MOUNTAINMAN Reit im Winkl - Vollpension mit Dusche

von Sabine




QUATSCH … QUATSCH … QUATSCH …

Katrin und ich sind im Anstieg aufs Dürrnbachhorn. Es ist der längste Anstieg unserer XL-Strecke. Weiter oben soll es richtig steil werden. Im Moment ist es nur mäßig steil. Aber die Steigung reicht aus: Das ganze Wasser, das derzeit vom Himmel kommt, bahnt sich seinen Weg auf unserem Pfad und kommt uns entgegen. Der Weg wird zum Bach. Die Füße sind längst klitschnass, genau wie die gesamte Kleidung. Und die Schuhe machen Geräusche wie eine halb gefüllte Waschmaschine im Waschgang.

QUATSCH … QUATSCH … QUATSCH …

Ich rufe Katrin zu: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Trench-Foot bekommen“.

„Was ist Trench-Foot?“, fragt Katrin zurück.

„Ein Symptom, das erstmals bei Soldaten im Grabenkampf des ersten Weltkriegs festgestellt wurde. Ihre Füße waren in den permanent nassen Stiefeln so aufgeweicht, dass sie schließlich abgefault sind“. O.k., ich vereinfache etwas … lasse ein paar Schritte in der Pathophysiologie weg, die vom sogenannten „Grabenfuß“ bis zum Gangrän führt. Aber das ist für Katrin jetzt zweitranging.

„Wie lange dauert es denn, bis der Fuß abschimmelt?“

„Abfault …“ korrigiere ich.

QUATSCH … QUATSCH … QUATSCH …

Ich bin wieder in die Geräuschkulisse meiner tropfnassen Schuhe versunken. Denke gar nicht mehr daran, dass ich Katrin eigentlich noch eine Antwort schuldig bin.

QUATSCH … QUATSCH … QUATSCH …

„Wie lang …??“ fragt Katrin nochmal vorsichtig nach.

„Ach so, ich glaube, es braucht einige Tage“ beruhige ich Katrin … die nun aber das Bild vor sich hin schimmelnder Füße vor Augen hat.

Mittlerweile weiß ich, dass es lediglich 12 Stunden dauert, bis die Füße so aufweichen, dass jeder Druck, jeder kleine Kratzer in letzter Konsequenz zu einem Gangrän führen kann. Gut, dass ich das im Aufstieg zum Dürrnbachhorn noch nicht wusste – denn wir hatten uns vorgenommen, das Rennen in ca. 12 Stunden zu finishen…


Ziel: Endlich Ultramarathon!

Der Mountainman Reit im Winkl sollte Katrins erster Ultralauf werden. Sie hat in diesem Jahr konsequent nach Trainingsplan trainiert, war auf den Punkt fit für den Zugspitz Basetrail XL. Hier war sie nicht nur schneller als im letzten Jahr, sondern hat sich auch sehr viel leichter getan. Jetzt will sie die Fitness mit hinübernehmen zum Mountainman Reit im Winkl, der vier Wochen nach dem ZUT stattfindet. Wer fit ist für einen 40km Lauf, sollte auch – mit geringerem Tempo – einen 54 km langen Lauf durchstehen, der mit 2300 Höhenmeter „nur“ 300 Höhenmeter mehr aufweist als der Basetrail XL.

Wir haben uns den Mountainman Reit im Winkl ausgesucht, weil er gut in den Wettkampfkalender passt. Aber auch, weil ich schon seit längerem einen Lauf aus der Mountainman-Serie laufen wollte. Ich war im letzten Jahr auf die Premiere des Mountainman in Reit im Winkl aufmerksam geworden und mir war diese Veranstaltung auf Anhieb sympathisch: Ein Event für Wanderer und Trailrunner mit relaxten Cutoffs (14 Stunden für die 54 km Strecke) und Einbindung der lokalen Almen für die Verpflegung. Das erinnerte mich sehr an den Karwendelmarsch, den ich je zweimal in der Langfassung (52km) und der Kurzfassung (35km) gefinisht habe. Ein relaxter Cutoff wäre gerade für Katrin wichtig, denn bei der Ultra-Premiere sollte man nicht auch noch gegen die Cutoffs kämpfen müssen. Und das Verpflegungsprogramm des Mountainman versprach vor allem auf der zweiten Hälfte des Laufs regelrechte kulinarische Highlights an den Verpflegungsstationen – mit Gemüsepflanzerln, Ratatouille-Ecken und Kaiserschmarrn.

