TRAILRUNNING: RÜCKBLICK 2023



 

von Sabine

Wieder ist ein Jahr vorbei – und wieder ist Zeit für eine kurze Rückschau auf die Entwicklung, die der Trailrunning-Sport im vergangenen Jahr genommen hat. Das Jahr 2023 war nach den drei vorangegangenen Jahren, in denen Covid immer irgendwie eine Rolle spielte – sei es in USA, in Europa oder in Fernost – endlich wieder ein normales Jahr. Ein Jahr, an dem man wirklich ablesen konnte, wie der Sport durch diese drei „speziellen“ Jahre gekommen ist – und wie er sich auch durch andere Einflussgrößen gewandelt hat. Wir haben ein Jahr gesehen, in dem sich in unserem Sport viel Positives ereignet hat – aber auch einige Auswüchse beobachten können, die wir aus anderen Sportarten kennen. Es gab spannende Rennen bei den „Klassikern“ des Trailrunning-Sports – und gleichzeitig etablieren sich auch wieder neue, unabhängige Rennen und Rennformate. Nein, Trailrunning ist noch nicht in die Jahre gekommen – diese Sportart entwickelt sich weiterhin dynamisch.


 

HIGHLIGHTS UND LOWLIGHTS
 

Ich starte mal mit dem, was für mich DAS Highlight des Jahres war: Die World Mountain and Trailrunning Championships in Innsbruck. Ein hervorragend konzipiertes und organisiertes Event, das Trail- und Berglauf zu den Zuschauern brachte, ohne Abstriche bei den Strecken zu machen. Außerdem hatte man mit dem Frühsommer einen passenden Veranstaltungstermin gefunden – der weder in Konflikt mit der Golden Trail Series stand noch zu dicht am UTMB lag. Nur die wenigen Glücklichen, die einen Startplatz beim Western States hatten, konnten sich einen Start bei der WMTRC nicht erlauben. Auch Sportinteressierte, die nicht in Innsbruck vor Ort waren, konnten die Weltmeisterschaft live verfolgen, dank der tollen Live-Bilder des Teams um Philipp Reiter. Und aus deutscher Sicht konnten wir uns über hervorragende Ergebnisse freuen: Allen voran über Platz 2 von Katharina Hartmuth beim Trail Long und über Platz 3 beim Mountain Classic Senior von Filimon Abraham. Aber auch beim Trail Short gab es mit Platz 6 von Daniela Oemus und Platz 10 von Benedikt Hoffmann viel Grund zur Freude, genauso wie mit Platz 4 beim Vertical von Laura Hottenrott, mit Platz 4 beim Mountain Classic Junior von Lukas Ehrle und Platz 5 von Mountain Classic Senior durch Domenika Mayer. Und nicht zu vergessen natürlich die Team-Medaille im Trail Long durch die hervorragenden Leistungen von Katharina Hartmuth, Rosanna Buchauer (Platz 5) und Ida-Sophie Hegemann (Platz 15). Das war ein Trailrunning-Fest. Der nächste Austragungsort Canfranc – in den spanischen Pyrenäen gelegen – wird es 2025 wohl schwer haben, an dieses Niveau heranzukommen.
 

Ein weiteres Highlight aus dem Frühjahr: Die UTMB World Series kündigte endlich eine „Pregnancy Deferral Policy“ an: Bei Rennen, deren Startplätze per Lotterie vergeben werden, können schwangere Frauen ihren Start um bis zu 5 Jahre verschieben; für deren PartnerInnen oder Eltern, die ein Kind adoptiert haben, beträgt dieser Zeitraum 2 Jahre. Bei Rennen, die keine Lotterie haben, beträgt der maximale Zeitraum für die Verschiebung für schwangere Frauen/PartnerInnen/Eltern nach Adoption grundsätzlich 2 Jahre. Man muss natürlich auch dazu sagen, dass der UTMB bei dieser Entscheidung von der Pro Trail Runners Association und von „She Races“, dem Netzwerk der britischen Läuferin Sophie Power, zum Jagen getragen werden musste. Doch das Ergebnis zählt, und dieses Ergebnis ist ein Grund zur Freude!
 

Doch es gab auch ein paar Lowlights, vor allem im Dunstkreis des UTMB.
Zum einen zeigte sich, dass das Qualifikationssystem über die UTMB World Series Events und Majors nicht ganz durchdacht und ausgereift war. Innerhalb weniger Wochen musste man die „Second Chance Selection“ und dann die Qualifikation über UTMB Score ankündigen.
So erfreulich das für einige AthletInnen war, die über diese Reglungen einen Startplatz bekamen, so sehr hat dieses Hin und Her auch verunsichert. Es ist zu hoffen, dass man jetzt das geeignete System gefunden hat – und auch dabei bleibt.
 

