5 statt 50

von Sabine



Eigentlich wollte ich am letzten Samstag im Januar den Rodgau Ultra laufen. Nach einer sehr ambivalenten Saison 2018, die schon im Winter mit zwei Stürzen und einer langwierigen Schulterverletzung begann und dann mit zwei DNFs endete, wollte ich gleich zu Anfang der Saison mit einem Finish beim Rodgau 50 ein Zeichen setzen. Und tatsächlich hatte mir das Ziel „Rodgau“ genug Feuer unterm Hintern gemacht. Nach einem recht trainingsarmen Herbst habe ich im Dezember das Steuer herumgerissen und bin wieder in konsequentes Training eingestiegen.

Das Problem: Seit 2012 trainiere ich vorwiegend für Ultramarathons. Und seit Juli 2018 war die Zahl der langen Einheiten in meinem Lauftraining sehr überschaubar gewesen. Das heißt: Ich musste gleichzeitig an zwei Fronten arbeiten: An der Verbesserung der Grundschnelligkeit und an der Verbesserung der Ausdauer. Vor allem bei diesem zweiten Punkt merkte ich, dass mein Körper sich einer zu schnellen Steigerung der Umfänge verweigerte.

So kam ich zwei Wochen vorm Rodgau 50 zum Schluss, dass es – wie auch 2018 - in diesem Jahr keinen „ganzen Rodgau“ geben wird, sondern maximal 30km. Dann kam mir aber ein zweiter Gedanke: Das wäre dann der dritte DNF in Serie. War das klug? Physisch sicherlich – denn die 50km kamen zu früh. Aber wie sieht es mit der Psyche aus? Würde ich mit einem erneuten DNF meine Hirnwindungen nicht darauf trainieren, bei Ultras schon vor dem Ziel aus dem Rennen gehen „zu dürfen“. Keine gute Idee …

Es ist gar nicht so einfach einzusehen, dass ein Ziel unsinnig ist, wenn man sich nur lange genug darauf fokussiert hat. Und ich hatte mich darauf fokussiert, schließlich hatte das klare Ziel „Rodgau“ mich wieder zum trainieren gebracht. Aber jetzt musste ich gänzlich umdenken. Think outside the box …

Was tun? Ich würde also in Rodgau nicht starten. Aber trotzdem wollte ich mal wieder auf Zeit laufen. Warum nicht mal einen kurzen, spritzigen Wettkampf? Sozusagen ein organisierter Tempodauerlauf ...

Warum nicht mal einen Parkrun mitmachen?



Parkrun

Paul Sinton-Hewitt hatte 2004 eine Idee: Er veranstaltete den ersten Parkrun im Bushy Park südwestlich von London. Das Event, das damals noch „Bushy Park Time Trial“ hieß, hatte das „Grundgesetz“: Free – Weekly – Timed. Jeden Samstag um 9 Uhr startete dieser 5km Lauf. Kommen konnte jeder, der diese Strecke laufen, joggen oder walken wollte. Und: Für jeden und jede gab es eine Zeitmessung. Alle, die Lust und Zeit hatten, konnten hinterher noch einen Kaffee im nahegelegenen Caffe Nero trinken. Das System „Parkrun“ war geboren.

Sinton-Hewitt war nach einer persönlichen Krise zum Laufen gekommen. Als er dann 2004 seinen Job im Marketing verlor, setzte er sich ein Ziel: Er wollte die viele freie Zeit zum Training auf einen Marathon nutzen. Es kam wie es kommen musste: Laufverletzung! Damit war er nicht nur seines Jobs, sondern auch seines Lieblingshobbies beraubt. An diesem Tiefpunkt seines Lebens sagte er sich: Wenn ich schon nicht laufen kann, dann möchte ich zumindest was zurückgeben. Und er verwirklichte die kleine Idee, die dann so groß werden sollte.