Mitte Mai stand der Beschluss: Katrin und ich starten beim Mountainman auf der Strecke XL. Erik, für den eine Woche später der E101 beim Eiger Ultra Trail auf dem Programm steht, holte sich bei seiner Trainerin das Placet, dass er seinen letzten längeren Trainingslauf auf der Strecke M (24km, 790 HM) machen darf. Und Andrea würde auf Dienstreise sein und deshalb weder aktiv noch als Betreuerin beim Mountainman sein können.

Zwei Wochen vor dem Mountainman machte uns die über Deutschland liegende Hitzewelle große Sorgen. Ein Ultra bei dieser Hitze? Das könnte ja heiter werden. Dann aber kippte das Wetter, und bald war klar, dass es nicht sonnig und heiß, sondern eher unbeständig und kalt werden würde. Naja, vor Regen und Kälte konnte man sich wenigstens schützen. Das ist kein Beinbruch. Dachten wir …


Kurze Wege, relaxte Stimmung

Als wir dann in Reit ankommen, ist der Himmel wolkenverhangen, immer wieder gibt es kleine Schauer. Wir schauen in der kleinen „Zeltstadt“ vorbei, die die Organisatoren und Sponsoren aufgebaut haben. An der Anmeldung werden wir freundlich von Jutta Mützer begrüßt, dem „Kopf“ hinter der Veranstaltungsserie. Mit ihr hatte ich schon seit letztem Jahr Kontakt. Schön, dass wir uns mal persönlich kennenlernen! Sie erzählt uns ein bisschen über die Strecke, stellt Vergleiche mit dem Karwendelmarsch an. Die Vorfreude steigt! Mittlerweile hat sich auch das Wetter gebessert, auf den aufgestellten Mountainman-Liegestühlen sitzen Läufer und Wanderer, viele davon mit Hund. Die Vierbeiner dösen in der Sonne vor sich hin, schnuppern oder bellen – es herrscht relaxte Stimmung …

Eigentlich ist Elli unsere Heldin der Berge. Aber beim Mountainman ist sie nur als Zuschauerin dabei ... obwohl dort Vierbeiner sehr willkommen sind!


Beim Race-Briefing, das am Abend im benachbarten Feststaal stattfindet, lernen wir den Rest des Mountainman-Team kennen und bekommen die Strecken nochmal genauer vorgestellt. Danach gibt’s nochmal einen Teller Spaghetti in einem Restaurant in der Nähe. Reit im Winkl erweist sich als Startort der kurzen Wege: Hotel, Sportplatz, Festsaal, Restaurant – alles in einem Umkreis von 500 Metern. Wenigstens müssen wir uns so vor dem Ultra nicht überanstrengen.

Ein letzter Blick auf diverse Wetterberichte. Die sagen durchgängig unbeständiges und kühles Wetter voraus, variieren aber in der vorausgesagten Niederschlagsmenge. Am schlimmsten ist der Wetterbericht vom Alpenverein: „Im Nordstau der Alpen langanhaltende und ergiebige Niederschläge“. Na klasse! Dabei hatten wir uns so gefreut, bei schönem Wetter von Alm zu Alm zu laufen und die angebotene „Vollpension“ zu genießen. Wir beschließen, den anderen Wetterberichten zu glauben, die weniger Niederschlag prophezeien.


Die Schleusen öffnen sich

Als am nächsten Morgen um 4 Uhr der Wecker klingelt, sind wir verhalten optimistisch. Es regnet nicht, und das Wetterradar verspricht zwar einen Schauer für die Zeit des Starts, danach aber lediglich Schauer und keinen Dauerregen. Wir besprechen nochmal die Ausrüstung, die wir auf die Strecke nehmen, machen noch kleine Korrekturen. Da die Veranstalter bei diesem Rennen nur wenige Vorschriften machen (Pflichtgepäck) und darüber hinaus lediglich Kleidung bzw. Ausrüstungsgegenstände empfehlen, sind wir gefordert: Sind wir gut genug ausgerüstet, auch wenn das Rennen unterbrochen würde oder wir aus irgendeinem Grund aufgeben müssten? Nach Frühstück im Zimmer und nochmaligem Gepäck-Check geht’s zum Start.


