Neun Erkenntnisse vom Western States 2024

 


Fotos: Hillary Ann Yang, Gary Wang


von Sabine

Was war das für ein Sport-Wochenende: Lavaredo Ultra Trail, Western States, Mont Blanc Marathon – und dazwischen noch ein Fußball-Länderspiel. An diesem letzten Wochenende im Juni war die Ereignisdichte noch größer als in der UTMB-Woche … und so kam man kaum dazu, selbst Sport zu machen.

Im Mittelpunkt dieser Veranstaltungen stand für mich der Western States – ein Rennen, das mich schon lange fasziniert. Und dieses Rennen hat, was Spannung anging, wieder einmal nicht enttäuscht. Hier neun Erkenntnisse aus dem Western States 2024:

 

1. Kein Streckenrekord, aber jede Menge sensationeller Leistungen …

Im Vorfeld waren sich fast alle Experten einig: Es würde in diesem Jahr, auch aufgrund der Wetterbedingungen, keinen neuen Streckenrekord geben. So war es dann auch: Die Streckenrekorde von Jim Walmsley (14:09:28, 2019) und Courtney Dauwalter (15:29:33, 2023) blieben unangetastet. Was aber kaum jemand gedacht hätte, wie nah der Sieger und die Siegerin diesen Bestmarken kamen. Mit 14:13:45 blieb Jim nur gut 4 Minuten über seinem Rekord, und Katie Schide konnte mit 15:46:57 als zweite Frau überhaupt unter 16 Stunden bleiben. Dass das Rennen so schnell sein würde, hätte ich nicht erwartet.

 

2. Jim Walmsley, der Getriebene

Im Feld der Männer war Jim Walmsley eindeutig Favorit. Und deshalb hätte man damit gerechnet, dass er sich schon früh, spätestens aber nach Forest Hill, deutlich von seinen Verfolgern absetzen würde. Dem war aber nicht so. Seine Siegerzeit zeigt, dass es nicht an seinem Willen oder Leistungsvermögen lag, sondern daran, dass ihn die Verfolger regelrecht hetzten. Allen voran ein 28-Jahre alter Läufer aus Mammoth Lake, Kalifornien: Rod Farvard.

Rod Who? Kaum einer hatte den ehemaligen Triathleten auf dem Zettel. Dabei hat er beim Western States schon seine Erfahrungen machen können: DNF im Jahr 2021, Platz 41 2022, Platz 11 2023. Beim UTMB 2022 landete er auf dem 22. Rang, 2023 auf Platz 17. Er flog also immer knapp unter dem Radar. Ein erstes echtes Ausrufezeichen setzte er in diesem Jahr, als er sich mit einem Sieg beim Canyons 100 das Golden Ticket sicherte und sich unter anderem gegen Drew Holmen und Petter Engdahl durchsetzte

Der Rennverlauf gestern zeigte erst, was er wirklich draufhat: Schon ab Robinson Flat war er ständig in der Spitzengruppe um Jim Walmsley. Auf der 16 Meilen langen Cal Street trat er ordentlich aufs Gaspedal und konnte immer wieder ein bis zwei Minuten auf Jim Walmsley rauslaufen. Es wechselte ständig zwischen überholen und überholt werden. Erst bei Meile 85 (Auburn Lakes Trail) musste er etwas Tempo rausnehmen, sich zunächst mal ordentlich abkühlen und landete schließlich auf Platz 2. Aber auch der Rest der anfänglichen Spitzengruppe, Hayden Hawks, Daniel Jones, Dakota Jones und später auch Jonathan Albon, hatten nie so viel Rückstand auf Walmsley, dass es für ihn ein Spaziergang im Park gewesen wäre. Er war der Gejagte – eine Konstellation, die wir so noch in keinem Western States hatten, bei dem er der Favorit war.

 

3. Katie Schide arbeitet systematisch ein Rennen nach dem anderen ab …

Es ist bewundernswert, mit welcher Akribie Katie Schide an die Rennen herangeht. Oder sollte man sagen: Wie sie sich heranarbeitet? UTMB: Hier ist ihre Bilanz F6, F8, F1. Done. Western States: F2, F1. Done. Die Diagonale des Fous auf La Reunion hat sie 2023 im ersten Anlauf gewonnen.

Katie, die zwar aus den USA stammt, seit Jahren aber in Frankreich bei ihrem Partner Germain Grangier lebt, hat für den Western States – ähnlich wie Jim Walmsley für den UTMB – zwischenzeitlich einen Umzug in Kauf genommen. Letztes und dieses Jahr lebte und trainierte sie lange im Südwesten der USA. Und hatte vor allem ein Ziel: Dieses Traditionsrennen zu gewinnen. Im letzten Jahr verhinderte das Courtney Dauwalter – aber auch noch ihre fehlende Erfahrung auf der Strecke. Vor allem der Streckenabschnitt zwischen Green Gate und No Hand Bridge waren für sie ein Problem.

