Kilian, Zach und der UTMB: Viel Lärm um nichts?

 


 

von Sabine

 Hinweis: Teile dieses Artikels sind - zusammen mit weiteren Kommentaren und Artikeln bei alles-laufbar.de in der Themenwelt "Die UTMB-Kontroverse" erschienen.

 

Im Jahr 2023 stand der UTMB / Ironman immer wieder in der Kritik. Im ersten Halbjahr 2023 wurden die Qualifikationsregeln für Elite-LäuferInnen mehrfach angepasst – was bei einigen Betroffenen aufgrund der fehlenden Planbarkeit für Ärger und Frust sorgte. Dann gab es kritische Stimmen, weil der UTMB mit Dacia ausgerechnet einen Automobilhersteller als Titelsponsor gewonnen hatte. Im Oktober wurde das Debakel um den Whistler Alpine Meadows publik – mit der im Raum stehenden Frage, ob der UTMB Gary Robbins als Rennveranstalter ausgebootet hatte.  Das Fass zum Überlaufen brachte dann die Mitteilung von Corrine Malcolm, dass der UTMB sie 2024 nicht weiter als Co-Kommentatorin bei UTMB Live einsetzen würde, weil sie nach Meinung des UTMB zu offen und direkt sei.

Als Reaktion auf diese Entwicklungen nahmen in den sozialen Medien die lautstarken Proteste zu. Zunehmend meldeten sich auch aktive und ehemalige EliteathletInnen zu Wort. So schrieb Ellie Greenwood, frühere Streckenrekordhalterin beim Western States, Siegerin beim CCC 2012 und beim Comrades 2014: „Trail- und Ultraläufer: Unser Sport steht am Scheideweg und es ist an der Zeit zu entscheiden, wie unser Sport und unsere Community aussehen sollen. […] Geld regiert die Welt, und ich werde dem UTMB weder einen Cent noch meine Zeit schenken.“ Und einige aktive Läufer machten sich Gedanken, beim UTMB 2024 nicht anzutreten. Jim Walmsley postete auf seinem Strava-Account: „Welches Rennen laufen wir dann nächstes Jahr?“. Und John Kelly, Barkley Finisher 2017, 2023 und 2024, schrieb: „Ich möchte den UTMB erleben, aber ich werde nie ein UTMB-Rennen laufen. Nein, das wird den UTMB nicht interessieren. Aber wenn nur genügend viele beim UTMB nicht antreten, interessiert es sie vielleicht doch.“ Am 20. Dezember postete dann Zach Miller, der Zweite beim UTMB 2023, auf seinem Instagram-Account, dass der UTMB zwar für den Trailrunning Sport viel getan habe, dass seit der teilweisen Übernahme durch den Ironman sich aber vieles zum Negativen gewendet habe. Und er stellte sich und seinen Followern die Frage, ob man denn als Eliteathlet unbedingt den UTMB laufen müsste – oder ob nicht auch ein anderes Rennen an dessen Stelle treten könnte, wenn es nur ein hoch kompetitives, prestigeträchtiges Rennen wäre. 

Dies wiederum setzte etwas in Gang, von dem die meisten von uns zunächst mal gar nichts mitbekommen haben. Bis Martin Cox, Läufer und Coach, am 9. Januar auf seinem Instagram-Account eine e-mail veröffentlichte, die Kilian Jornet und Zach Miller an einige Elite-AthletInnen geschrieben hatten, darunter auch an einen Athleten von Cox: „Wir schreiben euch, um zu erfahren, ob ihr daran interessiert seid, euch dieses Jahr bei einem anderen Rennen als dem UTMB zu messen. […] Deshalb würden wir gerne Eure Meinung hören. Wir haben bereits ein potenzielles Rennen ins Auge gefasst, an dem wir anstelle des UTMB teilnehmen könnten, aber bevor wir darauf eingehen, lasst uns bitte wissen, was Ihr denkt. Habt Ihr die gleichen oder ähnliche Bedenken? Seid Ihr daran interessiert, an einem alternativen Rennen teilzunehmen?“. Aber Cox beließ es nicht dabei, den Text der e-mail zu veröffentlichen, er bezichtigte in einer sehr derben Wortwahl Jornet und Miller als „scheinheilig“, da sie sich gegen ein Rennen wenden würden, was sie selbst groß gemacht habe. 

