AND THE WINNER IS … - Die 1st Night of the Trail


von Sabine


Anfang Januar 2020: In den einschlägigen Trail- und Ultrarunning-Zirkeln der USA wird – wie immer um diese Jahreszeit – über die Wahl zum Ultrarunner of the Year (UROY) diskutiert. In vielen Podcasts wird darüber gestritten, ob denn nun die Leistungen einer Camille Herron oder einer Courtney Dauwalter höher einzuschätzen sind. Ob man die DNFs mitberücksichtigen solle oder nur die Rennen mit Finish. Zur gleichen Zeit wie der UROY wird auch der FKT of the Year Award  vergeben. Es ist „Award-Season“.

Ich frage mich, warum wir in Deutschland nichts Vergleichbares haben. Zwar werden von der DUV jährlich die DUV Sportler des Jahres gewählt – aber hier liegt der Fokus doch sehr auf den klassischen Ultradistanzen (50 und 100km flach sowie 6- und 24-Stundenläufe). Ultratrails spielen bei diesen Wahlen nur eine marginale Rolle. Und außerdem werden – naturgemäß – vom DUV nur die Ultradistanzen berücksichtigt. Es müsste so etwas wie eine Wahl zum Trailläufer bzw. zur Trailläuferin des Jahres geben.

Während ich überlege, wie man so etwas organisieren könnte, finde ich eine e-mail von Benni Bublak in meinem Postfach. Er und Denis Wischniewski vom Trail Magazin fragen an, ob ich Lust hätte, in der Jury zur Wahl des Trailläufers und der Trailläuferin des Jahres mitzuwirken. WHAT??? Genau darüber habe ich mir doch gerade Gedanken gemacht. Natürlich habe ich da Lust und sage umgehend zu. Und erfahre, dass in diesem Jahr erstmals der Sieger und die Siegerin dieser Wahl bei der „Night of the Trail“ gekürt werden soll. Klingt spannend! In die Wertung sollen je zur Hälfte die Voten der Jury und die Leserwertungen im Rahmen der großen Leserbefragung eingehen.

Und da fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Eigentlich habe ich ja schon den Trailläufer und die Trailläuferin des Jahres gewählt, ohne dass mir das so richtig bewusst war. Denn wie viele andere Leser des Trailmagazins hatte ich mich im Rahmen der Leserumfrage durch die vielen Fragen gekämpft, und richtig – ganz dunkel kann ich mich erinnern – da war auch eine Frage zu dem besten Trailläufer und der besten Trailläuferin. Damals habe ich aber eher aus dem Bauch heraus gewertet – mehr konnte ich während des Befragungsmarathons nicht tun. An meine Antwort kann ich mich natürlich auch nicht mehr erinnern.

Aber jetzt will ich mich nicht nur auf Spontaneität und Erinnerung verlassen, jetzt müssen Daten her: Ich schaue mir die ITRA-Punkte der Athletinnen und Athleten an, die DUV Statistik und – so vorhanden – auch die Internet-Auftritte. Und obwohl ich regelmäßig im Trailticker von den Rennen und den Athletinnen und Athleten berichte, muss ich zugeben: Meine Erinnerung braucht eine Auffrischung – und da helfen die Daten der DUV und ITRA. Einiges, was etwas länger zurückliegt, ist schon vergessen. Schließlich komme ich zu einer Reihung. Die anderen aus der Jury auch. Das Ergebnis steht …



Was? Noch eine Preisverleihung?

Nun kann man natürlich sagen: Was sollen überhaupt diese ganzen Preisverleihungen? Vergleicht man da nicht irgendwie auch Äpfel mit Birnen? Ist Trailrunning nicht so vielfältig, dass es gar nicht möglich ist, den Besten oder die Beste zu identifizieren? Und was bedeutet das für die ausgezeichneten Sportler? Nur eine Trophäe mehr im Regal …

So kann man das natürlich sehen. Ich sehe es anders. Gerade weil die Leistungen bei den Sportlerinnen und Sportlern im Trailrunning so schlecht vergleichbar sind, ist es wichtig, sie nicht nur punktuell und individuell zu betrachten, sondern einen Vergleich zumindest zu versuchen. Bei Marathonläufern ist das einfach: Man schaut sich einfach ihre Jahresbestzeit an. So unterschiedlich sind die einzelnen Wettkampfstrecken nicht, dass man da die Zeiten nicht vergleichen könnte. Und deshalb fällt ein Ranking leicht. Genau mit diesem Pfund können die Athletinnen und Athleten der Flachstrecken auch wuchern, wenn es um Sponsorenverträge geht. Aber im Trailrunning ist das anders. Wer nicht gerade beim UTMB oder Western States auf den vorderen Plätzen landet, hat es schwer zu zeigen, wo er oder sie leistungsmäßig steht, was der „Marktwert“ ist. Es gibt zwar den ITRA Performance Index, mit dem versucht wird, die Leistung auf unterschiedlichen Strecken und Formaten vergleichbar zu machen. Aber gerade in Deutschland werden die Ergebnisse von Trailrennen nur selten an die ITRA gemeldet, und so klaffen in der „Läuferbiographie“ häufig Lücken.

