Big Dog’s Satellite Backyard World Championship 2020 - Das Rennen

 


von Erik


Ende   -   Aus   -   Finito!

Ich liege rücklings auf der Tartanbahn im Zielbereich des Bienwald-Stadions zu Kandel. Die Big Dogs Backyard Ultra WM 2020 ist für mich beendet. 

Die Quälerei hat ein Ende. Endlich. Mir tut alles weh. Ich bin erleichtert.

Wenige Stunden nach dem Start hatte ich Knieschmerzen im rechten Knie bekommen, irgendwann kam dann das linke Bein hinzu. Im Verlauf der Zeit wurden die Schmerzen stärker, nach gut zehn Stunden waren sie massiv und belastend. Wie meist kommen dann Folgeprobleme hinzu, die durch kühles Wetter und Ermüdung zusätzlich befeuert werden: Muskuläre Verhärtungen, vor allem in den Oberschenkeln, Rücken, Beuger, zuletzt Schmerzen im Po. Alles tut weh. Jede neue Runde loszulaufen ist ein Mühsal.

War die Teilnahme vielleicht doch keine gute Idee gewesen? Die Voraussetzungen waren alles andere als optimal. In der ersten Jahreshälfte war ich sehr wenig laufen, für die direkte Vorbereitung blieben nur wenige Wochen, kurz vor dem Wettkampf hatte ich mir eine starke Sehnenreizung im Oberschenkel zugezogen und dann kam auch noch ein Infekt hinzu, der erst zwei Tage vor dem Rennen ausgestanden war. Rächte sich das nun?

Bestmögliche Behandlung durch meine Crew, Katrin, Andrea und Sabine, in den Pausen, mit Wärme, Massage, Rollen, Dehnen, Salben brachte immer nur kurze oder keine Linderung und keine wirkliche Verbesserung.

Die mentale Palette war irgendwann auch durch: Ignorieren, adaptieren, wegdiskutieren, ablenken, annehmen etc. 

Am Ende bleibt: Akzeptieren und damit leben. Schmerzen sind nur Schmerzen. Schmerzen gehören  zum Spiel dazu. Man hat es gewusst und so gewollt. Also weitermachen.

Nach gut zehn Stunden bin ich dann allerdings zermürbt. Der Gedanke, dass ich mir beim letzten Mal, als sich das Knie so ähnlich angefühlt hat, einen dauerhaften Schaden eingefangen habe, mehrere Wochen pausieren musste und lange Monate Probleme hatte, ist auch nicht förderlich.

Und so wurde mir sukzessive klar, dass das heute für mich ein vorzeitiges Ende nehmen würde. Nach zwanzig Stunden entschied ich, 24 Stunden und somit 100 Meilen irgendwie vollmachen zu wollen und dann das Elend zu beenden.

Die letzten drei Stunden waren dann reine Quälerei, emotional war ich langsam, gelinde gesagt, angeschlagen. Trotzdem schaffte ich die 24 Stunden, marschierte zufrieden, emotional und mit mir im Reinen ins Ziel und ließ mich erleichtert fallen. Geschafft. 

"Du schaffst doch die Rundenzeiten noch. Dann kannst du auch weitermachen. Jetzt pienz nicht rum. Versuchs nochmal. Los." 

Meine Frau. 

Katrin steht über mir und versucht mich zu motivieren. Sie hat den Auftrag dies zu tun und zu sagen. Von mir. Vor dem Rennen hatte ich ihr gesagt, dass es unweigerlich irgendwann so sein würde, dass ich nicht mehr kann und nicht mehr will. Dann müsse sie mir "in den Arsch treten" und gegebenenfalls auch hart sein. Und das tut sie nun. 

Mein Ziel war ja auch gewesen, nicht aufzuhören, so lange ich die Rundenzeiten schaffe. Das hatte ich stundenlang mit mir selbst unterwegs diskutiert und dann die Entscheidung getroffen, dass eine Knieverletzung einen Unterschied macht und ich deshalb aufhöre, obwohl ich die Zeiten noch schaffe. Und so ist meine Antwort an Katrin: "Nein. Aus."

Angeblich soll ich gesagt haben: " Wenn du noch einmal sagst, ich soll weiterlaufen, bringe ich dich um." Das kann ich mir aber gar nicht vorstellen. Und wenn dann habe ich es bestimmt nicht ernst gemeint. ;-)

Also Ende. 

Da höre ich eine weitere Stimme: "Erik, versuch es doch nochmal. Geh einfach mit auf die Runde, du kannst ja jederzeit aufhören und wirst dann später nicht bereuen, es nicht zumindest versucht zu haben."

Ja, schlau. Das habe ich mir doch auch schon überlegt. X Runden lang. Und habe es immer noch mal und noch mal versucht. 

Ich habe einfach keine mentale Energie mehr. 