Damit war die Katze aus dem Sack – wenn auch sicher auf eine andere Weise, als sich das Zach Miller und Kilian Jornet gedacht hatten. Und damit begannen die Diskussionen bei vielen einschlägigen Medien und Plattformen, ob die Initiative von Jornet und Miller denn positiv oder negativ zu werten sei. Viele professionelle Akteure – Trainer und Sportjournalisten – tendierten eher zur Meinung von Cox, wenn auch in moderaterem Ton und in der Sache differenzierter.



Drei Missverständnisse

Auf welcher Seite man auch immer in diesem Streit stehen mag – meiner Meinung nach ist es mehr als fragwürdig, wenn ein Trainer eine e-mail „durchsticht“, deren Adressat nicht mal er selbst war. Wie man auf der Basis eines solchen Fehltritts moralische Vorwürfe an die beiden Absender richten kann, bleibt mir ein Rätsel.
Was mir in der allgemeinen Diskussion dieser e-mail aufgefallen ist: Als Gegenargument zu einem Boykott wurden immer wieder drei Argumente vorgebracht: Zum einen, dass ein Boykott nichts bewirke, da ja immer noch genügend andere Läufer den UTMB laufen würden. Zum zweiten, dass ein Boykott spalten würde und vor allem für junge, aufstrebende AthletInnen eine übergroße Härte darstelle. Und zum dritten, dass der UTMB Kilian und Zach groß gemacht habe und sie jetzt sprichwörtlich die Hand beißen würden, die sie über Jahre gefüttert hat.
Diejenigen, die diese Argumente immer wieder vorgebracht haben, sitzen meines Erachtens einigen Missverständnissen auf:

  1. „Ein Boykott ist nicht das geeignete Mittel“: Wir leben in einer Welt, in der viele Akteure auf dem wirtschaftlichen Parkett uns weismachen wollen, dass sie uns eigentlich nur was Gutes tun. In Wirklichkeit steckt da aber ein eigenes Interesse dahinter, und das ist oft: unser Geld. Der UTMB hat schon immer wirtschaftlich und politisch geschickt – und manchmal skrupellos - agiert, und hat sich damit eine Vormachtstellung gesichert. Man denke nur an die Tatsache, dass die Verantwortlichen sich die Namensrechte an dem Begriff „Ultratrail“ gesichert haben und andere Veranstalter zur Änderung des Namens zwingen wollten oder gezwungen haben – zuletzt den UTMF, der sich in FUJI umbenennen musste. Man denke an den Aufbau des hermetischen Qualifikationssystems, das dazu führt, dass nicht nur die Startgelder für die Finals in Chamonix, sondern auch die Startgelder für die Qualifikationsrennen in die Tasche der UTMB World Series fließen. Die „Kooperation“ mit Ironman, der ökonomisch ebenfalls mit allen Wassern gewaschen ist, verschärft die Lage noch. Und wer glaubt, dass man mit den Vertretern einer solchen Marktmacht einfach nur freundlich reden muss, wenn man seine Interessen vertreten will, der agiert wirtschaftlich naiv. Ein Boykott ist durchaus ein effektiver Hebel, seine wirtschaftlichen Interessen gegenüber mächtigeren Playern zu vertreten. Das zeigt nicht nur die Geschichte des Namensgebers Kapitän Charles Cunningham Boycott. Auch in Nischenmärkten war man in den vergangenen Jahren mit Boykottaktionen durchaus erfolgreich, so beim Online-Händler für Outdoorbedarf „Backcountry“, den man dazu gezwungen hat, seine aggressiven Trademark-Praktiken aufzugeben.  Und auch beim Ironman gibt es ein Vorbild für einen Boykott. Im Jahr 1985 hatten aus Protest gegen die Verweigerung von Preisgeld fast alle Top Athleten – darunter Scott Molina, Dave Scott and Mark Allen – den Ironman Hawaii boykottiert und waren stattdessen in Nizza gestartet. Seit 1986 wird beim Ironman Hawaii Preisgeld gezahlt …
  2. Der UTMB hat Kilian und Zach großgemacht: Umgekehrt wird ein Schuh draus. Zunächst mal zu Zach Miller: Das erste, was einen zu Zach einfällt ist nicht sein Sieg beim CCC 2015, sondern sein legendärer Zweikampf mit Hayden Hawks bei der „The North Face Endurance Challenge“ 2016 („Miller vs. Hawks“). Er ist nicht bekannt, weil er dreimal beim UTMB in die Top 10 gekommen ist – er ist bekannt, weil er einfach ein Typ ist, der wie seinerzeit Steve Prefontaine für eine kompromisslose „all out“ Taktik steht, der sich nie versteckt. Nicht der UTMB hat ihn großgemacht – Zach hat dem UTMB seinen Stempel aufgedrückt und ihm das gegeben, was eine Veranstaltung erst zu einem legendären Rennen macht: Große Siege und großes Scheitern. Kilian Jornet wiederum hat in seiner Laufbahn so große und vielfältige Leistungen gebracht, dass man mit Fug und Recht behaupten kann, dass er auch dann ein Superstar im Trailrunning geworden wäre, wenn er nie beim UTMB angetreten wäre. Es gibt Rennen, die wären nie auf die Weise in den Fokus gerückt, wenn Kilian dort nicht immer wieder sein Können gezeigt hätte: Dazu gehören Zegama-Aizkorri genauso wie Sierre-Zinal, Trofeo Kima und Hardrock. Auch er ist – wie Zach Miller – einfach ein „Typ“: der sich durch eine unglaubliche Versatilität auszeichnet, Skimo, Speed-Bergsteigen und Laufen gleichermaßen beherrscht, im Sub-Marathon-Bereich genauso siegen kann wie über 100 Meilen. Als Kilian nach sechs Jahren Abwesenheit beim UTMB 2017 erneut antrat, gab das dem UTMB einen massiven Schub durch den Zweikampf zwischen ihm und Francois d’Haene. Seine Präsenz beim Rennen hat immer wieder Zuschauer angelockt. Und damit mehr Medien. Was letztlich den Veranstaltern mehr Geld in die Kasse gespült hat.
  3. Zach und Kilian bringen mit einem Boykott jüngere AthletInnen in die Bredouille: Dieses Argument basiert auf einer falschen Annahme. Denn die e-mail von Zach und Kilian ging nicht einfach so an alle (semi-)professionellen AthletInnen – sie ging an die 15 gemäß UTMB-Index am besten gerankten AthletInnen. Und wenn man das Ranking bis Platz 15 durchschaut, sieht man dort ausschließlich arrivierte SportlerInnen, die schon einen ordentlichen track record vorweisen können. Es ging Kilian und Zach nicht darum, den kompletten UTMB zu boykottieren. Ziel war es vielmehr, die Top-Stars dazu zu bewegen, sich in einem anderen Rennen zu batteln und damit dem UTMB zu signalisieren: WIR sind es, die das Rennen für Zuschauer, Sponsoren und Medien interessant machen – und WIR wollen mitreden. Kritiker von Kilian und Zach haben mit Verweis auf jüngere AthletInnen häufig auch argumentiert, dass Zach und Kilian der Boykott ja „nichts kosten“ würde, da sie eh schon alles erreicht haben und am Ende ihrer Karriere sind. Dieser Punkt mag für Kilian gelten – aber Zach hat mit Sicherheit das Ziel, den UTMB auch zu gewinnen – im letzten Jahr war nur Jim Walmsley schneller als er. Aber auch wenn für die beiden eine Teilnahme am UTMB nicht (mehr) den Stellenwert hat wie für jüngere, aufstrebende AthletInnen: Genau das ist es, was sie prädestiniert einen Boykott zu initiieren. Denn einen Boykott durch einen unbekannten Läufer mit 625 ITRA-Punkten würde den UTMB nicht jucken – aber zwei Läufer mit einem Standing eines Kilian Jornet und eines Zach Miller können dem UTMB nicht völlig egal sein.