So richtig in die Negativschlagzeilen kam der UTMB allerdings erst im Herbst durch die UTMB-WAM Kontroverse. Kurz darauf wurde auch noch bekannt, dass Corinne Malcolm, eine äußerst geschätzte Co-Kommentatorin beim UTMB, diesen Job im kommenden Jahr los ist – Grund: sie sei „too outspoken“. Beides führte zu einem Aufschrei in den sozialen Medien – vor allem bei LäuferInnen aus Nordamerika. Und einige wenige Eliteathleten haben bereits angekündigt, dass sie 2024 nicht beim UTMB teilnehmen werden. Ob es hier zu einer großangelegten „Abstimmung mit den Füßen“ kommt, wage ich aber zu bezweifeln.
 

Ein anderer großer Player im Trailrunning, die Golden Trail Series, sind ebenfalls im Expansionsmodus. Im Jahr 2023 ist ihnen ein Novum gelungen: Sie haben die Live-Übertragung der Serienrennen in die Mainstream Medien gebracht: Vier der Rennen – der Mont Blanc Marathon, Sierre-Zinal und das Männer- und Frauenrennen beim Finale in Il Golfo Dell' Isola wurden von Eurosport übertragen.
 

Schauen wir nun zuerst mal auf die besten AthletInnen dieser Saison.

 

TRAILLÄUFER / TRAILLÄUFERIN DES JAHRES, NATIONAL
 

Eins vorab: Ich bin dieses Jahr geradezu entzückt über die Leistungen der deutschen Frauen – und mache mir gleichzeitig Sorgen um die Zukunft der deutschen Männer. Klar, dort gibt es einige Läufer, die mit der internationalen Elite mithalten können – doch danach klafft zwischen diesen und dem Rest des Felds eine große Lücke. Bei den Damen sieht das anders aus: Hier gibt es neben den „Überfliegern“ viele Athletinnen in der zweiten Reihe, die es bald auch mit der internationalen Elite aufnehmen könnten. Auch die Entwicklung der letzten Jahre stimmt mich bei den Frauen sehr positiv: 2021 gab es nur eine Leistung, die mit mehr als 750 ITRA Punkten bewertet wurde, 2022 waren es 3 Leistungen über diesem Wert, 2023 sogar 14 Leistungen! Bei den Männern dagegen scheinen die Leistungen zu stagnieren: 2021 gab es 7 Leistungen mit mehr als 880 ITRA Punkten, sowohl 2022 als auch 2023 waren es noch 6 Leistungen oberhalb dieser Schwelle. Das große Problem: Während es 2021 und 2022 noch 5 Läufer Leistungen oberhalb von 880 ITRA Punkten abgeliefert haben, waren es 2023 nur drei Läufer: Benedikt Hoffmann, Hannes Namberger und Janosch Kowalczyk.
 

Doch jetzt zu den konkreten Personen:
 

Frauen:

  1. Katharina Hartmuth: Katharina feierte bereits in der letzten Saison tolle Erfolge – mit einem Sieg beim Eiger Ultra E101 und einem dritten Platz beim TDS. Doch das war nichts gegen 2023. Es war wirklich eine Freude, ihr bei den Läufen zuzuschauen! Mit einer guten Portion Optimismus und guter Laune absolvierte sie in diesem Jahr nicht nur das Rigorosum ihrer Dissertation, sondern auch vier richtig lange Ultrarennen. Den Aufgalopp bildete der Transgrancanaria, bei dem sie Platz 4 belegte. Unvergessen ihr zweiter Platz bei der World Mountain and Trailrunning Championships, bei der sie in Führung liegend beim Aufstieg zum Hoadl einige Läufer und Läuferinnen „totquatschte“. Dann ein souveräner Sieg beim Eiger Ultra E101. Die Krone setzte sie dieser Saison beim UTMB auf, wo sie am Ende bis auf 40 Minuten an die sichtlich erschöpfte Courtney Dauwalter herankam. Dass sie sich dann auch noch beim Tor des Geants versuchte, war dann doch ein Rennen zu viel – es endete mit einem DNF. Katharina: Geduld! Es kommen noch weitere Jahre, und den Tor des Geants wird es dann immer noch geben.
  2. Daniela Oemus: Was war das für ein Jahr! Gerade mal 14 Monate nach der Geburt ihrer Tochter siegte sie – als erste Deutsche – beim Klassiker Zegama Aizkorri. Und setzte damit ein riesiges Ausrufezeichen. Danach kam die WM, wo sie in einem starken Feld Sechste wurde. Danach kehrte zur Golden Trail World Series zurück, wo sie beim Mont Blanc Marathon Platz 4 belegte und bei Sierre-Zinal auf Platz 25 kam. Ein zweites Ausrufezeichen setzte sie beim OCC mit Rang 5 – im letzten Jahr hatte sie noch Platz 14 belegt! Im September machte sie durch einen Sieg auf der 50 km Strecke des Wildstrubel das OCC-Ticket für 2024 klar. Nur das Finale der Golden Trail Series wollte ihr nicht gelingen – sie fing sich kurz vor dem Rennen einen Infekt ein und musste das Rennen aufgeben. Daniela Oemus hat gezeigt: Sie ist DIE deutsche Frau für die kürzeren Strecken. Bravo!
  3. Ida-Sophie Hegemann: So leicht mir die Wahl bei den Plätzen 1 und 2 gefallen ist, so schwer war es bei Platz 3. Denn es gibt mittlerweile ein breites Feld von Läuferinnen, die entweder eine hervorragende Leistung oder mehrere sehr gute Leistungen gebracht haben. Schließlich habe ich mich für Ida-Sophie Hegemann entschieden. Nach einem Sieg auf der Marathonstrecke des Corsa della Bora im Januar 2023 belegte sie beim Istria auf der 110 km Strecke Platz 3. Und bei der WM in Innsbruck belegte sie Rang 15 und sicherte damit dem deutschen Team die Silbermedaille. Beim Pitz Alpine lief sie den P90, obwohl es Hunde und Katzen regnete und die Strecke nicht mehr viel mit dem Original zu tun hatte – und siegte; und das, wo sie doch direkt aus dem Trainingslager angetreten war. Leider hatte sie dann beim UTMB Magenprobleme – und musste ausgerechnet beim Saisonhöhepunkt das Rennen vorzeitig beenden. Aber trotz der insgesamt sehr guten Leistungen: Diese sind nicht der einzige Grund, weshalb Ida-Sophie Hegemann bei mir auf Platz 3 rangiert. Sie hat es nämlich gewagt, zusammen mit Kim Schreiber einen Podcast ins Leben zu rufen (Höhenmeter pro Kilometer), der sich durch vieles auszeichnet: Es ist einer der ganz wenigen Podcasts (national wie international), der von zwei Frauen gemacht wird, die obendrein Lauf-Profis sind. Hier gibt es kein Smack-Talk wie bei vielen anderen Podcasts, sondern sehr ehrliche und authentische Einblicke ins Leben und den Sport von zwei Elite-Athletinnen, die darüber hinaus immer wieder gute Tipps haben. Weiter so!


Männer:

  1. Benedikt Hoffmann: Dieser Läufer fliegt im Trailrunning häufig unter dem Radar. Vielleicht deshalb, weil er sich nicht nur auf die angesagten Rennen und Rennserien festlegen lässt. Weil er auch mal einen flachen Ultra wie den Rodgau 50 läuft. Vielleicht auch, weil er kein Vollprofi ist. Aber man sollte auch bedenken, dass der Gymnasiallehrer aus Stockach so oft die deutschen Nationalfarben bei Wettkämpfen getragen hat wie kaum ein anderer: Seit 2013 wurde er jedes Jahr für das nationale Berg- und Traillaufteam nominiert. So auch 2023. Und er lieferte ab: Er wurde beim Trail Short Zehnter in einem international hochrangig besetzten Feld. Und erreichte mit 897 Punkten seine zweitbeste, jemals erzielte ITRA-Punktzahl – knapp unter der Schallgrenze von 900 Punkten. Darauf folgten Siege beim Gornergrat Zermatt Marathon und beim Davos X-Trails (dem vormaligen Swissalpine). Beim OCC erreichte er Platz 13 und war fast eine Stunde schneller als im letzten Jahr (wo er allerdings auch eine Zeitstrafe von 30 Minuten kassiert hatte). Gut zwei Wochen nach dem OCC machte er durch den Sieg beim Wildstrubel 50 das Ticket für den nächsten OCC klar. Was ist ansonsten noch zu berichten? Platz 2 beim Eco Trail Paris, Platz 4 auf der Marathonstrecke des Istria 100 und zum Jahresabschluss noch Platz 3 auf der 44km Strecke der Traditionsveranstaltung SaintéLyon.
  2. Hannes Namberger: Nach einigen Vorbereitungswettkämpfen bei den Penyagolosa Trails, beim Chiemgau Trail Run (Sieg, M-Distanz) und beim UTLW (Platz 2, Osser Riese) galt Hannes als einer der Favoriten bei den WMTRC in Innsbruck. Aber schon nach den ersten Kilometern war klar, dass Hannes seinem Favoritenstatus nicht gerecht wurde. Er musste sich viel weiter hinten im Feld einreihen, als man es von ihm gewohnt ist. Grund: Probleme mit der Ernährung. Als er diese Probleme nach etwa der Hälfte der Distanz endlich in den Griff bekam, zeigte Hannes seine Willensstärke. Er warf nicht das Handtuch, sondern kämpfte sich Platz um Platz nach vorn. Von Platz 39 auf Platz 14. Alleine das verdient schon größten Respekt. Wenige Wochen nach dem WMTRC Desaster zeigte er dann beim Eiger E101, was er wirklich draufhat: Klarer Sieg mit einer hervorragenden Zeit von 11 Stunden und 38 Minuten. Und beim UTMB, bei dem er im letzten Jahr verletzt aussteigen musste, belegte er einen hervorragenden 8. Platz. Mit einer Zeit, die 2021 zu Platz 4 gereicht hätte. Ein Wermutstropfen ist: Anders als in den drei vergangenen Jahren schaffte er es 2023 nicht, die Schallmauer von 900 ITRA-Punkten zu durchbrechen.
  3. Janosch Kowalczyk: Die Saison 2023 war für Janosch geprägt vom Western States. Doch dafür brauchte er erst mal ein Ticket – das er sich beim Black Canyon 100 löste. Dort landete er hinter Anthony Costales und Tom Evans auf Platz 3. Da Evans aber sein Western States Ticket schon beim UTMB 2022 „erlaufen“ hatte, fiel das Ticket an Janosch. Zunächst stand bei ihm aber ein anderer Klassiker auf dem Programm: Der Rennsteig Supermarathon. In einem (wie immer) starken Teilnehmerfeld siegte Janosch mit einem neuen Streckenrekord. Und seien wir mal ehrlich: Der laufbare und wenig technische Rennsteiglauf ist die perfekte Vorbereitung für den Western States. Auf eine Teilnahme bei der WM verzichtete Janosch dann – die lag zeitlich zu dicht am Western States. Immerhin war er in Innsbruck und nutzte das vor der Weltmeisterschaft stattfindende IATF für einen Vorbereitungslauf beim K65 – den er auch gewann. Dann ging’s in die USA. Und auch wenn nicht alles perfekt lief – Janosch schaffte es als erster Deutscher nach Bernd Leipold (1993, Platz 8) in die Top 10 bei diesem stark besetzten Klassiker. Und mit Platz 10 hat er automatisch sein Ticket für 2024 in der Tasche.

 

TRAILLÄUFER / TRAILLÄUFERIN DES JAHRES, INTERNATIONAL

Im internationalen Feld sind meines Erachtens in diesem Jahr Platz 1 bei den Männern und Frauen klar – doch die immer höhere Leistungsdichte, vor allem bei den Frauen, machte es nicht einfach, die LäuferInnen für die Positionen 2 und 3 zu benennen. 


Männer:

  1. Remi Bonnet: Remi Bonnet ist nun schon seit fast 10 Jahren ein Player im Trail-Zirkus … und zwar auf den „kürzeren“ Strecken, das heißt Marathondistanz oder weniger. Nach ein paar schwächeren Jahren kam er schon im letzten Jahr mit guten Ergebnissen zurück, aber der Leistungssprung in diesem Jahr war gewaltig. Umrahmt von zwei vierten Plätzen – in Zegama und beim Finale der GTWS in Golfo dell‘ Isola – stehen vier Siege. Zunächst löste Remi bei seinem Sieg beim Berglauf Neirivue-Moléson im Distrikt Guyère ein Beben in der ITRA-Wertung aus: Mit 970 Punkten erreichte er eine Einzelleistung, die noch nie erreicht worden war. Schon wurde spekuliert, ob man jetzt die ITRA-Scores neu berechnen müsse. Nach einem Sieg beim Mont Blanc Marathon reiste Remi in die USA, um die zwei dortigen GWTS-Rennen zu laufen: Den Pikes Peak Ascent und die 26km beim Mammoth Trail Fest. Und beim Pikes Peak Ascent gelang ihm die nächste Sensation: Er brach den 30 Jahre alten Streckenrekord von Matt Carpenter (2:01:06) und lief 2:00:20. Ein kleines Sternchen muss man an diese Leistung machen: Matt Carpenter lief seinen Rekord im Rahmen des Pikes Peak Marathon, d.h. auf seinen Uphill-Rekord folgte noch ein Downhill … für Remi war dagegen am Gipfel Schluss. Aber das soll die Leistung von Remi in keinster Weise schmälern!
  2. Jim Walmsley: Was soll man sagen? Jim hat in diesem Jahr seinen Traum wahrgemacht, auf den er jahrelang hingearbeitet hat. Wie beim Western States brauchte es beim UTMB mehrere Anläufe: Platz 5 im Jahr 2017, DNF 2018 und Platz 4 im vergangenen Jahr – doch all diese Leistungen fühlten sich ein bisschen an wie Niederlagen: Denn immer sah es bis zur Hälfte des Rennens so aus, als könnte Jim mindestens aufs Podium kommen, wenn nicht sogar das Rennen gewinnen. Seit 2022 lebt und trainiert Jim in Frankreich – so sehr nahm ihn das große Ziel UTMB gefangen. In diesem Jahr hat er es endlich geschafft: Erster Sieg eines US-amerikanischen Läufers beim UTMB, und das mit neuem Streckenrekord. Diese Leistung, dieses Durchhaltevermögen verdient eine tiefe Verneigung. Ebenso wie die Tatsache, dass er inzwischen auch als Mensch gereift ist: Als er von Reportern darauf angesprochen wurde, dass er der erste US-Amerikaner ist, der den UTMB gewonnen hat, sagte er: "Es fühlt sich einfach so an, als würde ich meinen Namen zu dem starken US-Frauenkontingent hinzufügen. Das kann man ihnen nicht wegnehmen. Sie haben es hier immer wieder geschafft, und ich bin froh, auf ihren Schultern zu stehen." Und seine unmittelbare Reaktion auf die UTMB-Whistler-Kontroverse war: “So what do we race next year then?“ war seine Reaktion auf Strava. Ach so: Jim hat auch noch zwei weitere Rennen gewonnen: Die 100 Meilen beim Istria 100 und die 112 km beim Nice Cote d’Azur. Aber das ist gegenüber den vorher genannten Leistungen Peanuts.
  3. Zach Miller: Auch für ihn war es ein riesiger Erfolg und große Genugtuung, dass er nach so vielen Jahren beim UTMB endlich aufs Podium gekommen ist. Auch er hatte bislang meist einen guten Lauf während der ersten Hälfte des Rennens, und brach dann irgendwann auf der 2. Hälfte ein – oder kassierte ein DNF (2018 und 2019). In diesem Jahr war und blieb er stark – und nur Jim Walmsley war stärker. Beachtenswert, dass er – als dritter Läufer überhaupt – unter der 20-Stunden Grenze blieb. Seinen ersten großen Auftritt der Saison hatte er bei der WMTRC in Innsbruck. Nach 87 Kilometer sprintete er im Zach-Miller Stil ins Ziel und erreichte Platz 6. Und mit seinem US-Team holte er die Silbermedaille. Neben diesen beiden Saisonhöhepunkten ist noch sein Sieg beim Tarawera 100 Meilen Rennen zu erwähnen – doch da war die Konkurrenz sehr viel schwächer als bei UTMB oder WMTRC. Großer Punkt auch für ihn: Dass er sich als einer der ganz wenigen Profi-Athleten zur Whistler-UTMB-Kontroverse positioniert hat und deutlich gemacht hat, dass er so manche aktuelle Entwicklung beim UTMB kritisch sieht. 


Frauen:

  1. Courtney Dauwalter: Was für eine Saison! Fünf Rennen, fünf Siege ... und was für Siege! Am Saisonanfang stand der Sieg beim Bandera 100 und der Sieg beim Transgrancanaria. In beiden Rennen zeigte sie, dass sie in ihrer eigenen Liga läuft. War jeweils mehr als 1 Stunde schneller als die Zweite. Dann kam der Western States. Würde sie dieses mal den Streckenrekord von Ellie Greenwood brechen können? Im Jahr 2012, als Ellie den Streckenrekord aufstellte, kamen zwei Dinge zusammen: Eine geniale Läuferin hatte geniale Voraussetzungen, denn die Durchschnittstemperaturen waren so niedrig wie selten zuvor. Auch 2023 war ein Jahr, bei dem die Temperatur moderat blieb – aber nach dem Rekordschneefall in der Sierra Nevada im Winter 2022/23 war immer noch viel Restschnee auf der Strecke. Und trotzdem gelang Courtney der Coup: Sie unterbot den Rekord von Ellie, und zwar nicht nur um ein paar Minuten, sondern um über eine Stunde! Dabei hatte sie im Vorfeld schon klargemacht, dass sie in diesem Jahr das „Double“ versuchen wollte: Den Western States und den Hardrock. Und auch wenn ihr beim Hardrock der Western States sichtlich noch in den Knochen steckte: Auch hier siegte sie und verbesserte den Streckenrekord (ihren eigenen), diesmal um eine halbe Stunde. Und dann setzte sie noch einen obendrauf: Sie gab bekannt, dass sie auch beim UTMB starten und damit das Triple versuchen würde. Und auch wenn sie ganz tief in die „Pain Cave“ eintauchen musste, auch wenn sie eine Stunde langsamer war als bei ihrem Streckenrekord im Vorjahr: Sie schaffte das Triple. Drei Rennen, drei Siege. Halt, da war noch was: Beim Javelina Jundred Ende Oktober begleitete sie ihre Mutter, Tracy Dauwalter, zu deren erstem 100 km Finish. Das gibt nochmal 100 Sympathiepunkte obendrauf!
  2. Sophia Laukli: Die Quereinsteigerin aus dem Ski-Langlauf ist für mich gleichzeitig die Newcomerin des Jahres. Erst im letzten Jahr hat sie die Trail-Szene betreten, und in diesem Jahr hat sie sich bereits die Krone bei der Golden Trail World Series aufgesetzt: Sie siegte beim Mont Blanc Marathon, beim Sierre-Zinal und beim Pikes Peak Ascent – und damit bei den drei großen Klassikern der Tour. Dazu kam Platz 2 beim Dolomyths und Platz 3 beim Finale in Golfo dell’Isola. Wenn das keine gelungene Saison war! Jetzt bleibt zu schauen, wie ihr die nächste Saison gelingt, wo vermutlich auch Nienke Brinkman wieder eingreift, die sich in dieser Saison ganz darauf fokussiert hat, sich für die Olympiade in Paris zu qualifizieren. Ach ja: Die Trailrunning-Saison scheint Sophia nicht geschadet zu haben - denn im Finale der aktuellen Tour de Ski hat sie ihren ersten Weltcup-Sieg errungen.
  3. Katharina Hartmuth: Katharina – zu der ich im Kapitel über die nationalen TrailläuferInnen des Jahres bereits alles gesagt habe -  ist in der Saison 2023 in der internationalen Spitze angekommen. Das hat sie schon bei der WM, aber auch beim UTMB bewiesen. Jetzt bleibt zu hoffen, dass sie nicht zu schnell zu viel will. Nicht jede Läuferin hat die Physis einer Courtney Dauwalter. Und ihren Start beim Tor des Geants habe ich nicht nur mit einem lachenden, sondern auch mit einem sehr besorgten Auge gesehen ...




NEWCOMER DES JAHRES


Während ich in den vergangenen Jahren in diesem Segment einzelne LäuferInnen benannt habe, möchte ich den Fokus in diesem Jahr auf eine Gruppe von LäuferInnen lenken: Den LäuferInnen vom afrikanischen Kontinent. 


Im letzten Jahr haben wir im Trailrunning einen bemerkenswerten Aufstieg afrikanischer Athleten erlebt, insbesondere auf den Unterdistanzen. Was einst ein Nischensegment für Teilnehmer aus Europa und Nordamerika war, entwickelt sich mehr und mehr zu einer globalen Plattform, auf der nun auch afrikanische Bergläufer ihre Spuren hinterlassen.


