EIGER ULTRA TRAIL – Es muss nicht immer Laufen sein …




[Sabine, ◉ Heidelberg]
Ich konnte noch nie verstehen, warum bei einer Olympiade oder bei einer Leichtathletik-WM der 100 Meter Lauf eine so große Faszination auslöst und Millionen von Zuschauern vor dem Fernsehgerät fesselt. Das geht mir alles viel zu schnell. Bis ich das Starterfeld auch nur halbwegs sortiert habe, ist der Erste schon im Ziel – und es braucht viele Wiederholungen in Zeitlupe, bis sich mir der Rennverlauf erschließt.
Da sind mir Ultrawettkämpfe sehr viel lieber – die schaue ich mir sehr gerne im Internet an. Dabei meine ich nicht einmal die hochaufwändigen Übertragungen von UTMB, Mont Blanc Marathon oder dergleichen. Das ist schön, muss aber nicht sein. Denn schon über ein gutes und zuverlässiges Tracking kann man die unerwarteten Wendungen und die freudigen wie tragischen Rennverläufe sehr gut verfolgen. Das beste: Während man sich einen Ultralauf anschaut, kann man dabei noch den Haushalt erledigen oder den einen oder anderen Trainingskilometer selbst abspulen.
Als mich Erik in diesem Jahr gefragt hat, ob ich für seinen E101 sozusagen die „Mission Ground Control“ übernehmen könnte, habe ich deshalb sofort JA gesagt! Andrea und ich würden 2019 nämlich nicht mit in Grindelwald dabei sein können – angesichts der Dienstreisen von Andrea hätte das zu viel Reisestress bedeutet. Aber die Koordination aus dem „Headquarter“ in Heidelberg - das würde mir Spaß machen. Dabei war nicht nur gefragt, das Rennen engmaschig zu beobachten … Erik hatte an die Mission Control einige Anforderungen:
  • Vergleich seiner Splits mit den Zeiten von 2017 und 2018 (DNF). Ab der Halbzeit bei ordentlicher Positionierung auch Beobachtung der Abstände zu Platz 1-3 seiner Wettkampfklasse.
  • Report der Abstände an das Betreuerteam vor Ort: Katrin mit Elli sowie Petra und Wolfgang (nach seinem E16). Außerdem Report dieser Daten an sein Handy (als ob Erik jemals während eines Wettkampfs auf sein Handy geschaut hätte).
  • Informationen zur Transportlogistik (Fahrpläne etc.) an das Betreuerteam vor Ort.


[Katrin, ◉ Grindelwald]
Ich sollte in diesem Jahr die Aufgabe übernehmen, Erik während des Laufes zu unterstützen. Die beiden letzten Jahre hatte das unsere Tochter Amelie gemacht. Nicht nur, dass Amelie Erik perfekt umsorgt hat. Sie hat ihn beim Eiger 2017, als er kurz vor der Aufgabe stand, mit einem Satz zum Weitermachen motiviert, der wohl jeden Vater übers Ziel tragen würde: „Papa, du schaffst das, Papa du schaffst das!“
Die Latte liegt also ganz schön hoch!
Ich habe zwar schon an einigen Trailwettkämpfen teilgenommen, aber supportet habe ich noch nie. Noch dazu wusste ich ja, wie wichtig Erik der Lauf ist.
Erik hat mir einen genauen Betreuungsplan geschrieben: Bei welcher Station ich ihm was reichen soll und welche Informationen, Durchgangszeiten und Platzierung er braucht.
Aber immerhin werde ich nicht ganz allein sein. Zum einem wird mich Elli, unser Trailrunning Hund, begleiten (was nicht unbedingt eine Hilfe ist 😉) und zum anderen werden mich unsere Freunde Petra und Wolfgang (nachdem Wolfgang den E16 gelaufen ist) bei einigen Stationen unterstützen. Im Backoffice sitzen Sabine und Andrea, die mich jederzeit mit Informationen versorgen können.
Da kann eigentlich nichts schief gehen! Nervös bin ich trotzdem!