Also Finito.

Rückblende.

Am Samstag, 17.10.20 kommen meine Frau Katrin und ich frühzeitig in Kandel im Bienwald-Stadion an. Wir wollen genügend Zeit haben alles aufzubauen und vorzubereiten. Es soll kein Stress aufkommen. Der Rest von Trailrunning HD, also Sabine und Andrea, die zusammen mit Katrin meine Crew bilden, kommen später.

Gleich am Eingang werden wir von Michael Ohlers Frau Anette begrüßt. Super nett. Da fühlt man sich gleich wohl. Und dieses Gefühl wird bis zum Ende bleiben. Alle Beteiligten an diesem Event waren nett, mit Herzblut dabei, motiviert, immer bemüht zu unterstützen und alles möglich zu machen und haben für eine super Atmosphäre und Stimmung gesorgt. Familiär und professionell. Wohlfühlfaktor.

Der Start- und Zielbereich ist auf der Tartanbahn, direkt dahinter ist Platz für Stühle und Zelte. Auf dem Seitenstreifen stehen Zeitnahme und Verpflegungszelt. 

Noch eine gute Stunde. Alles ruhig.

Kontrollzentrum

Also Igluzelt aufgebaut, ordentliche Matratze und Bettzeug rein, man will es ja schließlich kuschelig haben beim Power-Nap. Zusatzklamotten bereitlegen, Ersatzschuhe, Getränke, Flasks, Essen, Massagematte, Faszienrolle hinrichten. Auto war voll, ich komme mir vor, als ob ich eine Woche verreisen würde. Könnte ja aber auch eine lange Reise werden...

Dann nochmal ab in die Stadt, Mittagessen gehen. Bräuchte ich jetzt eigentlich nicht, aber so kann man sich nochmal aufwärmen. Es ist frisch.

Zurück im Stadion sind nun alle eingetroffen und es ist ein Mini-Zeltstädtchen entstanden. Geschäftiges Treiben. Sehr entspannte Stimmung. Begrüßen der Teammitglieder. Außer Michael Ohler, Teamcaptain und Organisator des gesamten Events, kenne ich noch niemanden persönlich. Andreas Löffler und Harald Menzel natürlich als Sieger und Zweiter des Vorjahres, Marina Kollassa als frischgebackene Siegerin des Schinder Backyard Ultra. 

Es ist ein kleines Team, pro Land sind 15 Teilnehmer zugelassen. Für Deutschland sind das: Andreas Löffler, Bernhard Epple, Harald Menzel, Marina Kollassa, Patrick George, Anke Warlich, Erik Drollinger, Michael Ohler, Klaus Mantel, Patrick Obert, Frank Götze, Tobias Krumm, Tanja Höschele, Rene Bonn, Wolfgang Neuweiler.

Was kann unser Team leisten? Für mich schwierig zu prognostizieren, da ich die meisten nicht kenne. Michael schätze ich stark ein, der ist auf ganz langen Kanten unterwegs. Andreas und Harald als die beiden besten des Vorjahres mit 45 und 46 Runden und Marina als Siegerin beim Schinder mit 31 Runden drängen sich auf.

International sollten wir keine Rolle spielen, es nehmen absolute Top-Läufer, teils Profis, teil. Zu nennen sind hier sicherlich Vorjahressiegerin Maggie Guterl, Courtney Dauwalter, John Fejes, Guillaume Calmettes, Mike Wardian, Karel Sabbe, Schweden ist grundsätzlich stark, Schweiz hat ein gutes Team, Mexiko ist eine Wundertüte.

Die Erwartungen sind hoch. Es haben noch nie so viele Top-Leute in einem Rennen mitgemacht, das US-Team scheint saustark und ist Top-Favorit, Maggie Guterl war letztes Jahr nach über 60 Runden noch recht frisch und denkt über 100 Stunden nach, Mike Wardian ebenfalls nach seinem Sieg im diesjährigen virtuellen globalen Backyard, Courtney Dauwalter ist immer alles zuzutrauen. Es wird davon ausgegangen, dass der Sieg nicht unter 70 Runden zu haben sein wird. Man wird sehen...

Meine persönlichen Erwartungen bzw. Zielsetzung? 

In einem Video mit  Guillaume Calmettes, einem der Big Dogs Sieger, hatte ich gehört, dass man ohne Rundenziel ins Rennen gehen soll, sonst würde man aufhören, sobald man dieses erreicht hat und hätte somit keine Siegchance. Also nehme ich mir keine konkrete Zahl vor. Just one more loop. Immer nur an die nächste Runde denken.

Was traue ich mir zu? 50? Das klingt jetzt vielleicht ein wenig großkotzig, aber falls ich es durch die zweite Nacht schaffe, was ich für möglich halte, dann bekommt man bestimmt auch noch den Tag und somit die 50 hin. Logisch, oder? ;-)

Noch lacht er...

