Innsbruck Alpine Trailrun Festival 2019 - K65

von Erik 



Die Waden brennen. Die Oberschenkel sind müde und kraftlos. Mir fehlt die Energie. Ich mühe mich einen der vielen steilen Anstiege hinauf. Schritt für Schritt, Schritt für Schritt...

Ich denke: "Noch langsamer nennt man dann stehen." Wie so oft hilft mir die Erfahrung aus anderen Wettkämpfen. Beim Karwendelmarsch im Anstieg zum Gramaisattel hatte ich den gleichen Gedanken und dann ist es noch eine gute Zeit geworden.

Also: Weitermachen!

Für die Endzeit entscheidend ist dieser Anstieg sowieso nur bedingt. Entscheidend ist etwas anderes. Nämlich was oben passiert. Gebe ich der Ermüdung nach und verfalle immer häufiger ins Gehen? Kann ich laufen, aber mit reduziertem Tempo? Bin ich in der Lage, trotz Kraftlosigkeit das Tempo hoch zu halten? Ob das heute eine gute Zeit wird hängt nun davon ab, ob ich es schaffe, auf den letzten 17 Kilometern den Kopf über den Körper siegen zu lassen und dranzubleiben.

Aus welchem Holz bin ich heute geschnitzt?


Innsbruck Alpine Trailrun Festival 2019.

Ich bin zum ersten Mal beim Festival in Innsbruck mit dabei. Simon von Hubatius hatte TrailrunningHD eingeladen. Katrin, Elli und ich haben die Einladung gerne angenommen. Das Festival war uns schon mehrfach positiv aufgefallen.

Ein richtiges Festival, mit sechs Strecken (K7, K15, K25, K42, K65, K85) von 7 bis 85 Kilometern und 400 bis 3400 Höhenmetern. Los geht es schon am Donnerstag mit dem K7 als Nighttrail.

Ich hatte mich nach längerer Findungsphase für den K65 entschieden, Katrin und Elli wollen den K25 machen. Hier werde ich mich mehr auf den K65 konzentrieren, Katrin wird über den K25 noch separat berichten.



Bisher war Innsbruck für mich immer nur die Stadt gewesen, an der man vorbeifährt, wenn es Richtung Süden geht. Bei der Anreise stellen wir fest, dass Innsbruck richtig nett ist. Mittlere Größe von ca. 130 000 Einwohnern, angenehme Atmosphäre, sehr schöne Altstadt, und sowohl nach Norden als auch nach Süden immer die Berge im Blick.



Wir reisen Freitags an und logieren direkt am Inn, wenige hundert Meter vom Eventgelände entfernt. Sehr schön und sehr praktisch!



Wie empfohlen gehen wir direkt, also vor 16 Uhr zur Startnummernausgabe, um dem großen Ansturm zu entgehen und tatsächlich: total leer. Sehr angenehm. Was außerdem angenehm ist, ist das Wetter. Freitag nachmittags hätte es laut Wettervorhersage dauerhaft regnen sollen. Tatsächlich regnet es nur gelegentlich. Noch viel wichtiger ist allerdings, dass sich die Wettervorhersage seit einer Woche für den Wettkampftag sukzessive verbessert hatte. Von "super bescheiden" zu "ganz ok". Anfangs war Regen, saukalt, teils sogar Gewitter und Schneeragen angesagt. Die letzte Vorhersage lautete dann: morgens überwiegend trocken, ab mittags Regenschauer und später anhaltender Regen.

Um es schon mal vorwegzunehmen, am Samstag hatten wir dann ......Traumwetter!! Trocken, Sonne, angenehme Temperaturen. Glück gehabt!

Abends geht es zum Race-Briefing und hier bekommt man erstmals ein Gefühl für die Dimensionen des Events: 3000 Teilnehmer machen das IATF zu einer der teilnehmerstarken Veranstaltungen.


Die aufmerksamste Zuhörerin:



Aufgrund von Schnee und Lawinengefahr muss die Strecke des K85 geändert werden, für unsere Strecken, also K65 und K25 gilt dies nicht. Diese verlaufen niedriger und sind nicht gefährdet.