Stimmungsvoller Abschied: Vor dem Start gibt's Alphornmusik von den Reit im Winkler Alphornbläsern.


Dort haben schon drei Alphornbläser Aufstellung genommen, die uns „in Stimmung bringen“. Das Starterfeld ist bei dieser Veranstaltung übersichtlich – etwa 200 Läuferinnen und Läufer bzw. Wanderer sind am Start. So treffen wir auch Andreas wieder, der mir am Vortag mit den Worten „Du bist doch die Sabine“ entgegengekommen war. Wir „kennen“ uns über die Seite/Gruppe von TrailrunningHD … und nun lernen wir uns persönlich kennen. Für mich ist es etwas ungewohnt, dass uns mittlerweile so viele Leute „kennen“ – doch es ist auch schön, wenn man die Leute auch persönlich kennenlernt. Wir machen noch ein Erinnerungsselfie, wünschen uns viel Glück … und schon beginnt der Countdown zum Start. Obwohl die Läufer und Wanderer genau wie wir in der Nacht zuvor nur wenig geschlafen haben, ist am Start ordentlich Stimmung – zusätzlich eingeheizt von den Moderatoren Rudi und Stephan. Zum Start gibt’s dann noch künstlichen Nebel, und schon laufen wir auf der Tartanbahn des Sportplatzes Reit im WInkl die ersten Meter des des langen Weges, der uns heute bevorstehen wird.


TrailrunningHD meets friends: Andreas mit Katrin und mir vor dem Start.


Zunächst geht es drei relativ flache Kilometer im Tal entlang. Es ist ein schöner Weg – durch einen kleinen Wald, über die Lofer und dann an ihr entlang. Überall an der Strecke stehen Läuferinnen und Läufer, die sich als erstes der Regenjacke entledigen. Das machen wir schließlich auch – nur um kurz darauf festzustellen, dass der Regen stärker wird. Also wieder kurzer Stopp und wieder die Regenjacke angezogen. Hoffentlich wird das nicht ein Umzieh-Marathon wie beim Karwendelmarsch 2014!


Bergauf, bergab

Nach drei Kilometern gibt’s schon die erste Verpflegung am Gut Steinbach. Hier soll es heute Nachmittag auf dem Rückweg den Kaiserschmarrn geben. Jetzt brauchen wir eigentlich noch nichts, aber ich nehme ein Stückchen Banane und fülle meine Softflask auf. Der Weg bis zur nächsten Verpflegungsstation ist weit – 9 Kilometer und 500 Höhenmeter liegen zwischen den Verpflegungspunkten 1 und 2. Vor uns liegt jetzt die Skisprungschanze des WSV Reit im Winkl. Für uns geht es links vom Aufsprunghügel den Berg hoch. Der Regen wird stärker, aber wir kommen jetzt auch in den Wald, der den Regen glücklicherweise etwas abhält. Dennoch sind wir froh über unsere Regenjacken. Der erste Anstieg ist zwar nicht übermäßig steil, aber entweder sind wir einen Tick zu schnell, oder ich brauche noch ein bisschen, bis ich richtig warmgelaufen bin. Nach knapp 50 Minuten Anstieg wird dann die Steigung wird geringer und wir erreichen wir die Verzweigung, wo es für uns nach links zur Seegatterlalm hinunter geht und nach rechts zur Hindenburghütte - von dort werden wir heute nachmittag zurückkommen. Ich checke die Zeit und vergleiche sie mit der Split-Tabelle. Super – wir liegen auf Kurs für eine Zeit von 10:30. Viel schneller als erwartet! Aber das heißt auch: Wir sollten etwas Tempo rausnehmen, sind vielleicht wirklich zu schnell gestartet.