Das waren zumindest die Überlegungen bis zwei Wochen vor dem Start. Eine Sehnenreizung im rechten Oberschenkel, die ich mir zugezogen hatte, erlaubte kein Laufen ohne Schmerzen länger als 30 Minuten. Die Aussage meines Physios fünf Tage vor dem Rennen war: Versuchen sie es, wenn es wieder losgeht müssen sie halt aufhören.

Die Ausgangslage war somit erstmal eine andere. Nämlich dass die ganze Sache für mich unter Umständen schon nach wenigen Stunden wieder beendet sein könnte. Mein Plan war, so schonend wir nur irgend möglich zu laufen. Flach, soft, vorsichtig, langsam. Beine behandeln wie ein rohes Ei. 

Die mangelhafte Vorbereitung und den Infekt hatte ich verdrängt, sollte das Bein halten ging ich davon aus, dass ich sehr lange laufen würde.

Mit diesem Gedanken stand ich dann mit den anderen um 13:55 Uhr am Start.

Nach einem kurzen Racebriefing erfolgt die coronakonforme Startaufstellung. 

Briefing

Alle schon im Tunnel...


14.00 Uhr. Startschuss. Auf geht's. Das Rennen läuft.

Startaufstellung

Los geht's


 

Runde 1 - Loslaufen

Im Stadion sortiert sich sofort, was über viele Stunden Standard sein wird. Patrick George und Tobias Krumm ("ich kann gar nicht so langsam") stürmen voraus, in der Mitte bilden sich kleine Grüppchen die plaudernd lostraben und am Schluss kommt Bernhard Epple der losmarschiert. Seine Strategie: zwei Drittel marschieren, ein Drittel laufen. Könnte klappen, er geht fast so schnell, wie wir anderen rennen. Raus in den Wald, das Tempo ist gemächlich, ich komme mir vor, wie in einer Rentnergang beim gemütlichem Sonntagsjogging. ;-)

Wolfgang, Andreas, Rene, Michael, Erik

Für mich gilt erstmal, vorsichtig loszulaufen um mein lädiertes Bein zu schonen und warmzulaufen, einen angenehmen Rhythmus zu finden und zu schauen, wie ich mit der Zeit am besten hinkomme. Andreas Löffler, der Vorjahressieger, erzählt mir, dass er am liebsten durchrennt und wenig geht, andere wechseln häufiger ab. In der ersten Runde laufen die meisten überwiegend. 

Klaus

Tanja und Frank

Rene und Andreas

Patrick

Ich habe mir vorher ein paar Wegepunkte ausgesucht, für die ich mir die Zeiten merken werde, um dann entsprechend die Geh-Einheiten planen zu können. So komme ich z.B. nach ca. 35 Minuten an den Punkt 2km bis zum Ziel. Wenn ich also nach Plan nach ca. 50 Minuten im Ziel sein möchte, habe ich nun 15 Minuten Zeit. Bedeutet also, dass ich den Rest überwiegend gehen kann.

Passt soweit alles. Fühle mich gut, Sehnenreizung spüre ich noch ein wenig, macht aber einen guten Eindruck. Gefühlt war das super langsam und trotzdem war ich deutlich unter 50 Minuten im Stadion.

Läuft

Rein ins Ziel, direkt zu meinem Platz. Betreuung nach Plan. Meine Crew hat einen schriftlichen Ablaufplan, so wird nichts vergessen. 1. Ein Becher Refresher. 2. Flask im Trinkrucksack tauschen. 2. Kurz dehnen, lockern, ggf. massieren. 3. Hinsetzen und in Decke einwickeln zum warmhalten. 4. Etwas essen. 5. Fragen stellen: was in der nächsten Runde essen? Neue Klamotten? Sonst was? 6. 2min vor dem Start Rucksack auf, lockern, zum Start gehen.

 

Runde 2 und 3 - Einlaufen

Start Nr. 2

Inzwischen habe ich einen guten Rhythmus gefunden. Für mich recht langsames Lauftempo, welches sich trotzdem angenehm anfühlt, laufe die ersten ca. drei bis vier Kilometer durch und ab Restkilometer zwei wird überwiegend gewalked. So komme ich jeweils nach gut unter 50 Minuten ins Stadion und habe genügend Zeit mich stressfrei zu versorgen. 

Mein Bein spüre ich nun nicht mehr, mein schleichender Gang scheint funktioniert zu haben. Fühlt sich alles sehr gut an. Ich bin vor allem total erleichtert, dass meine Sorge, ich könnte aufgrund der Verletzung schnell aufgeben müssen, bisher unbegründet war. 