[Sabine, ◉ Heidelberg, 5 Uhr]

Ssssssst …. Ssssssst …. Ssssssst …. Ssssssst …. Ssssssst
Um 5 Uhr am Wettkampftag geht der Vibrationsalarm an meiner Pulsuhr los. Ich habe mich für diesen sozialverträglichen Wecker entschieden, schließlich ist es ja noch mitten in der Nacht.  Seltsamerweise bin ich sofort wach. Ich mache mir einen Kaffee und lege mein „Operationsbesteck“ auf meinem Schreibtisch zurecht: Laptop und Handy. Ein erster Check: Die Spitzenläufer haben den ersten Checkpoint, die Große Scheidegg passiert. Es dauert noch ein paar Minuten, dann ist auch für Erik die erste Zeit da: 1:17:59, Gesamtrang 101, 9. Platz der AK Men Seniors II.  Laut meiner Marschtabelle würde das auf eine Gesamtzeit von 14:30 hinauslaufen … aber es ist viel zu früh, jetzt eine Prognose abzugeben.
Während sich Erik auf den Weg Richtung Bort macht, habe ich Zeit, eine Excel-Tabelle anzulegen. Mit all seinen bisherigen Splits. Mit den Namen derjenigen Läufer aus seiner AK, die besser sind als er. Sie werde ich beobachten, das könnte noch spannend werden.

Das "Operationsbesteck" liegt im Mission Control Center bereit: Kaffee, Handy, Laptop

Kurz vor 6 Uhr erste Meldung von Katrin. Sie checkt, ob die Mission Control tatsächlich arbeitet und meldet, dass das vor-Ort Team jetzt auf dem Weg zum First ist.
Das läuft ja wie am Schnürchen! Auch Erik läuft scheinbar wie am Schnürchen, er hat bis Bort schon 12, bis zum First sogar schon 16 Minuten auf seine Zeit von 2017 aufgeholt. Die Besten seiner AK sind identifiziert. Das Monitoring läuft. Und Katrin wartet am First.


[Katrin, ◉ Grindelwald, 4 Uhr]
Kurz vor 4: Der Wecker klingelt. Elli schaut mich verdutzt an:“ Was ist denn heute mit denen los?“
Jetzt ist es zu spät, den Start von der Straße aus zu beobachten, aber wenigstens vom Balkon halten wir nach Erik Ausschau. Kurz nach 4 sehen wir die ersten Läufer des E101.
Und dann kommt auch Erik. 101 km und 6500 Hm liegen vor ihm. Für mich unvorstellbar.
An Schlafen ist danach nicht mehr zu denken. Also richte ich meinen Rucksack und machen mich schon bald mit Elli auf zu unserer ersten Station auf dem First.
Gemeinsam mit Petra fahren wir bei strahlendem Sonnenschein mit der Firstbahn nach oben. Gut, dass für Elli als erfahrener Berghund Gondel fahren kein Problem ist. Trotzdem scheint auch sie sich von meiner Nervosität anstecken zu lassen.
Oben angekommen versuche ich, mich erstmal zu orientieren. Wo kann ich Erik die Flaschen überreichen und wo kann ich Elli absetzen? Gut, dass Petra dabei ist, die mich unterstützen kann.
Dann beginnt das Warten: Wann kommt Erik? Wie wird es ihm gehen?




Schnell muss es gehen: Refill, Verpflegung, Statusbericht.

Und da kommt er auch schon! Er sieht tatsächlich noch ziemlich frisch aus. Also schnell die Flaschen ausgetauscht. „Wie fühlst du dich?“ „Gut, aber ich komme mit der Verpflegung nicht klar, habe fast nichts gegessen“
Nicht essen geht gar nicht!! Hier muss ein ehefrauliches Machtwort gesprochen werden: „Erik, du musst etwas essen. Dann nimm wenigstens eine Banane“ und ausnahmsweise tut mein Gatte mal das, was ich ihm sage.
Und schon ist er wieder fort.
Petra, Elli und ich genießen noch ein wenig beim Klang der Berghörner die wunderbare Stimmung oben auf dem First, um dann wieder nach unten zu fahren. Und jetzt erst mal frühstücken….



Elli lauscht den Alphornbläsern am First.