Tolle Stimmung, vor allem wenn man sich das Bild im Trockenen anschaut 😜: Kurz vor der Seegatterlalm


Der Regen hat kurz nachgelassen, um dann mit noch stärkerer Wucht auf uns einzuprasseln. Hört das denn gar nicht auf? Der Schotterweg ist leicht zu laufen, wir traben vor uns hin, kommen an einem großen gelben Plakat vorbei, das auf den Abzweig der M-Strecke hinweist. Das kann man nicht übersehen! Die Mountainman-Leute haben wirklich beste Arbeit bei der Streckenmarkierung geleistet. Fast immer sind Markierungen durch „Flatterbänder“ in Sichtweite. An „neuralgischen Punkten“ – wie hier – sogar große Plakate. Nur die Sprühkreide hätten sich die Weg-Markierer sparen können, denn der Regen hat sie komplett weggewaschen.

Hinter uns schnelle Schritte: Es sind die Führenden der L-Strecke, die eine Stunde nach uns gestartet sind und jetzt schon auf uns auflaufen. Auf Platz 4 erkenne ich Flo Neuschwander. Was, der Flo „nur“ auf Platz 4? Später stellt sich heraus, dass er wegen des Starkregens ohne Brille gelaufen war und sich trotz der guten Markierung viermal verlaufen hatte. Aber die schwachen Augen macht er mit starken Beinen wett und gewinnt schließlich das Rennen.

Es geht aus dem Wald heraus und über eine Wiese. Eigentlich sehr schön – wenn es nicht so schütten würde. Ich mache ein paar Fotos, dann geht es weiter. Und schon spuckt uns der Trail auf einem riesigen Parkplatz aus, der im Winter wohl voll, jetzt aber gähnend leer ist. Glücklicherweise stehen zwei Damen aus dem Team des Mountainman da und weisen uns den Weg – wir müssen einmal den Platz überqueren zur Seegatterlalm. Dort gibt es Essen – Brote, Kuchen, Melone, Banane. Leider haben die Brote und der Kuchen unter der 100%igen Luftfeuchtigkeit etwas gelitten, und nach Melone – bei sonstigen Rennen mein Leib- und Magengericht – ist mir an diesem Regentag überhaupt nicht. Ich checke die Zwischenzeit (Kurs 11:15) und schaue kurz auf den Regenradar. Angeblich soll der große Regen in 20 Minuten vorbei sein und in Schauer übergehen. Hoffnung keimt auf …



Buffet an der Seegatterlalm. Leider will wetterbedingt keine Gemütlichkeit aufkommen ...


Es schüttet weiterhin … wir müssen über den großen Parkplatz zurück und können dann endlich in den Wald abzweigen. Jetzt beginnt der zweite Aufstieg. Es geht oberhalb des Dürrnbachs entlang. Die Steigung ist mäßig, der Regen dafür unmäßig. Eigentlich müssten die 20 Minuten schon vorbei sein, aber es schüttet immer noch. Eigentlich wird der Regen sogar schlimmer. Mittlerweile ist keine Faser unserer Kleidung mehr trocken. Und auch die Schuhe sind vollgesogen.

Auf dem schmalen Pfad kommt uns der Regen als Bach entgegen. Wir philosophieren über Trench Foot.

Während mir beim ZUT noch der Schweiß gemischt mit Sonnencreme das Gesicht hinuntergeronnen ist, ist es jetzt der Regen. Wenn ich den Mund aufmache, tropft er hinein. Dehydrierung sollte heute kein Problem sein …

Dann sehen wir die Dürrnbachalm. Es wird jetzt steiler. Und unangenehm. Denn hier geht es über einen steilen, schlammigen Pfad, überall ist Viehtritt. Die HOKA Speedgoat, die ich heute anhabe, können fast alles – nur keinen Schlamm. Ich rutsche immer wieder weg. Muss seitlich stabilisieren. Mir tut das Knie weh – ausgerechnet in der Taperingwoche hatte ich im Knie leichte Schmerzen bekommen, hatte es mir vorsichtshalber mit Kinesiotape stabilisiert. Das war eine gute Entscheidung. Wir mühen uns Meter um Meter nach oben, kommen in die Wolken. Das Positive: Der Regen hat jetzt nachgelassen. Das Negative: Über den Bergkamm bläst ein eisiger Wind. Und wir sind klitschnass …

