von Sabine
In wenigen Tagen findet der Western States Endurance Run statt. Es ist eines der wenigen
US-amerikanischen Rennen, das auch hierzulande viele Fans hat. Es
ist reich an Geschichte und an Geschichten. Dieses Rennen hat
Ultrarunning-Legenden hervorgebracht: Eine Ann Trason, die das Rennen zwischen
1989 und 2003 vierzehn Mal gewonnen hat. Einen Scott Jurek, der zwischen 1999
und 2005 sieben Mal in Folge siegreich war. Doch nicht immer waren es die
Triumphe, die dieses Rennen so besonders machten – es gab mindestens genauso
viele Tragödien. Zum Beispiel Brian Morrison, der 2006 dreihundert Meter vor
der Ziellinie – schon auf der Laufbahn der Placer High School in Auburn –
zusammenbrach und das Ziel nicht ohne fremde Hilfe erreichen konnte. Oder zehn
Jahre später das Drama um Jim Walmsley, der deutlich in Führung lag, sich dann
aber verlief und schließlich als Zwanzigster das Ziel erreichte. Ganz zu
schweigen von den Dramen, die sich im Kampf um die Cutoff-Zeiten
abspielen.
Aber das ist nicht der einzige Grund, warum dieses Rennen so geschichtsreich
ist. Der Western States Trail, den Jahr für Jahr Ende Juni knapp 400
Läuferinnen und Läufer von Squaw Valley nach Auburn unter die Laufschuhe
nehmen, ist historisches Terrain. Der Weg verläuft entlang von Jagd- und
Handelspfaden, die die indigenen Stämme der Region schon seit hunderten von
Jahren nutzten. Und er verläuft durch Stätten des kalifornischen Goldrauschs,
der zwischen 1848 und 1854 Tausende Siedler und Glücksritter angezogen hatte.
Die heutigen Aid Stations Robinson Flat, Miller’s Defeat oder Foresthill
erinnern an diese Zeiten.
Was die meisten Ultrarunner nicht auf dem „Schirm“ haben: Nur wenige Meilen
nördlich des Western States Trails gibt es noch einen anderen, wahrhaft historischen
„Trail“: Die Route des sogenannten „Forlorn Hope“, die von Truckee Lake (heute
Donner Lake) zu Johnson’s Ranch in der Nähe von Wheatland/Kalifornien führt.
Und nein: das ist kein weiteres Trailrunning-Event. Während die heutigen
Läuferinnen und Läufer um den Sieg oder gegen den Cutoff kämpfen, sich um ihre
Blutzuckerwerte oder ein gutes Körpertemperaturmanagement sorgen, ging es beim
Forlorn Hope buchstäblich um Leben und Tod.
Die Trails der amerikanischen Siedler und die Donner Party
Wenn wir heute von „Trails“ sprechen, dann sprechen wir von Wanderwegen. Von
Wegen, auf denen wir Trailrunner gerne laufen. Doch vor knapp 200 Jahren hat
man bei dem Wort „Trail“ nicht an Freizeit und sportliche Betätigung gedacht,
sondern an etwas viel Existenzielleres: Die großen Trails der USA – der Santa
Fe Trail, der Oregon Trail, der California Trail oder der Mormon Trail – waren
die Zugwege der Siedler und damit die Pfade des „Westward Movements“, von
Menschen, die sich im Westen der USA mehr Land, Wohlstand oder (religiöse)
Freiheit versprachen.
Ab 1842 zog es immer mehr Menschen in Richtung Oregon und Kalifornien. So
machten sich im Jahr 1846 rund 2700 Menschen in den USA auf den langen Treck
nach Westen auf. Darunter die Familien von George und Tamsen Donner, Jacob und
Elizabeth Donner und James und Margret Reed. Sie hatten bis dahin in
Springfield, Illinois gelebt und versprachen sich in Kalifornien mehr
Wohlstand und bessere Gesundheit. In Independence, Missouri, startete man dann
im April 1846 auf den Oregon-Trail, verließ das damalige Staatsgebiet der USA
und schloss sich einem Treck von etwa 50 Familien unter der Leitung von
William H. Russell an. Obwohl Regen und Hochwasser die Flussquerungen
schwierig machten und zu Verzögerungen führten, gab es auf der ersten Hälfte
der etwa 2600 Kilometer langen Strecke keine besonderen Vorkommnisse. Anfang
Juli überquerte man am South Pass die kontinentale Wasserscheide. Doch kurz
danach trafen die Familien Donner, Reed zusammen mit den Familien Breene,
Eddy, Graves und Murphy und einigen anderen Einzelpersonen eine fatale
Entscheidung. In der Hoffnung, die Verzögerungen auf der ersten Streckenhälfte
wettzumachen, wählte man den sogenannten „Hastings’ Cutoff“ – eine angeblich
kürzere Streckenvariante, die ein windiger Geschäftsmann namens Lansford
Hastings wie sauer Bier anpries. Sehr zur Freude des Trappers Jim Bridger,
dessen Fort ein paar Meilen südlich von der Normalroute des California- und
Oregon-Trails lag. Seitdem die Siedler hinter dem South Pass nach
Nordwesten abbogen, ging das Geschäft schlecht. Und der von Hastings
vorgeschlagene Weg würde Fort Bridger wieder zur Durchgangsstation machen.
