GLEICHMÄSSIG LAUFEN AM BERG - Theorie trifft Praxis

von Sabine

Schon Faust wusste: Grau ist alle Theorie. Als Erik sich mit den Tabellen beschäftigte, die ich im letzten Blog-Post vorgestellt habe, sind ihm zwei Ungereimtheiten aufgefallen: Zum einen stimmten die Höhenmeter nicht (dieser Fehler war leicht zu beseitigen), und zum zweiten verglich er die Vorhersagen mit den Splits des Siegers und der Siegerin von 2016 – und da ergaben sich deutliche Abweichungen.

Grund genug für mich, eine neue Excel-Tabelle zu öffnen und den Vergleich mit der Praxis – nämlich mit den Laufzeiten von 2016 – mal auf eine breitere Datenbasis zu stellen.

Dazu suchte ich mir insgesamt je 60 Läufer und Läuferinnen des E101 und des E35 aus: Bei beiden Läufen jeweils die Top 10 der Männer und Frauen, dann je 10 Männer und Frauen aus dem vorderen Mittelfeld und schließlich 10 Läufer und Läuferinnen, die bei den langsameren Zielzeiten zu finden waren. Ich schaute mir dann die Äquivalenzgeschwindigkeiten an, also die Geschwindigkeiten die sich aus den tatsächlich gelaufenen Splits und der Leistungsäquivalenzstrecke ergibt. Und diese Leistungsäquivalenzstrecke bedeutet: Wie lang ist eine flache Strecke, für die ich gleich viel Energieleistung benötige wie für die jeweilige, hüglige oder bergige Strecke. Genau erklärt ist das hier.

Wenn die Läufer alle Strecken konstant laufen würden und die Strecken hinsichtlich ihres Schwierigkeitsgrades vergleichbar wären, dürfte sich diese Äquivalenzgeschwindigkeit über den Lauf nicht verändern.

Tut sie aber doch, und zwar gewaltig! Und von diesen Schwankungen kann man einiges lernen – über die Läufer, aber auch darüber, wie gut das Modell zur Vorhersage der Laufgeschwindigkeit funktioniert.

Entwicklung der Äquivalenzgeschwindigkeit über die Gesamtlaufstrecke beim Eiger Ultra Trail E101


Entwicklung der Äquivalenzgeschwindigkeit über die Gesamtlaufstrecke beim Eiger Ultra Trail E35

  1. Alle rennen zu schnell los - sowohl beim E35 als auch beim E101. Damit man die unterschiedliche schnellen Läufer und Läuferinnen miteinander vergleichen kann, habe ich bei der Graphik unten die Geschwindigkeiten auf die „Anlaufgeschwindigkeit“ zwischen Start und erster Zwischenzeit „normalisiert“. Wie gesagt: Eigentlich sollten die Werte dann für alle Läufer bei 1 bleiben, aber dem ist nicht so. Es gelingt nicht einmal den Spitzenläufern, die anfangs angeschlagene Geschwindigkeit zu halten. Je langsamer aber die Läufer, umso stärker wird der Leistungsabfall über die Strecke – sie erreichen auf den zweiten 50 km gerade noch 50-70% ihrer Laufleistung, mit der sie gestartet sind. Also: alle stürmen zu schnell los, aber die langsamen Läufer scheinen es bezogen auf ihre letztendliche Leistung sehr viel mehr zu übertreiben. Und das große Losstürmen ist spätestens bei der ersten Zwischenzeitnahme am First zu Ende – gerade für die langsamen Läufer ist dann oft schon der Drops gelutscht, weil sie sich vorher zu sehr ausgepowert haben.

  2. Ein verwunderlicher Effekt passiert im E101 bei einem der steilsten Aufstiege: Dem Aufstieg zwischen Wengen auf den Männlichen. Er scheint der große Gleichmacher zu sein: Quer durch alle Leistungsklassen bewältigen die Läufer diesen Aufstieg mit etwa 75% ihrer Startgeschwindigkeit (bezogen auf die Äquivalenzleistung). Die schnellen Läufer verlieren hier, während die langsamen zulegen.