Endlich kommt die Panoramaalm in Sichtweite. Kurz danach stehen wir auf der Terrasse. Ich checke die Zwischenzeit: Wir sind weiterhin auf einem Kurs von 11:15. Viel besser als gedacht – und das nach mehr als der Hälfte der Höhenmeter. Glücklicherweise hat man hier das „Buffet“ im Gastraum aufgebaut. Ich öffne die Tür. Drinnen ist es zwar nicht windig, aber es ist auch nicht wirklich warm. Kein Wunder, denn ständig kommen Läufer herein oder gehen. Und die nassen Klamotten lassen den Raum unangenehm feucht werden. Hier ist kein Platz zum Aufwärmen! Und Panorama gibt es heute auch nicht. Daher halten wir uns nur kurz auf, essen Brote, trinken ein bisschen. Ziehen uns Armlinge bzw. einen Windschutz für den Downhill an. Die Winklmoosalm ist ja nicht mehr weit … vielleicht können wir dort einen längeren Stopp einlegen.


Das Knie

Als wir die Tür nach draußen aufmachen, schlägt uns ein unangenehm eisiger Wind entgegen. Jetzt möglichst schnell vom Berg runter! Leider sind direkt unterhalb der Panoramaalm ein paar unangenehm hohe Felsstufen zu überwinden. Wir sind beide kalt und steif … nicht die beste Voraussetzung, das unfallfrei über die Bühne zu bekommen. Katrin ist schneller, sie läuft schon mal vor, ich klettere an zwei Stellen sicherheitshalber rückwärts ab. Doch dann wird das Gelände leichter, schließlich kommen wir sogar auf einen Schotterweg. Endlich können wir wieder traben und uns wird warm. Der Regen hat mittlerweile aufgehört – das wäre schön, wenn es so bleiben würde.


Kurz vor der Winklmoosalm: Die Kühe sind beim Regen eher verschlafen und gemütlich.


Da klagt Katrin plötzlich über Stechen im Knie.

Verdammt! Auch sie hat ein „Tapering-Knie“ – jedoch schon vor dem ZUT. Deshalb hatte sie sich in Grainau tapen lassen und damit den ZUT unbeschadet überstanden. Weil danach die Schmerzen weg waren, hat sie diesmal auf Taping verzichtet. Aber jetzt meldet sich das Knie wieder – und zwar mit Nachdruck. Es tut vor allem bergab weh. Wir müssen gehen – jetzt nichts riskieren, an der Winklmoosalm kann Katrin dann ausgiebig dehnen. Nach zwei langen Schleifen im Wald sehen wir endlich die Winklmoosalm, die Heimat von Rosi Mittermaier. Die Strecke führt uns kreuz und quer durch die Alm mit ihren vielen Gaststuben. Schon haben wir die Befürchtung, dass wir den Verpflegungsposten übersehen haben, da sehe ich eine Zeitmessmatte.

Hier steht auch die Bergwacht und ein Mann hinter dem Verpflegungsstand. Er zählt auf, was es hier gibt: Bananenbuttermilch, Kaffe, Kuchen. Natürlich auch Wasser und Iso. Wir entscheiden uns für Bananenbuttermilch. Hervorragend! Katrin nutzt den Verpflegungsstop für ausgiebiges Dehnen und tatsächlich wird ihr Knie etwas besser. Wir bedanken uns bei Verpflegungsposten und Bergwacht und gehen wieder auf die Strecke.

Hier gibt's unter anderem Bananenbuttermilch: Winklmoosalm.


Leider war die Wetterbesserung nur kurzfristig. Noch bevor wir zum Hochmoor kommen, fängt es wieder an zu regnen. Durch die ganze Nässe sind die Holzbalken, die über das Moor führen, ziemlich glitschig. Ich mache trotzdem ein paar Fotos. Katrin malt sich schon aus, dass ich ausrutsche und im Sumpf versinke … und dass nur noch eine Hand rausschaut. Rache für den Trench Foot? Oder hat sie nur zu viele englische Krimis gelesen??

Einer der schönsten Wegabschnitte der ersten Streckenhälfte: Auf Holzplanken mitten durchs Hochmoor.


