Sechs Gedanken zur Backyard Ultra World Team Championship 2024

 



von Sabine

Das Rennen dauerte fast fünf volle Tage. Das Ergebnis ist so umwerfend wie schnell erzählt: Belgien hat die Team-Weltmeisterschaft gewonnen – mit insgesamt 1.147 Yards und damit 176 Yards Vorsprung vor Australien, das auf den letzten Runden gerade noch an den USA vorbeizog. Am längsten unterwegs waren drei Belgier: Merijn Geerts, Ivo Stayaert und Frank Gielen. Sie liefen jeweils 110 Runden, zwei Runden mehr als der bestehende Weltrekord von Harvey Lewis (108 Runden), und beendeten das Rennen dann gemeinsam. Damit gab es bei Team Belgien keinen Sieger – alle erhielten den Status „Did not finish“, denn die Regel besagt: Nur der, der eine Runde weiterläuft als alle anderen, kann gewinnen. Dennoch haben sich die drei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für die Backyard Ultra Individual World Championship 2025 qualifiziert, da sie unangefochtene Spitzenreiter in der Gesamtwertung sind, die – neben den nationalen Champions – die 75 Startplätze bei Big’s Backyard 2025 stellt.

In Deutschland wurde Hendrik Boury mit 49 Yards Sieger. Dass er mehr draufhätte, hat er bereits bewiesen, doch im deutschen Team fehlte ihm ein Assist, der ihm hätte das Wasser reichen können. Dennoch wird er im Oktober 2025 nach Tennessee fahren und kann dann sein volles Potenzial zeigen – und hoffentlich die Scharte von 2023 auswetzen, als er nach 60 Runden disqualifiziert wurde, weil er ins Camp zurückkehrte, um den Zeitmesschip zu holen, den er vergessen hatte. Deutschland landete in der Teamwertung mit 542 Yards auf Platz 16 – einen Platz vor der Schweiz (501 Yards) und zehn Plätze vor Österreich (407 Yards).

Insgesamt gab es 50 nationale Champions, die eine Leistung von 24 Runden und mehr erzielten und sich damit ein Golden Ticket für die Backyard Ultra Individual World Championship 2025 sicherten. Tragisch verlief das Rennen für Irland: Dort musste es nach 20 Runden wetterbedingt abgebrochen werden.


Mon Dieu, les Belges!

Belgien – das sind Fritten, Schokolade, Bier ... und mittlerweile auch Backyard Ultrarunning. Seit Karel Sabbe 2020 bei der ersten World Team Championship einen neuen Weltrekord aufstellte und damit Team Belgien zum Sieg führte, ist in diesem kleinen Land ein regelrechter Backyard-Ultra-Hype ausgebrochen. Zwei Jahre später waren es Merijn Geerts und Ivo Stayaert, die mit 101 Yards einen neuen Weltrekord aufstellten. Jetzt sind es sogar drei Läufer, die sich den Rekord teilen.

Kein anderes Land scheint den Teamgeist im Backyard Ultra so zu leben wie Belgien. Auch leistungsmäßig zeigt kein anderes Land eine derartige Geschlossenheit. Nach 49 Runden beispielsweise, als das Rennen in Deutschland bereits beendet war, war Team Belgien noch komplett im Rennen. Der erste Läufer schied erst nach der 50. Runde aus.

Dieser Teamgeist zeichnete sich nicht nur im Sieg von Team Belgien bei den diesjährigen Weltmeisterschaften aus, sondern sichert – nach derzeitigem Stand – sieben Belgiern das Ticket für die Einzelweltmeisterschaften im kommenden Jahr, es sei denn, mehr als sechs Läufer laufen im kommenden Jahr weiter als 85 Runden. Bereits im vergangenen Jahr waren bei Big’s Backyard sechs Belgier im Teilnehmerfeld – ein großer logistischer Vorteil, wenn man bedenkt, wie anstrengend und langwierig die Läuferbetreuung ist. Mehr Läufer bedeuten größere Synergien.


