Supertrail du Barlatay – Laufen jenseits des Röstigrabens

 


von Sabine

 

Eigentlich wollten wir in diesem Jahr wieder unseren „Traditionslauf" machen, den Karwendelmarsch. Doch dann kam das Leben dazwischen – bei Andrea und mir stand eine Wohnungsauflösung an, Katrin und Erik mussten ihren Urlaub aus verschiedenen Gründen in den August verschieben. Es war also nichts mit Karwendelmarsch und einem langfristigen, geregelten Trainingsplan für einen Ultratrail.


Trotzdem wollten Katrin und ich mal wieder ein gemeinsames Rennen machen. Es blieb nur das dritte Augustwochenende, und die Auswahl an alpinen Trailrennen mit einer Strecke zwischen 20 und 30 km mit etwa 1000 Höhenmetern, bei denen man sich auch kurzfristig noch anmelden kann, ist im August nicht allzu groß. Nach langer Suche fand ich den Barlatay Supertrail in der französischen Schweiz – ein Rennen, von dem ich noch nie gehört hatte. Die Bilder sahen schön aus, das Profil passte. Also meldeten wir uns an, ohne zu wissen, was auf uns zukommen würde.


 

Die Geschichte


Auch wenn der Barlatay Supertrail hierzulande kaum bekannt ist – er gehört zu den echten Traditionsveranstaltungen. Das Rennen wurde erstmals bereits 2012 ausgetragen, also noch vor dem großen Trailrunning-Boom. Initiator war Renaud Toussaint, ein Lauf- und Bergsportverrückter aus dem Pays-d'Enhaut. Er wollte in seiner Heimat eine Trailveranstaltung mit Bedeutung und Geschichte schaffen.


Und das ist ihm auch gelungen: Der Name „Barlatay" bezeichnet nicht einen Ort, sondern geht auf die „Käseträger" zurück, die vor allem im 19. Jahrhundert die auf den Hochalmen hergestellten Käselaibe ins Tal in die genossenschaftlichen Keller transportierten. Start und Ziel sollten nach dem Willen von Toussaint im kleinen Ort L'Etivaz liegen, bekannt für den hervorragenden Käse der Region. Und: Das Rennen sollte in Gedenken an die Schweizer Langstreckenläuferin Franziska Rochat-Moser ausgetragen werden, die 1997 als einzige Schweizerin den New York Marathon gewann und 2002 im Alter von 35 Jahren bei einem Lawinenabgang verstarb.


Tragischerweise verstarb auch Renaud Toussaint im November 2011 im Alter von nur 33 Jahren, also noch bevor der erste Barlatay ausgetragen werden konnte. Doch für den von ihm gegründeten Verein war das letztlich ein Auftrag: Er führt die Veranstaltung seit 2012 jährlich in seinem Gedenken durch.
Heute bietet der Barlatay vier Strecken zwischen 75 und 15 km sowie Kinder- und Jugendläufe. Die Starts sind zeitlich gut gestaffelt, mit einer gemeinsamen Zielschlusszeit: Egal in welchem Rennen man startet, samstags um 20 Uhr muss man zurück in L'Etivaz sein – nur dann ist man Finisher.


Katrin und ich wählten den 25-km-Lauf mit 1300 Höhenmetern. Mehr war für uns nicht drin: Für Katrin sollte es der erste Trailrunning-Wettkampf nach ihrem Kreuzbandriss im Frühjahr 2024 werden, für mich der erste alpine Trail seit dem Koasamarsch 2023, nach dem mich eine langwierige Verletzung in Trainingsrückstand brachte. Und gleichzeitig war es mein erster Wettkampf in der Wettkampfklasse W60!




Ein Erlebnis: Unser erstes Rennen in der Romandie


Meine größten Sorgen galten nicht der Strecke, sondern der Sprache. Obwohl ich im Saarland nahe der französischen Grenze aufgewachsen bin, bringe ich kaum einen korrekten französischen Satz heraus. Es reicht zum Grüßen, Bedanken oder Essen Bestellen – mehr ist nicht drin. Dazu kommt, dass in der Romandie in den Bergtälern häufig „Patois" gesprochen wird, ein Dialekt, der vom Standardfranzösischen abweicht. Wie tückisch die Sprachbarriere sein kann, zeigte sich schon beim Studium der empfohlenen Verpflegung: Neben Energieriegeln und Gels wurde „Fondue" vorgeschlagen. Ich sah uns schon im Geiste mit einem Rechaud durch die Berge ziehen und irgendwo ein Käsefondue kochen – in Wirklichkeit waren damit aber Frucht- oder Gemüsebreie in den bekannten „Quetschis" gemeint. Wie sollten wir da mit den Offiziellen des Rennens kommunizieren können? Ob wir uns nicht verlaufen? Katrin beruhigte mich: Zur Not ist ja Elli da, ihr Golden Retriever – die würde uns bestimmt wieder finden.


