von Erik
Ich will nicht mehr! Ich kann nicht mehr! Es tut weh! Ich will nur noch, dass es aufhört! Ein Desaster!
Es ist Samstag, 16. September 2017, 11.30 Uhr. Der Saxoprint Pfalztrail im Leiningerland über 85,6 km und 2.440 Höhenmetern läuft seit 5 Stunden. Ich gehe eine moderate Steigung hinauf, die ich normalerweise locker laufen könnte. Meine Selbstmotivationsversuche verlieren sich im Nebel der mentalen Antriebslosigkeit. Macht das hier noch Sinn?
Nach dem Saisonhöhepunkt Eiger Ultra Trail E101 habe ich mir ein paar Wochen Zeit gegeben herauszufinden, was ich 2017 noch an Wettkämpfen machen möchte. Der Eiger hatte ein totales Gefühl der Zufriedenheit erzeugt und ---- Selbstvertrauen! Vor dem Eiger war ich nicht sicher, was mich erwartet und ob ich es schaffen würde. Unter anderem genau deshalb hatte ich ein solch langes, hartes Rennen ja auch ausgesucht. In den Wochen danach stellte sich dann das Gefühl ein: Ich kann alles schaffen! Ok, vielleicht nicht 100 Meter unter 10 Sekunden. Aber doch auf langen Distanzen. Egal, ob Ultra, Wüstenlauf, 24 Stunden oder was auch immer. Und das will und werde ich auch machen. 2018 kann kommen!
Für 2017 habe ich mir dann aber erstmal ein anderes Ziel gesetzt: Beim Frankfurt Marathon meine Bestzeit attackieren! Da ich aber nun mal so schön Ultra Trail trainiert hatte und das auch einfach Spaß macht, wollte ich trotzdem noch irgendeinen Trail laufen. Auf Sabines Empfehlung habe ich mir den Saxoprint Pfalztrail ausgesucht. Nicht weit weg, passt von der Planung noch so halbwegs zu Frankfurt, schöne Gegend, flowig zu laufen. Ob ich ihn dann wirklich laufe, wollte ich spontan entscheiden, in Abhängigkeit davon, wie viel ich zum Laufen komme. Bei der Arbeit viel zu tun, kurz vorher zwei Wochen Urlaub...
Und hier setzte nun das durch den Eiger Ultra neu hinzugewonnene Selbstvertrauen ein. Der Gedanke war: "Na ja, das sind ja nur 85km und knapp 2500 Höhenmeter. Das geht auf jeden Fall. Im Vergleich zum Eiger ist das doch Pillepalle!" Und außerdem hatte ich ja viele Kilometer durch die Eiger-Vorbereitung in den Beinen. Also, das wird schon auf jeden Fall gehen.
Das Resultat war, dass ich, nachdem ich für den Eiger Ultra acht Monate lang alles akribisch geplant und durchdacht hatte, ich für den Pfalztrail gemacht habe: Nix! Also zumindest nicht groß drüber nachgedacht. Im Urlaub und drumrum so viel laufen wie geht, klar. Die Strecke und das Profil habe ich mir nur mal flüchtig angeschaut und angemeldet habe ich mich drei Tage vor dem Rennen. Am Abend vor dem Wettkampf hatte ich dann auch das Gefühl, so mittel gut vorbereitet zu sein. Aber der Hauptwettkampf in der zweiten Jahreshälfte ist ja auch Frankfurt, also muss ich den Pfalztrail nicht voll Stoff laufen.
6.30 Uhr - Startschuss. Ich laufe locker los. Mein Plan ist, erstmal so um die 140 Puls zu laufen, da ich mit einer Laufzeit von 8 bis 9 Stunden rechne. Stirnlampe habe ich vergessen, passt in die laxe Vorbereitung. Egal, ich hänge mich an zwei Läufer die welche aufhaben. Erstmal Tempo und Rhythmus finden. Fühlt sich ganz gut an, recht locker. Bin so an fünfter Stelle. Puls etwas hoch, eher 150, nehme etwas Tempo raus und gehe konsequent alle Steigungen, die etwas steiler sind. Die könnte ich zwar laufen, aber ich will erstmal Kräfte sparen. Werde von ein paar Läufern überholt und bin nun an Position acht oder neun. Komischerweise tun mir jetzt schon etwas die Fußsohlen weh. Seltsam. Beim Eiger habe ich mit den gleichen Schuhen und Socken nach über 15 Stunden die Füsse kaum gespürt. Egal, ist ja nicht schlimm. Weiter. Problematischer ist da schon, dass nach ungefähr zwei Stunden Knieschmerzen kommen. In beiden Beinen. Na ja, sowas geht ja oft von alleine wieder weg. Also erstmal weiter.