Daher halte ich es für sinnvoll, wenn am Ende eines Jahres die Fans und die Experten dieses Sports einen Blick auf die Leistungen der vergangenen Saison werfen und – qua Ranking – eine Bewertung vornehmen.

Auch aus einem weiteren Grund: Unsere Zeit ist schnelllebig. Die Zahl der Trailrunning-Veranstaltungen nimmt immer weiter zu. Wer vermag denn im Herbst noch zu sagen, welche Läuferin und welcher Läufer beim Innsbruck Alpine, beim ZUT oder beim Eiger gewonnen haben. Oder gar: Wer sich am Jahresanfang am schnellsten über den Spine oder auf den Brocken gekämpft hat. All das kann man nochmal Revue passieren lassen, wenn man die Leistungen der Läuferinnen und Läufer im Rahmen des Rankings zum Trailläufer des Jahres vergleicht.



Bauch oder Kopf?

Benni Bublak hat die Auswertung schnell gemacht, schickt uns die Ergebnisse – Leservotum, Votum der Jury, Gesamtwertung. Ich vergleiche die Ergebnisse von Jury und Lesern – und dieser Vergleich ist interessant. Im Großen und Ganzen gibt es viel Übereinstimmung. Aber es gibt auch deutliche Unterschiede. So wird beispielsweise Ildiko Wermescher von der Jury auf Platz 2 platziert, während sie im Leservotum weit unten rangiert. Wie kann es zu einer solchen Diskrepanz kommen? Und vor allem: Wie kommt es zu einem so schlechten Abschneiden im Leservotum nach einem Jahr mit dem 9 Platz beim UTMB, Sieg beim Südtirol Skyrace sowie beim Trail Verbier St. Bernard und einem fünften Platz beim Transgrancanaria. Wohlgemerkt: Diese Leistungen bringt sie in einem schon fortgeschrittenen Alter von 54 Jahren! Meine Vermutung: Ildiko ist in den Medien viel weniger präsent als so manche andere Läuferin, und wer sie einmal bei einer Siegerehrung erlebt hat weiß, dass diese Athletin nicht viel Bohei um ihre hervorragenden Leistungen macht. Dass sie bei Wettkämpfen ausschließlich unter ungarischer Nationalität figuriert, ist für Trailrunning-Fans auch nicht unbedingt hilfreich, wenn es um die Verortung in der Gruppe der deutschen Trailläuferinnen geht.

Umgekehrt gibt es Läuferinnen und Läufer, die im Juryvotum deutlich schlechter wegkommen als bei den Lesern. Das sind durchweg Athleten, die aufgrund ihres Bekanntheitsgrads und ihrer „Sympathiewerte“ weit vorn liegen, während die sportlichen Leistungen im vergangenen Jahr eine
exzellente Platzierung nicht ganz rechtfertigen. Das zeigt letztendlich auch: Die Leser scheinen etwas mehr aus dem Bauch heraus zu entscheiden (was kein Wunder ist, denn die Frage nach der Trailläuferin und dem Trailläufer des Jahres ist ja in den Umfrage(ultra)marathon eingebettet), während sich die Mitglieder der Jury vielleicht doch die eine oder andere Tabelle zur Hand genommen haben.



Statistiken und Stories

Einen Tag vor der Verleihung der Oscars ist es dann soweit: In München findet die Verleihung der „Trailrunning- Oscars“ im Rahmen der 1. Night of the Trail statt. Dass wir der Einladung folgen würden, war Ehrensache. Dass wir sowieso auf dem Heimweg aus dem Winterurlaub sind, ist obendrein praktisch.

Die von den Machern des Trail-Magazins erstmals durchgeführte Veranstaltung wird von den Lesern und Leserinnen dankbar angenommen. Die Eintrittskarten sind schon Wochen vor der Veranstaltung restlos ausverkauft, und am Abend der Veranstaltung kommen etwa 200 Läuferinnen und Läufer ins Feierwerk in München. Die Atmosphäre ist - wie erwartet - locker.