Alles liegt bereit - nur das Fondue fehlt noch 😉


Am Tag vor dem Rennen fuhren wir nach Château-d'Oex, nur wenige Kilometer von L'Etivaz entfernt und daher idealer Standort. Während Erik Teile der Strecke ablief, packten wir unsere Rucksäcke. Das Pflichtgepäck beim Barlatay ist minimal, doch die Verpflegungsstationen sind es auch: Auf der 25-km-Strecke gibt es nur eine Labestation in Les Mosses. Bei angekündigten 28 Grad hieß das: ordentlich Wasser mitschleppen. Als Erik von seinem Testlauf zurückkam und über wenig Schatten berichtete, ahnte ich wegen des späten Beginns des 25-km Rennens (Startzeit: 9 Uhr), dass sich das Rennen zur Hitzeschlacht entwickeln könnte.


Die Startnummernausgabe ab 20 Uhr verlief erfreulich ruhig und freundlich – von Verständigungsproblemen keine Spur! Außerdem durften wir die lange Hose aus dem Pflichtgepäck streichen.


Ready to roll ... (Foto: Erik)




Das Rennen


Kurz vor 9 Uhr stehen Katrin und ich an der Startlinie in L'Etivaz. Von der französischen Startzeremonie verstehen wir wenig, erst beim Countdown können wir „mitreden" – dann fällt der Startschuss.


Das Rennen ist gestartet - wir reihen uns ganz hinten ein (Foto: AlphaFoto)


Wie üblich geht bei mir das Adrenalin durch, ich starte zu forsch. Katrin pfeift mich zurück und erinnert mich an meine Vorsätze. Die Strecke verlockt zum Überpacen: Anfangs noch flach, steigt sie nur allmählich an. Glücklicherweise laufen wir noch im Schatten, da die Sonne nicht über die Gipfel gekrabbelt ist.


Ab Kilometer 3 wird die Steigung ernster – und wir verlassen den Schatten. Es wird anstrengend, aber noch machbar. Dann sehen wir vor uns eine Alm und dahinter Läufer an einer supersteilen Rampe kleben. Als wir dort ankommen, geht es mir schlecht: Meine Beine fühlen sich wie Pudding an – und das obwohl ich weiter unterhalb meiner geplanten Pulsgrenze laufe. Was ist los? Elektrolytmangel aufgrund der heißen Tage? Fehlende Akklimatisation? Zu schneller Start?


Die ersten Bergketten zeigen sich ...

... und gleichzeitig zeigen sich die ersten steilen Rampen. (Foto: Katrin)


Katrin macht sich Sorgen, weil ich immer wieder stehen bleiben muss. Ich nutze die Pausen zum Fotografieren – je höher wir kommen, desto mehr Bergketten zeigen sich. Die Aussicht ist wunderbar! Am ersten Kontrollposten weiß ich, dass mir dieses Rennen sympathisch ist: Die Startnummern der Durchlaufenden werden noch von Hand erfasst. Ich richte mein Startnummernband und grüße freundlich – weiter geht's.


Die nächste steile Rampe – Anstiege bis 30% – bewältigt Katrin mit ihrem Slalom-Gang leicht, während bei mir wieder Muskelschwäche einsetzt und ich mich hinter ihr herschleppe. Shit! So hatte ich mir das nicht vorgestellt …


Immerhin haben wir den größten Teil des Aufstiegs geschafft. Nach einer technischen Traverse sehen wir den wunderschönen Lac Lioson in seinem Bergkessel – und Elli mit Erik, die auf uns warten. Elli wird ausführlich begrüßt, Erik etwas kürzer, dann geht's schon weiter. Wir sind gerade DFL („Dead Fucking last“) – oder „les dernières", wie der Streckenwart sagt, der hinter uns die Markierungen entfernt. Noch liegen zwei Drittel der Strecke vor uns.


Elli wartet schon auf uns (Foto: Erik)

Der Lac Lioson lädt eigentlich zum Baden ein!

Heute wird nicht gebadet - weiter geht's! (Foto: Katrin)


Schweren Herzens verlassen wir den traumhaften See. Weitere 100 Höhenmeter warten, dann ist der Anstieg geschafft – 900 von 1300 Höhenmetern abgearbeitet. Nach einer technischen Traverse, die an den Koasamarsch zwischen Hochalm und Stripsenjochhaus erinnert, geht's an der Buvette des Petits Lacs steil hinunter. Der Pfad wird wurzelig, steinig, unrhythmisch – trotzdem läuft's bei mir heute im Downhill gut.