Dann schnell ins Hotel, alles für morgen herrichten, Absackerbierchen trinken (alkoholfreies Hefeweizen ;-)) und ab in die Falle. Zeitlich ist das aber eh unkritisch, unser Start ist um 8 Uhr.

Viel zu packen gibt es nicht, die Plichtausrüstung ist nicht sehr umfangreich, außer ein paar Gels, Riegeln, Handy, Regenjacke braucht man nicht viel. Stöcke werde ich keine mitnehmen, es gibt keine allzu langen Anstiege, sehr steil sahen die auf dem Profil auch nicht aus und der Lauf soll ja eher flowig sein. Katrin entscheidet sich für Stöcke, bei ihr wird der Gehanteil etwas höher sein. Da es frisch, aber nicht kalt werden soll, entscheide ich mich für kurze Klamotten und zum Start für Armlinge.

Was ich heute auch mal gemacht habe, ist meine Startnummer zu präparieren. Auf das dort abgedruckte Höhenprofil habe ich mir die Durchgangszeiten und die von Kim, meiner Trainerin, vorgegebenen Pulsbereiche notiert.




Samstag, 4.5.19: Wettkampftag!

5.45 Uhr, der Wecker klingelt. Jetzt läuft wie immer alles vollautomatisiert ab: Zuerst Essen und Trinken, es bleiben nur zwei Stunden Verdauungszeit.

Gesichtskontrolle vor dem Spiegel. Auweia. Ich sehe mal wieder so alt aus, wie ich mich gerade fühle. Fühle mich müde und kraftlos. (Ja, ja, ich weiß. Jetzt heißt es wieder: vor dem Wettkampf jammert er nur wieder rum und dann läuft doch alles). Wie auch immer: abwarten und Tee trinken, läuft sich doch meistens raus...

Kontaktlinsen rein, Nasenpflaster auf die Nase, mit dem Vaselineersatz Body Glide alle neuralgischen Bereiche einschmieren, Klamotten an inkl. Regenjacke zum Warmbleiben am Morgen, gepackten Rucksack auf. Habe ich alles? Glaube schon. Bin irgendwie nicht so richtig im Wettkampfmodus. Schon das ganze Wochenende nicht. Komisch, normalerweise bin ich schon Tage vorher fokusiert, diesmal bin ich nicht so recht mit dem Kopf dabei.

Dann um 7 Uhr geht es los. Elli ist ebenfalls gefüttert. Sie ist schon sehr aufgeregt, da sie natürlich merkt, dass etwas Besonderes passiert. Also erstmal in den Park. Gassi gehen, kurz warmlaufen, dann ab zum Start. Ich stelle mich vorne auf, Katrin und Elli müssen ganz hinten starten.

Im Startbereich gehe ich kurz in Gedanken Ausgangslage, Pacing und meinen Plan durch: Durch diverse Krankheiten hat sich einiges an Trainingsrückstand aufsummiert, bin also noch nicht wieder so fit, wie normalerweise zu dieser Zeit. Fühle mich aber trotzdem ganz gut vorbereitet. Das Pacing bzw. der Raceplan sind deshalb leicht defensiv. Eher vorsichtig starten, schauen wie es läuft und ggf. hinten raus Gas geben. Da die 65 km eher noch zu lang sein sollten, den Wettkampf tendenziell als forciertes Training ansehen und nicht alles raushauen.

Der K65 verläuft zuerst nach Norden, dann an der Nordkette entlang Richtung Westen, kehrt zurück ins Tal, dann Anstieg auf die Südseite, man passiert den Natterer See, wo für die K25er Schluß ist. Dann runter nach Innsbruck, wieder auf der Südostseite hoch, runter ins Tal nach Hall und zum Schluss nochmals rauf und an der Nordkette entlang mit ca. 680 Hm. Und zum krönenden Abschluss einen langen Downhill zurück ins Ziel. Es sind also vier Hauptanstiege, ansonsten ist es wellig mit sehr vielen kleineren Anstiegen.