Zahlen und Taktik: Backyard Ultra wird zum Baseball des Laufens

Es gibt keine Disziplin im Laufsport, in der Fans so klar und umfangreich Statistiken hoch und runter beten können. Es gibt Listen mit den Bestleistungen der letzten beiden Jahre, die Stärke der Teams wurde anhand des Medians der Yards prognostiziert, die zuvor erzielt wurden. Es werden Taktiken diskutiert, etwa ob man weitermacht oder aufhört, je nachdem, ob eine Mannschaft hinsichtlich der Gesamtrundenzahl in Schlagdistanz ist oder nicht.

Ein wenig erinnert Backyard Ultra daher an Baseball. Auch dort können Fans zahlreiche Statistiken über Läufer und Vereine aufzählen: die Zahl der Home Runs, Strikeouts, das Run Differential. Und in noch einem Punkt ähnelt Backyard Ultra dem Baseball: Über lange Phasen passiert nichts. Pure Langeweile. Zeit für einen Hot Dog (oder eine vegane Alternative). Doch dann geschieht plötzlich sehr viel. In diesen Momenten verlassen beide Sportarten für kurze Augenblicke das Terrain der Statistiker und werden zu dramatischen Events.


Backyard Ultra: Wir brauchen mehr Spitze als Breite

Wenn wir schon bei Zahlen sind: Die Hürden zur Qualifikation für die Weltmeisterschafts-Events – sei es die Team-Weltmeisterschaft oder die Einzelweltmeisterschaft – steigen stetig. Genügten 2023 noch 60 Runden, um sich über die „At Large List“ für die Einzelweltmeisterschaft zu qualifizieren, sind es nun 82 Runden.

Das wird in gewisser Weise zum Problem. Denn außerhalb der Weltmeisterschaften gibt es nur wenige Events, bei denen solch hohe Rundenzahlen erzielt werden. Denn dafür ist ein leistungsstarkes Feld notwendig; denn nur auf den Schultern eines leistungsstarken Felds können ein Assist und ein Sieger Top-Leistungen erzielen. Zwar sind in den letzten Jahren viele neue Backyard-Rennen entstanden, doch nur wenige bringen so viele Spitzenläufer zusammen, dass der Sieger oder Assist eine Rundenzahl erreicht, die für die Qualifikation zur Einzelweltmeisterschaft ausreicht. In den letzten Jahren waren das konkret nur der Suffolk Backyard Ultra sowie die beiden Einladungsrennen „Australian Backyard Masters“ und „The Race of the Champions - Backyard Masters“ in Rettert.

Damit die Teamweltmeisterschaft und die Einzelweltmeisterschaft nicht zu einem geschlossenen System werden und die Qualifikation spannend bleibt, braucht es dringend solche Events – entweder indem sich mehrere Spitzenläufer darauf einigen, in einem einzigen Event gegeneinander anzutreten, oder indem Einladungsrennen gezielt Spitzenläufer zusammenbringen.


Koordiniertes „Refused to start“: Händchenhaltend über die Ziellinie?

Der häufigste Grund für ein DNF beim Backyard Ultra ist das sogenannte „Refused to start“. Wenn man zur vollen Stunde nicht mehr an der Startlinie antritt, weil man einfach nicht mehr kann oder nicht mehr will. Das koordinierte „Refused to start“ der letzten verbleibenden Läufer ist beim Backyard Ultra eher selten.

In den „Kindertagen“ des Backyard Ultra kam das schon mal vor, weil man nicht damit rechnete, dass das Rennen so lange dauern würde. Unvergessen ist die Situation beim Big’s Backyard Ultra 2014, als Jeremy Ebel und Johan Steene Runde um Runde drehten – und irgendwann klar wurde, dass Steene aufgeben musste, weil er den Rückflug zu früh gebucht hatte. Ebel aber wollte nicht über jemanden siegen, der einfach nur zum Flughafen musste – und gab gemeinsam mit Steene das Rennen auf.