Dies konnte man bei der diesjährigen Golden Trail World Series beobachten. Während es in den ersten drei Rennen nur vereinzelt Auftritte kenianischer Läufer gab (z.B. Robert Pkemoi Matayango beim Zegama), war das kenianische Kontingent traditionsgemäß beim Sierre-Zinal stark vertreten – schließlich ist dieses Rennen auch ein Gold Label Mountain Running World Cup Race, bei dem es in der Berglaufwertung viele Punkte zu gewinnen gibt. Anders als in den Vorjahren beschränkte sich die afrikanische Präsenz jedoch nicht nur auf Sierre-Zinal, sondern zwei Läufer – Patrick Kipngeno (Berglauf Weltmeister uphill) und Philemon Ombogo Kiriago vom östereichisch-kenianischen Team run2gether – gingen in den USA weiter auf Tour und auf Punktejagd. Und sie schafften damit nicht nur, die für die Gesamtwertung erforderlichen drei Rennen der GTWS zu finishen, sondern standen plötzlich in den Top 5 der Gesamtwertung. Und mit Platz 3 und 4 beim Prolog sowie 2 und 3 beim Finale schafften sie es schließlich hinter Remi Bonnet auf Platz 2 und 3 der Gesamtwertung.
Ein entscheidender Faktor für die zunehmende Präsenz afrikanischer Läufer im Trailrunning ist verständlicherweise das erhebliche Preisgeld, das es mittlerweile insbesondere auf den kürzeren Distanzen gibt. Das kennen wir schon aus dem Marathon und anderen Distanzen im Langstreckenlauf – auch hier heißt das Motto: „Follow the Money“. 


Es wird aber spannend sein, ob und inwieweit die Präsenz afrikanischer Läufer im Trailrunning wirklich von Dauer ist. Denn Trailrunning ist ein Sport, der sehr von Sponsoren dominiert wird. Und die erwarten nicht nur schnelle Beine und gute Lauftechnik auf den Trails, sondern Präsenz in den sozialen Medien, Storytelling und eine unterscheidbare Persönlichkeit. Gerade das könnte für afrikanische LäuferInnen, aber auch für LäuferInnen aus Fernost, eine Herausforderung darstellen. Im Gegensatz zu ihren westlichen Kollegen verfügen sie möglicherweise nicht über dasselbe Maß an sozialer Medienkompetenz oder eine sorgfältig kreierte und gepflegte persönliche Marke.

 
In den Jahren 2018/2019 war ein ähnlicher Ansturm von Läufern aus China zu beobachten. Doch bislang hat sich die erwartete Entwicklung, dass China irgendwann den Trailrunning-Sport dominiert, nicht eingestellt. Auch wenn sich einige wenige chinesische LäuferInnen mittlerweile im Elitefeld etabliert haben: Zum Beispiel Can-Hua Luo, Min Qi oder Miao Yao. Wenn dies auch den afrikanischen Trailrunnern gelingt, wenn sie sich auf den kürzeren Distanzen etablieren können, könnte das einen positiven Schritt in Richtung einer inklusiveren und vielfältigeren Zukunft für den Trailrunning-Sport darstellen.



 

DIE RENNSERIEN

 
Oh je, die Serien. Jedes Jahr gibt’s da was Neues. Das macht mir Kopfzerbrechen – und wie ich weiß, geht es auch manchen Profi-AthletInnen so.


Da stellt sich zum Beispiel die Frage, ob man gleichzeitig in der Golden Trail World Series aktiv sein und bei einem der UTMB-Rennen in Chamonix Präsenz zeigen kann. Rein vom Rennkalender passt das schon. Aber es bedeutete bisher: Man muss mindestens 4 Rennen in der Golden Trail Series (3 Serienrennen plus das Finale) “investieren” – dazu kommen mindestens ein Quali-Rennen im Rahmen der UTMB World Series und das Finale in Chamonix. 


Vor diesem Hintergrund sehe ich die angekündigte Expansion der Golden Trail Series kritisch. Statt – wie bislang – sechs Rennen plus Finale wird es in Zukunft acht Rennen plus Finale geben: Zwei Rennen in Fernost, vier Rennen in Europa und schließlich zwei Rennen in Nordamerika. Um in der Gesamtwertung aufzutauchen und zum Finale eingeladen zu werden, ist es in Zukunft notwendig, vier Rennen zu finishen statt bisher drei Rennen. Mit dieser Regeländerung mag es vielleicht gelingen, mehr LäuferInnen aus Fernost anzuziehen – aber gleichzeitig könnte der Golden Trail Series eine Entwicklung drohen, wie sie die Skyrunning World Series schon hinter sich hat. Denn hier war in den letzten Jahren ein gehöriger Bedeutungsverlust zu beobachten. Beim Skyrunning hat man die Auswahl zwischen 20 Rennen – und muss vier davon finishen. Auch wenn die Preisgelder bei der Skyrunner World Series mit insgesamt 227.000 Euro vergleichbar sind mit denen der Golden Trail Series (300.000 Euro), so zieht diese Serie anders als noch vor 10 Jahren nicht mehr die absolute Elite an. Die ITRA-Punkte, die von den Siegern in den Skyrunning-Wettbewerben erlaufen werden, sind etwa 50 Punkte geringer als die in der Golden Trail Series. 