Parting of the ways |
Das Problem: Als Lansford Hastings seinen „Cutoff“ in seiner Reisebroschüre
„The Emigrants' Guide to Oregon and California“ beschrieb, hatte er ihn selbst
noch gar nicht bereist. Sein Cutoff entstand am grünen Tisch in der Hoffnung,
möglichst viele Emigranten, die eigentlich nach Oregon wollten, nach
Kalifornien „umzuleiten“ – wo Hastings die unabhängige „Republik Kalifornien“
gründen wollte. Erst im Sommer 1846 erkundete er „seine“ Route selbst.
Aber Hastings hatte mit seinem Marketing Erfolg. Die Hoffnung auf eine kürzere
Strecke verfing bei den Siedlern, die erst relativ spät im Jahr aus Missouri
aufgebrochen waren und daher den „Back of the Pack“ des Siedlerzugs bildeten.
Denn es blieben nur noch drei Monate, um die letzte Barriere, die Sierra
Nevada, zu überwinden. Man stimmte ab, wählte mit George Donner einen neuen
Führer und nannte sich ab jetzt „Donner Party“. Und diese Donner Party zweigte
nun vom traditionellen California Trail ab – nach Südwesten Richtung Fort
Bridger.
Bridger, dem sehr an der Etablierung des Cutoff gelegen war, beschreibt der
Donner-Party den weiteren Streckenverlauf als „guter, ebener Weg mit viel
Wasser und Gras für die Zugtiere“. Eine Lüge, wie sich schnell herausstellt.
Es geht durch schwieriges Gelände. Immer wieder muss man anhalten, abspannen,
die Wagen über Hindernisse tragen. Der Treck legt bei der Durchquerung der
Wasatch Range durchschnittlich gerade mal 1,5 Meilen pro Tag zurück. Es geht
durch den Weber Canyon – und heutige Namen wie „Devils Slide“ oder „Devils
Gate“ lassen vermuten, wie schwierig damals die Durchquerung mit Zugtieren und
schweren Wagen war.
Es dauert bis zum 20. August, bis man schließlich die Ebene des großen
Salzsees erreicht. Doch dort hören die Schwierigkeiten nicht auf. Die nächsten
120 Kilometer sind Wüste – Kein Wasser, kein Gras für die Zugtiere,
schwieriges Gelände. Hastings hatte beschrieben, dass dieser Streckenabschnitt
nur halb so lang sei. Menschen und Vieh hungern und dursten.
Als man die Große Salzwüste dann endlich hinter sich hat, ist es Zeit für eine
Inventur. Und das Ergebnis dieser Bestandsaufnahme ist bestürzend: Die
Nahrungsmittel, die die Donner-Party noch hat, werden auf keinen Fall für den
Weg nach Kalifornien reichen.
Es ist die Stunde von Charles Stanton: Er bietet sich an, vorauszureiten, in Fort Sutter (Kalifornien) neuen
Proviant zu besorgen und mit diesem Proviant dann der Donnerparty so weit wie
möglich entgegenzureiten. Ihm schlägt große Skepsis entgegen: Stanton ist
Junggeselle – wieso sollte gerade er die Motivation haben, nach erfolgter
Durchquerung der Sierra Nevada noch einmal den Rückweg anzutreten und sich nochmal den vielen Gefahren auszusetzen?
Dennoch erteilt man ihm schließlich den Auftrag. Spoiler: Das Misstrauen gegenüber Stanton war völlig ungerechtfertigt.
So reitet Stanton zusammen mit einem weiteren Mitglied der Donner Party voran.