  3. Beim E35 kann man auch den Ermüdungseffekt erkennen, allerdings ist er sehr viel geringer ausgeprägt als bei E101. Das ist aber auch nicht verwunderlich. Und auch hier sieht man, dass zwischen Alpiglen und Ziel nochmal Kräfte mobilisiert werden – ein langgezogener Endspurt sozusagen.

  4. Ebenfalls für alle gilt: Ab Alpiglen „riecht man den Stall“ – auch wenn mit der Schleife Marmorbruch – Pfingstegg nochmal ein gemeiner Anstieg wartet, schaffen es alle Läuferklassen, am Schluss nochmal eine Schippe draufzulegen und die Leistung zu erhöhen.

  5. Wenn schon die Läufer hinsichtlich ihrer Konstanz nicht sehr zuverlässig sind, so hat auch das Leistungsäquivalenz-Modell Defizite bzgl. der Zuverlässigkeit: Bei den sehr steilen Anstiegen scheint das Leistungsäquivalenzmodell die Anstrengung etwas zu überschätzen (oder die Läufer laufen einfach keinen gleichmäßigen Puls). Noch gravierender sind die Abweichungen in den beiden langen, sehr steilen Abstiegen (nach Burglauenen und Alpiglen): hier laufen alle – also auch die Spitze - sehr viel langsamer als vorhergesagt. Hier scheint die Strecke das limitierende Element zu sein – da kann man es eben nicht wirklich rollen lassen …

Ich habe jetzt mit diesen Faktoren nochmal 3 Modelle gerechnet. Dabei verwende ich die real gelaufenen Zeiten der drei Gruppen als „Stützstellen“ an den Durchgangspunkten, bei denen die Zwischenzeit genommen wird. Zwischen diesen Stützstellen habe ich die Laufzeiten nach dem Leistungsäquivalenzmodell berechnet – zusammen ist daraus sozusagen ein Mixed-Modell geworden.

Hiermit gibt es nun keine Diskrepanz mehr zu den Zeiten der Läufer im letzten Jahr. Und gleichzeitig – das ist vor allem für die Langsameren von uns von Bedeutung – kann man jetzt nochmal einen Blick auf die Cut-Off Zeiten werfen: Mit dem reinen Leistungsäquivalenzmodell sah es so aus, als ob beim E101 die Cut-Offs an der Großen Scheidegg, am Bort und First besonders kritisch sind, während beim E35 der Cut-Off am Männlichen das größte Problem darstellt. Das relativiert sich mit dem neuen Modell: Denn durch die zunehmende Ermüdung sind es eher die späteren Durchganspunkte, die nicht auf die leichte Schulter genommen werden dürfen. Oder: Wenn man die Geschwindigkeit schon nicht halten kann, dann muss man an den frühen Durchgangspunkten ein bisschen Puffer auf die Cut-Off Zeit herauslaufen.

Die Alternative ist – und das wäre noch besser – man zieht die Lehre aus den Berechnungen: Leute, lauft nicht zu schnell los! Versucht Euch einzuteilen und ein paar Körner für die zweite Hälfte aufzuheben. Das gilt ganz besonders dann, wenn man nicht zu den Top Ten gehört :-).

Wir werden auch versuchen, uns daran zu halten …

See you on the trails.


P.S.: Vielen Dank für die Antworten auf den letzten Blog Post - sie haben mir gezeigt, dass ich nicht die einzige bin, die Excel-Gymnastik für eine wichtiges Cross-Training in Vorbereitung auf Ultra-Läufe hält :-). Und wie beim letzten mal: Wer Interesse an der modifizierten Tabelle hat, bitte e-mail an eiger.nordwand.2017@gmail.com. Ich schicke Euch dann die Tabelle zu.





