Die diesjährigen Barkley Marathons waren ein Rennen der Rekorde: Zum ersten Mal gab es fünf Finisher. Jared Campbell finishte das Rennen zum vierten Mal – keiner hat das häufiger geschafft. Aber die ganz große Nachricht war: Jasmin Paris kam 99 Sekunden vor dem Cutoff ins Ziel und ist damit die erste Frau, die Barkley gefinisht hat.
Kann eine Frau überhaupt den Barkley finishen?
Im Jahr 2018 schrieb John Kelly, Barkley Finisher #15, einen Blogpost mit dem Titel „Kann eine Frau den Barkley finishen?“ Er kommt zu dem Schluss: Ja, das ist möglich – wenn er sich auch, wie er heute sagt, damals nicht sicher war, dass er das jemals erleben würde. In der für ihn typischen Mischung aus Humor und Logik leitete er die Begründung für seine Annahme her:
- Körperliche Schnelligkeit und Ausdauer sind beim Barkley die einzigen Fähigkeiten, bei denen eine Frau möglicherweise nicht mit dem besten Mann mithalten kann.
- Wenn nur die physische Geschwindigkeit und Ausdauer getestet wurde, habe ich gegen Frauen verloren und werde es auch weiterhin tun.
- Ich habe den Barkley 2017 gefinisht.
- Die Strecke und die Bedingungen im Jahr 2017 waren nicht weniger schwierig als die, mit denen die heutigen Teilnehmer konfrontiert sein könnten.
- Unter den Voraussetzungen 1 und 2 könnte mich eine Frau beim Barkley schlagen (das gilt selbst dann, wenn ich in der gleichen Verfassung wäre wie beim Rennen 2017).
- Unter den Voraussetzungen 3 und 4 kann ich den Barkley finishen.
- Wenn 5 und 6 gegeben sind, kann eine Frau Barkley finishen.
- Q.E.D.
Und da Kelly nun mal ein Datenwissenschaftler ist, nimmt er im Anschluss die Argumente auseinander, die sich auf historische Statistiken des Rennens stützen oder auf zufällige Stichproben aus der Bevölkerung: „Genauso ist es mir egal, wie viele Frauen beim Barkley starten und ob eine zufällige von ihnen das Rennen finishen kann - mir ist wichtig, dass die richtige Frau das Rennen finisht. Und bei der Aufmerksamkeit, die der Barkley jetzt genießt, und der Herausforderung, die dieses Rennen darstellt und die zweifellos viele Top-Frauen im Sport anspricht, denke ich, dass die richtige Frau sich angesprochen fühlen und sich melden wird, wenn sie es nicht schon getan hat.“
Die Datenlage
Vor 2024 deuteten die reinen Zahlen eher darauf hin, dass es schon sehr schwierig war, dass eine Frau überhaupt den Fun Run finishen könnte – ein Finish der Barkley Marathons schien ausgeschlossen.
Die durchschnittliche Frauenquote beim Barkley ist für ein solches, außergewöhnliches Rennen mit 14,1% (2001-2024) gar nicht so schlecht – beim UTMB, der ja eher „Mainstream“ ist, sind es gerade mal 11%. Doch wenn man auf die Finisherquote schaut, dann entwickelt sich von Runde zu Runde ein größerer Gap zwischen Männern und Frauen: Während 74% der Männer mindestens eine Runde schafften, waren es bei den Frauen 59%. Mindestens 3 Runden (Fun-Run) schafften 15% der Männer und 5% der Frauen. Und die Finisherquote für alle 5 Runden betrug – wenn man sich die Ergebnisse von 2001 bis 2023 anschaut - 3% bei den Männern und 0% bei den Frauen.
Umgekehrt ausgedrückt: Der durchschnittliche Anteil von Frauen an allen Finishern nimmt von Runde zu Runde ab. Während die Frauen 14% der StarterInnen stellen, sind es nach Loop 1 noch 12%, nach Loop 2 6% und nach Loop 3 5%.
Ein deutlicher Hinweis, dass die Physis – Kraft, Schnelligkeit und Ausdauer – trotz der Vielfalt an anderen Herausforderungen eine große Rolle spielt (Punkt 1 in der Argumentation von John Kelly) – und dass es hier durchaus einen Performance Gender Gap gibt.
Aber John Kelly hat auch in seiner zweiten Aussage Recht: Die Zukunft ist nicht einfach nur die Fortschreibung der Vergangenheit. Sonst hätte Roger Bannister auch nie die 4 Minuten für die Meile unterboten …
Das Rennen
Als John Kelly 2018 den oben genannten Blogpost schrieb, hatte sich Jasmin Paris noch nicht an den Barkley Marathons versucht. Lediglich zwei Frauen, Sue Johnston und Beverley Anderson-Abbs, hatten bis dahin überhaupt den Fun Run gefinisht – beide je zwei Mal.