Die Betreuung im Start-/Zielbereich spielt sich ebenfalls ein und läuft wie ein Uhrwerk. Andrea, Sabine und Katrin haben immer alles perfekt vorbereitet und sich die Aufgaben gut verteilt. Ich weiß manchmal gar nicht wie mir geschieht, von links bekomme ich einen Becher in die Hand gedrückt, von hinten nimmt man mir den Rucksack ab, "dehnen", "lockern", "hinsetzen", ich werde in eine Decke eingeschlagen, ein Teller Nudeln steht bereit. Perfekt.

Dehnen und Lockern nach jeder Runde

Nein, kein Bär. Warme Decke!

Lecker Nudeln

Ein kurzer Plausch und schon ertönt das 3-Minuten-Signal. Brutal wie schnell knapp 10 Minuten rumgehen. Das ist jetzt noch überhaupt kein Problem, man kann sich aber vorstellen, wie eng das werden kann, wenn man langsamer wird oder etwas sein sollte. 

Rucksack auf, weiter geht's.

 

Runde 4 und 5 - Rollen

Die ersten drei Stunden waren zum reinkommen, jetzt rollt man einfach so dahin. Zeit, sich zu unterhalten, oder den Gesprächen der anderen zu lauschen. Sehr interessant, sehr unterhaltsam, lenkt ab und die Zeit geht schneller rum. Man ist noch fit, hat keine Probleme, hat aber auch gerade erst angefangen. Also rollt man sich ein und Runde um Runde dahin.

Tobias und Anke

Michael, im Hintergrund Andreas

Wolfgang und Rene, im Vordergrund Harald und Marina


Michael Ohler erzählt mir von seiner Western States Endurance Run Teilnahme. Muss genial sein und das höre ich nicht zum ersten Mal. Mein Los war schon mehrfach im Topf. Hoffentlich klappt das mal.

Inzwischen spüre ich leider mein rechtes Knie. Das ist aber noch nicht bedenklich. Seit einer Verletzung vor ein paar Jahren, spüre ich das Knie häufig. Es zieht nur etwas mehr als sonst. Ich werde beim nächsten Stopp mal etwas länger die Oberschenkel dehnen und lockern, Verhärtungen dort sind oft für Knieschmerzen verantwortlich. Und meine Oberschenkel fühlen sich für den frühen Rennverlauf schon recht hart an. Das kühle Wetter?

Auf jeden Fall lieber vorbeugen. Es dämmert langsam und somit geht es bald in die Nacht. Und dann wird es kälter werden. Anstatt 10 bis 11 Grad am Tag sind ca. 5 Grad in der Nacht zu erwarten.

Also lasse ich die Gehpassagen weg um mehr Zeit zu haben. Neben der Dehnung und Massage will ich auch die Schuhe wechseln, es geht auf die Nachtstrecke und somit auf Asphalt. Tagsüber hatte ich die Hoka Speedgoat an, mein Lieblingsschuh, Nachts wird es nun der Hoka Elevon sein, ein Komfortschuh.

Also rein ins Stadion, KatrinSabineAndreaMaschine rollt, neue Klamotten, Schuhe wechseln, Mütze und Stirnlampe auf. Inzwischen bin ich verpflegungstechnisch auf Kaffee und Kuchen umgestiegen. Es gibt da einen Nusskuchen: Mega lecker.

Alle noch dabei. 

Zwischenstand und Rundenzeiten


 

Runde 7 und 8 - In die Nacht

Start in die Nacht

Jetzt geht es also auf die Nachtrunde. Mal sehen, wie die so ist. Wir laufen los und ich spüre sofort: Das läuft nicht rund mit den Straßenschuhen. Rollt nicht, fühlt sich nicht harmonisch an. 

Hier muss ich mich jetzt leider als Voll-Honk outen. Die Schuhe sind neu. Und das Modell ist für mich auch neu. Ja, ja, ich weiß: Blöder geht's nicht. Zu meiner Entschuldigung kann ich anführen, dass ich bis vor ein paar Wochen keine Straßenschuhe mehr hatte. Ich laufe fast nur auf Trail und die letzten Straßenschuhe die ich hatte, waren ausgetreten. Deshalb hatte ich mir frühzeitig neue gekauft. Nur haben die leider nicht richtig gepasst. Und die neue Bestellung kam erst verspätet und dann hatte ich die letzten zwei Wochen durch Verletzung und Krankheit keine Zeit mehr die neuen Schuhe einzulaufen.

Und deshalb sind sie nun halt noch neu. Die Idee war, es zu probieren und sollte es nicht funktionieren, alles mit den Speedgoat zu laufen. Aber vielleicht braucht es ja nur ein paar Kilometer des Einlaufens.

Die Nachtstrecke stellt sich dann als höchst langweilige Runde heraus, zwei lange Geraden ziehen sich immer wieder ordentlich. 

