Western States 2023: Ein Rekord für die Ewigkeit

 

Foto: Western States Endurance Run

 von Sabine

 

Als Ellie Greenwood am 23. Juni 2012 beim Western States den 1994 von Ann Trason aufgestellten Rekord um 50 Minuten auf 16:47:19 verbesserte, war das eine Sensation. Ellie hatte schon im Vorjahr den Western States gewonnen und ihre läuferische Klasse gezeigt, damals hatte sie aber 17 Stunden und 55 Minuten benötigt. Bei ihrem Rekordlauf war Ellie Greenwood nicht nur in bestechender Form, sondern 2012 war auch das kälteste Jahr in der Austragung des Rennens: Die Höchsttemperatur betrug gerade mal 21,6° C. Zum Vergleich: 1995, im bislang wärmsten Jahr, gab es Temperaturen bis zu 40°C. Man war sich einig: Um beim Western States einen Rekord aufstellen zu können, braucht es sowohl eine perfekte Tagesform als auch niedrige Temperaturen

Auch für 2023 waren vergleichsweise niedrige Temperaturen vorhergesagt: Die Höchstwerte sollten bei etwa 27° C liegen. Allerdings gab es auf dem ersten Viertel der Strecke einiges an Altschnee, ein Überbleibsel der Rekordschneefälle in der Sierra Nevada im Winter 2022/23. 

Mit Courtney Dauwalter und Katie Schide standen in diesem Jahr zwei Läuferinnen an der Startlinie, denen man zutrauen konnte, die angenehmen Temperaturen für eine richtig schnelle Zeit zu nutzen – vielleicht könnten sie erstmals den Rekord von Ellie Greenwood in’s Wanken bringen. Denn in den vergangenen 10 Jahren ist keine Läuferin mehr in die Nähe von Ellie’s Bestzeit gekommen; Beth Pascall war 2021 (bei Höchsttemperaturen von 38°C) 17:10:42 gelaufen – dreiundzwanzig Minuten langsamer als Greenwood.

Auch wenn sich Dauwalter und Schide früh absetzten – nach einem Rekord sah es zunächst nicht aus. Denn der Altschnee, der vor allem zwischen dem Escarpment und Red Star Ridge große Teile der Laufstrecke bedeckten, behinderte alle Läuferinnen und Läufer. Darauf ist auch zurückzuführen, dass Dauwalter und Schide zwischen Start und Red Star Ridge deutlich langsamer waren als der historisch beste Split.  Danach wurde der Untergrund besser – und die Zeiten der beiden schneller. Bis Last Chance trennten Dauwalter und Schide nur weniger Sekunden.

Dann, in den Canyons, konnte sich Dauwalter allmählich von Schide absetzen. Am Devil’s Thumb lag sie 4 Minuten in Führung, bis Michigan Bluff hatte sie die Führung auf 9 Minuten ausgebaut, bis Foresthill auf 11 Minuten. Dann zündete Courtney den Turbo. Auf der Cal Street, von Foresthill hinunter nach Rucky Chucky River Crossing, wo 2019 ihre Hüftprobleme begannen und letztlich zum DNF führten, baute Courtney ihren Vorsprung auf Katie aus – und überholte gleichzeitig einen Läufer nach dem anderen. Und auf dem welligen Abschnitt zwischen Rucky Chucky und Pointed Rocks ließ Courtney nicht nach. Immer wieder musste die prognostizierte Zielzeit nach unten korrigiert werden. Schließlich erreichte sie in 15 Stunden, 29 Minuten und 33 Sekunden das Ziel in Auburn. Was für eine Leistung!

 

Vergleich der Splits von Courtney Dauwalter 2023 mit den historisch besten Splits (Frauen)


Um diese Leistung einmal in Zahlen und Fakten zu fassen: Courtney wurde nicht nur Sechste in der Gesamtwertung – schneller als sie liefen in der gesamten, 50-jährigen Geschichte des Western States 100 erst 16 Läufer. Courtney unterbot die Zeit von Ellie Greenwood um fast 1 Stunde und 18 Minuten. Das ist ein Quantensprung! Bis auf die Splits zwischen Start und Red Star Ridge (Altschnee!) und zwischen Pointed Rocks und Finish unterbot sie alle historisch schnellsten, von Frauen gelaufene Splits! Das ist phänomenal, zeigt es doch, dass Courtney fast über die ganze Strecke ein extrem hohes Tempo angeschlagen hatte. Ihre stärkste Phase waren jedoch die letzten 22 Meilen ab Rucky Chucky. Von hier bis ins Ziel lief Courtney die zweitschnellste Zeit des Tages – nur der Sieger Tom Evans war schneller … um gerade mal 2 Minuten. 