 

Der 23. Januar

Nachdem Martin Cox den Boykottaufruf durchgestochen hatte, wurde diese Information zwar in den sozialen Medien und diversen Podcasts diskutiert – noch mehr Betriebsamkeit gab es aber hinter den Kulissen. Der UTMB berief für den 23. Januar 2024 eine Videokonferenz ein, an der neben Vertretern von UTMB/Ironman auch Zach Miller und Kilian Jornet und Repräsentanten der Pro Trail Runners Association (PTRA) teilnahmen. 

Am 24. Januar gab es in eindrucksvoller Synchronität gleich vier Posts aller an dieser Konferenz Beteiligten. 

Während der UTMB im Wesentlichen den Ablauf und grob den Inhalt der Videokonferenz wiedergab und abschließend darauf hinwies, dass die Ironman Group lediglich eine Minderheitsbeteiligung am UTMB hält, machten Kilian Jornet und Zach Miller in ihren Instagram Posts nochmal ihren Standpunkt klar: Dass der UTMB unzweifelhaft viel für den Sport getan habe, es allerdings in den letzten Jahren zu Fehlentwicklungen gekommen sei, denen man begegnen müsse. Vieles davon sei laut UTMB auf Fehlinformationen und Missverständnisse zurückzuführen. 

Interessant ist, dass beide – Kilian und Zach – das Wort Boykott oder vergleichbare Formulierungen nicht in den Mund nehmen. Kilian schreibt in seinem Post: „Als Sportler in einer privilegierten Position wäre es einfacher gewesen, zu schweigen, aber angesichts der Bedenken der Community war es notwendig, sich zu äußern. […] Es geht nicht darum, Zwietracht zu säen, sondern einen konstruktiven Dialog zu fördern, um die Integrität und die Werte unseres Sports zu bewahren.“ Und auch Zach umschreibt die Situation, anstatt sie konkret zu benennen: „In der e-Mail wurden die Läuferinnen und Läufer gefragt, ob sie daran interessiert wären, bei einer anderen Veranstaltung als dem UTMB gegeneinander anzutreten, da Kilian und ich der Meinung sind, dass die Anwesenheit oder Abwesenheit eines Spitzensportlers bei einer Veranstaltung eines seiner besten Mittel ist, um seine Gefühle auszudrücken und sich für Veränderungen einzusetzen.

Und dann gab es noch eine vierte Wortmeldung am 24. Januar, die von der PTRA. Diese war eigentlich gar keine Partei im Konflikt von Kilian und Zach mit dem UTMB. Allerdings hatte sie Martin Cox beim Leaken mal schnell zur Partei gemacht, indem er schrieb: „Ich spreche speziell von Zach Miller und Kilian Jornet sowie dem Vorstand eines in der Schweiz ansässigen Vereins, der sich Pro Trail Runners Association nennt und dessen Ziele, wenn sie auch unklar bleiben, eigennützig zu sein scheinen.“ Und daher heißt es im offiziellen Statement der PTRA: „Zunächst einmal möchten wir klarstellen, dass die PTRA nie involviert war und auch nichts von der e-Mail wusste, bevor sie öffentlich wurde: Es war eine legitime Initiative von Zach Miller und Kilian Jornet. Wir mussten die Position der PTRA klarstellen, weil sie in dem Instagram-Post eines Dritten erwähnt wurde, was zu einer großen Verwirrung führte.
 

Sagen, was ist.