Kommentare

  1. Es macht nut oft auch Sinn schnell loszulaufen und nicht zu trödeln und dann am ersten Berg an den Singletrails Schlange zu stehen. Das kostet nämlich Zeit, die man später in der Mittagshitze (auch Wetter, Uhrzeit, und Wegbeschaffenheit spielen eine Rolle die in Tabellen nicht vor kommt) nicht wieder reinlaufen kann.
    Vielleicht nicht so viel analysieren, einfach mal laufen. Wenn man schon so professionell an ein Vorhaben herangeht, dann sollte das mit dem scouten der Strecke beginnen. Ablaufen/Gehen. Da kann man am ehesten schauen wo eigene Stärken und Schwächen sind. LG

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    1. Das mit der Schlange vor den Single Trails ist ein guter Punkt - natürlich wäre es gut, wenn das ALLE etwas gelassener angehen würden (nur zu oft "verirren" sich dadurch durch einen kurzen Sprint Läufer, die leistungsmäßig eher weiter hinten anzusiedeln wären, zu weit nach vorn und "blockieren" auf dem Single Trail den Verkehr. Aber das ist nun mal nicht die Realität ...
      Ansonsten bin ich weniger für ein "entweder-oder" als für ein "sowohl-als auch". Will heißen: Theorie & Scouting. Das Scouting fand am Wochenende statt - und davon gibt es schon einen ersten Post - die nächsten werden folgen.

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    2. welche Zeit habt ihr im Visier?

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    3. Vom Laufpotential her könnte Erik recht weit vorn mitspielen - andererseits war bislang 52km (Karwendelmarsch) sein längster Wettkampf. Daher ist schwer abzuschätzen, wie er diese sehr viel längere Strecke bewältigen wird. Meines Erachtens kann das zwischen 13 und 15 1/2 Stunden alles bedeuten. Seine Einstellung ist aber: Finishen ist die Hauptsache, dazu ist die Welt jenseits der 52 km zu unbekannt. Gute Einstellung, wie ich finde.
      Für uns Damen gilt: Den Cut-offs davonlaufen. Daher schauen wir natürlich auch sehr kritisch auf die Zwischenzeiten ...
      Läufst Du auch mit? Wenn ja, welchen der Laufstrecken? Und hast Du schon Erfahrung mit dem Eiger Ultra?

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    4. 13 bis 15 1/2 Stunden!?
      Vielen Dank Sabine!!
      Leg die Latte doch gleich richtig hoch. Ich könnte ja um den Sieg mitlaufen. Oder Streckenrekord. ;-)
      Ich hätte eher 15 bis 18 gesagt.
      Ich schreibe aber auch noch was dazu...

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  2. Also es war mein erster alpiner Ultra, davor bin ich aber mehrmals im Mittelgebirge bis 90km gelaufen ... was nicht minder anspruchsvoll, nur eben anders ist. Die Höhenluft sollte man nicht unterschätzen, sind wir einen Tag davor erst angereist, war das schon mal 1 Fehler. Auch die knallende Sonne der Mittagszeit fordert ihren Tribut. Auf dem Faulhorn waren die Schneefelder kaum laufbar, bzw nur mit Stürzen zu bewältigen, ebenso fand ich Stöcke unerlässlich. Blasen durch die nassen Füsse kamen hinzu. Lange Asphaltdownhills haben die Oberschenkel weich geprügelt. Es tat richtig weh. Zwischen 13 und 15 1/2 Stunden ... wow ... das ist ne Hausnummer. Ich bin um die 18 Stunden gelaufen und viel mehr als 17:30 wäre sicher nicht drin gewesen ... dazu müsste man dort unten wohnen und das Steigen regelmäßig trainieren. Ich würde es vermutlich nicht so sportlich angehen, auch wenn der Erik vermutlich sehr fit ist, 100km alpin sind eben anders als 50 ... wobei der Eiger eher einfach zu laufen ist ... der Ueli Steck is übrigens 14:35 gelaufen 2016, und an Ausdauer und Erfahrung mangelte es bei ihm sicher nicht ;) ...

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    1. Danke für Dein Feedback zum Eiger Ultra - die Höhenluft ist sicher ein wichtiger Punkt, den man als "Flachländer" mit einem normalen Beruf nicht so leicht überwinden kann. Es sei denn, man stellt sich ein Sauerstoffzelt ins Schlafzimmer (siehe https://hypoxico.com/) - aber zum einen ist das für mich schon ein halbes Blutdoping, und zum anderen gefährdet das jede Ehe ;-)

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    2. Also ne Woche vorher anreisen und mal auf ein bis zwei Berge hoch hat bei mir viel gebracht später 😉

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