[Sabine, ◉ Heidelberg, 9 Uhr]
Erik ist kurz vor dem Faulhorn. Bis dahin kenne ich die Strecke – im letzten Jahr war für mich am Faulhorn Schluss. Aber ich weiß, dass für Erik erst nach dem Faulhorn die „Problemstrecke“ beginnt: auf der langen „Überführungsetappe“ zur Schynigen Platte. Jetzt also noch kurz warten, bis Erik am Gipfel ist … danach kann ich mich um Einkaufen und Haushalt kümmern …
Aber dann: Im Live-Tracking „hängt“ Erik knapp unterhalb des Gipfels und kommt nicht weiter. Es wird keine Zwischenzeit vom Faulhorn angezeigt. Das darf noch nicht wahr sein! Ist sein Rennen hier schon zu Ende?
Ich checke die Tabellen: Ein Läufer nach dem anderen zieht an ihm vorbei. Längst hätte er weiterlaufen müssen. Ich weiß, dass es in der Verpflegungsstation am Faulhorn keinen Refill gibt. Da kann man gar nicht so viel Zeit brauchen …
Was ist passiert? Ist Erik gestürzt? Aber nein, ich kenne den Weg zum Faulhorn. Der fordert einem konditionell alles ab, aber auf der Strecke kann man nicht stürzen, schon gar nicht so, dass man liegenbleibt. Hat Erik aufgegeben? Aber dann müssten wir schon längst eine Nachricht von ihm haben. Auf dem Faulhorn gibt es Netz, das weiß ich vom letzten Jahr. Hat Erik den GPS-Sensor verloren oder liegengelassen? Das wäre ja wirklich ganz blöd. Oder ist es einfach nur ein technischer Fehler? Es gibt auch noch andere Läufer, die „Lücken“ in ihren Zwischenzeiten aufweisen …
Hilft alles nichts: Wir müssen warten bis zur nächsten Zeitmessmatte. Die liegt kurz hinter der Schynigen Platte. Katrin fragt mich nach der prognostizierten Zeit für Burglauenen. Kann ich nicht sagen. Ich muss es extrapolieren aus den vorherigen Zwischenzeiten und hoffen, dass er tatsächlich noch auf Kurs ist. So schön das Online-Monitoring ist, so blöd ist es, wenn ein technischer Fehler auftritt. Und natürlich muss ich Katrin Mut machen. Die hat genauso wenig eine zuverlässige Information wie ich.
Da ich im Moment nichts tun kann, gehe ich einkaufen – aber in Gedanken bin ich beim Eiger Ultra …


[Katrin, ◉ Grindelwald, 8 Uhr]
Jetzt noch mal schnell ins Hotel und frühstücken. Dann packe ich alles an Proviant ein, was wir dabeihaben, um Erik in Burglauenen etwas zum Essen anbieten zu können. Nach dem Frühstück geht es erstmal zum Start des E16, Wolfgang anfeuern und dann zum Bahnhof, um mit der Bahn in Richtung Burglauenen zu fahren.
Bahnfahren ist für Elli neu, aber auch das meistert sie mit großer Bravour. Nervös machen sie hauptsächlich die vielen netten Asiaten, die sie dauernd streicheln wollen.
Da ich genügend Zeit habe, steige ich mit Elli eine Station vor Burglauenen aus und genieße es, den Rest des Weges zu Fuß zurückzulegen.
In Burglauenen angekommen, suchen Elli und ich uns erst mal einen schönen schattigen Platz auf einer Wiese, von wo wir die ersten Läufer des E101 beobachten können..
Als wir es uns gerade gemütlich gemacht haben, ruft jemand: „Ist das nicht die Elli? Trailjunkie13 hat Elli von den Bildern auf unserem Blog erkannt. Sie ist auch als Supporterin unterwegs und wir werden uns im Laufe des Tages an den Stationen immer wieder sehen.
Während Elli die Pause auf der Wiese sichtlich geniesst, werde ich zusehends nervös, da bei Erik keine Durchgangszeit am Faulhorn angezeigt wird. Auch Sabine kann keine Entwarnung geben.
Natürlich stelle ich mir alle möglichen Schreckensszenarien vor, die passiert sein könnten.