Da ich dem Schuh etwas Zeit geben will, gehe ich damit auch noch auf eine zweite Runde. Das stellt sich aber als Fehler heraus. Passt irgendwie einfach nicht. Es läuft so unrund, dass meine eh schon etwas verhärteten Oberschenkel zusätzlich verkrampfen und die Waden beginnen zu ziehen. Bei der zweiten Pause also der Wechsel zurück auf die Speedgoat. Schon beim Reinschlupfen fühlt sich das super an. Herrlich.

Mal eine flotte Runde. Schuhe wechseln. Vorne Sabine.

Auch die Crew hat Spaß. Andrea und Sabine. 


 

Runde 9 und 10 - Rauslaufen

Die beiden Runden mit den falschen Schuhen haben meinen Beinen nicht gut getan. Tut weh und ist verkrampft. Also jetzt erstmal besonders rund und locker laufen um die Verkrampfung rauszulaufen. Tatsächlich brauche ich ganze eineinhalb Runden bis sich alles wieder normal anfühlt.

Durch das Laufen bei Nacht ist auch die Stimmung in der Gruppe etwas ruhiger geworden. Bis auf Marina, die quatscht gefühlt eigentlich die ganze Zeit. Außer sie singt. Inzwischen hat sie nämlich ihr Smartphone dabei und unterhält die Truppe mit Musik. Und gelegentlichem Mitsingen...

Auf der Strecke passieren wir regelmäßig eine Scheune aus der es oben rausdampft und unten rauswummert: Disco. Mal sehen, wie lange die durchhalten...

Seit ein paar Stunden habe ich nun in beiden Knien Schmerzen, die auch stärker geworden sind. Alle bisherigen Maßnahmen, Dehnen, Massieren, Salbe, Lockern, warme Klamotten, haben nichts gebracht. Es ist ein schleichender Prozess. Mit jeder Runde tun die Knie etwas mehr weh, die Oberschenkel werden härter und verkrampfter, eigentlich die ganzen Beine, außerdem der Rücken. 

Wie hart und verkrampft alles ist, zeigt sich immer wieder beim Loslaufen zur nächsten Runde. Da in rund zehn Minuten Pause alles auskühlt, zieht die Muskulatur beim Neustart zur vollen Stunde heftig. Die ersten Schritte denkt man, dass das nicht funktionieren kann. Tut richtig weh. Das läuft sich dann zwar immer raus wenn man wieder warm ist, die Knieschmerzen allerdings bleiben. Dass das nicht nur mir so geht, kann man sehen, einige im Team laufen nicht mehr so geschmeidig wie am Anfang. 

So langsam bin ich auch etwas müde, es geht auf Mitternacht zu. Deshalb werde ich in der nächsten Pause kurz schlafen. So laufe ich etwas flotter um Zeit zu gewinnen. Komme so nach ca. 46 Minuten rein. Trockene Klamotten, nur was trinken und ab in die Falle. 

Kann leider nicht schlafen. Es ist zu laut, trotz meiner Ohrenstöpsel. Vielleicht ist der Körper auch zu stark auf Touren. Dann halt einfach so entspannen. Viel zu früh kommt der Ruf: "Erik. Aufstehen. Vier Minuten."

 

Runde 11 und 12 - Eigenbröteln

Nach Mitternacht etabliert sich für die Stunden bis zum Morgengrauen ein immer gleicher Rhythmus: stocksteif aus dem Zelt, unter Muskelschmerzen loshumpeln, irgendwie einrollen und dann vor sich hinbrödeln. Ich unterhalte mich kaum noch, sondern hänge meinen Gedanken nach. Leider ist es nicht das entspannte, positive, meditative Dahinrollen, sondern ein "die Runde rumkriegen". Das Laufen ist nun durchweg mühsam. Geht wohl nicht nur mir so. Rene hat massive Oberschenkelmuskulatur-Probleme und mehrfach ans Aufhören gedacht.

Wer wie ein Uhrwerk läuft sind Tanja Höschele und Frank Götze. Immer konstantes Tempo, sehr gleichmäßig, sieht entspannt aus. Ich laufe von hinten auf und meine "das sieht ja richtig locker aus". Antwort von Tanja: " sieht nur so aus, habe seit Stunden Knieschmerzen, denke ans Aufhören...". 

Schlafen klappt wieder nicht. Entspannt hinlegen tut aber gut. 