Bevor es an die Preisverleihung geht, gibt es allerdings noch jede Menge Fakten und Stories. Zunächst von Denis Wischniewski selbst, der ein paar ausgewählte Ergebnisse der Leserumfrage präsentiert. Die größte Überraschung für mich: Die deutlich überwiegende Zahl von Lesern will nicht einfach nur laufen, sondern will sich dabei verbessern oder zumindest nicht schlechter werden. Die Trailläufer und -läuferinnen pflegen also nicht nur einen Lifestyle, sondern sind auch sehr an ihrer Leistung interessiert. Auszüge aus den Umfrageergebnissen gibt es in einer der nächsten Ausgaben des Trail-Magazins.

Nächster Programmpunkt: Eine Podiumsdiskussion zu Fastest Known Times und Adventure Runs. Mit hochkarätigen Teilnehmern. Eva Sperger berichtet über ihre Pläne, von ihrer Heimat bis nach Chamonix zu laufen. Philipp Reiter, der auch schon per Ski die Alpen von Ost nach West überquert hat, erzählt von seinem Wall Run, den er im letzten Herbst vor dem 30. Jahrestag des Mauerfalls entlang des früheren Todesstreifens unternommen hat: Sein Wall Run war sozusagen Geschichtsunterricht im Laufschritt. Benni Bublak, der in den letzten Jahren auf der Paddy Buckley Round und der Bob Graham Round unterwegs war, berichtet von der Fellrunning-Kultur auf den britischen Inseln, die so ganz anders ist als das oft technikaffine Trailrunning hierzulande: Big camaraderie, no frills, down to earth. Florian Felch dagegen bleibt für seine FKTs und Adventure Runs in der eigenen Heimat: Flo hat im letzten Jahr ganze acht FKTs aufgestellt, von kurzen sub-2-Stunden Runden wie der Gaishorn Traverse bis hin zum Lechtaler Höhenweg. Dazu kommt sein Projekt #meinehausberge. Und er weist in der Diskussion auf eine ganz entscheidende Tatsache hin: Es kommt nicht darauf an, zur Laufelite zu gehörten, um einen FKT aufzustellen. Denn es gibt so viele Wege, die vorher noch niemand dokumentiert hat. Es gehört gerade zum Wesen der FKTs, dass einer eine Marke setzt und dann andere kommen, die schneller sind … Schließlich berichtet Denis Wischniewski über sein Projekt 50 Days, das ihn im Sommer 2016 von München bis an die türkische Grenze geführt hat. Auf die Frage, wie er denn mit der Langeweile des täglichen Laufens umgegangen ist, hat er eine überraschende, aber sehr schlüssige Antwort parat: In den bisherigen 43 Jahren seines Lebens haben sich auf der „großen Festplatte“ im Kopf so viele „Daten“ angesammelt, die für ihn während des Laufens eine gute Beschäftigung waren. Ja, das Alter hat manchmal auch Vorteile ...

Es war eine bunte Auswahl von Läufern mit den verschiedensten Geschichten und Hintergründen, die da auf dem Podium versammelt waren, und sie hätten sicher noch viel mehr zu erzählen gehabt. Nur hätte ich mir eine etwas pointiertere und aktivere Moderation gewünscht, um zwischen den Fünfen eine echte Diskussion in Gang zu bringen. 

Podiumsdiskussion zum Thema FKTs und Adventure Runs: Florian Felch, Benni Bublak, Eva Sperger, Klaus Dahlbeck (Moderation), Philipp Reiter, Denis Wischniewski (v.l.n.r.)




Train Your Ass Off

Trailrunner wollen vor allem eines: Besser werden. Genau das hat ja die Leserumfrage des Trail-Magazins ergeben. Daher war es logisch, dass der Trailrunning-Trainer für einen kurzen Vortrag verpflichtet wurde: Michael Arend. Er spricht über spezifische Trainingsziele für spezielle Rennen, über Jahresplanung, über langfristige Verbesserungen vs. kurzfristige Optimierungen und über Intervalle. Das alles wie immer gespickt mit Daten und Studien.