[Sabine, ◉ Heidelberg, 11 Uhr]
Entwarnung!! Erik ist wieder im Live-Tracking zu sehen. Meine Tabelle sagt mir aber, dass er deutlich verloren hat – er ist nur noch knapp 5 Minuten schneller als 2017. War es wieder die gefürchtete Strecke Faulhorn-Schynige Platte, die ihm Probleme gemacht hat?
Das blöde beim online Tracking: Man weiß nur, wie schnell der Läufer ist, aber nicht, wie es ihm geht. Aber vielleicht ist es auch besser, nicht alles zu wissen.
Katrin wird jetzt den ersten „realen“ Kontakt mit Erik seit dem First haben. Ich sage ihr die Zwischenzeiten.
Was mir nicht aufgefallen ist: Die Zeit wird in diesem Jahr nicht mehr auf der Schynigen Platte erfasst, sondern ein Stück weiter talwärts, in Schwand. Eriks Vorsprung auf die Zeit von 2017 ist also gar nicht so weit zusammengeschmolzen wie ich dachte. Aber das kann ich Katrin jetzt nicht mehr sagen, denn Erik ist gleich in Burglauenen.

 
[Katrin, ◉ Burglauenen, 11 Uhr]
Endlich kommt Entwarnung von Sabine. Erik ist bei der Schynigen Platte durch und sollte bald in Burglauenen ankommen. Also machen Elli und ich uns auf zur Station.
Hier sehe ich, was professionelle Unterstützung bedeutet. Manche Läufer bekommen hier neue Schuhe, Kleidung, eine große Auswahl an unterschiedlichstem Essen und wenn nötig auch noch eine Massage.
Ich suche erst mal wieder einen Platz für Elli und breite meine Verpflegung auf einem Tisch aus, in der Hoffnung, dass Erik etwas findet, was er essen kann.
Elli schaut etwas unglücklich: „Warum muss ich jetzt hier allein sitzen?“ Aber netterweise kümmert sich Trailjunkie13, die jetzt auch in die Station gekommen ist, ganz lieb um sie.



Warum darf ich nicht zu Erik? Was ist denn heute los?

Und dann kommt Erik endlich. Die letzten Jahre ging es ihm in Burglauenen wirklich schlecht. Letztes Jahr ist er hier sogar ausgestiegen. Nicht dass es ihm dieses Jahr gut geht, aber an Aufgeben ist nicht zu denken. Essen will er immer noch nicht, stattdessen versorgt er sich mit Cola. Wenn das mal gut geht…
Kurz bevor Erik weiterlaufen will, fällt sein Blick auf Elli, die ganz brav abseits sitzt und nicht versteht, warum Erik nicht zu ihr kommt. Erik muss lachen und läuft noch einmal schnell zu ihr, um sie zu begrüßen.
Und so macht sich Erik mit einem Lächeln auf den Lippen auf die zweite Hälfte des E101.
Elli und ich ziehen los zum Bahnhof, um mit der Bahn nach Wengen zu fahren.



[Sabine, ◉ Heidelberg, 12 Uhr]
Burglauenen hat für mich einen bedrohlichen Klang. In den beiden letzten Jahren ging es Erik dort nicht gut. Gut, dass er jetzt über diese Klippe ist und sich auf der zweiten Hälfte befindet. Meine Arbeit nimmt aber jetzt zu. Katrin muss auf den Männlichen geleitet werden. Dafür muss sie zunächst nach Zweilütschinen, dann umsteigen nach Lauterbrunnen, dann weiter in der Bahn in Richtung kleine Scheidegg bis Wengen. Dort muss sie Richtung Seilbahn. Ich schicke ihr die Verbindungen, Abfahrtszeiten und Bahnsteige. Und hoffe, dass alles gutgeht. Aber auf die Schweizer Bahn ist ja bekannterweise Verlass. Es bleibt sogar noch Zeit für eine kurze Planänderung: Katrin kann Erik noch kurz in Wengen sehen und dann in die Bahn zum Männlichen steigen.

Nach diesem Tag könnte ich mich auch für die Auskunft bei der Bahn bewerben ...