 

Split Rucky Chucky bis Ziel: Vergleich der Splits von Courtney Dauwalter mit denen der Top 10 Männer

 

Die 15:29:33 sind ein phänomenaler Streckenrekord und steht in keinster Weise hinter dem Streckenrekord der Männer (Jim Walmsley, 2019, 14:09:28) zurück. Ganz im Gegenteil: Während sonst Streckenrekorde und Weltrekorde bei den Frauen im Durchschnitt 11,1% langsamer sind als bei den Männern, beträgt dieser Faktor zwischen den Streckenrekorden von Courtney und Jim gerade mal 9,4%.

Courtney Dauwalter hat gezeigt, welch außerordentliche Läuferin sie auf den Ultratrails ist – und hatte zudem noch das Glück, dass die Wetterbedingungen (fast) ideal waren. Dieser Rekord, den sie ausgerechnet bei der 50. Austragung des Western States aufstellte, könnte daher ein Rekord für die Ewigkeit sein. 

Übrigens: Auch Katie Schide blieb mit 16:43:45 noch unter dem bisherigen Rekord von Ellie Greenwood. Und die fünf erstplatzierten Damen stehen jetzt alle auf der Liste der 10 historisch schnellsten Zeiten beim Western States.

 

Das Rennen der Männer 

Wie bei den Damen fehlte auch bei den Männern der Titelverteidiger: Adam Peterman konnte wegen einer Verletzung nicht teilnehmen. Das Rennen war also relativ offen. Mit dabei waren in diesem Jahr vier Chinesen, von denen einer – Jiaju Zhao – gleich von Anfang an wegsprintete. Ob ihm niemand gesagt hat, dass eine frühe Führung beim Western States fast schon eine Garantie dafür ist, dass man NICHT gewinnt. Letzten Endes musste Zhao sein ungestümes Davonpreschen mit einem DNF bei Michigan Bluff büßen.

Hinter Zhao formierte sich ein großes Verfolgerfeld, das lange dicht zusammenblieb. Bei Duncan Canyon, nach etwa einem Viertel der Strecke, verstrichen zwischen Platz 2 und Platz 11 gerade mal 4 Minuten. Und nachdem die Läufer die Altschneeflächen hinter sich gelassen hatten, sah man zwei andere Läufer an der Spitze: Dakota Jones (USA) und der Dritte des Western States 2019 und Dritte des UTMB 2022, Tom Evans (GBR). Jones hatte eine ganz besondere „Tapering-Woche“ hinter sich: Er war von seinem Wohnort in Utah zum Western States mit dem Rad gefahren, um für seine Stiftung, RunFootprints, Geld zu sammeln. 

In den Canyons liefen Jones und Evans eine gut fünf minütige Führung heraus. Verfolgt wurden sie von einem „Dreierpack“ bestehend aus Jiasheng Shen (CHN), Anthony Costales (USA) und Tyler Green (USA). 

Man sagt: „In Foresthill beginnt der Western States erst richtig“. Und so war es auch in diesem Rennen. Tom Evans ging volles Risiko und schlug entlang der Cal Street ein Tempo an, das Dakota Jones nicht mehr mitgehen konnte – das aber auch für Evans selbst riskant war. Es wäre nicht der erste Läufer, der später für ein zu hohes Tempo zahlen musste. Zunächst musste aber Dakota Jones „zahlen“, dem es sichtlich nicht mehr gut ging. Er musste nicht nur abreißen lassen, sondern wurde sukzessive von den dahinter folgenden Läufern überholt. 

Tom Evans ließ nicht nach, machte weiter Tempo und baute den Vorsprung immer weiter aus. Er erreichte in 14:40:22 das Ziel in Auburn und lief damit die viertschnellste Zeit in der Geschichte dieses Laufs. Gleichzeitig ist er nach Jim Walmsley der einzige Läufer der (mindestens) zwei Finishs unter 15 Stunden vorzuweisen hat. Seine Taktik in diesem Jahr war riskant, aber sie ging auf. 

Es dauerte fast 25 Minuten, bis die nächsten Läufer ins Ziel kamen: Tyler Green, der bereits 2021 Zweiter geworden war, kam auf den zweiten Platz, dahinter Costales und Shen. 