Und dann sind da noch die brandneuen World Trail Majors, ein lockerer Zusammenschluss aus bislang 9 traditionsreichen Veranstaltungen. Deren Leitbild liest sich wie eine Antithese zum UTMB: Diversity, Respect, Identity. Auch hier wird es spannend sein, wie diese Rennen weiterentwickeln und wie das Angebot der World Trail Majors von EliteläuferInnen und der großen Masse angenommen wird.



FASTEST KNOWN TIME

 
Der FKT-Boom der Pandemiejahre ist nun eindeutig vorbei. Das zeichnete sich schon im Jahr 2022 ab, als sich die Zahl der registrierten FKTs im Vergleich zum Wert von 2020 fast halbiert hat. Im Jahr 2023 gab es dann – verglichen mit 2022 – nochmals einen etwa 10%igen Rückgang. 


Natürlich kann man sagen: Es wird ja auch immer schwieriger, bisherige FKTs zu unterbieten. Wieso sollte man dann ein Wachstum erwarten wie in den 2010er Jahren?


Das ist durchaus richtig, aber es greift meiner Meinung nach zu kurz. Viele der auf der FKT-Seite eingetragenen Leistungen sind eigentlich OKTs – Only Known Times. Es haben sich nur wenige Strecken als „Klassiker“ etabliert, auf denen es auch einen echten Wettbewerb von Top AthletInnen gibt. In Mitteleuropa haben wir zwar in den letzten Jahren einen exorbitanten Zuwachs an FKT-Strecken erlebt – aber da ist kein einziger „Klassiker“ dabei, der sich mit einem Grand Canyon R2R2R, einem Appalachian Trail, Long Trail oder den Britischen „Rounds“ vergleichen lässt. Und so schön es ist, auf einer Strecke einen Rekord einzutragen – die FKT-Seite „erstickt“ meines Erachtens daran, dass die Strecken nicht wirklich kuratiert werden. Lediglich die minimale Streckenlänge ist festgelegt – aber ob eine Strecke wirklich eine geographische Signifikanz hat oder nur eine persönliche Lieblingsstrecke ist, wird nicht wirklich überprüft. 


Und dennoch: Es gab in diesem Jahr tolle Rekorde, von denen ich hier zwei hervorheben will:

Lizzie Richardson, Paddy Buckley Round, 17 Stunden, 22 Minuten, 54 Sekunden: Die Qualität von Rekorden kann man oft dadurch einschätzen, dass man sich anschaut, wer den bisherigen Rekord gehalten hat. Im Fall der Paddy Buckley Round in Wales war das Jasmin Paris. Ihr Rekord von 18 Stunden und 33 Minuten – aufgestellt 2016 – galt als „unbreakable“. Doch das war er nicht. Denn im Juni 2023 unterbot die hierzulande unbekannte Elizabeth Richardson den Rekord um eine Stunde und elf Minuten – eine unglaubliche Leistung!


Karel Sabbe, Pacific Crest Trail, 46 Tage, 12 Stunden, 50 Minuten: Karel Sabbe begann seine FKT-Karriere 2016 auf dem Pacific Crest Trail, als er Joe „Stringbean“ McConnaughy den Rekord wegschnappte. Dann kam 2021 Timmothy Olson und unterbot Karel’s Rekord auf 51 Tage, 16 Stunden und 55 Minuten. Karel aber fühlt sich diesem Trail so verbunden, dass er 2023 nochmal einen Rekordversuch unternehmen wollte. Dann schneite die Sierra Nevada im Winter 22/23 so stark ein, dass man sich fragen musste: Wie will er das schaffen? Postholing und dann auch noch die gefährlichen Passagen der Schmelzwasser-gefüllten Creeks? Doch mit seiner starken Crew schaffte er die Sierra. Schließlich, als es nur noch wenige hundert Kilometer bis zur kanadischen Grenze waren, wartete im Norden von Washington State eine Streckensperrung aufgrund von Waldbränden, die ihm einen Umweg von 78 Kilometern mit 3300 zusätzlichen Höhenmetern einbrachte. All diesen Widrigkeiten zum Trotz hat er die FKT um mehr als 5 Tage unterboten! Das kann man vor allem seiner mentalen Stärke zuschreiben – und seiner hervorragenden Crew. Mehr dazu gibt es im Film „Pacing the Pacific“ zu sehen.



DAS WAR'S

 
... zum Thema „Trail- und Ultrarunning im Jahr 2023“. Für 2024 wünsche ich Euch vor allem: Bleibt gesund! See you on the trail ...




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