In diesem Jahr konnte man erstaunt feststellen, wie gut ihre Splits waren – im Vergleich zu denen von Courtney Dauwalter 2023, aber auch zu ihrer eigenen Leistung 2023. Vor allem im High Country konnte sie viel Zeit gutmachen. Natürlich war das vor allem der Tatsache geschuldet, dass in diesem Jahr im Gegensatz zu 2023 der Restschnee kein Thema war. Doch auch deutlich über das High Country hinaus, bis Michigan Bluff, machte sie Zeit gut. In Michigan Bluff war sie knapp eine halbe Stunde schneller als Courtney bei ihrem Rekord 2023 – und schon begann man sich zu fragen, ob es sich bei der phänomenalen Zeit von Courtney wirklich um einen Jahrhundertrekord handelte … Tatsächlich begann Katie nach Forest Hill das Zeitguthaben, das sie zuvor herausgelaufen hatte, wieder aufzubrauchen. Vor allem die Strecke zwischen Green Gate und Pointed Rocks – relativ flach und laufbar – gehört nicht zu ihren Lieblingssegmenten. Zwar war sie dort immer noch schneller als im Vorjahr, aber der Vorsprung auf Courtney schmolz … Doch es war auch nicht ihr Ziel, die Zeit von Courtney zu unterbieten. Sie wollte IHR bestes Rennen machen.

Das ist nun geschafft, und ich gehe davon aus, dass man sie im nächsten Jahr nicht beim Western States sehen wird, obwohl sie dafür qualifiziert wäre. Ihr nächstes Ziel, an dem sie sich abarbeiten will, ist nämlich der Hardrock 100. Und ganz ehrlich: Der dürfte ihr, die flache und laufbare Strecken nicht wirklich mag, sehr viel besser liegen …

 

4. Schallgrenze 15 Stunden? Die Normalität verschiebt sich …

Als Timothy Olson 2012 den Streckenrekord auf 14:46:44 verbesserte, durchbrach er erstmals die „Schallgrenze“ von 15 Stunden. Nur der legendäre Jim King war 1984 unter 15 Stunden geblieben, aber damals war die Cal Street noch nicht Bestandteil der Strecke und der Western States maß nur 93,5 Meilen. Zwar verbesserte Jim Walmsley noch zweimal nach Timothy Olson den Streckenrekord und knabberte schon fast an den 14 Stunden; dennoch gab es bis 2023 nur neun Leistungen unterhalb der 15 Stundenschwelle. In diesem Jahr kamen sechs weitere dazu. Das ist neuer Rekord! Neben Jim Walmsley blieben Rod Farvard (14:24:15), Hayden Hawks (14:24:31), Daniel Jones (14:32:29), Caleb Olson (14:40:12) und Jon Albon (14:57:01) unter 15 Stunden. Die Normalität scheint sich zu verschieben.

 

5. Leistungssprung bei den Frauen

Es war in diesem Jahr nicht nur die Leistung von Katie Schide, die überraschte. Wie bei den Männern die 15-Stunden Schallgrenze gab es bei den Frauen die 17-Stunden Grenze. Nor Ellie Greenwood hate sie bei ihrem Rekordlauf 2012 unterboten. Erst im vergangenen Jahr gelang es Courtney Dauwalter und Katie Schide, ebenfalls unter dieser Grenze zu bleiben. In diesem Jahr waren es gleich sechs Frauen: Neben Katie Schide und Fuzhao Xiang (16:20:03) blieben auch Eszter Csillag (16:42:17), Emiliy Hawgood (16:48:43), Yngvild Kaspersen (16:50:39) und Ida Nilsson (16:56:52) unter 17 Stunden. Ein echter Leistungssprung bei den Frauen!

 

6. Gut gealtert!

Eine deutliche Verbesserung gab es auch bei den Master-Rekorden: Tyler Green verbesserte den 2013 von Mike Morton aufgestellten Rekord (15:45:21) auf 15:05:39. Ebenso groß ist der Leistungssprung beim Master-Rekord der Frauen: Dort verbesserte Ida Nilsson (16:56:52) den Rekord, den Ragna Debats 2021 aufgestellt hatte (17:41:13).

Und dann gibt es noch von einem neuen Rekord zu berichten, der nicht weniger großartig ist: Der bisherige Rekord für Läufer Ü60 war 20:28:05, aufgestellt von Roger Dellor. Das war im Jahr 2003. In diesem Jahr – also 21 Jahre später – gelang es John Tidd, diesen Rekord zu brechen. Er brauchte für die 100,2 Meilen eine Zeit von 20:16:04.

Der älteste Finisher in diesem Jahr war Ken Ward (67). Er erhielt den 1000-Mile-Buckle, denn er hat den Western States in diesem Jahr zum zehnten Mal gefinisht. Ebenfalls zum zehnten Mal finishten Kaci Lickteig, die Siegerin von 2016, sowie Philip Sanderson.

