4,167 Meilen = 6,7056 km ist zu laufen. Warum eine so unrunde Zahl? Damit nach 24 Stunden exakt 100 Meilen gelaufen sind. Zeit für eine Runde: eine Stunde. Wer nach einer Stunde nicht wieder an der Startlinie steht, ist raus. Gewonnen hat derjenige, der eine Runde mehr gelaufen ist als die anderen. Alle anderen zählen als DNF. Nur der letzte DNF hat eine Sonderrolle: Er zählt als sogenannter "Assist" - denn er assistiert dem Gewinner dabei, überhaupt so weit zu laufen. Schließlich ist das Rennen unweigerlich zu Ende, wenn nur noch einer/eine übrig ist, und daher kann nur dann eine gute Leistung erzielt werden, wenn es mindestens zwei starke Läufer/Läuferinnen gibt. Verblüffend einfach.
Im Jahr 2011 fand der erste "Big's Backyard Ultra" statt. Anfangs hielt sich das Interesse in Grenzen, ab 2016 verbreitete sich die Idee dieses "Last Man Standing" Rennens auch in Nordirland und in Schweden. Daraus wurden 2017 und 2018 eine Hand bzw. zwei Hände voll Austragungsorte. Dann gab es im Oktober beim Big's Backyard das "Duell" zwischen Johan Steene und Courtney Dauwalter ... und der Wahnsinn nahm seinen Lauf. Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 72 Rennen mit diesem Konzept ausgetragen, für 2020 sind sogar schon 90 Veranstaltungen in der Tabelle von Rich Cranswick zu finden. Mittlerweile hat sich ein ausgeklügeltes System mit "Golden Ticket Races" und "Affiliated Events" gebildet, über die man sich für die "Weltmeisterschaft" beim Big's Backyard qualifizieren kann. In diesem Jahr fehlten bei Big's Backyard einige "Big Shots", da die 24-Stunden WM ebenfalls im Oktober stattfand. Aber die Liste der schon bekannten Starterinnen und Starter für 2020 ist beeindruckend und liest sich wie ein Who is Who des Ultralaufs: Neben den Topläufern von 2019 ist auch Courtney Dauwalter und Johan Steene wieder auf der Startliste zu finden - genauso wie Camille Herron und Joe Fejes.
Und auch in Deutschland finden die Backyard Ultra Events immer mehr Freunde - und es gibt immer mehr solcher Events. Im nächsten Jahr sind es mit dem Bienwald Backyard Ultra ein Golden Ticket Event sowie mit dem Katzensprung's Backyard Ultra in Bremen, dem Laufhaus Backyard Ultra in Oderwitz und dem Schindertrail Backyard Ultra drei Associated Events.



BETRIEBSMEISTERSCHAFTEN

Des Freizeitläufers Freud', des Eliteläufers Leid: Es gibt sehr viele Trailrunning-Veranstaltungen. Und das Angebot wächst, wenn auch langsamer als in den Vorjahren. Viele Veranstaltungen sind von Sportartikelherstellern gesponsert, und genau diese Sponsoren versuchen dann, ein paar Top-Läufer aus ihrem "Stall" zu den entsprechenden, vor allem den neu aufgelegten Wettkämpfen einzuladen oder zu verpflichten. Gut für die Visibility der Veranstaltung, schlecht für Trailrunning als Wettkampfsport. Denn die entsprechenden Wettbewerbe mutieren zu "Betriebsmeisterschaften", da im Spitzenfeld vorwiegend Athleten des Titelsponsors antreten. So beispielsweise bei den Salomon Golden Trail World Series. Von den Top 10 Frauen waren vier Athletinnen von Salomon gesponsert, von den Top 10 Männern sogar acht Athleten! Bei den Adidas Infinite Trails, von den Veranstaltern auch als Trailrunning Worldchampionships bezeichnet, stellten Adidas-Teams in allen drei Kategorien (Frauen, Männer, Mixed) den Sieger, zusätzlich bei den Frauen und Männern auch noch Platz 2. Damit ist es derzeit eher eine Trailrunning Betriebsweltmeisterschaft. Und beim größten Trailrunning-Wettbewerb in Deutschland, dem Zugspitz Ultratrail, gingen 9 der 18 Podiumsplätze an Athletinnen und Athleten des Titelsponsors Salomon. Nun könnte man sagen: Die Athletinnen von Salomon bzw. Adidas sind einfach so gut. Stimmt aber nicht, da braucht man sich nur die Ergebnisse von UTMB oder Western States anzuschauen, da gibt es eine bunte und recht gleichmäßige Durchmischung der Sponsoren.
Fürs Trailrunning als Wettkampfsport braucht es meines Erachtens Wettkämpfe, bei denen wirklich die Besten der Besten (national, kontinental oder in der Welt) aufeinandertreffen, und weniger solche Betriebsmeisterschaften. Viel weniger wichtig ist, ob diese Top-Wettbewerbe dann Verbandsmeisterschaften sind oder sich schlichtweg einen guten Ruf aufgebaut haben und damit die besten Athleten anziehen. Es braucht einfach mehr spannende Wettkämpfe und weniger Schaulaufen.