Das von Kim vorgegebene Pacing sieht vor, den erstem Anstieg mit ca. 400 Hm max. mit 155 HF anzugehen. Nicht überpacen. Den zweiten Anstieg mit max. 158 HF, dritten Anstieg mit max. 160 HF, ab dem vierten Anstieg nach Gefühl, ggf. "all out", auf den welligen Stücken max. 152 HF.

Da ich die Strecke nicht kenne, ist es natürlich etwas schwierig eine Zielzeitprognose abzugeben. Normalerweise schaue ich nach den Top-Läufern meiner Altersklasse, oder nach Läufern, die meine Leistungsstärke haben könnten und gleiche das auf der DUV Seite in der Datenbank ab. Wenn man Läufer findet, die in der Vergangenheit die gleichen Wettkämpfe wie man selbst in ähnlichen Zeiten absolviert haben, kann man sich ganz gut einsortieren. Solche Läufer finde ich diesmal allerdings wenig.

Schätze mal, wenn es gut läuft, sollte das so auf 7 bis 7.5 Stunden rauslaufen. Wenn es top läuft eventuell unter 7. Der Sieger meiner AK hatte letztes Jahr ca. 6:40h. Verdammt! Wie hieß der noch gleich? Habe vergessen, mir den Namen rauszuschreiben. Bin diesmal echt nicht mit dem Kopf dabei. Ich schaue mich im Startbereich um. Direkt hinter mir steht ein hochaufgeschossener Läufer, der mein Alter sein könnte. Sieht auch sehr fit aus. Auf der Startnummer steht Heinz. Heinz, Heinz? Könnte er sein. Ich merke mir Heinz, vielleicht sehen wir uns auf der Strecke und ich kann mich an ihm orientieren.




Dann, wie immer, 15 Minuten vor dem Start noch ein Gel essen und direkt vor dem Start 500ml. trinken. Deshalb direkt vor dem Start, weil man sonst auf die Toilette müßte, da man voll hydriert an den Start geht. Wenn man sofort losläuft, bleibt es drin.

Die Stimmung im Startbereich ist gut und entspannt, der Countdown beginnt, es wird runtergezählt, der Startschuß kommt und - los geht's.

Zuerst macht die Strecke einen Schlenker durch die Altstadt, biegt zum Inn ein, an dem es entlanggeht, bevor man ihn überquert. Und nach ca. 1,5 Km geht es dann auch schon in den ersten Anstieg. Bleibt also nicht viel Zeit zum Warmlaufen. Beine fühlen sich auf dem ersten Kilometer eher müde an. Beschließe deshalb, mich erstmal schön warmzulaufen und den Puls eher niedrig zu halten. Vorgabe war max. 155, ich bleibe unter 150.

Da beschleicht mich irgendwie das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Irgendetwas ist heute anders, fühlt sich anders an. Und da ich gerade über meine HF nachdenke, komme ich auch relativ schnell drauf, was es ist: Ich habe vergessen meine Pulsgurt anzuziehen!! Oh Mann. Das kann ja wohl nicht wahr sein. So blöd kann man ja echt nicht sein, ich scheine wirklich meinen Kopf wo anders gelassen zu haben. Ganz so schlimm wie früher sind aber die Konsequenzen meiner Vergesslichkeit nicht. Mit dem Polar Vantage habe ich vor kurzem einen neuen Pulser gekauft und anders als mein alter hat der auch Pulsmessung am Handgelenk. Das funktioniert bei mir zwar nicht wirklich gut, es gibt häufig Ausreißer - aber besser als nichts. Jetzt könnte ich mich ja an der Wattzahl orientieren, die mein Pulser auch anbietet. Wenn ich mir denn die Werte vorher angeschaut hätte....

Was soll's. Dann laufe ich heute halt mehr nach Gefühl.