[Katrin, ◉ Wengen, 13:30 Uhr]
Elli und ich haben es Dank tatkräftiger Hilfe von Sabine und der Schweizer Bundesbahn so schnell nach Wengen geschafft, dass wir Eriks Ankunft dort abwarten können. Eigentlich war das nicht geplant. Ich hoffe, dass das eine extra Motivation für Erik vor dem anstrengenden Aufstieg zum Männlichen ist. Und tatsächlich freut sich Erik sehr, als er uns in Wengen sieht.
Jetzt schnell mit der Seilbahn auf den Männlichen, wo Petra und Wolfgang warten.



[Sabine, ◉ Heidelberg, 13:30 Uhr]
Nun wird es noch komplexer. Wolfgang und Petra melden sich. Wolfgang hat seinen E16 absolviert (2:00:41), kurz gefeiert und geduscht - und jetzt sitzt er mit Petra im Bus in Richtung Männlichen. Auch er will jetzt umfassend informiert werden – wie es Erik geht, wann er auf dem Männlichen erwartet wird, wo Katrin ist und wo er sie treffen kann …
Hat eigentlich schon mal jemand behauptet, dass das Mission Control Center ein Kindergeburtstag ist?
So. Katrin hat Erik kurz gesehen, sie „schwebt“ nun per Seilbahn in Richtung Männlichen … bei Erik kann man wohl nicht mehr von „schweben“ reden. Wolfgang und Petra werden Katrin an der Verpflegungsstation Männlichen treffen. Ab dort brauche ich dann nur noch EINE „Gruppe“ zu leiten. Das ist auch ganz gut, denn jetzt sollte ich mal wieder vermehrt den Fokus auf die Platzierung von Erik legen. Vom First bis Burglauenen lag er konstant auf Platz 7 seiner Altersklasse. Dann, kurz vor Wengen, schob er sich auf Platz 6 vor. Und jetzt folgt der lange Anstieg zum Männlichen. Kräftezehrend, aber ein Anstieg, bei dem man schon von unten an das Ziel vor Augen hat. Ich beobachte, wie sich die ersten sieben seiner Altersklasse nach oben kämpfen. Erik schafft es tatsächlich, den Abstand zwischen sich und seinem Verfolger zu vergrößern. Schließlich ist er oben. Über 20 Minuten schneller als vor 2 Jahren, auf Platz 6 seiner WK … und das beste: Die Plätze 4 und 5 sind in Schlagdistanz. Die Info geht schnell noch an Wolfgang und Katrin – und ich hoffe, dass sie Erik noch rechtzeitig erreicht.



[Katrin, ◉ Männlichen, 14:30 Uhr]
Oben angekommen können Elli und ich noch schnell etwas essen. Aber dann müssen wir uns schon zur Verpflegungsstation aufmachen. Erik scheint wirklich schnell unterwegs zu sein. Sabine gibt uns gerade noch rechtzeitig alle wichtigen Informationen durch.
Diesmal können wir uns die Aufgaben aufteilen. Petra wird fotografieren, Wolfgang gibt Erik alle Infos wie Platzierung und Durchgangszeiten durch, ich sorge für die Verpflegung und Elli hält die Konkurrenz durch lautes Bellen und Knurren in Schach. Nein, natürlich nicht: Elli sorgt für Eriks Aufmunterung.
Erik ist ziemlich geschafft und hat muskuläre Probleme als er oben ankommt.  Aber er macht trotzdem einen guten Eindruck auf mich. Und die positiven Nachrichten von Sabine scheinen ihn richtig zu motivieren. Als Erik weiterläuft, habe ich ein gutes Gefühl.



Katrin massiert und verpflegt, Wolfgang gibt die Zeiten durch, Elli kuschelt ...


[Sabine, ◉ Heidelberg, 15 Uhr]
Es wird spannend. Ich klebe mittlerweile vor dem Bildschirm mit den Liveupdates, verfolge die Bewegung der bunten Punkte mit den Startnummern auf der Landkarte. Erik schließt tatsächlich zu einem Läufer auf. Oh, das ist Michael Ohler, der Veranstalter der Bienwald Backyard Ultra. Aber Erik überholt nicht. Die beiden scheinen einträchtig nebeneinander herzulaufen. Hey, Erik: Nicht quasseln … laufen!
Aber auf dem Weg von der Wengernalp hoch zur Kleinen Scheidegg verändert sich was … die Abstände von Erik und Michael zu den vor ihnen laufenden Läufern schmelzen – und an der Kleinen Scheidegg liegt Erik nur noch knapp 3 Minuten hinter dem Dritten, Christian Schmid. Der war seit Wengen durchgehend auf dem dritten Platz, doch jetzt scheint er zu schwächeln. Ich schicke eine Whatsapp mit den neuen Entwicklungen an Wolfgang. Er soll Erik pushen – Jetzt bitte keinen Tiefpunkt mehr!