FKT: KEINER TRAUT SICH AN DIE KLASSIKER

Die Idee der FKT wurde auf den US-amerikanischen "Klassikern" geboren: Appalachian Trail, Pacific Crest Trail, John Muir Trail, Long Trail, Grand Canyon R2R2R und Zion Crossing. In den letzten Jahren verging kaum ein Monat ohne einen erfolgreichen oder erfolglosen Rekordversuch auf diesen Routen. Im Jahr 2019 war es auf den klassischen Routen dagegen recht ruhig. Beim John Muir Trail und beim Grand Canyon R2R2R liegt wohl seit den Rekorden von Darcy Piceu, Francois d'Haene, Jim Walmsley und Taylor Nowlin die Latte für viele zu hoch. Lediglich an der R2R2R_Alt Route, der Grand Canyon Traverse via South und North Bass Trail, bei der man den Colorado schwimmend überqueren muss, versuchte sich Josh Sanders zweimal, erreichte aber nicht die Zeit der Coconino Cowboys Walmsley, Freriks und Senseman. Die Zion Crossing ist seit dem Steinschlag im August 2019 sowieso geschlossen. Und am AT versuchte sich der britische Läufer Kristian Morgan, der 2018 Karel Sabbe bei dessen FKT unterstützt hatte - allerdings gab er nach 10 Tagen auf, als klar wurde, dass sein Rückstand auf die Zeit von Sabbe uneinholbar war. Der Fokus der Rekordversuche lag in den USA in diesem Jahr auf dem Long Trail (drei unsupported FKTs durch Josh Perry, Jeff Garmire und Nika Meyers) und anderen Strecken wie dem Arizona Trail, Wonderland Trail oder der Presidential Traverse.
Gleichzeitig sahen wir in Europa einen neuen "FKT Boom" - vor allem in den Alpen und in Großbritannien. Dabei muss man allerdings einschränkend anmerken, dass in den Alpen im letzten Jahr zwar einige FKTs aufgestellt wurden - besonders "aktiv" waren hier Florian Felch und Johannes Klein -, allerdings wurden nur wenige wiederholt. In der Wiederholung zeigt sich erst der "Wert" eines FKT.
Außerdem ist ein weiterer Trend zu erkennen: Während die Idee des FKT eigentlich auf Ultrastrecken, meist sogar mehrtägigen Routen geboren wurden, gibt es jetzt immer mehr FKTs auf kürzeren Strecken: Bergbesteigungen, Grattraversen, kleinen Runden. Das war bislang die Domäne von Strava. Stellt sich die Frage: Wo hört ein Strava Segment auf und wo beginnt ein FKT - oder ist beides das gleiche?