Bei den anderen Siedlern liegen dagegen die Nerven zunehmend blank und es
zeigen sich die ersten Auflösungserscheinungen. Als sich zwei Ochsenwagen in
schwerem Gelände ineinander verfangen, ersticht James Reed den Fuhrmann John
Snyder im Handgemenge. Er wird aus dem Treck verbannt und muss sich allein
durchschlagen. Ein scheinbares Todesurteil. Etwas später reißen mehrere
Zugtiere nachts aus – wahrscheinlich aus Hunger und Durst. Wagen müssen
zurückgelassen werden, jeder unnötige Ballast ebenso. Auch einen 60-jährigen
Belgier setzt man einfach am Wegesrand aus. Er schafft es nicht, zu Fuß mit den Wagen Schritt zu halten. Wiederholt kommt es zu Konflikten
mit den Paiute-Indianern, die Tiere der Siedler stehlen oder töten. Zwei
weitere Siedler sterben durch die Hand ihrer Mitreisenden.
Schließlich stößt der Treck auf die Originalroute des California-Trail. Der
„Hastings‘ Cutoff“ ist geschafft. Fun Fact: Die „Abkürzung“ war 200 Kilometer
länger als die Standardroute – und wegen des schwierigen Geländes hat man noch
zusätzliche Zeit verloren.
Jetzt liegt nur noch ein Hindernis vor ihnen:
Die Sierra Nevada muss noch überquert werden – die Passhöhe liegt auf über
2000 Meter.
Immerhin hat man nun eine Sorge weniger: Charles Stanton ist tatsächlich
zurückgekommen – mit Proviant und zwei Indianerjungen aus dem Stamm der Miwok
– Luis und Salvador -, die ihm als Führer über die Sierra Nevada dienen
sollen. Auf den Weiden am Truckee Lake lässt man für ein paar Tage das
verbleibende Zugvieh grasen, damit es für den finalen Push zu Kräften
kommt.
Es ist Anfang November. Zeit zum Aufbruch. Als man sich endlich in Bewegung
setzt, beginnt es zu schneien. Und es schneit. Und schneit. Und schneit.
Mehrere Versuche, die Passhöhe zu erreichen, scheitern. Die Siedler bauen sich
primitive Hütten und Unterstände. Man hofft auf wärmeres Wetter. Doch das
Gegenteil ist der Fall. Kälte und Schnee führen dazu, dass der Zusatzproviant,
den Charles Stanton gebracht hatte, schnell aufgebraucht ist. Erste Zugtiere
verenden. Und dann stirbt Mitte Dezember der erste Siedler an Hunger und Schwäche.
So kann es nicht weitergehen!
Der Forlorn Hope
Wieder ist es die Stunde von Charles Stanton: Er, der schon zweimal den Pass überquert hat, will nun mit einer kleinen Gruppe von Siedlern einen weiteren Ausbruchsversuch machen. Der 57-jährige Franklin Graves hat hierzu behelfsmäßige Schneeschuhe gefertigt, hergestellt aus dem Joch der Ochsenkarren und aus Ochsenfellen, fünfzehn Paar. Der Stoßtrupp, der zu Johnson’s Ranch, der nächsten Siedlung in Kalifornien, durchbrechen soll, zählt zehn Männer und fünf Frauen im Alter zwischen 12 und 57 Jahren. Sie brechen am 16. Dezember auf. Zwei Personen, die sich der Gruppe anschließen, ohne über Schneeschuhe zu verfügen, müssen schnell wieder umkehren – denn in fast vier Metern Schnee gibt es für sie kein Durchkommen.
Diese Schneeschuh-Truppe sollte später „Forlorn Hope“ genannt werden – nach der
holländischen Bezeichnung für einen „versprengten Haufen“, eine taktische
Aufstellungsformation in Schlachten. Die Gegner, die der Forlorn Hope in
dieser „Schlacht“ vor der Brust hatte, sind Schnee, Kälte, Hunger und
Erschöpfung.
Immerhin erreichen sie mit den Schneeschuhen erstmals die Passhöhe –
mittlerweile als Donner Pass bekannt. Viel Proviant haben sie nicht dabei. Sie gehen davon aus, dass sie etwa sechs bis acht Tage für die rund 100 Meilen
bis zu Johnson’s Ranch brauchen. Der magere Proviant geht ihnen schon nach
fünf Tagen aus – doch da sind sie noch immer auf der Hochebene westlich des
Donner Passes. Am fünften Tag verlassen Charles Stanton die Kräfte. Er hat
schon zweimal die Sierra Nevada überquert und Notproviant für die Siedler
organisiert, doch die Anstrengung und die zunehmende Schneeblindheit sind für
den Dreißigjährigen zu viel. Er fordert seine Mitstreiter auf weiterzugehen –
er selbst bleibt, eine Pfeife rauchend, im Schnee sitzen. Er wird nie wieder
gesehen.