 

Runde 13 und 14 - Mentales

Vom Biorhythmus her kommen nun die schwierigsten Stunden. Es ist drei Uhr. Richtig müde fühle ich mich zwar nicht, aber erschöpft. Weniger körperlich. Mental. Der ständige Kampf gegen die Schmerzen und der Umgang damit, sich immer wieder selbst motivieren kosten Kraft. Es macht gerade keinen Spaß. Es nervt. Nach und nach wende ich alle möglichen Mental-Tools an. Leider hat die beste aller Maßnahmen bisher nicht funktioniert: Adaption. Man gewöhnt sich an den Schmerz und empfindet ihn irgendwann als normal und nicht mehr störend, er ist einfach da. Klappt aber leider nicht. Check-Up-Tool: Anstatt weiter Pity-Party zu "feiern" und sich im Elend suhlen und es damit nur schlimmer machen analysieren um umzudeuten. Also, was haben wir? Knieschmerzen. Sind nicht so schlimm. Alles andere? Ist doch normal. Und außerdem schaffst du doch locker die Rundenzeiten. Also: alles gut. Freu dich doch.

So teste ich im Laufe der Zeit alles durch, jedoch jeweils mit moderatem Erfolg. Am Ende bleibt immer: Mach halt weiter, immer weiter,

Im Camp werde ich von Sabine betreut. Sie hat die Schicht bis 4 Uhr übernommen. Dann kommt Katrin wieder, die sich für ein paar Stunden hingelegt hat. Viel zu tun hat Sabine aber gerade nicht. Ich trinke nur was, Flask austauschen und ausruhen. Mir ist gerade alles egal.

Runde 15 und 16 - Licht am Ende des Tunnels?

Gleich zu Beginn der Runde hört Anke auf. Magenprobleme. Geht nicht mehr. Schade.

Weiter geht es also mit 14 Leuten. 

Marina hat inzwischen ihre Smartphone-Disco eingestellt. Die wird doch nicht etwa auch mal ruhiger werden? Tönt es von hinten: "Gut seht ihr aus. So elegant." Ich kann ja wohl nicht gemeint sein. Drehe mich um. Marina und Rene grinsen mich an: "Und nicht vergessen: Laufen macht Spaß!"

Ja, genau. Vor allem jetzt gerade...

Die meisten Runden laufe ich in der Nacht etwas schneller, um Zeit zum schlafen zu haben. Leider erfolglos, am Ende werde ich die ganze Nacht keine Minute geschlafen haben. Da ist fürs nächste Mal definitiv Verbesserungspotenzial...

Die Nacht ist geschafft. Ich auch.

Müde


Inzwischen ist Katrin wieder da. Als sie von den stärker gewordenen Problemen hört, startet sie nochmal eine Behandlungsoffensive. Mit Igelball die Beine rollen, massieren, lockern, dehnen, Rücken massieren, mit Wärmeflaschen Muskulatur wärmen. Sie ist positiv und versucht mich aufzumuntern. Das tut gut. 

Es geht dann auf der nächsten Runde tatsächlich auch etwas runder. Fühle mich nun auch nach dem langen Tief der Nacht wieder etwas besser. Das Wissen, die Nacht geschafft zu haben und der Glaube an eine Besserung am Tage machen mich positiver. Außerdem freue ich mich auf die Trail-Strecke. Die ist doch deutlich schöner und angenehmer als die asphaltierte Nacht-Strecke.

 

Runde 17 und 18

Das Tageslicht und die sukzessive wieder steigenden Temperaturen tun gut. Ansonsten ändert sich leider nichts. 

Knie tun weh. Es ist mühsam.  Eine Quälerei. Ich treibe mich an. Weiter, immer weiter. 

Inzwischen sind Sabine und Andrea wieder da. Zu dritt versuchen sie alles, um mir zu helfen. Allerdings ist die Muskulatur nun so hart und gereizt, dass nur noch vorsichtiges Dehnen möglich ist, sonst drohen Krämpfe.

Probiere alles mögliche aus. Zum Beispiel den Paula Radcliffe 100er. Die ehemalige Weltrekordhalterin hat bei ihren Marathons immer auf 100 gezählt. Immer und immer wieder, bis sie im Ziel war. Lenkt ab, man kommt immer wieder ans Ziel, nämlich zur 100 und das relativ schnell. Und wenn man sich verzettelt, fängt man einfach wieder von vorne an. Klingt trivial, funktioniert aber recht gut. Eine Zeit lang. Kann nicht mehr sagen, wie lange ich das gemacht habe.

Zwischendurch habe ich mir dann auch fremde Mantras ausgeborgt, nachdem meine nicht mehr funktioniert haben. Beispielsweise das von Courtney Dauwalter. Die sagt sich immer vor wenn es hart wird: "You are fine. Everything's fine." Also versuche ich eine Runde ohne Pause " Dir geht's gut. Alles ist gut" zu sagen. Vielleicht kann ich ja meinen Geist beeinflussen. Vielleicht fühlt man sich ja tatsächlich gut, wenn man ständig hört, dass es einem gut geht.

Habe das keine Runde durchgehalten. Also zurück zu: Weiter, immer weiter...

Ging schon leichter von der Hand

 

Runde 19 und 20

Das Schöne, aber auch das Schlimme an ultralangen Läufen ist, dass man so unglaublich viel Zeit hat. Zum Laufen. Schön. Wenn man Probleme hat, zur Entfaltung derselben. Grausam. 