[Katrin, ◉ Kleine Scheidegg, 15 Uhr]
Unser Tross zieht weiter zum nächsten Verpflegungspunkt an der kleinen Scheidegg. Elli genießt es sichtlich, endlich wieder ein bisschen laufen zu können. Die ersten schnellen Läufer des E101 ziehen an uns vorbei. Beeindruckend!





Und bei Erik scheint es auch wirklich gut zu laufen. Sabine teilt uns mit, dass Erik auf dem 5. Platz in seiner AK liegt. Der Abstand zum 3. und 4. wird immer kleiner.
Gespannt warten wir an der Kleinen Scheidegg auf Erik. Als er ankommt, sind wir positiv überrascht. Er sieht wieder fitter aus als auf dem Männlichen.
Da sich Erik inzwischen nur noch von Cola ernährt, können wir nicht mehr tun als ihn zu motivieren und ihm seine Platzierung durchzugeben. Aber diesmal sind wir tatsächlich nicht mehr aktuell, denn hier überschlagen sich die Ereignisse. In der Verpflegungsstation Kleine Scheidegg sind plötzlich Platz 3, 4 und 5 gleichauf. Seltsame Situation! Aber mir ist klar: Für Erik ist das die beste Motivation - seine direkten Konkurrenten sind direkt vor seiner Nase. Mehr Motivation braucht er nicht!
Mit einem wirklich guten Gefühl entlassen wir Erik in Richtung Eigermoräne. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Das wird noch mal richtig hart, aber dann hat er das Schlimmste geschafft.



Verpflegung an der Kleinen Scheidegg: Wieder mal alle Hände voll zu tun ...


[Sabine, ◉ Heidelberg, 16 Uhr]
Es gibt Momente, da freut man sich dann doch, auf dem Schreibtischstuhl zu sitzen und nicht selbst zu laufen. Erik läuft die Eigermoräne hoch. Muss ich jetzt nicht haben. Ich kann mich noch an dieses steile Teil erinnern, das wir hochmussten, als Katrin und ich den E35 gelaufen sind. Damals hatten wir schon 2000 Höhenmeter in den Beinen. Bei Erik sind es jetzt ca. 6000. Katrin sagte damals: Wenn ich noch langsamer laufe, fall ich um…
Die Punkte im Live-Tracking bewegen sich langsam, wie an einer Schnur aufgereiht. Der erste der WK ist schon „über den Berg“, d.h. an der Station Eigergletscher angekommen. Erik hat sich auf Platz 6 einsortiert, aber die Abstände sind gering.
Diese Phase des Schneckentempos kann ich nutzen, um nochmal die Abfahrzeiten der Jungfraubahn durchzufunken, damit die Crew vor Ort rechtzeitig nach Alpiglen kommt.
Dann überschlagen sich die Ereignisse. Die bisherige Nr. 3 geht am Eigergletscher aus dem Rennen, außerdem überholt Erik die Nr. 4 und 5 des Rennens. Er ist jetzt Dritter.
Meine Pulsuhr zeigt an: „Zeit für Bewegung“. So ein Quatsch! Ich habe erstens keine Zeit, und zweitens müsste mein Puls inzwischen so hoch sein, dass dieses Fern-Crewing schon als eigenständige Leistung zählt. Irgendwann schmeiße ich meine Pulsuhr noch aus dem Fenster …

Durchgangszeiten, Prognose, Bahnauskunft, Wettervorhersage. Mission Control Center ist kein Kindergeburtstag!