Weiter heißt es im offiziellen Positionspapier der PTRA: „Kilian Jornet und Zach Miller erläuterten ihre Beweggründe für ihre e-Mail und betonten, dass es ihnen nicht darum ging, einen Boykott zu organisieren - ein Wort, das nur von einigen Medien verwendet wurde - sondern vor allem darum, einem gemeinsamen Gefühl der Frustration und Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen, das von vielen Eliteläufern über die Arbeitsweise des UTMB auf vielen Ebenen geteilt wird: von den Elitesportlern, den Organisatoren der Rennen, den lokalen Gemeinden und allen Teilnehmern des Trailrunning-Sports.

Es soll also kein Boykott-Aufruf gewesen sein?

Es ging darum, andere Sportler davon zu überzeugen, gemeinsam an einem anderen Event als dem UTMB teilzunehmen, um – wie Zach es ausdrückt – „seine Gefühle auszudrücken und sich für Veränderungen einzusetzen“. Warum nennt man das Kind dann nicht beim Namen? 

Es ist sicher gut, verbal abzurüsten, wenn zwei Konfliktparteien miteinander reden wollen. Aber wenn die Kommunikation nicht in Beliebigkeit abgleiten soll, dann sollte man sagen, was ist. Egal, wie man es dreht und wendet: Es ging hier um einen Boykott. 

Doch auch der UTMB redet in seinem Post nicht immer Tacheles. Hier will man den Eindruck erwecken, weiterhin autark zu sein, indem man darauf verweist, dass die Ironman Group lediglich eine Minderheitsbeteiligung am UTMB hält. Faktisch ist das richtig – die Ironman Group ist mit 45% am UTMB beteiligt. Aber dass auch eine Organisation mit Minderheitsbeteiligung sich in die Strategie des Mutterunternehmens einmischt, dass sich das Geschäftsgebaren von UTMB und Ironman seit der Teilübernahme immer mehr gleicht, das ist wohl nicht von der Hand zu weisen.

Sagen, was ist: Das würde ich mir aber auch von den Medien wünschen, die über Laufsport berichten. Worauf sich die einschlägigen Magazine in diesem Fall beschränkt haben war, die Position der beiden Parteien ganz oder teilweise ungefiltert und unhinterfragt wiederzugeben. Eine kritische Auseinandersetzung oder ein klarer Kommentar war nicht zu finden. Matt Walsh von „Trailmix“ schreibt daher meines Erachtens zurecht: „Es wird mehr PR als Journalismus betrieben“.

 

Viel Lärm um nichts

Auch wenn Kilian und Zach immer wieder betonen, dass die e-mail und das Gespräch mit dem UTMB nur die ersten Schritte waren, so fragt man sich: War’s das jetzt? Hat diese ganze Aufregung und die Schlammschlachten in den sozialen Medien jetzt als einziges greifbares Ergebnis gezeitigt, dass der UTMB die Regeln für die Qualifikation von Eliteathleten transparenter und besser verständlich formuliert? 

Das wäre dann doch enttäuschend.

Meiner Meinung nach war diese Aktion ein Fehlschlag – und es wäre gut, diese als solchen zu benennen, damit man auch etwas daraus lernen kann. Denn einiges ist hier schiefgelaufen:

  1. Mehrheiten müssen organisiert werden: Es mag in der heutigen Zeit, wo viele eher auf Statements in den sozialen Medien setzen als auf Diskussion, etwas in Vergessenheit geraten sein: Selbst mit der besten Idee muss man Mehrheiten organisieren. Dafür ist eine „Rundmail“ sicher nicht das richtige Medium. Viel besser wäre es gewesen, hier 30 individuelle Gespräche mit den 30 AdressatInnen der e-mail zu führen. Vielleicht hätten sich Kilian und Zach in Sachen persönlicher Überzeugungsarbeit mal ein Beispiel am früheren amerikanischen Präsidenten Lyndon B. Johnson nehmen müssen: Das von ihm immer wieder durchexerzierte „Johnson Treatment“ war legendär. Er konnte selbst einen zerstrittenen Hühnerhaufen am Ende zu einer Entscheidung führen, die in seinem Sinne lag.
  2. Kräfte bündeln: Kilian Jornet selbst hat zusammen mit anderen Läufern Ende 2022 die PTRA aus der Taufe gehoben. Nach Aussagen der PTRA war diese an der e-mail Aktion von Kilian und Zach nicht nur unbeteiligt, sie wussten überhaupt nichts davon. Es ist unverständlich, warum man hier nicht gemeinsam ein Zeichen zu setzen versucht hat. Wer mit einem solchen Player wie dem UTMB verhandeln will, der sollte alle Kräfte bündeln – nur so hat man die Chance etwas durchzusetzen.
  3. Den Worten Taten folgen lassen: Miteinander reden ist sicher gut. Und sicher gibt es den einen oder anderen Punkt, bei dem die Akteure auf Seiten des UTMB sich überzeugen lassen. Doch es geht hier nicht nur um Win-win-Situationen. Es gibt auch Punkte, wo die Sportler und der UTMB als Veranstalter naturgemäß diametrale Interessen verfolgt. Hier ist es wichtig, auch mal Krallen und Zähne zu zeigen – und konsequent zu sein, selbst wenn es einem selbst für eine gewisse Zeit Nachteile bringt.
  4. Strategie statt Schnellschuss: Als der UTMB ankündigte, dass man 2024 den Ultra Trail Whistler by UTMB ausrichten wird – und Gary Robbins vermutete, dass der UTMB und Whistler ihn ausgebootet hatte, kündigte dieser sofort an: 2024 wird Coast Mountain Trail eine Konkurrenzveranstaltung zu Whistler by UTMB ins Leben rufen. Viele LäuferInnen haben daraufhin ihren Support angekündigt und mitgeteilt, dass sie an dieser Veranstaltung teilnehmen werden. Doch jetzt musste Garry Robbins einen Rückzug machen: Anfang Februar postete er, dass sich verschiedene Schwierigkeiten und Verzögerungen mit den Genehmigungsprozessen ergeben haben, so dass die Timeline für eine Austragung 2024 unrealistisch geworden ist. Es wird also – zumindest 2024 – keine Konkurrenzveranstaltung in Chilliwack, BC geben. Es wäre besser gewesen, er hätte zunächst mal in Ruhe überprüft, ob er so kurzfristig ein Rennen aus dem Boden stampfen kann – und eine langfristige Strategie entwickelt. Das gleiche hätte ich mir auch für die Aktion von Kilian Jornet und Zach Miller gewünscht.

Wer jetzt die Hoffnung hatte, dass alle aus dieser Sache gelernt haben und jetzt mehr Professionalität einkehren würde, wurde in den letzten Wochen gleich mehrfach enttäuscht. 

Wenige Tage nach der besagten Videokonferenz hat Camille Herron, Mitglied der PTRA, auf Twitter einige Slides der Präsentation geteilt. Anscheinend, ohne dies vorher abzusprechen bzw. ohne sich die Genehmigung hierzu einzuholen. Die Folge: Wenige Tage später waren die entsprechenden Tweets wieder gelöscht. 

Und auch der UTMB hat es geschafft, schon wenige Wochen nach der Ankündigung von mehr Transparenz ins nächste Fettnäpfchen zu treten: Anfang März stellten sie eine Liste ins Netz mit den qualifizierten EliteläuferInnen, die 2024 beim UTMB/CCC/OCC und TDS starten werden. Ganz oben auf der Liste: Jim Walmsley. Natürlich erinnerte man sich sofort an seinen Kommentar „Welches Rennen laufen wir dann nächstes Jahr?“ – und es hagelte erste Kritiken. Kurz darauf war Jim Walmsley wieder von der Liste verschwunden. Hier scheint also der UTMB vorschnell gehandelt zu haben ...

Es bleibt also offen, wie viel sich tatsächlich ändern wird. Wie heißt es doch in „Der gute Mensch von Sezuan“ von Berthold Brecht: "Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen."


 


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