Der Weg steigt immer mehr an. Nach dem interessanten Hochmoor geht es links an einem Skihang hoch, es ist wieder unangenehm matschig. Wir rutschen mehrfach seitlich weg. Seltsamerweise geht es mir recht gut; ich merke, dass ich das Tempo forciere - vielleicht etwas zu sehr. Endlich, nach einem langen Aufstieg haben wir die höchste Stelle des Hangs erreicht, es geht jetzt auf einem Schotterweg abwärts. Aber diese Umstellung von Steigung auf Gefälle macht Katrins Knie nicht mit. Im Abstieg hat sie stechende Schmerzen. Auch Auslockern und Dehnen bringen nichts. Wenigstens weiß ich, dass die Möseralm, unser nächster Verpflegungspunkt, nicht mehr weit sein kann. Und tatsächlich – hinter einer Kurve sehen wir sie.

Hier gibt es warme Brühe. Genau das Richtige! Doch bevor wir was essen, müssen wir sehen, was mit Katrins Knie ist. In diesem Zustand kann sie nicht weitermachen. Wir gehen in den Gastraum, der glücklicherweise warm ist. Eine freundliche Frau bringt sofort einen Verbandskasten und ein Handtuch, als sie Katrin hereinhumpeln sieht. Den Verbandskasten brauchen wir nicht, wohl aber das Handtuch. Ich will versuchen, das Knie mit Kinesiotape zu stabilisieren … und zum Tapen muss das Knie absolut trocken sein. Das ist nicht einfach, auch mit Handtuch nicht. Wir sind völlig aufgeweicht!

Schließlich schaffe ich es doch, die Tapes zu fixieren. Wir essen kurz was, dann kommt für Katrin der Moment der Wahrheit. Sie steht auf – und der Schmerz ist weiterhin da. Kriegsrat: Wäre das Wetter besser, würde ich dafür plädieren, es noch ein Stück zu versuchen. Aber bei Regen und Kälte wie heute wäre das absolut leichtsinnig. Schon die letzten Hundert Meter vor der Möseralm haben gezeigt, dass wir mit dem desolaten Knie nur noch wenig Tempo machen können – damit können wir auch kaum mehr Wärme generieren. Wir haben zwar noch unsere trockene Wechselwäsche, aber bei dem fortwährend schlechten Wetter wäre es nur eine Frage von Minuten, bis auch die „durch“ ist. Schweren Herzens entscheidet sich Katrin, das Rennen abzubrechen.


DNF: Did Not Finish – oder: Did Nothing Fatal

Ich frage den Betreuer des Verpflegungsposten, wie man von hier am besten zurückkommt. Seine Antwort: Wir müssen zurück zur Winklmoosalm. Aber hoffentlich nicht über den Skihang? Der wäre für Katrin nicht machbar. Es stellt sich heraus, dass es auch einen Fahrweg gibt. Der ist länger als der Pfad über den Skihang und das Hochmoor, aber hat weniger Gefälle. Und bergab geht enorm schwer. Fast fünf Kilometer zurück – das wird für Katrin eine harte Nuss, ist aber die einzige Möglichkeit.

Katrin sagt, dass ich doch alleine weiterlaufen soll. Das aber ist für mich keine Option. Die fünf Kilometer zurück zur Winklmoosalm sind für sie hart genug, da lasse ich sie nicht allein runterlaufen. No one left behind! Ich rufe Erik an; er wird uns an der Winklmoosalm abholen.

Jetzt brauchen wir die trockene Wechselkleidung. Der Weg zur Winkelmoosalm wird lang, langsam und kalt. Als ich mich gerade umgezogen habe, kommen zwei Männer der Bergwacht rein, schauen auf die Tapes auf meinen Knien. „Wie geht’s denn dem Knie?“ Ich lache und winke ab – ich sehe zwar nach „Knie“ aus, aber es ist Katrin, die die Probleme hat. Die beiden bieten uns sofort an, uns zur WInklmoosalm zurückzufahren. Das ist super – und wir nehmen das Angebot gerne an.