Nun scheint sich bei den Belgiern eine Tradition zu bilden, dass man sich gemeinsam zu einem neuen Rekord trägt – und dann gemeinsam aufhört. Bei der Team Championship 2022 war es Merijn Geerts und Ivo Stayaert, die nach 101 Runden gemeinsam aufgaben. In diesem Jahr war es sogar das Trio Merijn Geerts, Ivo Stayaert und Frank Gielen nach 110 gelaufenen Runden.

Das ist taktisch klug und verständlich, wenn man sich als Ziel einen neuen Weltrekord gesetzt hat. Aber es bedeutet auch: Es gibt keinen Sieger. In gewisser Weise ist dieses koordinierte „Refused to start“ das, was bei anderen Rennen das gemeinsame Überlaufen der Ziellinie ist. Wie lange wird Gary Cantrell da tatenlos zuschauen? Schließlich ist er bekannt dafür, alles zu tun, jede Regel notfalls auch zu ändern, damit jeder Läufer sein Bestes gibt.


Die vergessenen Frauen

Ich habe in diesem Artikel auf das Gendern verzichtet. Das hat seinen Grund: Bei den großen Formaten des Backyard Ultra, also bei den Weltmeisterschaften, sind kaum mehr Frauen zu finden. Dies habe ich bereits nach der Einzelweltmeisterschaft im vergangenen Jahr gesondert behandelt. Damals waren im Starterfeld von 75 Personen gerade mal vier Frauen.

Für die Einzelweltmeisterschaften 2025 sieht es nicht viel besser aus. Nur zwei Frauen, Sarah Perry (GBR, 59 Runden) und Viktoriia Nikolaienko (UKR, 33 Runden), sind als nationale Champions direkt für den Big’s Backyard Ultra 2025 qualifiziert. Megan Eckert (USA) ist mit 87 Runden nach derzeitigem Stand ebenfalls über die „At-Large-List“ qualifiziert, doch dies kann sich noch ändern.

Obwohl erst am Ende des Qualifikationszeitraums am 25. August 2025 klar sein wird, wie viele Frauen tatsächlich antreten: Die Tendenz ist fallend, während in anderen Formaten die Quote der teilnehmenden Frauen steigt.

Dieser Punkt wird in der Backyard-Ultra-Community zunehmend diskutiert. Gary Cantrell bleibt jedoch überzeugt, dass separate Männer- und Frauenwertungen eine Benachteiligung für Frauen darstellen. Nach dem Sieg von Maggie Guterl beim Big’s Backyard Ultra 2019 sagte er: „Bei anderen Backyard Ultras gibt es eine Männer- und eine Frauendivision, wodurch die Frauen benachteiligt werden. Jeder will eine Chance auf den Sieg haben, und nicht nur auf den Sieg in der Frauenklasse. Von allen Rennformaten ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen beim Backyard Ultra am kleinsten, beide sind auf gleicher Augenhöhe.“ 


Erlaubt das Korsett des Backyard Ultra bessere Leistungen als freies Laufen?

Das Regelwerk des Backyard Ultra legt dem Läufer gewissermaßen ein Korsett an: Da er nach 6,706 Kilometern exakt eine Stunde nach dem Start der vorherigen Runde wieder an der Startlinie stehen muss, sind größere Erholungspausen nicht möglich. Man kann weder Kilometer „herauslaufen“ noch „nachholen“. Eigentlich sollte das einen Leistungsnachteil für dieses Format gegenüber den herkömmlichen „Time Based Events“ bedeuten.

Doch beim Blick auf die Zahlen zeigt sich ein differenzierteres Bild: Bei kurzen Renndauern ist man bei freier Renngestaltung aufgrund der höheren Geschwindigkeit und ohne „Zwangspausen“ effizienter und erzielt längere Strecken. Doch bereits bei drei Tagen ist der Vorteil der freien Renngestaltung gegenüber dem „Zwangskorsett“ des Backyard Ultra fast völlig aufgebraucht. Sollte es einmal möglich sein, in einem Backyard Ultra deutlich länger als sechs Tage unterwegs zu sein, dann verschwindet der Vorteil der freien Renneinteilung völlig. Eine interessante Entwicklung ...










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