Stantons Tod ist für die anderen ein echtes Problem: Er war neben den
beiden jungen Miwoks der Einzige, der den Weg kannte. Und die Kommunikation
mit Luis und Salvador ist schwierig. Und prompt macht die Gruppe an Heiligabend,
neun Tage nach ihrem Aufbruch aus dem Camp, einen entscheidenden
Navigationsfehler: Sie kommen an einen Punkt, an dem es zwei Möglichkeiten
gibt: Entweder geradeaus, nochmal einen Anstieg hoch – oder nach links ins Tal
hinab. Die Gruppe wählt den Weg des geringsten Widerstands.
Das ist ein Fehler. Denn der Gegenanstieg hätte sie nach wenigen
Kilometern auf die Standardroute der Siedler ins Tal des Bear River und damit in
Richtung Sacramento Valley geführt. Den Weg, den der Forlorn Hope nimmt, führt
dagegen in den Canyon der North Fork des American River. Anders als im South
Fork des American River, entlang dem der Western States Trail verläuft, ist
der Canyon des North Fork steil und unwegsam und bis zum heutigen Tag nur
wenig erschlossen.
Kurz nach diesem Navigationsfehler trifft die Gruppe der nächste
Schicksalsschlag: In der Nacht von Heiligabend zum ersten Weihnachtsfeiertag
werden sie von einem Schneesturm erfasst, der so heftig ist, dass er das
überlebenswichtige Lagerfeuer ausbläst. William Eddy, der nach dem Tod von
Charles Stanton de facto der Anführer des Haufens ist, gelingt es zwar, die
Gruppe zusammenzuführen, um dem Blizzard möglichst wenig Angriffsfläche zu
bieten; schließlich kann er auch das Lagerfeuer nochmals entzünden. Und
trotzdem sterben im Schneesturm der nächsten Tage vier Männer, darunter auch
der 57-Jährige Schneeschuhfabrikant Franklin Graves. Mann wird dieses Lager
später „Camp of Death“ nennen. Der Hunger wird immer größer – schon seit
einigen Tagen hatte man nichts mehr gegessen. Daher passiert im Camp of Death erstmals
das Unvorstellbare: Die Überlebenden zerteilen die Leichen der Verstorbenen
und versuchen sich so selbst am Leben zu halten.
Als das Wetter sich bessert, geht es für die zehn Überlebenden weiter.
Zweimal muss der American River durchquert werden, zweimal gibt es steile Ab-
und Aufstiege zu bewältigen, die aus heutiger Sicht angesichts der Ausrüstung
der damaligen Zeit kaum machbar erscheinen. Im Laufe der nächsten Tage sterben nochmals drei Mitglieder des Forlorn Hope, zwei davon - Luis und Salvador - werden getötet.
Wenig später erreichen die sieben Überlebenden des Forlorn Hope eine
Indianersiedlung. Dort erhalten sie etwas Brot – damit schaffen sie es weitere fünf
Tage bis zu einer anderen Siedlung. Nur Eddy hat noch so viel Kraft und schleppt sich die
verbleibenden Meilen bis zu Johnson’s Ranch. Diese erreicht er am
18. Januar 1847 – dreiunddreißig Tage, nachdem der Schneeschuh-Trupp vom
Lager am Truckee Lake aufgebrochen war.
Eddy muss einen fürchterlichen Anblick geboten haben, als er am Tor von
Johnson’s Ranch klopfte. Nachdem sich die Bewohner der Ranch von ihrem ersten Schreck erholt haben, folgen sie seinen blutigen Fußspuren im
Schnee, bis sie die sechs anderen Überlebenden finden. Von den 15 Mitgliedern
des Forlorn Hope sind auf dem Weg zu Johnson’s Ranch acht Personen gestorben.
Alle fünf Frauen haben überlebt, von den Männern dagegen nur zwei.
So schnell wie möglich werden Rettungsmissionen zusammengestellt, die
versuchen sollen, zum Lager am Truckee Lake durchzubrechen. Es dauert bis zum
19. Februar, bis ihnen das gelingt. Bis dahin sind im Camp schon dreizehn
Personen gestorben. Eine Frau, die aus ihrem tief verschneiten Unterschlupf
hervorkommt, empfängt die Retter mit den Worten: “Are you men from California?