In diesem Moment überholt mich ein jüngerer Läufer in einem blauen Laufshirt. Kopf im Nacken und im "Jim Walmsley Gedächtnisschritt". Wie ein Dops-Ball. Bei jedem Schritt hebt er mindestens 20 cm vom Boden ab. Bei mir sind das eher 2cm. Der wird mit diesem Laufstil dann wohl eher nichts mit dem Ausgang des Rennens zu tun haben ...

Dann geht es an den ersten Berg. Es ist nicht besonders frisch und sehr feucht. Ich schwitze wie ein Schwein. Schön dosieren. Habe relativ schnell das Gefühl, dass heute die Beine der limitierende Faktor sind.

8.43 Uhr

Auf welcher Position man liegt, ist zu Beginn des Rennens nicht zu sagen. Da K65 und K25 zusammen gestartet werden, hat man also nicht nur Läufer des eigenen Wettkampfes um sich. Ich übe mich wieder mal in Charakterstärke und lasse mich konsequent überholen. Manchmal erhascht man dabei mit einem Seitenblick die Startnummern. Es sind viele orangefarbene Nummern dabei, also K65er. Da dürften sich einige mit dem Anfangstempo etwas verschätzen.

So geht es nun den ersten Anstieg hinauf. Ich gehe mehr, als ich vorher angenommen hatte. Auf dem Profil sah das nicht so steil aus, aber ich will erstmal reinkommen und gehe deshalb im Zweifel auch Stellen, die ich normalerweise gut laufen könnte.

Alles in allem geht der erste Berg ganz passabel. Da die Beine sich aber immer noch nicht locker anfühlen, beschließe ich, die Downhills tendenziell nicht forciert zu laufen, sondern eher zur Erholung der Beine zu nutzen. Die Bergabpassagen fühlen sich dann auch gleich sehr gut an. Ich habe auch das Gefühl, dass es die richtige Entscheidung war, in den Hoka One One Speedgoat zu laufen und nicht mit den Dynafit Feline, die ich meistens anhabe. Die hervorragende Dämpfung ist, gerade wenn man noch nicht wieder perfekt trainiert ist, vor allem bergab eine riesige Hilfe. Das schont den ganzen Bewegungsapparat und man ermüdet deutlich langsamer. Fühlt sich heute nach cruisen an. Sehr schön.

So spucken mich die Wälder der Nordkette irgendwann wieder aus, das Tal wird durchquert und es geht auf den zweiten Anstieg in südlicher Richtung. Obwohl ich mir die Durchgangszeiten auf meine Startnummer geschrieben habe, habe ich an den ersten beiden Verpflegungsstationen natürlich nicht draufgeschaut. Habe trotzdem den Eindruck, recht flott unterwegs zu sein. Vielleicht denke ich ja beim nächsten Mal daran.

Bisher habe ich, trotz der Tatsache, dass ich keinen Pulsgurt anhabe, häufig auf den Puls geachtet. Mein Eindruck ist, dass die Messung sehr schlecht funktioniert. Viele Ausreißer nach oben und ständige Veränderung. Das kann nicht sein. Werde also ab sofort nach Gefühl laufen. Die Beine sollten sich am Berg nicht überlastet anfühlen, so dass ich im Flachen und bergab flottes Tempo anschlagen kann.

Der zweite Anstieg, von dem ich dachte, der wäre flacher als der erste und insgesamt nicht besonders steil, hat es dann doch in sich. In Teilen sind die Steigungen doch recht giftig.

Inzwischen hat sich mein allgemeines Wohlbefinden verbessert. In der ersten Stunde habe ich mich nicht gut gefühlt und deshalb auch nichts gegessen. Nun versuche ich konsequent an jeder Station etwas zu mir zu nehmen, bzw. mitzunehmen und unterwegs zu essen. Ich trinke immer Iso, das bringt auch ein paar Kalorien. Zum Glück gibt es dann irgendwann Clif Bar Shot Bloks. Endlich kann ich mal so viele "Gummibärchen" essen, wie ich will.