Uns kommen viele Wanderer entgegen. Während ich anderswo schon genervte Reaktionen erlebt habe, höre ich heute nur „bonne route", „bon courage" oder „bonne chance" – einer ruft sogar „Allez, Sabine!". So macht das richtig Spaß. Das Wetter ist schön, nicht so heiß wie befürchtet, die Leute super freundlich, die Region wunderschön.


Nach dem technischsten Abstieg hat Katrin etwas Vorsprung herausgelaufen. Ich sehe sie vor mir und erkenne einen Golden Retriever – Elli! Wieder das typische Begrüßungsritual, und danach hat Erik Mühe, Elli vom Mitlaufen abzuhalten.


Elli begrüßt uns - und will uns eigentlich nicht alleine weiterlaufen lassen! (Foto: Erik)


Jetzt wird's laufbar. Wir traben Richtung Les Mosses. Der Verpflegungspunkt ist in einem Haus untergebracht, mit Umkleidemöglichkeit für Läufer der längeren Strecken, die hier einen Drop Bag hinterlegen können. Leider spricht mich das aufgebaute Buffet nicht an – ich habe weder Lust auf Schokolade, noch auf Käse, noch auf trockenes Brot. Nur die Cola muss dran glauben. Ich trinke ordentlich, fülle auch die Flask – die Cola soll mich über den zweiten, längeren Anstieg bringen.


Ein kurzer Anstieg, dann eine längere, ebene Strecke in ein Hochtal. Wir traben nicht an, sondern sammeln Kräfte für den nächsten Aufstieg, vor dem ich nach den Problemen am Morgen echt Respekt habe. Nach einem Kilometer treffen wir wieder auf Elli und Erik, dort wo der Pfad nach oben abzweigt. Da die beiden auf ihrer Supporter-Wanderung ohnehin den gleichen Weg haben, begleiten sie uns den Aufstieg hoch.


Mir geht's völlig anders als am Morgen: Ich komme wunderbar hoch! Ist es die Cola? Jedenfalls habe ich keine Probleme, laufe sogar vornweg. Der Weg ist angenehm schattig, führt durch ein Fichtenwäldchen, dann wieder in die Sonne. Unweit des ersten Kontrollpostens, den wir am Morgen passiert hatten, geht's steil einen Grashang hoch. An einer Alm weisen uns ein älterer Mann und eine Frau auf ihren Brunnen hin – Abkühlung und Trinken inklusive. Dann ist auch dieser Anstieg geschafft. Die restlichen 150 Höhenmeter werden sich auf kleine Gegenanstiege verteilen.


Kurz vor dem zweiten Aufstieg: Wieder wartet Elli auf uns (Foto: Erik)


Der zweite Aufstieg ist (fast) geschafft!


Erik und Elli biegen direkt nach L'Etivaz ab, für uns geht's auf einen steilen Downhill. Erst über wunderschöne, kurz gemähte Wiesen, dann über einen steilen Wurzelpfad durch den Wald. Schließlich erreichen wir die Passstraße vom Col des Mosses – die wird aber nicht über-, sondern unterquert. Es geht durch einen Bachtunnel, eigentlich ist das kein Weg, nur Bach und glitschige Steine. Ich schaffe die Passage ohne Fußbad.


Hinter dem Tunnel gibt's ein „Stimmungsnest" vom angrenzenden Zeltplatz mit ordentlich Radau. Ein kleiner Junge steht mit einem Gartenschlauch da und fragt jeden, ob er nassgespritzt werden möchte. Ich antworte „oui" und bekomme eine kleine Dusche.


Kurz danach laufe ich auf Katrin auf. Sie hat Probleme mit ihrer Trinkblase, bekommt nichts raus, obwohl das Ventil geöffnet ist. Super-Gau bei diesem Wetter! Während ich im Rucksack herumfummele und den Schlauch zu entknoten versuche, überholen uns zwei Damen, die wir zuvor überholt hatten. Verdammt, zwei Plätze verloren! Als der Schlauch wieder funktioniert, laufen wir weiter.


Immer noch gut drauf ...


Zunächst kommt eine längere Asphaltpassage. An einem Haus lädt uns ein Paar ein, uns an dem Brunnen in ihrem Garten zu bedienen. Was sind die Leute hier alle freundlich! Der letzte Gegenanstieg ist geschafft, es geht steil hinunter ins Tal der „Torneresse", dem Flüsschen, das von L'Etivaz herkommt. Hier überholen wir die beiden Damen wieder.


Am Ende des Downhills informiere ich Erik, damit er mit Elli rechtzeitig ins Ziel kommen kann. Blöd ist nur: Unsere GPS-Uhren sind sich über die Restdistanz uneinig: Ich tippe auf 2,5 km, bei Katrin sind es nur noch 1,5 km.