Eine der Besonderheiten beim Backyard Ultra ist ja, dass es kein Ende gibt. Bei einem 100er sagt man sich: komm, die letzten x Kilometer schaffst du jetzt auch mit Knieschmerzen noch. Hier ist das anders. Es gibt kein Ende, es gibt keine letzten x Kilometer. Du entscheidest selbst, wie lange du läufst. Es sei denn, alle anderen hören auf.

Wenn man seit über 10 Stunden massive Knieschmerzen hat, dann hören die nicht irgendwann auf. Die bleiben, so lange man weiterläuft. Also schafft man es entweder, damit weiterzumachen, oder eben nicht. Das habe ich jetzt gute zehn Stunden gemacht. Nun merke ich, wie mir der mentale Saft ausgeht. Ich kann langsam nicht mehr. Frust und Ärger machen sich breit. Warum musste da so früh losgehen? Und warum schaffe ich es nicht, einfach gnadenlos weiter durchzuziehen? Aber hilft ja nichts, man muss sich den Tatsachen stellen. 

Ich beschließe, den Versuch zu starten, die 24 Stunden und somit 100 Meilen, ca. 160 Kilometer vollzumachen. Also noch vier Stunden. Durchschnaufen, weiter.

Beim nächsten Einlauf ins Stadion merke ich, dass das die richtige Entscheidung sein könnte. Mental bin ich am Ende und insgesamt sehr labil.

Wir besprechen die Lage. Die anderen feuern mich an. Go for 100.

 

Runde 21 und 22 und 23 und 24

Nach Runde 21 musste Tanja ihren Knieschmerzen Tribut zollen. Ungefähr 10 Stunden nachdem sie gesagt hatte, dass sie seit drei Stunden ans Aufhören denkt hat sie dann erst abgebrochen. Wahnsinn. Hut ab.

Runde 22 bedeuten für Frank und Rene das Ende. Patrick George macht die 24 voll.

Rene Bonn: Alles gegeben. 10h Oberschenkelprobleme. 22h geschafft. Respekt!


An die letzten Runden kann ich mich nicht mehr so recht erinnern. Die bin ich, glaube ich, im geistigen Nirvana dahingelaufen.

Letzte Runde. Die schaffe ich jetzt auch noch.

Noch eine Runde bis 100 Meilen


Nach und nach kamen dann weitere muskuläre Probleme hinzu. Zuerst die Muskulatur im Beugebereich, später der Po. Wie zur Bestätigung, dass die 24 Runden tatsächlich genug sind. Versuche schonend zu laufen, damit nicht kurz vor Schluss noch was schiefgeht. In der letzten Runde an meiner 2km-Markierung weiß ich, dass ich es schaffe. 

Boah. Jetzt reicht es dann aber auch echt. 

Als ich Richtung Stadion laufe, sehe ich schon von weitem meine Crew. Die haben sich auch Sorgen gemacht, ob ich 100 Meilen voll mache. Ich kämpfe mit den Tränen. Sie klatschen. Ich jubele. Ich kämpfe nicht mehr gegen die Tränen. Tief durchschnaufen. Mann, die letzten Stunden waren jetzt wirklich nochmal hartes Brot. 

Rein ins Ziel und --- fallenlassen. 


Die Quälerei hat ein Ende. Endlich. Mir tut alles weh. Ich bin erleichtert. Vorbei.

Dachte ich. 

Meine Frau steht neben mir und versucht, wie ich ihr das vorher aufgetragen hatte, mich nochmals zu motivieren. Aber es geht nicht mehr, die Entscheidung ist gefallen.

Da höre ich eine weitere Stimme: "Erik, versuch es doch nochmal. Geh einfach mit auf die Runde, du kannst ja jederzeit aufhören und wirst dann später nicht bereuen, es nicht zumindest versucht zu haben."

Nun mache ich doch nochmal die Augen auf. Und erkenne Harald Menzel. Ich versuche ihm zu erklären, dass ich nichts bereuen werde und mir alle relevanten Gedanken gemacht habe und alles versucht habe.

Aber er lässt nicht locker. Und mir fehlt die Kraft, mich zu wehren. Also rappel ich mich hoch und stelle mich an den Start. 

Harald: "Doch, doch. Eine geht bestimmt noch."

Echt jetzt? Nochmal los?


Wir humpeln aus dem Stadion und laufen in den Wald. 

Harald hat versprochen mich auf der Runde zu begleiten, falls es zeitlich eng werden sollte, könne er jederzeit die Stunde noch schaffen. Er redet dann die ganze Zeit auf mich ein, um mich abzulenken. Funktioniert auch recht gut.

Allerdings ist mein Tempo nun echt richtig langsam, da Krämpfe drohen, muss ich vorsichtig laufen.