So langsam nähere ich mich der ersten größeren Zwischenstation: Natterer See. Dies wird dann auch für Katrin und Elli später das Ziel sein. Ich hoffe, dass bei den beiden alles klappt und sie ihren Spaß haben. Bin mir aber eigentlich sicher. Elli ist zur Zeit super fit, sie trainiert abwechselnd mit mir oder mit Katrin. Und Katrin ist auch fitter als letztes Jahr. Nicht nur, dass sie sich diesmal entschieden hat, nach einem von Michael Arends Trainingsplänen zu trainieren, sondern auch weil sie diesmal den Plan tatsächlich durchzieht. Es soll schon vorgekommen sein, dass Pläne so an die eigenen Bedürfnisse angepasst wurden, und am Ende nur ca. 25 % vom Plan übrigblieben. ;-)

Der letzte giftige Anstieg ist geschafft, endlich sind auch mal viele Zuschauer da, richtig viel los am Natterer See. Ich schwenke in den Kanal für den K65 ein und freue mich auf die Verpflegung.

10.30 Uhr

Die gibt es auch. Und zwar in einer Sackgasse. Häh, was? Muss ich wieder zurück? Hatte garkeinen Wegweiser gesehen. Auf die Frage ob ich zurück muss und wo es dann weitergeht, meint die nette Dame an der Verpflegungsstation: "Ja, zurück. Wohin weiß ich nicht so genau, ich kenne mich hier nicht aus. Irgendwie geradeaus, glaube ich." Das gibt mir jetzt ein richtig sicheres Gefühl richtig zu laufen. Drehe halt mal um und laufe zurück.

In diesem Moment kommt mir Heinz entgegen. Der große Läufer aus dem Startbereich, von dem ich annehme, dass er der Vorjahressieger ist. Verdammt. Jetzt schon holt der mich ein.

Natürlich will ich heute mein eigenes Rennen laufen. Aber die Hoffnung, in meiner Altersklasse vorne reinlaufen zu können, hatte ich schon. Oft sind irgendwelche schnellen Leute mit dabei, die man nicht kennt. Und wenn Heinz mich hier schon einholt, wird es mit dem Podest wahrscheinlich schwierig.

Aber er muss erstmal zur Verpflegung, einen kleinen Vorsprung habe ich ja noch. Und das motiviert mich, trotz der leichten Müdigkeit und Kraftlosigkeit in den Beinen, die sich inzwischen eingestellt hat, weiterhin das Tempo hochzuhalten. Vielleicht kann ich ihn ja bis Hall auf Distanz halten und dann schauen wir mal.

Ach ja. Die Durchgangszeit? 10.30 Uhr. 10.30 Uhr? Ich schaue auf meine Startnummer: 10.34 Uhr am Natterer See. Das sind die offiziellen Durchgangszeiten bei Zielzeit 6:28h. Wow, nicht schlecht.

Nach dem Natterer See steht nun erstmal welliger Downhill an. Und so versuche ich, schön ins Rollen zu kommen. Geht auch ganz gut. So laufe ich auf einen Läufer auf, den ich schon ein paar mal gesehen hatte. Gelbes Hemd, dünn, super schlanke, definierte Beine, vor allem Waden. Sieht gut aus, wie der läuft. Von hinten sieht er nach 35 aus. Es stellt sich dann heraus, dass er 55 ist!

Sehr schön. Hatte ich die ganze Zeit nach Heinz Ausschau gehalten und nun stelle ich fest, dass ich mich mal besser nach vorne orientiert hätte. Im dann folgenden Downhill bin ich schneller und versuche auch halbwegs Gas zu geben. Wenn ich was raushole, dann bergab. Und wenn ich auf die Platzierung schiele, muss ich bis Hall etwas herausholen, danach kommen nochmal 680 Hm...

Da fällt mir noch ein anderer Läufer auf: Blaues Hemd, Kopf im Nacken, federnder Laufstil, immer noch 20 cm über dem Boden schwebend. Kann ja wohl nicht wahr sein. Von wegen "hat nichts mit dem Ausgang des Rennens zu tun". Wir sind hier bei rund 40km und der ist immer noch vorne dabei. Respekt!!

