Ich - Unverbesserlich

von Erik





"DEPP! DEPP! DEPP!"

Ich bin ärgerlich. Missbilligend und streng schaue ich mein Gegenüber an.

"Jetzt hast du wieder krank trainiert. Bist du bescheuert? Lernst du eigentlich überhaupt nichts?"

Zwei schuldbewusste Augen blicken mich an. Das milde Lächeln, welches die Lippen umspielt, wollen aber so gar nicht zu schlechtem Gewissen passen.

"Es ist ja nicht so recht klar, ob ich wirklich krank bin"

"Wie? Was? Deine Frau ist krank, deine Kinder sind krank, du hast Kopfschmerzen und fühlst dich schlapp. Da gibt es keine zwei Meinungen. Du bist krank."

"Ja, aber nicht arg. So schlapp fühle ich mich nicht. Und wenn ich jedes Mal, wenn ich Kopfschmerzen habe und mich schlapp fühle, nicht trainieren würde, hätte ich Trainingsausfall ohne Ende."

"Krank ist krank. Laber nicht rum. Krank zu trainieren ist gefährlich und bringt nichts."

"Also, ich bin ja wahrscheinlich nicht krank. Und wenn ich krank wäre, wäre ich nur ein bisschen krank. Und mit ein bisschen krank, kann man schon vorsichtig trainieren."

"Ah. Ein bisschen? Was genau hast du gestern für eine Einheit gemacht? Vier mal 12 Minuten Bergintervalle bei Puls 165. Ein bisschen. Verarschen kann ich mich selber."

"Aber es ging doch gut..."

"Gut? Jede 12 Minuten-Einheit war 30 bis 45 Sekunden langsamer als die vorherige. Das nenne ich Einbruch. Das nenne ich krank."

" Ja, aber nur ein kleiner Einbruch. Sowas kann ja schon mal passieren."

"Genau. Zufälligerweise genau dann, wenn man meint, eventuell krank sein zu  können? Du bist krank gelaufen und zwar mit Absicht. Und ein schlechtes Gewissen hast du auch nicht. Findest du das jetzt richtig, oder was?"

"Na ja, ich denke schon, dass das jetzt einen Trainingseffekt hatte. Und die Einheit war halt auch wichtig. Das ist ja aktuell die letzte Belastungswoche, dann folgen nur noch zwei Wochen Tapern. Musste also schon sein."

"NEIIIIIN! Musste es nicht! Gefährlich und bringt nichts. Und die wirklich wichtigen Einheiten Samstag und Sonntag gefährdest du damit auch noch. Wie fühlen sich deine Beine an?"

"Schon gestresst. Wieso?"

"Wie fühlen sie sich normalerweise nach einer solchen Einheit an?"

"Da merk ich nix."

"Aha. Und was folgerst du daraus?"

"Äääääääääh. Das ich vielleicht vorermüdet war? Vom Bergwochenende?"

"Oh, Mann. Jetzt reichts. Meinst du das echt ernst? Weil du krank bist, Mensch Meier. Dann spürst du deine Beine immer nach einer Einheit. Also jetzt mal ganz langsam zum mitschreiben. Ich bin ja ein faktenbasierter Kopfschmensch, der analytisch denkt und dir deshalb die korrekten Fakten darlegen kann. Krank trainieren bringt keinen Trainingseffekt, birgt potenzielle Gefahren für die Gesundheit, verlangsamt die Gesundung und die Regeneration, verschafft dir einen späteren Wiedereintritt in das normale Training und es kann im schlimmsten Falle zu bleibenden körperlichen Schäden führen. Deshalb sind sich alle vernünftigen Experten einig: Es soll nicht krank trainiert werden!!!. Klar jetzt?"

"...………………………………"

"Jetzt fällt dir nichts mehr ein, was?"

"Doch. Beim menschlichen Körper, bei Krankheiten, beim Training läuft nicht immer alles rational und faktenbasiert ab. Manchmal ist Intuition wichtiger, ist es entscheidend, in sich hineinzuhören, Dinge nach Gefühl zu machen. Die eigenen Erfahrungen, die man gesammelt hat, mit in Betracht zu ziehen. Auch mal unvernünftige Dinge tun, um Außergewöhnliches  zu erreichen. Die richtige Balance zwischen Sicherheit und Risiko, Fakten und Gefühl, Vernünftigem und Verrücktem zu finden. Und somit den für sich optimalen Weg zu finden."

"...………………………………"

"So. Jetzt fällt dir nichts mehr ein, oder?

"Doch. Ich habe nur einen Moment gebraucht, mir zu überlegen, ob ich lachen oder weinen soll. Du meinst wohl allen ernstes, dass du mich mit deinem esoterischen Gelaber aufs Glatteis führen kannst? Um das jetzt mal abzuschließen: Wenn man ehrlich zu sich ist, weiß man, wann man krank ist. Und krank wird nicht trainiert. Punkt!
Und jetzt gehe ich mit Katrin einen Kaffee trinken und du bleibst hier. Heute wird nicht trainiert. Und morgen wahrscheinlich auch nicht. Basta."

Ich schaue nochmal grimmig und entschlossen und werfe die Tür des Badezimmers hinter mir zu. Kurz überlege ich sogar, ob ich zuschließe. Aber das ist nicht nötig. Spiegelbilder können nicht laufen....


Solche oder ähnliche Gespräche führe ich öfter mal mit mir selbst. Am erfolglosesten ist das beim Thema krank (oder kränkelnd ;-) ) trainieren.

So klar mir die Sachlage ist, so erfolglos bin ich dabei, in dieser Hinsicht konsequent zu sein. Zu stark über die Jahre verinnerlicht habe ich die Langstrecklerkrankheit: "Eine ausgefallene Einheit bringt Cholera, die Pest und Leistungseinbußen."

Immer wieder rede ich mir die Tatsachen schön, oder schaffe es gar, überhaupt nicht über die Tatsachen nachzudenken und einfach trainieren zu gehen.

Und das Schlimmste dabei: Ich habe tatsächlich oft kein besonders schlechtes Gewissen.

Würde mich sehr interessieren, wie das bei anderen ist???

Aber es gibt auch Licht am Horizont. Ich bin durchaus, im Vergleich zu früher, besser, konsequenter und ehrlicher zu mir selbst geworden. Es ist halt ein langer Weg. Aber unter den wachsamen Augen der besten Ehefrau von allen wird das schon werden.

In diesem Sinne: See you on the Trails....

Bzw.: See you heute nicht on the Trails... ;-)

PS: Um nicht falsch verstanden zu werden: Wenn ich wirklich und richtig krank bin, mache ich keinen Sport! Oben habe ich teils ein wenig überspitzt formuliert. Es geht tendenziell um die etwas diffuseren "Zwischenbereiche".


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