Aus deutscher Sicht besonders erfreulich: Janosch Kowalczyk, der sein Golden Ticket beim Black Canyon mit seinem dritten Platz hinter Costales und Evans gelöst hatte, kam nach einem klug ausgeführten Rennen auf den 10. Platz. Er lag anfangs in den 20er Rängen in Schlagdistanz von Courtney Dauwalter, machte dann Platz um Platz gut, bis er nach ca. 90 Meilen in die Top 10 der Männer lief. Er darf sich schon mal fürs nächste Jahr die Startnummer M10 reservieren.

Zwischen den Plätzen 2 und 10 lagen übrigens gerade mal 1 Stunde und 5 Minuten. Eine solche Leistungsdichte gab es beim Western States noch nie!


 

Besondere Geschichten

Der Western States schreibt immer auch dramatische Geschichten. Ob das unerwartet gute Platzierungen, DNFs oder die Dramatik der „Golden Hour“ ist. Hier ein paar Dinge, an die ich mich erinnern werde:

  • Einige Läufer und Läuferinnen, die man in den Top 10 erwartet hätte, sind recht früh ausgeschieden. Dazu gehörten Hayden Hawks (Knieprobleme nach einem Sturz im High Country), Keely Henninger (DNF nach Schulterluxation als Folge eines Sturzes bei Rucky Chucky) und Camille Herron.
  • Beim diesjährigen Western States nahmen zwei Läufer mit Autismus teil: John Almeda und Zach Bates. Beide erreichten das Ziel in Auburn. Für John Almeda, bei dem eine Spezialform des Autismus (non verbaler Autismus) vorliegt, war diese Herausforderung ganz besonders groß, insbesondere für die Kommunikation mit seinen Pacern und der Crew.
  • Der älteste Teilnehmer im Feld (Gene Dykes, 75) erreichte das Ziel nicht. Bei Cal 2 – nach 70 Meilen – musste er seinen Kampf gegen die Cutoffs aufgeben. Ältester Finisher ist Craig Bronstein (67), älteste Finisherin Pam Reed (62). Letztere hat noch ein ganz besonderes Programm vor: In 10 Tagen startet sie beim Badwater Ultramarathon und in drei Wochen beim Hardrock 100.
  • Auch für Courtney Dauwalter wird der Western States nicht das einzige Rennen der Saison sein: Sie versucht sich dieses Jahr am Western States – Hardrock Double. Hoffentlich kann sie sich in den nächsten drei Wochen von diesem 100-Meilen-Sprint erholen.
  • Sehr dramatisch wurde es wieder einmal in der „Golden Hour“: In dieser letzten Stunde des Rennens kamen 68 Läuferinnen und Läufer ins Ziel. Doch für einige reichte es (knapp) nicht. So auch für Ash Bartholomew, den 61-jährigen Vater der australischen Ultraläuferin Lucy Bartholomew, die 2018 beim Western States Dritte wurde. Er kam – am Ende seiner Kräfte – nach 30 Stunden, 2 Minuten und 30 Sekunden ins Ziel – das waren 2 Minuten und 30 Sekunden zu spät. Für ihn gibt es daher leider kein Belt Buckle.  


 

Die Ergebnisse

Top 10 Damen

  1. Courtney Dauwalter (USA) – 15:29:33 (neuer Streckenrekord)
  2. Katie Schide (USA) – 16:43:45
  3. Eszter Csillag (HUN) – 17:09:20
  4. Katie Asmuth (USA) –  17:21:06
  5. Emily Hawgood (GBR) – 17:26:22
  6. Taylor Nowlin (USA) – 17:40:11
  7. Ida Nilsson (SWE) – 17:43:34
  8. Priscilla Forgie (CAN)– 17:46:34
  9. Leah Yingling (USA) – 17:49:00
  10. Meghan Morgan (USA) – 18:11:32


TOP 10 Herren

  1. Tom Evans (GBR) – 14:40:22
  2. Tyler Green (USA) – 15:04:09
  3. Anthony Costales (USA) – 15:09:16
  4. Jia-Sheng Shen (CHN) – 15:19:42
  5. Daniel Jones (NZL) – 15:22:15
  6. Mathieu Blanchard (FRA) – 15:37:02
  7. Ryan Montgomery (USA) – 15:38:35
  8. Jeff Colt (USA) – 15:42:09
  9. Cole Watson (USA) – 15:54:36
  10. Janosch Kowalczyk (GER) – 16:09:19


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