Denn es blieb nicht bei dem Parkrun in Bushy Park. Dieser war schnell so beliebt, dass Parkruns auch an anderen Orten wie Pilze aus dem Boden schossen. In England gibt es viele Parks – und so gab es auch bald viele Parkruns:  Mittlerweile gibt es 590 Locations im Vereinigten Königreich, in denen sich jede Woche samstags um 9 Uhr Läufer versammeln, um auf die 5km Strecke zu gehen. Von ganz schnell bis ganz langsam ist alles vertreten.

Wir haben uns in den letzten Jahren daran gewöhnt, dass von den Britischen Inseln so manche schlechte Idee kam. Stichwort: Brexit. Doch die Idee „Parkrun“ war so gut, dass sie von Großbritannien auf den europäischen Kontinent übersprang und sich von dort aus weltweit ausbreitete. Mittlerweile gibt es Parkruns in 20 Ländern, seit 2017 auch in Deutschland (derzeit 14 Orte).


Run outside the box 

Mir war „Parkrun“ schon vor vielen Jahren untergekommen, als ich im Podcast „Marathon Talk“ immer wieder davon hörte. Als wir dann vor 4 Jahren Sommerurlaub in Wales machten, erzählte der Nachtportier unseres Hotels in Cardiff begeistert vom Parkrun. Leider konnte ich nicht teilnehmen, weil wir für den Samstag schon was vorhatten.

Aber jetzt, auf der Suche nach einem 5 km Lauf, fiel mir der Parkrun wieder ein. Glücklicherweise haben wir einen Parkrun fast direkt vor der Haustür: In Mannheim-Neckarau.

Das System ist gleichzeitig einfach und faszinierend: Man meldet sich einmal an – kostenlos. Dann bekommt man einen Barcode, den man dabeihaben sollte, wenn man einen Parkrun (wo auch immer) mitmacht. Denn mit diesem Barcode können die Ergebnisse personalisiert und in die Ergebnisliste aufgenommen werden.


Besser als gedacht …

Am Samstag ging’s dann also mit Barcode in der Tasche nach Neckarau. Nachts hatte es geschneit, daher waren es nicht die einfachsten Laufbedingungen. Und trotzdem hatten sich 54 Läuferinnen und Läufer am Start eingefunden. Ein bunter, internationaler Mix, hauptsächlich Engländer und Deutsche, aber auch ein Russe und ein Pole waren dabei. Gleich am Anfang wurde vom Veranstaltungsleiter abgefragt, wer First-Timer und wer Tourist ist. „Touristen“ sind Läufer, die schon einmal einen Parkrun bestritten haben, die aber in einer anderen Stadt registriert sind. Da man sich nur einmal anmelden muss und ansonsten einfach nur seinen Barcode mitbringt, kann man in jeder Stadt, in der ein Parkrun stattfindet, ganz einfach und unbürokratisch teilnehmen. Und das ist eine feine Sache: Man läuft in einer fremden Stadt mit lokalen Läufern, bekommt Kontakte, kann ggf. sogar nach dem Lauf mit den anderen noch einen Kaffee trinken. Denn auch die Sache mit dem "Kaffee danach" ist aus dem ersten, von Paul Sinton-Hewitt organisierten Parkrun erhalten geblieben.




Insgesamt ist beim Parkrun alles low-key gehalten und funktioniert doch: Eine wasserfeste Unterlage dient als Gepäckdepot, eine Startnummernausgabe braucht es nicht, Start und Ziel sind durch zwei gelbe Schilder markiert. Die Strecke ist mit gelben Mini-Markierungskegeln gut ausgeschildert, es gibt sogar zwei Streckenposten. Auch ein Fotograf ist vor Ort und lichtet alle Läufer ab, die nichts dagegen haben. Veranstaltungsleiter, Fotograf, Streckenposten, Zeitnehmer – sie alle sind freiwillige Helfer. 

Bevor wir uns zur Startlinie begeben, wird zunächst mal diesen Helfern gedankt und applaudiert. Eine schöne Geste, denn die Freiwilligen bei Laufveranstaltungen werden nur zu oft für selbstverständlich genommen. Am Start gibt’s ein Gruppenbild, dann erfolgt das Startkommando – und los geht’s.