MUT ZUR MÄSSIGUNG

Wie oft haben wir es in der Vergangenheit gesehen: Topläufer starten bei einem Event nach dem nächsten - da dürfen es gerne auch mal drei oder vier 100 Meiler in einem Jahr sein ... und plötzlich geht gar nichts mehr. Überlastung - Verletzung - Burn out. Ein Weg, der vor allem für solche Athletinnen und Athleten vorgezeichnet scheint, die den Schritt in die Profi-Karriere wagen. Denn was im Amateurstatus einfach nur FOMO (the Fear Of Missing Out) ist, ist in der Profi-Karriere wirtschaftliche Notwendigkeit. Schließlich lebt man vom Wettkampfsport - daher muss man sich möglichst oft auch bei diesen Wettkämpfen zeigen. Geoff Roes, Elli Greenwood, Rob Krar, Andrea Huser - die Liste derjenigen, die sich aufgrund von Verletzungen zumindest mittelfristig aus dem Trailrunning zurückziehen mussten, ist lang. Und in den letzten beiden Jahren hat es unter anderem die "Ultra Ladies" Camille Herron und Courtney Dauwalter getroffen. Zwar laufen beide inzwischen wieder, aber die Gefahr von Überlastungsverletzungen ist immer wieder am Horizont erkennbar, das musste beispielsweise Courtney bei den 24-Stunden Weltmeisterschaften schmerzhaft erfahren.
Auch Kilian Jornet kam in den vergangenen Jahren meist auf weit mehr als 400 Wettkampfkilometer im Jahr. Dazu noch diverse FKTs, sein Projekt "Summit of my Life" und einige Skimo-Rennen. In der Saison 2018 zwangen ihn eine Schulter-OP und ein Beinbruch  dazu, erst spät in die Laufsaison einzusteigen und sich etwas stärker zurückzuhalten. Dann kam mit der Geburt seiner Tochter Maj eine Zäsur: 2019 plante er sein Wettkampfjahr mit nur drei Rennen, alle im Bereich der Marathondistanz oder darunter: Zegama, Sierre-Zinal und der Pikes Peak Marathon. Es wurden letztlich 4 Rennen daraus, denn Kilian qualifizierte sich auch noch für den Annapurna Trail Marathon. Die Entschlackung des Wettkampfkalenders zahlte sich aus, denn Kilian gewann alle vier Rennen und damit die Golden Trail World Series. Brach "nebenbei" noch den 16 Jahre alten Streckenrekord beim Sierre-Zinal. Das nennt man Effizienz!
Und es zeigt, welcher Leistungssprung drin ist, wenn man die Jahreswettkampfplanung etwas verschlankt. Denn Jornet hatte sieben Anläufe gebraucht, bis der Streckenrekord beim Sierre-Zinal endlich fiel.



WILLKOMMEN IN DER WELT DER KOMMERZIALISIERUNG

Trailrunning ist schon lange nicht mehr einfach nur wilde Natur und fordernde Single Trails. Trailrunning ist inzwischen auch Big Business. Kaum eine Laufdisziplin ist für die Sportartikelindustrie so lukrativ wie Trailrunning. Mittlerweile treten längst nicht mehr nur Sportvereine oder Trailrunning-Enthusiasten als Veranstalter auf, sondern auch Tourismus Boards und Eventagenturen. Manche Veranstalter bieten Kunden- und Rabattkarten. Und gefühlt hat jeder Trailrunner inzwischen einen Personal Coach.
Dass man mit Trailrunning Geld verdienen kann, hat scheinbar auch Ironman entdeckt, der sich im Besitz des chinesischen Großinvestors Dalian Wanda Group befindet: Sie kauften 2018 den Ultra Trail Australia und setzten 2019 ihren Einkaufsfeldzug fort, indem sie sich auch die Rechte am Tarawera Ultramarathon sicherten.
Und dann ist da noch die Marke "UTMB". Familie Poletti, die Erfinder und Renndirektoren des UTMB, setzen vermehrt auf Autarkie. Mit den "Running Stones" haben sie ein System geschaffen, mit dem man sich als Läufer der unbeliebten UTMB-Lotterie entziehen kann. Man muss dafür einfach nur bei Veranstaltungen der UTWT starten - oder noch besser, da mit dreifachem Punktwert: Bei Rennen von "UTMB International". Hinter beidem steht natürlich: Familie Poletti. Damit beißt sich die Katze in den Schwanz. Wer sicher bei einem der Rennen der Polettis starten will, wird auf Events verwiesen, bei denen ebenfalls die Polettis das Sagen haben. Oder genauer: Wo sie mehr Einfluss haben als bei der ITRA, über dessen Punkte die Qualifikation läuft. Was den einen oder anderen Race Direktor, der in der Vergangenheit in Symbiose mit dem UTMB dessen Qualifikationspunkte verteilte und dafür auf hohe Teilnehmerzahlen hoffen konnte, zur Weißglut treibt ...