Eine wellige Strecke führt uns leicht bergan auf Holzbohlen über ein Hochmoor, dann durch Wald und über Wiesen. Katrins Trinkblase versagt wieder – ich fülle kurzerhand das Getränk in eine Softflask um. Vielleicht hat das Iso-Pulver das Ventil verstopft? Beim nächsten Mal muss das besser gehen!
Eine entgegenkommende Läuferin feuert uns an und sagt auf Französisch, es sei nicht mehr weit, nur noch eine „ferme", dann über eine Brücke zum Ziel. Was zum Teufel ist eine ferme? Ich denke erst an „geschlossen", vermute einen Zaun oder ein Gatter. Dann fällt mir ein: Ferme heißt Gehöft! Und genauso ist es – von dort ist es wirklich nicht weit zur Brücke. Mein Französisch ist doch besser als ich dachte!


Dann sehen wir die letzte Grausamkeit, die uns der Veranstalter in den Weg gelegt hat: Um auf die Zielwiese zu gelangen, müssen wir einen Abhang mit mindestens 45 Grad Steigung hochklettern. Kurz, aber diese Steigung fordert nochmal alle verbleibenden Kräfte. Ich lehne mich vor, arbeite mit den Stöcken und muss aufpassen, dass ich die Kinder, die auf dem Abhang sitzen und uns anfeuern, nicht aufspieße.


Im Ziel! (Foto: AlphaFoto)


Oben angekommen muss Katrin ordentlich durchpusten – schließlich wollen wir ja „mit Style“ ins Ziel laufen. Dann sehen wir Erik und Elli – als uns Elli erkennt, stürmt sie auf uns zu und rennt mit uns ins Ziel. Eigentlich ist Hundebegleitung bei diesem Rennen nicht erlaubt, aber diese paar Meter werden uns hoffentlich keine Disqualifikation einbringen.


Geschafft! Unser Comeback ins alpine Trailrunning ist gelungen. Mit 6:23:56 waren wir deutlich langsamer als erwartet – anhand unserer ITRA-Punkte hatte ich 5:30 bis 5:45 prognostiziert. Trotzdem sind wir einigermaßen stolz auf unsere Leistung.


Nach Pasta und alkoholfreiem IPA holen wir unser Finisher-Geschenk ab: ein 400 Gramm schweres Stück des guten L'Etivaz-Käses und eine Stirnlampe. Mit dieser „Ausbeute" wird die Erinnerung noch schöner.


Zielverpflegung! (Foto: Erik)


Elli findet, dass auch sie Zielverpflegung verdient hätte


Emotional Support Dog 😍




Fazit


Wir haben beim Barlatay ein hierzulande unbekanntes Rennen abseits ausgetretener Trailrunning-Pfade erlebt – und es hat riesigen Spaß gemacht. Super Organisation, freundliche Helfer und Anwohner, (fast) keine Verständigungsprobleme. Toll fand ich auch die zeitliche Staffelung der vier Wettbewerbe (75, 50, 25, 15 km), wodurch es nie zu starken Behinderungen auf der Strecke kam.


Mit unserer Leistung sind wir nur teilweise zufrieden. Meine Schwäche beim ersten Anstieg lag am fehlenden spezifischen Training – in Heidelberg bewegte ich mich auf Steigungen zwischen 10 und 20 Prozent, das war zu wenig. Beim nächsten Mal brauche ich mehr Höhenmeter auf steilen Mountainbike-Pfaden, Treppentraining und vor allem Krafttraining, das ich komplett vernachlässigt hatte. Andere Erklärungen (Elektrolytmangel, Höhe, zu schneller Start) greifen nicht, da dann auch der Puls hätte steigen müssen – es war eindeutig ein muskuläres Problem. Das erklärt auch, warum der zweite Anstieg (15-20% Steigung) viel besser lief – der lag in dem Bereich, den ich trainiert hatte. An der Kondition hat's nicht gehapert, ich war am Ende noch recht frisch.


Einziger Minuspunkt beim Barlatay ist die Verpflegung. Es gab zwar – anders als beispielsweise beim Eiger – Cola so viel ich wollte, aber mir fehlten Dinge wie Wassermelonen, Kartoffeln oder saure Gurken. So griffen wir dann doch zu unserem bewährten Trailfood, den Pellkartoffeln und sauren Gurken, die wir selbst über die Berge geschleppt haben.


Gerne komme ich nochmal zum Barlatay zurück – am liebsten wieder auf die 25-km-Strecke, aber dann mit besserem, spezifischerem Training.


À la prochaine, Barlatay!!


 

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