Einen neuen Altersrekord gab es leider nicht: Für Eric Spector, der seinen Slot als Volunteer bei der Rucky Chucky River Crossing Aid Station eingeworben hat, war leider schon in Robinson Flat Schluss – genau wie vor drei Jahren.

 

7. Mehr Konstanz und weniger DNFs

Eine Sache fällt in diesem Jahr auf: Während es in den letzten Jahren häufig eine hohe Abbrecherquote bei den Eliteläufern gab, war der Anteil der DNFs bei der Elite in diesem Jahr sehr gering. Bei den Top 10 des letzten Jahres, die in diesem Jahr wieder angetreten sind, erreichte nur Jeff Colt (M8) das Ziel in Auburn nicht. Und von den 30 Läuferinnen und Läufern mit Golden Ticket mussten nur drei Läufer aufgeben.

Interessant ist auch die erstaunliche Konstanz der Läuferinnen im Jahresvergleicht: Alle sechs Top 10 Läuferinnen aus 2023, die in diesem Jahr wieder antraten, schafften es in die Top 10 – und bis auf eine – Ragna Debats – schafften es alle Läuferinnen mit Golden Ticket in die Top 20.

Bei den Männern sieht das etwas anders aus: Von den sechs Top 10 Läufern des Jahres 2023 schafften es nur drei, sich auch in diesem Jahr unter den ersten Zehn zu platzieren. Und in die Top 20 schafften es sogar zwei Läufer, die den Startplatz über das Losverfahren gewonnen haben.

Letzteres könnte darauf hindeuten, dass bei den Männern der Gap zwischen Eliteläufern und Freizeitläufern geringer ist als bei den Frauen.

 

8. The Golden Hour is the Best Hour!

Ich bin ein bekennender Fan der Golden Hour. Zu keinem Zeitpunkt des Western States ist die Begeisterung bei Publikum, Crews und Läufern so groß wie in der Stunde vor dem 30-Stunden Cutoff. Und zu keinem Zeitpunkt liegen Triumph und Tragik so nah beieinander.

So auch in diesem Jahr. Ganze 60 Läuferinnen und Läufer der 286 Finisher – also gut 20% - kamen in dieser letzten Stunde im Ziel in Auburn an. Darunter war – wenn auch noch weit entfernt vom Cutoff – der Deutsche Läufer Andreas Kohlhund.

Doch spätestens 15 Minuten vor Ende des Rennens beginnt es richtig spannend zu werden. Man weiß zu diesem Zeitpunkt genau, welcher Läufer wann an Robie Point angekommen ist, 1,3 Meilen vor der Ziellinie. Und man kann mitfiebern, ob diese Läufer diese 1,3 Meilen noch in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit schaffen oder nicht.

Die letzte Läuferin, die gestern innerhalb der Cutoff-Zeit ins Ziel kam, war Iris Cooper (65) in 29:56:10. Sie war gleichzeitig auch die älteste Läuferin des diesjährigen Western States.

Nach diesem Triumph begann die Tragik. Ganze 33 Sekunden nach dem 30-Stunden Cutoffs überquerte William Barkan die Ziellinie. William ist ein stark sehbehinderter Läufer, der offiziell als „blind“ gilt. Aber auch wenn er die Cutoff-Zeit nicht geschafft hat, hat er doch eine neue Marke gesetzt: Er ist der erste blinde Läufer, der je den Western States gefinisht hat.

 

9. Wie hart war das Rennen dieses Jahr?

Auf der Seite des Western States gibt es ein paar Statistiken, die als „Geeks only“ überschrieben sind. Darunter ist auch eine Statistik, mit der man versucht zu beurteilen, wie „schwer“ das Rennen im jeweiligen Jahr war. Beim Western States spielen die Streckenbedingungen (insbesondere möglicher Restschnee im High Country) und das Wetter am Tag des Rennens eine ganz entscheidende Rolle, wenn es um die Beurteilung geht, ob es ein „easy year“ oder ein „hard year“ war.

Um dies zu beurteilen, bedienen sich die Statistiker des Medians der Laufzeiten. Der Median ist die Zeit, unter der genau 50% der Finisher geblieben sind. Im härtesten Jahr (1995) war dieser Median 28:15:00, im leichtesten Jahr (2012) 24:48:29.

Wenn man den Median der Finisherzeiten für 2024 berechnet, so kommt man auf 26:25:38. Damit lag man in diesem Jahr ziemlich genau in der Mitte zwischen „hard“ und „easy“. Übrigens: Im vergangenen Jahr, als Courtney ihren Streckenrekord aufstellte, betrug der Median 27:07:15. Die Bedingungen waren also 2024 wohl etwas besser als 2023, vermutlich weil im High Country der Restschnee keine Rolle spielte.

 

 

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