FRAUEN IM TRAILRUNNING: MITTLERWEILE GLEICHAUF MIT DEN MÄNNERN?

Es ist ein Muster, das sich im Laufsport wiederholt: Über die Siegerin einer Veranstaltung wird meist weniger berichtet als über den Sieger. Denn sie ist für gewöhnlich später im Ziel als ihr männlicher Counterpart - und geht daher gerne mal im Feld der besten Läufer unter. Anders ist die Situation, wenn einer Frau das gelingt, was eigentlich den physiologischen Voraussetzungen widerspricht: Der Sieg in der Gesamtwertung - overall winner. Wenn das passiert, dann schafft es diese Läuferin häufig nicht nur in die Trailrunning Podcasts oder Laufmagazine, sondern in die "großen" Medien - auch wenn die große Mehrzahl deren Leser sich weder für Trail- und Ultrarunning interessieren noch die Rennen oder die Läuferin kennen. So z.B. beim Overall-Sieg und Streckenrekord von Jasmin Paris beim Spine im Januar 2019: Hier berichteten nicht nur Runners World & co, sondern auch BBC, Guardian, Telegraph - und in Deutschland die FAZ. Es ist ja auch tatsächlich spektakulär, dass eine junge Frau auf ihrem 428km langen Weg über das "Rückgrat" Englands den bestehenden Streckenrekord um 12 Stunden unterbietet, mit einer taktischen Meisterleistung sowie physischer und psychischer Stärke alle Männer des Starterfelds um mehr als 14 Stunden deklassiert - und bei ihren Verpflegungsstops auch noch ihre 14 Monate alte Tochter stillt. Maggie Guterl schaffte es nach ihrem Sieg beim Big's Backyard in die Sports Illustrated, die ansonsten, naja, eher für Sexismus bekannt ist. Als Nicky Spinks im Mai 2019 nicht nur als erste Frau, sondern als erster Mensch die Double Paddy Buckley Round in Wales absolvierte und damit auch erstmals alle drei klassischen britischen Rounds als "Double" schaffte, berichtete unter anderem die altehrwürdige Times darüber. Fazit: Frauen gehen in der Berichterstattung eher unter, aber wenn sie das "unmögliche" schaffen und besser sind als alle Männer, dann ist das eine Sensation, die ihnen Aufmerksamkeit garantiert. Ein zweischneidiges Schwert ...
Wie aber sah die Entwicklung der Leistungsdichte im vergangenen Jahr aus? Schaut man sich die großen Rennen an, bei denen eine hohe Dichte an Top Läuferinnen und Läufern besteht, dann setzte sich das fort, was sich schon in den letzten Jahren andeutete: Die Leistungsdichte in den Top Platzierungen war bei Männern und Frauen vergleichbar, war teilweise bei Frauen noch höher als bei Männern: Beim Western States betrug der Leistungsunterschied zwischen Platz 1 und Platz 5 bei den Männern 10%, bei den Frauen 5%, beim UTMB 11% (Männer) bzw. 8% (Frauen) und beim CCC 7% (Männer) und 6% (Frauen). Ähnlich war die Situation beim Mont Blanc Marathon, beim Sierre Zinal und anderen Rennen der Golden Trail World Series oder der Skyrunner World Series. Auch hier war durch ein gut besetztes Elitefeld bei Männern und Frauen die Leistungsdichte annähernd gleich groß, und damit waren beide Rennen - das der Männer und das der Frauen - spannend. Bei allen anderen Trailrunning-Wettbewerben, vor allem auf der Ultradistanz, schlägt sich die geringere Präsenz von Frauen (19% auf den Ultrastrecken weltweit) auch in den Spitzenleistungen nieder. Die Rennen laufen nach dem bekannten Schema ab, dass eine Favoritin vornweg läuft ... und in deutlichem Abstand die Verfolgerinnen. Spannung? Naja. Es wäre daher bei den Frauen erst recht wichtig, wenn sich Spitzenläuferinnen auf Top-Ereignisse zu fokussieren und Einladungen von Sponsoren ausschlagen würden, die eher dazu dienen, diverse Trailevents zu promoten. Aber auch das ist schwierig, so lange die Verdienstmöglichkeiten durch Sponsorengelder höher sind als die durch Leistungsprämien bei Wettkämpfen.



