"Life should not be a journey to the grave with the intention of arriving safely in a pretty well preserved body, but rather to skid in broadside in a cloud of smoke, thoroughly used up, totally worn out, and loudly proclaiming, Wow! What a Ride!" - Hunter S. Thompson
Gestern Abend erreichte die Trailrunning-Welt eine ganz und gar unbegreifliche Nachricht: Andrea Huser ist in den Walliser Alpen abgestürzt und wurde tot aufgefunden.
Sie war bei einem Trainingslauf in der Nähe von Saas Fee unterwegs. Bei einer Bachüberquerung an einem Abhang ist es dann passiert: Offenbar rutschte sie ab und stürzte über 100 Meter in die Tiefe. Eine Vermisstenmeldung löste eine größere Suchaktion aus, bei der sie schließlich geborgen wurde.
Ein abrupter Schlusspunkt unter einem Leben, das vor Aktivität nur so strotzte.
Angefangen hatte alles mit dem Mountainbiken. Im Jahr 2002 wurde sie Europameisterin und erlebte ihren ersten Zenit. Zwei Jahre später erklärte sie ihren Rücktritt vom Wettkampfsport.
Wer aber dachte, dass sie sich jetzt zurückziehen und die Hände in den Schoß legen würde, hatte sich getäuscht. Letztlich wechselte sie nur die Disziplin. Oder ihr Fortbewegungsmittel …
Es folgten Bergläufe, Marathons, einige Triathlons. Im Jahr 2008 startete sie erstmals beim Sierre-Zinal – und belegte auf Anhieb Platz 5. 2012 siegte sie dann beim Swissalpine K42 – und betrat im Jahr darauf erstmals Ultra-Terrain. Dann gab es kein Halten mehr. Es gibt kaum einen Ultratrail-Klassiker, bei dem sie nicht dabei war. Und sie war nicht nur dabei, sie war erfolgreich: Sieg beim Eiger Ultra Trail 2016 und 2017, drei Mal der zweite Platz beim Transgrancanaria 2016 bis 2018, zweiter Platz beim UTMB 2016 und 2017, Sieg beim Lavaredo Ultra Trail 2016, Sieg beim MIUT 2017, Sieg bei der Diagonale des Fous 2016 und 2017, Platz 10 beim Western States 2017. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt ihrer Erfolge. Denn in den Jahren 2015 bis 2017 hatte sie ein Wettkampfpensum von deutlich über 1000 Kilometern, 2017 waren es sogar mehr als 1800 Kilometer. Es war, als wollte sie möglichst schnell noch alle Rennen bestreiten, die sie auf ihrer Bucket List hatte.
Dann streikte ihr Körper: 2018 musste sie beim Marathon des Sables wegen großer Schmerzen aufgeben. Diagnose: Ermüdungsbruch. Und damit begann ein Seuchenjahr. Wegen des Ermüdungsbruchs stieg sie wieder häufiger aufs Mountainbike – und zog sich bei einem Sturz einen Armbruch zu. Als dieser verheilt war, brach sie sich bei einem Unfall das Schlüsselbein. Es war, als hätte sich die Welt gegen sie verschworen. Auch 2019 wurde jeder Anlauf, wieder in die Wettkampfszene zurückzukehren, mit einem weiteren Ermüdungsbruch „bestraft“.
Es war bewundernswert, dass sie sich durch all diese Rückschläge nicht davon abbringen ließ, draußen aktiv zu sein. In der Folge sah man häufig Bilder von Kajaktouren auf dem Thuner See. Sie stieg wieder aufs Rad, fing wieder an zu laufen.
Im Jahr 2020 dann ein zaghaftes Comeback: Platz 7 beim Transgrancanaria. Ein riesiger Erfolg nach diesen beiden verkorksten Jahren. So konnte sie sich auf ihr nächstes großes Ziel fokussieren: Den Hardrock 100. Der stand nämlich noch auf der Bucket List. Im Vorjahr hatte sie Glück bei der Auslosung gehabt, hätte aber wohl verletzungsbedingt nicht starten können. Doch dann wurde das Rennen abgesagt und sie erhielt den Startplatz für 2020. Und damit die zweite Chance.
Dann kam Corona. Der Hardrock wurde wieder abgesagt. Andrea postete: „See you 2021“. Doch kurz darauf kam von ihr am 16. Juni eine Meldung, die viele fürchteten: Andrea gab bekannt, dass sie ihre Ultratrail-Wettkampfkarriere beendet. Grund: Ermüdungsbruch Nr. 4 – innerhalb von nicht einmal drei Jahren.
Der Körper hatte über den Geist gesiegt. Dann halt keine Wettkämpfe mehr. Aber die Aktivität ließ sie sich nicht nehmen. Andrea war weiterhin in der Natur unterwegs. Auf dem Rad, im Kanu, zu Fuß. Fast hatte man den Eindruck, als würde sie demnächst doch noch den Rücktritt vom Rücktritt erklären – oder in einer anderen Disziplin wieder auftauchen.
Mitte November erkrankte sie an Corona. Auch das noch! Doch Corona schien ihr nichts anhaben zu können. Wenn sie sich auch noch geschwächt fühlte, postete sie am 18. November: „Intensely alive after Corona“.
Nun ist sie tot.
Sie starb bei dem, was sie am meisten liebte. In Bewegung. Draußen. In der Natur, in ihren Bergen.
Das ist ein schwacher Trost. Denn wir werden sie vermissen: Ihre Freude am Sport. Ihren respektvollen und mitfühlenden Umgang mit anderen Athletinnen. Sie war sportlich wie menschlich eine große Bereicherung im Trailrunning. Hier klafft nun eine Lücke.
Rest in peace, Andrea.
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