Nach ungefähr der halben Runde wird klar, dass es knapp wird. Wir hatten an zahlreichen Stellen Zeiten genommen und es wurde immer enger. 

Also kommt von Harald die Ansage: Lass uns mal etwas schneller versuchen, häng dich an mich dran. Und rennt los. Renne ich halt mit. Geht tatsächlich. Wahnsinn. Wer hätte das gedacht. So lassen wir es ein paar Kilometer richtig laufen und schnell wird klar, dass es nun reichen sollte. Ist auch gut so, denn nach einer kurzen Gehpause ist Anlaufen wegen Krämpfen nicht mehr möglich. Also gehen wir den letzten Kilometer.



Wir laufen ins Stadion und ich habe Glücksgefühle. Hammer. Hätte nicht gedacht, dass die Runde noch geht. Auch wenn ich vorher schon mit mir im Reinen war, ist das so nun natürlich ein positiverer Abschluss. Sehr cool.

Geschafft: 25 Runden

Geiles Gefühl!

...und Ende


Von Harald Menzel eine geniale Aktion. Selbst ordentlich Probleme zu haben, sich dann um einen Teamkollegen kümmern, diesen auf der Runde zu betreuen, damit dieser sich später nicht was vorwerfen möge. Das ist Kameradschaft und Sportsgeist. Mega!!

Lieber Harald, super coole Aktion von dir. Vielen Dank. Das wird mir bleiben.

Und so endet für mich der Big Dogs Backyard Ultra 2020 nach 25 Stunden und 104,167 Meilen bzw. 167,64 Kilometer.

Sammeln

Was für ein Tag!

Das gute an solch einem Ultra ist, dass man danach nichts mehr tun muss. Alles abzubauen und die Sachen zum Auto zu tragen hat meine Crew übernommen. Selbst Kaffee und Kuchen wurde mir gebracht. Nicht schlecht.

Aber das passt eh ins Bild. Die Betreuung, die Katrin, Sabine und Andrea geliefert haben, war sensationell. Voll motiviert, perfekt organisiert, empathisch, motivierend, immer mit allem für mich da. Genial. Ihr seid die Besten. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Tausend Dank!

Das restliche Rennen habe ich dann selbstverständlich weiter mitverfolgt. Super wie Alex Holl immer wieder mit seinen Einspielern die Atmosphäre vermittelt hat und einen von ferne mit dabei sein ließ. 

Alex Holl im Dauereinsatz


Vom deutschen Team haben alle eine super Leistung abgeliefert. Herausragend natürlich die letzten drei, Michael Ohler und Andreas Löffler mit 50 und Siegerin Marina Kollassa mit 51 Runden. Alle drei haben damit den alten deutschen Rekord gebrochen. Wahnsinn. Top Leistung.

Startaufstellung zum Finale




Triumphaler Einlauf: 50 Runden. Andreas Löffler, Marina Kollassa, Michael Ohler



Start zur Siegerrunde. Marina Kollassa

Gaaanz locker.





Siegerin Marina Kollassa und Organisator und Finalist Michael Ohler


Was international abging war ebenfalls faszinierend. Viele Überraschungen, große Spannung, top Leistungen und ein von vielen nicht erwartetes Ergebnis: Belgien als Siegermannschaft und Karel Sabbe als Weltmeister. Mit 75 Runden. Und der sah noch frisch aus. Beeindruckend.

Sieger Karel Sabbe

Die Ergebnisse


2020 war aus meiner Sicht auf jeden Fall ein unglaublich cooles Event. Das Set-Up, die vielen Locations rund um den Globus und auch die Durchführung waren wirklich speziell.

Großen Dank und großes Lob an das deutsche Team. Große Kameradschaft, gute Typen, super Truppe. Hat mich sehr gefreut hier dabei sein zu dürfen.  

Großes Lob aber auch an alle Helfer. Mit wie viel Enthusiasmus alle dabei waren, war beeindruckend. Alles super organisiert, familiär, hilfsbereit, nett, gute Stimmung. Bienwald war ein Musterbeispiel, wie eine solche Veranstaltung sein soll. Perfekt. Vielen Dank für alles.

Und last but not least: Riesen Lob und großen Dank an Michael Ohler. Die Orga und Kommunikation in der Planung und Vorbereitung war 1A. Vor Ort ein perfektes Event auf die Beine gestellt. Und das ganze auch noch als Teilnehmer. Immer mit ruhiger Hand, souverän und nett. Superklasse!! Vielen Dank für alles und dass ich dabei sein durfte. Es war ein tolles Erlebnis

Und allen, die mal etwas ganz besonderes erleben wollen, kann ich das Backyard-Format nur wärmstens ans Herz legen. Das ist schon echt cool. 

In diesem Sinne: See you on the Trails...




























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