Bevor ich ins Auto steige, denke ich nochmals kurz nach – jetzt, wo der Transport von Katrin ins Tal gesichert ist, könnte ich eigentlich weiterlaufen. Aber ich verwerfe die Idee sofort. Zum einen hat die Verarztung, Entscheidung und die Organisation des Rücktransports 50 Minuten gebraucht. Ganz abgesehen davon, dass wir vorher auf den Downhills schon langsamer wurden, damit Katrin das Knie schonen konnte. Ein Finish wäre zwar immer noch drin – aber um welchen Preis? Ich habe jetzt schon die Ersatzklamotten an. Und die Hälfte des Weges liegt noch vor mir – wahrscheinlich weiterhin in strömendem Regen. Zwischen Durchkaseralm und Straubinger Haus geht es auch wieder über die Baumgrenze, man ist also auch noch dem Wind ausgesetzt. Was wäre, wenn ich dann Probleme bekommen würde? Dann gäbe es keine „Fall-Back Option“ im Sinne von trockener Kleidung. Nein, das muss und will ich nicht riskieren. Wir lassen uns beide aus dem Rennen nehmen und werden von den zwei freundlichen Männern der Bergwacht auf den Parkplatz der Winklmoosalm gefahren, wo Erik schon für den Weitertransport wartet.

Es braucht im Hotel eine SEHR lange Zeit unter der warmen Dusche, bis ich wieder halbwegs warm bin. Richtig warm wird mir erst, als ich mit allem, was ich an trockenen Kleidern noch habe, in einer warmen Gaststube bei deftigen Spinatknödeln sitze. Da regnet es übrigens immer noch.


Mehrere offene Rechnungen

Schade, dass wir nur die erste Hälfte des Mountainman mitbekommen haben. Allein dieses Stück war schon landschaftlich vielfältig und sehr kurzweilig. Der zweite Teil der XL-Strecke soll noch schönere Trails aufweisen. Und dort warten auch die kulinarischen Höhepunkte. Stichwort: Fitness-Gemüse-Pflanzerl, vegane Ratatouille-Ecken, Kaiserschmarrn. All das haben wir verpasst. Auch den herzlichen und persönlichen Empfang im Ziel. Erik, Trailhund Elli und ich nutzen eine Regenpause am Nachtmittag, um uns selbst einen Eindruck zu verschaffen. Und als wir dann wieder im Hotel sind, hörten wir noch mehrere Stunden die beiden Moderatoren Rudi und Stephan, die jeden einzelnen Läufer und Wanderer ankündigen.

Der Mountainman hatte in diesem Jahr unglaubliches Wetterpech. Zuerst der Kälteeinbruch mit Sturm beim Mountainman Nesselwang, dann der Dauerregen und die Kälte in Reit im Winkl. Insgesamt hat es am Veranstaltungstag in Reit 36mm Niederschlag gegeben, in den Hochlagen sicher noch mehr.  Der Mountainman hat also noch eine Rechnung mit Petrus offen.

Wir aber haben noch eine Rechnung mit dem Mountainman offen – so einfach geben wir nicht klein bei. Katrin wird ihren Ultra laufen - da bin ich mir sicher. Das heißt: Ob in Reit im Winkl oder im Großarltal: Mountainman, wir kommen wieder!

Zum Abschluss noch ein kleiner Tipp an die Organisatorinnen und Organisatoren vom Mountainman: Ich fand es ja ganz toll, dass jeder, der ein T-Shirt bestellt hat, auch eine hochwertige Sonnenbrille dazubekommen hat. Aber erinnert Euch an den Karwendelmarsch: Die hatten seit der Neuauflage 2009 zuerst auch mal eine Serie von Schlechtwetter-Events. Diese Serie wurde erst 2013 gebrochen, als sie in den „Swag Bag“ für jeden ein Regencape gelegt haben. Seitdem scheint regelmäßig die Sonne. Daher: Im nächsten Jahr bitte Regenutensilien verschenken – damit in Zukunft die Sonne über dem Mountainmen und den Heldinnen und Helden der Berge scheint …


Vom MOUNTAINMAN gab's eine Sportsonnenbrille. Fein! Aber beim nächsten mal bitte eine Regenjacke, dann haben wir mehr Chancen auf Sonne ... 🌞



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