Eine ganz besondere Einheit hat er sozusagen frisch aus der wissenschaftlichen Druckerpresse mitgebracht: Eine Art HIIT-Laufintervalltraining. Und das geht so: Man absolviert drei „Intervallblöcke“ mit einer Pause von je 3 Minuten zwischen den Blöcken. Und jeder Block besteht aus 13 Intervallen à 30 Sekunden – unterbrochen durch sehr kurze Trabpausen von nur 15 Sekunden. Die ganze Einheit dauert gerade mal 34 ½ Minuten – zuzüglich Aufwärmen und Cool-down. Aber laut einer Studie, die Bent Rønnestadt und Mitarbeiter an Radrennfahrern durchgeführt haben, schneidet dieses Training hinsichtlich bestimmter Leistungswerte (z.B. maximale aerobe Leistung, Leistungsfähigkeit bei hohen Laktatwerten) besser ab als längere Intervalle von 4 mal 5 Minuten. Auch wenn es „Non-Responder“ gibt und auch wenn dieses HIIT-Training bezüglich VO2max nicht besser funktioniert als das konventionelle Intervallschema: Es ist sicher ein spannender Ansatz. Den einen oder anderen Teilnehmer bei der Night of the Trail wird man in den kommenden Wochen auf diversen Sportplätzen beobachten können, wie er sich bei diesen HIIT-Intervallen die Lunge aus dem Leib rennt.

Studien, Statistiken, Fakten: Der Vortrag von Michael Arend bot für jeden was ...




And the Winner Is …

Bei der Night of the Trail geht es dann nach einer kurzen Pause zu den Siegerehrungen. Zunächst mal gibt‘s die Industry Awards:
  • Innovativste Technologie 2019: GORE Shakedry
  • Bester Laufschuh 2019: Hoka One One Speedgoat
  • Best Trailbrand 2019: Salomon
  • Trail-Event 2019: Zugspitz Ultratrail
Für mich persönlich wirft das eine Frage auf: Ich laufe in Siegerklamotten und Siegerschuhen – für mich war der Speedgoat die Entdeckung 2018 und die Shakedry die Entdeckung 2019. Aber warum gewinne ich dann nicht?? 😉

Den Höhepunkt der Veranstaltung bilden schließlich die Ehrungen zur Trailläuferin und zum Trailläufer des Jahres:







Beeindruckende Leistungen, beeindruckende Trailläuferinnen und Trailläufer. Die beiden Gewinner sind vor Ort und nehmen persönlich die Auszeichnung entgegen. Mit launigen und gleichzeitig nachdenklichen „Dankesreden“.

Moritz auf der Heide schildert sein Wettkampfjahr 2019, das geprägt war von einem Wechselspiel aus Verletzungen und Erfolgen. Erzählt vom „Rennen seines Lebens“ beim E35. Und dann vom Wiederaufflammen seiner Verletzung in der Zeit danach. Weshalb er seine Teilnahme an der Berglauf-WM absagt, sich dann aber doch zur Teilnahme überreden lässt. Und dann dieses Ergebnis! Rang 13 bei einer bärenstark besetzten WM! Er macht aber auch klar, dass er etwas gelernt hat: Dass man ganz schnell in Gefahr kommt, zu viel zu machen, zu viel zu trainieren. Diese Erkenntnis gibt er auch den Gästen der Night of the Trail mit auf den Weg.

Auch Eva Sperger berichtet über ein Jahr mit Höhen und Tiefen. Von ihrer Erfolgssträhne im Frühsommer 2019 – und dem großen Enthusiasmus, mit dem sie in den UTMB hineingeht. Ein Enthusiasmus, der dazu führt, dass sie entgegen aller Planungen das Rennen viel zu schnell angeht – und trotz hervorragender Zwischenplatzierungen nach knapp 120km aufgeben muß. Ihr Fazit könnte lauten: Auch dann, wenn es gut läuft, den Kopf im Wettkampf nicht total ausschalten …





Fazit

Die Night of the Trail – vor allem aber die Kür des Trailläufers und der Trailläuferin des Jahres – war eine feine Sache. Das Ganze schreit nach Wiederholung. Und zwar laut! Dieser Ruf nach Wiederholung scheint schon bei den Machern des Trail-Magazins angekommen zu sein …

Vielleicht könnte man die Wahl zum Trailunner of the Year noch etwas prominenter aufhängen. Zum Beispiel, indem man die Wahl unabhängig von der Leserumfrage durchführt. Vielleicht könnte man im Vorfeld einer solchen Wahl auch nochmal die wichtigsten Ergebnisse der Saison aufführen, auch das mag den Lesern helfen und gleichzeitig für einen höheren Bekanntheitsgrad der Athleten sorgen. Und wenn sich die Wahl zum Trailläufer des Jahres einmal etabliert hat, ist zu hoffen, dass diese Wahl in den Laufblogs und Laufpodcasts ähnlich ausführlich diskutiert wird, wie das in den USA beim Ultrarunner of the Year der Fall ist. Denn man kann über unsere deutschen Trailläuferinnen und Trailläufer gar nicht genug berichten  …

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