Jasmin Paris trat 2022 erstmals beim Barkley an, schaffte auf Anhieb den „Fun Run“, wenn auch sozusagen auf der letzten Rille und gerade mal 10 Minuten vor dem Fun-Run-Cutoff von 40 Stunden. Im vergangenen Jahr blieb sie dann nach drei Runden 20 Minuten unter dem Cutoff von 36 Stunden, der ihr ermöglichte, auf die vierte Runde zu gehen.
Nach diesen zwei Auftritten beim Barkley schien Jasmin wirklich die „richtige Frau“ zu sein, von der John Kelly gesprochen hat. Sie bringt viel mit, was man beim Barkley richtig gut gebrauchen kann: Sie kommt aus der britischen Tradition des Fell-Running. Unwegsames Gelände? No Problem! Keine technischen Hilfsmittel? No Problem! Sich selbst im Gelände orientieren? No Problem? Den Cheviot Goat im Grenzgebiet zwischen England und Schottland, das Dragon’s Back Race in Wales und den Fellsman in den Yorkshire Dales hat sie jeweils schon gewonnen – als schnellste Frau. Beim Spine Race 2019 unterbot sie sogar den Gesamt-Streckenrekord um über 12 Stunden – dieser Rekord wurde erst 2024 von Jack Scott gebrochen. Gleichzeitig hat sie sich erfolgreich an den schwierigsten Skyraces dieser Welt versucht: Glen Coe Skyline, Hamperokken Skyrace, Trofeo Kima.
Diese Frau bringt eine unglaubliche Physis, technische Skills und auch mentale Härte mit.
Aber beim Barkley braucht es noch mehr: Es braucht Glück mit dem Wetter und exzellente Konkurrenten, mit denen man immer mal wieder in der Gruppe laufen und damit Zeit und Konzentration sparen kann. Und es braucht Solidarität: Nicht Läufer gegen Läufer, sondern die Gemeinschaft der Läufer gegen den „Barkley Course“, der von Jahr zu Jahr schwieriger wird.
Bei Jasmin Paris sind in diesem Jahr vielleicht alle Dinge zusammengekommen. Sie hat in den vergangenen beiden Jahren viel gelernt: Über die Strecke und über sich. Die Wetterbedingungen waren gut. Sie hatte die Physis, auch nach Tiefpunkten immer wieder zu Gruppen anderer Läufer aufschließen zu können. Sie hatte exzellente Konkurrenten von großer sportlicher Fairness wie einen Jared Campbell, der ihr bezüglich der Wahl ihrer Laufrichtung bei Runde 5 den Vortritt ließ.
Und sie hatte den unbedingten Durchhaltewillen – wie sie selbst nach dem Rennen berichtete: „Ich glaube, ich habe mir immer wieder gesagt: Wenn du es jetzt nicht schaffst, musst du nochmal zum Barkley“.
Nun ist es geschafft
Jasmin Paris hat als erste Frau die Barkley Marathons gefinisht – ein Meilenstein!
Und nun?
Wird es so gehen wie bei der legendären Schallgrenze der 4-Minute Mile? An der hatten sich jahrelang die besten Mittelstreckler der Welt die Zähne ausgebissen, bis Roger Bannister im Mai 1954 als erster Läufer diese Marke mit 3:59.4 durchbrach – nur um 46 Tage später von John Landy unterboten zu werden. Und bis zum Ende der 1950er Jahre hatten weitere 26 Läufer die magische 4-Minuten Grenze geknackt.
Wird das bei den Barkley Marathons auch so sein? Wird diese Challenge jetzt vermehrt Frauen anziehen, werden wir in den nächsten Jahren weitere Frauen sehen, die das Rennen finishen und die Zeit von Jasmin Paris unterbieten?
Oder ist Jasmin Paris ein solches Ausnahmetalent, dass es Jahrzehnte braucht, bis eine weitere Frau beim Barkley alle fünf Runden schafft? Wir dürfen ja nicht vergessen: Mit jedem Finish zieht Gary Cantrell die Daumenschrauben an und macht das Rennen schwieriger, baut zusätzliche Streckenabschnitte ein. Jared Campbell sagte nach seinem diesjährigen, vierten Finish zu Gary: „Der neue Streckenabschnitt ist brutal. Du bist ein böser Mensch …“
Wie auch immer es in den nächsten Jahren weitergehen wird, mit dem Finish von Jasmin Paris hat sich ein Zitat der amerikanischen Baseball-Legende Tommy Lasorda bewahrheitet: „Der Unterschied zwischen dem Unmöglichen und dem Möglichen liegt in der Entschlossenheit einer Person.“
Und besser als John Kelly könnte man dieses Ereignis kaum einordnen:
„Meine Töchter waren [bei ihrem Finish] dabei und haben zugesehen. Danke, Jasmin, dass du ihnen gezeigt hast, was ich ihnen nie ganz zeigen konnte.“
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