Zusammen mit dem blauen und dem gelben Läufer habe ich vor dem Downhill zurück ins Tal eine Läuferin überholt. Das Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor. Ist das nicht Denise Zimmermann, die Schweizer Top-Läuferin? Später stellt sich heraus, da sie es tatsächlich war. Denise ist den K85 gelaufen und hat ihre AK in 11:19 gewonnen.

12.22 Uhr

Bei einer der vielen Kontrollstellen hatte ich gefragt, auf welcher Position ich liege: Rang 17. Das kann bei meiner Durchgangszeit nur bedeuten, dass das Feld 2019 deutlich stärker ist, als 2018. Oder die brechen alle noch ein. Wir werden sehen.

12.22 Uhr


So geht es dann hinunter ins Tal nach Hall. Das ist die zweite große Zwischenstation. Knapp km 50. Ab hier sind es also noch ca. 17 Kilometer. Der letzte Anstieg. Zur Verpflegungssation laufe ich zusammen mit dem blauen Läufer ein. Greife mir ein paar Shot Bloks, Flaschen auffüllen, weiter. Der blaue Läufer bleibt stehen und verpflegt sich in Ruhe, vom gelben Läufer ist noch nichts zu sehen.

So. Noch ca. 17 Kilometer, noch ca. 700 Hm. Bin verdammt müde und kraftlos. Jeder Anstieg ist mühsam, so langsam habe ich das Gefühl, dass mir der Saft ausgeht. Aber für solche Momente hat man ja seinen Motivations-Tool-Werkzeugkasten mit dabei. Für Hall hatte ich mir überlegt, den Eiger E101, Pfingstegg zu visualisieren. Das ist auf dem E101 der letzte Anstieg, da hat man es quasi geschafft und 2017 ging es ab da bei mir richtig gut.

Und so stelle ich mir Pfingstegg vor. Letzter Anstieg, nur noch 17 Kilometer. Ist doch pillepalle. Und wenn ich demnächst den letzten Anstieg geschafft haben werde, kommt die Belohnung: der finale Downhill.

Fühlt sich gut an. Und so laufe ich raus aus Hall, und - sehe eine sausteile, fiese Asphaltrampe vor mir. Boa. Schon wieder steil! Egal. Rauf! Vorteil ist, dass man recht gut Überblick nach hinten hat. Als ich oben ankomme drehe ich mich um. In der Mitte der Rampe sehe ich den blauen Läufer, am Fuße der Rampe den gelben Läufer. Und der ist relevant, da er in meiner AK läuft. Dürften so drei, vier Minuten Vorsprung sein. Also alles offen. Nachlassen geht nicht, jetzt gilt es auf dem Gaspedal zu bleiben. Ich nehme mir vor, solange von den beiden AKlern keiner von hinten kommt, so schnell wie möglich zu laufen wie es geht ohne mich völlig zu verausgaben. Soll ja schließlich ein forcierter Trainingslauf sein und kein Voll-Stoff-Wettkampf. ;-)

Das Profil ist in der Folge dann nicht ganz so konstant wie erwartet. Die Steigungen sind doch sehr unterschiedlich, es gibt immer wieder auch sehr steile Anstiege.

Und so schlägt immer mehr durch, was sich von Anfang an bemerkbar gemacht hatte: Ich bin deutlich besser trainiert im Laufen im Vergleich zum Gehen. Und die steilen Einheiten muss ich immer gehen. Meine Waden sind inzwischen entsprechend gestresst. Ich drehe mich deshalb immer mal wieder kurz um mit dem Gesicht zum Tal, um den Druck von den Waden zu nehmen und diese kurz auszuschütteln. Kostet nur wenige Sekunden und hilft Krämpfen und Verhärtungen vorzubeugen. Trotzdem ist nun langsam kein Saft mehr da.

Und so komme ich mal wieder an einen besonders steilen Anstieg. Mit den beiden Läufern, auf die ich aufgelaufen bin trete ich in den Wettbewerb "wer leidet am schönsten". Einer der beiden bleibt stehen und hält sich an einem Geländer fest.