Doch dazu bleibt jetzt keine Zeit! Erik liegt nicht nur auf Platz 3, er macht auch Zeit gut auf Platz 2. Gerade habe ich eine Nachricht an die Vor-Ort Crew geschrieben, schon ist sie wieder überholt: An der Stelle, wo die Strecke vom Eiger-Trail abzweigt und hinunter nach Alpiglen geht, überholt Erik die bisherige Nummer 2. Wahnsinn!
Also gebe ich die Neuigkeiten durch. Für Platz 1 besteht keine Chance – der ist zu weit weg. Jetzt muss die Taktik sein, dass Erik genügend Strecke zwischen sich und Platz 3 legt. Jetzt auf dem technisch völlig unproblematischen Trail von Alpiglen Richtung Gletscherschlucht nicht bummeln!!


[Katrin, ◉ Alpiglen, 17 Uhr]
Mit der Jungfraubahn fahren wir nach Alpiglen, der letzten Station, an der wir Erik unterstützen können. Die Nachrichten von Sabine werden immer besser: Erik hat sich auf Platz 2 vorgeschoben. Ich wusste es doch!

Wo müssen wir jetzt hin? Und sind wir noch im Plan?


Der Downhill nach Alpiglen ist ganz schön heftig. Hoffentlich kommt Erik hier gut runter. Oh je, da kommt auch noch ein Rettungshubschrauber und landet kurz oberhalb von Alpiglen. Da wird doch nicht einer der Läufer so schwer gestürzt sein, dass er den Hubschrauber braucht. In meinem unverbesserlichen Optimismus bin ich natürlich davon überzeugt, dass es nur Erik sein kann, der gestürzt ist.
Aber nein, da oben kommt er schon! Elli hat jetzt endgültig keine Geduld mehr. Dauernd trifft sie ihr Herrchen und der nimmt fast keine Notiz von ihr, das muss jetzt geändert werden!
Als Erik gerade an uns vorbeilaufen will, springt sie ihm vor lauter Freude schwanzwedelnd in den Weg. Aber Erik nimmt es ganz gelassen. Er ist ganz beflügelt und nimmt sich kurz Zeit, Elli zu begrüßen. Dann aber schnell weiter, er fühlt die Verfolger auf seinen Fersen.



Elli, fass!

Uns bleibt jetzt nur noch, möglichst schnell nach Grindelwald zurückzukehren und Erik im Ziel zu erwarten. Mehr können wir jetzt nicht für ihn tun!


[Sabine, ◉Heidelberg, 18 Uhr]
Andrea hat mittlerweile ihr eigenes Mission Control Center aufgebaut. Und das ist wohl unserem Router zu viel. Das Refresh hakt. Andrea kommt auch nicht ins Tracking-System. Das darf doch nicht wahr sein! Doch bitte nicht jetzt, so kurz vor dem Ziel. Da die Frau von heute nicht nur einen PC zu Hause hat (unser Haushalt bringt es auf ganze 4 Geräte samt Tablet und dienstlichen Rechnern), versuchen wir es überall. Nichts! Schließlich schaffe ich es wieder, zumindest einzelne Läufer zu tracken. Die Darstellung mehrerer markierter „Favoriten“ hakt weiter.
Ist wohl doch nicht unsere Hardware, die hier spinnt, sondern Datasport ist überlastet. So greifen wir zum Trick: Auf allen verfügbaren Geräten wird je ein Läufer dargestellt – Erik und seine Verfolger. Im Vergleich von Rechner zu Rechner versuchen wir rauszubekommen, wie groß die Distanz der Läufer ist.


Aufrüstung gegen Systemausfall: Das gesamte elektronische Equipment des Haushalts ist inzwischen im Einsatz ...