MEINE HIGHLIGHTS 2019

Hier die Trail-Momente, die für mich die Highlights 2019 waren. Diese Liste hat nicht den Anspruch, die absolut besten Leistungen aufzuführen - hier würde man aufgrund der riesigen Bandbreite im Trailrunning sowieso Äpfel mit Birnen vergleichen. Es sind die Trail-Momente, die mich persönlich am meisten überzeugt haben.
  • Bester Wettkampf / Frauen: Fast schon vergessen, da es gleich im Januar passierte: Der oben schon erwähnte Sieg von Jasmin Paris beim Spine Race. Renntaktik, Physis, Psyche, Ausrüstung: Alles hat gepasst. Und sie hat einen Rekord aufgestellt, an dem sich Läuferinnen und Läufer in den nächsten Jahren die Zähne ausbeißen werden.
  • Bester Wettkampf / Männer: Eigentlich müsste ich hier Jim Walmsley nennen mit seinem Fabelrekord von 14:09:28 beim Western States. Aber eigentlich hat mich ein anderer Läufer viel mehr beeindruckt: Jared Hazen. Auch er blieb mit 14:26:46 unter dem bisherigen Streckenrekord von Walmsley. Und vor allem: Er ließ sich von Walmsley nicht den Schneid abkaufen. Obwohl Walmsley nach Foresthill ein wahres Feuerwerk abbrannte, konnte er sich nicht mehr dramatisch von Hazen absetzen. Wenn Hazen in den nächsten Jahren unverletzt bleibt, kann man von ihm über die 100 Meilen Distanz richtig Großes erwarten ...
  • Spannendster Wettkampf: Es war die Leistung eines Einzelnen beim UTMB: Scotty Hawker. Für den Neuseeländer war es von Anfang an ein gebrauchtes Rennen. Er bekam auf der ersten Hälfte zunehmend orthopädische Probleme, wollte aufgeben, hatte seine Startnummer schon abgenommen. Dann überredete ihn ein Streckenposten, dass er doch wenigstens bis nach Courmayeur laufen sollte. Er hatte viel Zeit verloren, lag nur noch auf Platz 40. Aber er ließ sich überreden, lief weiter, überwand sein Tief. In Courmayeur lag er schon auf Platz 10. Konnte danach noch einige Läufer "einsammeln" und landete schließlich auf Platz 3. Das Fazit: Never ever give up!
  • Fastest Known Time / Frauen: Was Nicky Spinks bislang geleistet hat, ist schon hervorragend. Mehrfach hat sie die klassischen britischen "Rounds" in unter 24 Stunden absolviert: Bob Graham, Charlie Ramsay, Paddy Buckley. Sie erzielte neue FKTs auf der Bob Graham- und Charlie Ramsay Round. Hielt sie, bis Jasmin Paris kam und ihr beide FKTs abnahm. Dann startete sie die Doubles: 2016 Double Bob Graham Round. FKT. 2018 Double Charlie Ramsay Round. OKT (only known time). Und nun, im Mai 2019: Double Paddy Buckley Round. OKT in 2 Tagen, 9 Stunden und 15 Minuten. Eine unvorstellbare Leistung.
  • Fastest Known Time / Männer: Es mag in sportlicher Hinsicht nicht die höchste Leistung gewesen sein, nicht die meisten Kilometer am Tag. Und trotzdem hat mich der FKT des Franzosen Guillaume Artus mehr als alle anderen Bestleistungen beeindruckt: Er hat auf der Via Alpina (2650 km) die Alpen von Ost nach West in 44 Tagen, 9 Stunden und 58 Minuten durchquert. Macht rund 60km pro Tag. Und das bei teilweise harschen Witterungsverhältnissen: Sonne und heftigster Regen, Schnee und Eis. Mehrfach wurde das Essen knapp. Ein echtes Abenteuer. Für mich auch deshalb die FKT des Jahres, weil sich Guillaume an die großen Weitwanderwege in Europa heranwagt. Vor 2 Jahren hat er schon die Pyrenäen durchquert  - und dort ebenfalls eine FKT aufgestellt.



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