So finde ich mich in der Situation, die ich zu Beginn beschrieben habe: Die Waden brennen. Die Oberschenkel sind müde und kraftlos. Mir fehlt die Energie. Ich mühe mich den steilen Anstieg hinauf. Schritt für Schritt, Schritt für Schritt.

Kurz vor dem Gipfel denke ich: "Jetzt wird sich zeigen, aus welchem Holz du heute geschnitzt bist. Bleibst du jetzt dran, oder was?" Aber ich bin mir sicher, dass ich heute durchziehe. Und wie ich so vor mich hindenke, schreit es von hinten: "Links!" Wäre ich doch glatt falsch abgebogen...

Beim folgenden Gefälle merke ich, dass bergab immer noch gut geht. Super. Das macht Laune. Freue mich wieder auf den letzten Downhill.

Inzwischen habe ich etwas das Gefühl fürs Profil verloren. Ist das jetzt schon der letzte Anstieg? Bin mir nicht sicher. Frage einen Läufer, den ich überhole. Er meint ja, jetzt geht es wohl nur noch bergab. Freue mich, schaue auf die Uhr und bin erstaunt. Wenn es jetzt nur noch bergab geht, könnte das eine geniale Zeit werden. Vielleicht sogar Richtung 6:30 Uhr? Die nächste Kurve belehrt mich eines Besseren. Es war nicht der letzte Anstieg, vor mir liegt die nächste Rampe. Oh, Mann. Aber was soll's, die schaffe ich jetzt auch noch. Und so mache ich einfach immer weiter, was ich das ganze Rennen über gemacht habe, auf Zug den Berg hoch und flowig wieder runter. So komme ich endlich auf den finalen Downhill. Schöner Singletrail, gefühlte hundert Serpentinenkurven, noch ein paar technische Wurzelpfade, die Stadt rückt näher. Wow, ich habe es geschafft, das war ein hartes Stück Arbeit. Atme tief durch, das positive, sehr emotionale Gefühl stellt sich ein, das ich immer habe, wenn es auf den letzten Kilometer geht. Gänsehaut, Glücksgefühl. Jetzt Tempo noch mal hochhalten, das gehört zum letzten Kilometer dazu.

So biege ich auf die Zielgerade ein. Kurz vor dem Ziel sehe ich Katrin und Elli stehen. Freu mich, die beiden zu sehen. Elli freut sich ebenfalls. Und zwar so sehr, dass sie sich losreißt, um mich zu begrüßen.


Letzte Kurve, rein ins Ziel. Geschafft.




Erstmal tief durchatmen. Auch im übertragenen Sinn. Das war ein hartes Stück Arbeit und heute lief es nicht so ganz locker und von alleine. Umso besser, wenn man es dann trotzdem schafft, immer dranzubleiben und durchzuziehen.



Bin super zufrieden und sehr stolz. Blick auf die Uhr: 6:50:44. Super. Unter sieben Stunden. Damit hätte ich nicht gerechnet. Passt!

Im Zielbereich gibt es Erdinger Alkoholfrei. Sehr gut. Davon schütte ich mir erstmal vier Stück hinter die Binde.




Übrigens, das unter dem Laufshirt ist kein Bauch. Und wenn, dann nur ein kleiner Bauch. Und außerdem: Bis zum ZUT ist er weg. Wenn es denn einer wäre. ;-)

Lange haben wir uns dann nicht im Zielbereich aufgehalten. Bin total müde und freue mich auf Hotel und mein Bett. Erstmal kurz duschen und dann die Gräten von mir strecken. Darauf freue ich mich jetzt.