Als wir dieses Setup endlich realisiert haben, ist Erik schon im finalen Anstieg zum Pfingstegg.  Er scheint weiter auf dem zweiten Platz zu liegen – wir wundern uns aber, wie groß sein Vorsprung zu Michael Ohler inzwischen ist. In dem ganzen Computerchaos ist uns entgangen, dass dieser einen unfreiwilligen Umweg genommen hat. Aber im Aufstieg zum Pfingstegg scheint der Vorsprung von Erik wieder zu schmelzen. Wir hoffen, dass das nur der Ziehharmonika-Effekt, der immer entsteht, wenn ein Feld aus dem Downhill in den Uphill übergeht: Bei gleichen Zeitabständen wird dann der räumliche Vorsprung geringer.
Ist das spannend!! Blöd nur, dass wir Erik jetzt nichts mehr mit auf die Strecke geben können. Ich würde ihm gerne sagen: „Lauf so schnell Du kannst! Du könntest noch unter 15 Stunden bleiben …“ Aber uns bleibt jetzt nur, fasziniert auf den Bildschirm zu starren und Katrin, Petra und Wolfgang die vermutliche Ankunftszeit durchzugeben. Die sind jetzt auf dem Weg ins Ziel …
Mittlerweile ist es 18:45. Eigentlich sollte ich längst in der Küche stehen und das Abendessen kochen. Andrea versteht beim Essen keinen Spaß.  Sie glaubt, dass sie immer noch im Energiedefizit ist vom Zugspitz Basetrail vor 5 Wochen 😉. Aber jetzt ist dazu keine Zeit. Die Küche bleibt kalt.
Jetzt bekommt uns keiner mehr vor den Bildschirmen weg! Erik hat Pfingstegg passiert, und er hat auf den mittlerweile auf Platz 3 liegenden Christoph Arn etwa neun Minuten Vorsprung. Das sollte er sich nicht mehr nehmen lassen!

Die Tabelle ...

Dann sehen wir ihn auf dem kleinen, fiesen Anstieg in den Ortskern von Grindelwald hineinlaufen. Wir texten Katrin, dass er gleich im Ziel ist.
Wir schalten um auf den Live Stream. Und tatsächlich: Statt der Endlosschleife von Bildern von der Strecke sehen wir endlich mal live Bilder vom Ziel. Und da ist er endlich: ERIK! Ein Schrei! Die Uhr bleibt bei 15:01:38 stehen. Kurz danach hat ihn anscheinend der Sprecher im Zielbereich zu einem Interview geschnappt. Der Live Stream zeigt die beiden nicht, wir hören nur das Interview. Der Sprecher fragt Erik nach den Bildern, die er vom Lauf mitnimmt. Erik, bei dem das Blut noch in den Waden ist, versteht „Foto“ und sagt, dass er keine Bilder aufgenommen hat. Warum muss man denn Läufer unmittelbar nach dem Ziel noch zu intellektuellen Höchstleistungen treiben?


Erik hat es zwar nicht geschafft, unter 15 Stunden zu bleiben, aber er hat den E101 dieses Mal richtig gut absolviert und wurde Zweiter der Altersklasse Men Seniors II. Wir gratulieren ihm … und überlassen ihn seinem Schicksal. Jetzt tut wahrscheinlich alles weh …


[Katrin, ◉ Grindelwald, 19 Uhr]
Wir sind im Zielbereich angekommen.
Erik macht es richtig spannend. Erst bekommen wir von Sabine die Meldung, dass sein Vorsprung auf den Drittplatzierten schmilzt, dann scheint er ihn wieder auszubauen. Nun ja, wir können nur noch warten.
Wir verteilen uns entlang der Zielgeraden, um Erik noch mal richtig anfeuern zu können. Und dann kommt er endlich.
Wir sind begeistert: Erik hat es geschafft: Er ist tatsächlich 2. in seiner Altersklasse geworden mit einer wirklich super Zeit.



Zeit für einen ersten Bericht ...
 
Später am Abend sitzen wir alle erschöpft, aber glücklich auf dem Balkon unseres Hotelzimmers und feiern Eriks und Wolfgangs Erfolg.
Obwohl es spät ist, stehen unten auf der Straße immer noch viele Zuschauer, die die Läufer, die jetzt ins Ziel kommen, frenetisch anfeuern.
Für mich steht das sinnbildlich für dieses tolle Event. Ein professionell organisierter Wettkampf, der aber trotz der Menge der Teilnehmer sehr sympathisch geblieben ist. 


Die Betreuer sind schon wieder fit, Erik eher noch nicht. Das "Siegerbierchen" auf dem Balkon.


[Sabine, ◉ Heidelberg]
19:15. Ich klappe den Rechner zu – und habe dabei das Gefühl, heute richtig was geleistet zu haben 😉. „Mission Control Center“ … gerne jederzeit wieder!


Regeneration muss sein. Auch nach 15 Stunden Mission Control Center.



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