Ich laufe los. Ein bisschen zu schnell, denn ich bin recht weit vorn gestartet und wundere mich, dass mich in den ersten Minuten kaum jemand überholt. Ich korrigiere mein Tempo. Die ersten, die an mir vorbeiziehen sind zu schnell. Dann aber, etwa nach 1 ½ km, überholt mich ein Läufer, der sich aber nicht von mir absetzen kann. Bei mir wird’s zwar schwerer, aber ich habe jetzt mein Opfer gefunden, an dem ich mich „festbeiße“. So traben wir im Zweierpack dahin, zuerst in Richtung Stadt, dann – nach etwa der Hälfte der Strecke – geht’s in spitzem Winkel zurück. Der Weg ist zwar etwas rutschig, aber der Schnee behindert nicht allzu sehr.

Da der erste Teil des Rückwegs parallel zum Hinweg verläuft, kann ich die langsameren Läufer und Läuferinnen sehen. Ich stelle fest, dass das gar nicht so wenige sind – und diese Feststellung gibt mir Auftrieb.




Noch mehr Auftrieb bekomme ich, als ich von Weitem Andrea sehe. Sie ist dankenswerterweise mitgekommen, läuft aber nicht mit (was sie später bereuen wird). Aber sie macht ein paar Fotos, und begleitet mich dann ein ganzes Stück in Richtung Ziel.

Mittlerweile sind es nur noch knapp 1,5 km. Es wird zwar zunehmend schwer, aber jetzt will ich’s wissen. Ich verschärfe mein Tempo und überhole den Läufer, der mich die ganze Zeit so wacker gezogen hat. Danke übrigens! 😉

Ich kann mich tatsächlich absetzen. Schnell hole ich auch ein Pärchen ein, das etwa 100 Meter vor mir lief. Auch hier das gleiche Spiel. Ich hänge mich kurz hintendran, verschnaufe etwas, und dann überhole ich die beiden und versuche mich nicht mehr einholen zu lassen.




Meine Pulsuhr sagt mir, dass das Ziel nicht mehr weit sein kann. Gut so, sehr viel länger könnte ich die Geschwindigkeit nicht durchhalten. Und dann – tatsächlich – sehe ich die „Gelbwesten“. Das sind in diesem Fall keine protestierenden Franzosen, sondern die Helfer vom Parkrun.

Kurzer Applaus, dann habe ich den ersten 5km Lauf seit ewiger Zeit gefinisht. Der hat wie immer weh getan, aber die Erholung geht auch sehr schnell. Ich bekomme einen Token in die Hand gedrückt, eine weitere Helferin scannt den Token und meinen Bar-Code und „verknüpft“ damit die Information über den Rang im Ziel und die Angaben zu meiner Person. Ein wahnsinnig effizientes und einfaches System!

Andrea und ich stehen noch eine gewisse Zeit im Ziel und applaudieren den Läufern und Läuferinnen, die nach mir finishen. Auch ein Hund ist dabei …

Schließlich wird es dann doch kalt, und so gehen wir zurück zum Auto. Wir sind gerade zu Hause, als eine e-mail auf meinem Handy aufpoppt: Es ist mein Ergebnis vom Parkrun, das mir direkt nach Abschluss des Laufs mitgeteilt wird. Wow – das hätte ich nicht erwartet! Ich kann auch gleich die Ergebnisliste einsehen. Und auch hier bin ich positiv überrascht: Ich bin 7. Frau und erste meiner Wettkampfklasse.

Das war für mich eine rundum gelungene „Premiere“ beim Parkrun. Das Konzept gefällt mir. Das war sicher nicht das letzte Mal … Schließlich stehen auch fürs Ultra-Training immer wieder Tempodauerläufe an – die kann man wunderbar im Rahmen des Parkrun absolvieren. Und zum "Kaffee danach" werden wir dann auch bleiben. 😉






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