Das machen wir dann auch. Allerdings ist an schlafen nicht zu denken. Die Beine kribbeln und die Knie tun weh. Auch mehrfaches kaltes Abduschen hilft nur bedingt. Tja, da zeigt sich, dass nicht ausreichende Vorbereitung auf so langen Distanzen ordentlich durchschlägt. Da ich eh nicht schlafen kann, nutze ich die Zeit um die TrailrunningHD-Kommunikation aufzuarbeiten. Sabine und Andrea hatten sich schon während des Rennens mehrfach gemeldet und sind nach dem Wettkampf in intensiven Austausch mit Katrin getreten. Nach zwei Stunden habe die geschätzten 500 Nachrichten durchgeackert. ;-)

Und was darf ich u.a. lesen: Ich habe die AK gewonnen und bin insgesamt 10er geworden. Wow, das ist ja super. Bin total zufrieden. Vor allem mental war das ein sehr wichtiges Rennen für mich. Nachdem ich 2018 mit Eiger und Traildorado zwei Rennen habe abbrechen müssen und das schon zu nachhaltigem Selbstzweifel geführt hatte, habe ich heute gesehen, dass ich doch auch bei schwierigen Bedingungen nicht nur durchziehen kann, sondern auch in ansprechendem Tempo und mit gutem Ergebnis.

Und so entlässt mich das Innsbrucker Wochenende mit einem richtig guten Gefühl. Aber bevor es nach Hause geht, steht noch etwas an. Richtig: Finisherparty mit Siegerehrung.

Podium Herren K65, Men, Master Men, Senior Master Men

Monetär hat sich das Ganze natürlich auch gelohnt. ;-) Hier die Siegerprämie:

Latschenlikör mit Flachmann auf Holzbrett

Zusammenfassend kann man sagen, dass Innsbruck eine Reise wert ist. Als Stadt sowieso, aber auch wenn es um das Innsbruck Alpine Trailrun Festival geht. Tolle Veranstaltung, gut organisiert und sehr sympathisch. Man merkt, dass hier sehr viele Menschen mit großem Engagement und Herzblut bei der Sache sind.

Wie immer gibt es natürlich auch ein paar Sachen, die man besser machen kann. So könnte man die Markierung der Strecke noch etwas verbessern, auch wenn das in weiten Teilen schon sehr gut ist. Manchmal war ich mir nicht sicher, ob ich richtig bin und habe Wanderer gefragt. Am Natterer See sollte klarer markiert sein, wo es lang geht und vielleicht könnte man für die Beflaggung hellere Farben nehmen. Eventuell ließe sich der Asphaltanteil und die Häufigkeit von Stadt- bzw. Ortschaftsdurchquerung reduzieren. Kilometerschilder, wenigsten gelegentlich mal, wären auch nicht schlecht. Und Riegel an den VPs nicht in mikroskopisch kleine Stückchen zu zerbröseln würde auch helfen. Dann könnte man die nämlich mitnehmen...

Wenn man den Asphaltanteil erwähnt, muss man natürlich auch auf die vielen schönen Trails hinweisen. Die gibt es nämlich reichlich. Immer wieder super flowige, schöne Singeltrails zum rollen lassen und genießen. Das ist dann Trailrunning pur. So soll es sein. Alles in allem auf jeden Fall eine sehr schöne Strecke.

Was hingegen super war, war die riesige Freundlichkeit. Wirklich jeder Helfer und jede Helferin, ob an der Startnummernausgabe, an den VPs oder wo auch immer, waren super freundlich und positiv. So macht das Spaß. Und deshalb auch ein riesengroßes Dankeschön an alle Beteiligten.

Und Katrin und Elli? Bei denen lief es auch sehr gut und die beiden hatten ihren Spaß. Während ich nach dem Rennen auf dem Bett lag und wegen meiner schmerzenden Beine gejammert habe, hat mir Katrin alle fünf Minuten erzählt, dass sie ihre Beine gar nicht spürt und sich richtig gut fühlt. Und Elli versucht uns beim Abendspaziergang zu  motivieren, noch ein Stündchen "Stöckchen holen" zu spielen. Ich glaube, ich mache war falsch.....

Wie auch immer, das war ein tolles Wochenende, das viel Spaß gemacht und sehr viel Vorfreude auf die nächsten Events produziert hat.

Trailrunning ist doch einfach genial.

In diesem Sinne: See you on the Trails...





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