Or do you come from heaven?” Die „First Relief Party“ kann 18 Personen retten. Die „Second Relief Party“ rettet 14 Personen – zwei
Erwachsene und zwölf Kinder. Und während das Sterben im Lager am Truckee Lake
weitergeht, gelingt zwei weiteren Missionen nochmals die Rettung von sechs
Personen.
Von den 87 Mitgliedern der Donner-Party kamen 48 mit dem Leben
davon – all das wäre nicht möglich gewesen, wenn sich der Forlorn Hope nicht
durchgeschlagen und auf die verzweifelte Lage der Menschen am Truckee Lake
aufmerksam gemacht hätte.
Zwei parallele Linien
Sieht man sich die Routen von Western States und dem
Forlorn Hope an, so fällt auf, dass sie praktisch parallel mit etwa fünfzehn
Kilometer Abstand zueinander verlaufen. Die Strecke, die der Forlorn Hope zu
überwinden hatte, misst rund 100 Meilen – genau wie die Strecke des Western
States.
Wer beim Western States dabei ist – sei es als Läufer oder Crew – wird
auf der Fahrt nach Olympic Valley oder zurück nach Auburn unweigerlich den Weg
des Forlorn Hope immer wieder kreuzen. Die Route führt direkt am Donner Lake –
wie der Truckee Lake heute heißt – vorbei, dort wo im Winter 1846/47 das
Camp war, in dem so viele Siedler gestorben dem Hunger und der Kälte zum Opfer fielen. Man kommt auf dem Weg von Olympic Valley nach Auburn auch über den Donner Pass, der für die Siedler
ein schier unüberwindbares Hindernis darstellte, heute aber über die Interstate 80 leicht
zu überqueren ist. Überhaupt sind alle markanten Punkte des Forlorn Hope
Trails nur einen Steinwurf von der Autobahn entfernt.
Dennoch wissen nur wenige TeilnehmerInnen am Western States, welche
Dramen sich – sozusagen im Hinterhof dieses Rennens – vor 178 Jahren
abgespielt haben.
Auch mir war das nicht klar – erst als ich mich in den letzten Jahren
mit der Donner Party beschäftigte und mir dann den Streckenverlauf auf der
Karte ansah, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Nur unweit von den Ridges
und Canyons, an denen am letzten Wochenende im Juni eines der bekanntesten
Ultrarennen ausgetragen wird, spielten sich im 19. Jahrhundert Dramen ab, die wir
kaum nachvollziehen können.
Tim Twietmeyer kennt den Western States wie seine Westentasche: Fünfmal
hat er das Rennen gewonnen. Darüber hinaus hat er den Western States 25 Mal
innerhalb von 24 Stunden gefinisht. Seit 1996 ist er im Board of Directors des
Rennens – derzeit in der Funktion des Vizepräsidenten. Obwohl Twietmeyer ein
echtes Western States Urgestein ist, wurde ihm die geographische Nähe des
Western States und des Forlorn Hope Trails erst klar, als er das Buch „The Indifferent Stars Above“
las. Dieses Buch beschreibt das Schicksal der Donner Party aus der Perspektive
von Sarah Graves, einer der fünf jungen Frauen, die zum Forlorn Hope gehörten.
Twietmeyer fing an, sich für diese tragische Geschichte zu interessieren und zu
recherchieren. Zusammen mit Bob Crowley, der 2020/21 Präsident der ITRA war,
und den Trail-Läuferinnen Elke Reimer und Jennifer Hemmen begab er sich im
Winter 2020 schließlich auf eine fünftägige Schneeschuhtour, um den Weg der Forlorn Hope zu rekonstruieren.
Dabei gelang ihnen, einige noch unklare Punkte zu klären wie etwa die genaue
Lage des Camp of Death.
Doch dabei blieb es nicht – unter dem Label „History Trail Trekking“ zeichneten Twietmeyer, Crowley und andere im Februar 2022 auch den Weg der Relief-Expeditionen nach, die die Überlebenden der Donner-Party schließlich nach Kalifornien geführt haben.
Mit dem Western States Trail und dem Forlorn Hope Trail schneiden sich zwei Schicksalslinie wie Kerben in die Sierra Nevada ein, die sich in Raum und Zeit zwar nie berühren, und die trotzdem eng miteinander verknüpft sind.
Foto: History Expeditions |
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