Geht aber nicht weg. Auch ausschütteln und dehnen hilft nichts. Ich versuche, möglichst locker zu laufen und hoffe weiter auf Selbstheilung. Um mich abzulenken konzentriere ich mich auf Strecke und Landschaft. Der Pfalztrail geht durch typischen Pfälzer Wald: Mittelgebirge, schöne Wälder, moderate Trails. Schön flüssig zu laufen. Keine zu giftige Steigungen. Wer gerne lange und entspannt auf und ab läuft, der ist hier richtig. Während ich mir so den Wald anschaue, bohrt sich ein spitzer Stock von vorne zwischen die Schnürsenkel in den Fuß. Aua, das tut weh. Jetzt bin ich wenigsten wach. Allerdings muss ich mal. Groß. Eine gute Stunde habe ich gewartet, in der Hoffnung, dass ich doch nicht muss, hilft aber nicht. Also, ab in die Büsche, hinhocken und - ich bekomme einen Krampf im Oberschenkel. Sackra. Hatte ich schon ewig nicht mehr. Kurz dehnen, zwei Salztabletten einwerfen und weiter. Der Krampf sollte sich im Verlauf des Rennens immer mal wieder melden.
Die Knieschmerzen haben sich nun verfestigt und sind stärker geworden. Kein stechender Schmerz, sondern eher dumpf. Nicht schlimm, aber unangenehm. So langsam fühlt sich die gesamte Beinmuskulatur nicht wirklich gut an. Wahrscheinlich lauf ich durch die Knieschmerzen unrund. Also versuche ich rund zu laufen. Und locker. Klappt auch. Fühlt sich gut an. Leider nur fünf Minuten. Dann ist es einfach wieder nur unangenehm und nervig. Ich horche in mich hinein, interpretiere jedes Gefühl, die Gedanken drehen sich um Schmerzen und mögliche Probleme. Pity Party würde Sabine jetzt sagen. Sich suhlen im Elend. Wie beim Eiger die ersten acht Stunden. Aber ich bin ja lernfähig und habe mir Strategien überlegt. Zum Beispiel Visualisierung. Also visualisiere ich jetzt. Vor meinem inneren Auge erscheint Haile Gebreselassie. Einer der besten Langstreckler aller Zeiten und vor allem mit einem leichten Laufstil gesegnet. Er schien immer zu fliegen, oder zu schweben. Ich kann ihn sehen, wie er dahinschwebt. Ich fühle es. Mein Laufstil passt sich an. Ich laufe locker, ich laufe leicht. Hey, das geht ja richtig gut. Eigentlich sind meine Beine garnicht müde. Eigentlich ist alles ok bis auf die Knie. Und so schwebe ich weiter - ca. fünf Minuten. Dann merke ich, dass neben den Knieschmerzen sich nun auch noch der Oberschenkel verhärtet hat und ab und an irgendetwas krampft. Inzwischen habe ich neben Haile auch Kilian Jornet und weitere Top-Läufer visualisiert, mir strahlenden Sonnenschein vorgestellt und bin auf einer Wolke geschwebt. Allerdings hilft alles immer nur wenige Minuten. Ich glaube, das mit dem Mentalen muß ich wohl noch etwas üben...
Und das mit dem Füsseheben. Inzwischen hat es mich nämlich mal wieder geschmissen. Gegen einen Stein getreten und den Bauchplatscher gemacht. Boden geküsst, Bein und Arm aufgeschürft, Fingerkuppe aufgerissen. Blutet. Aufrappeln. Weiter. Nicht gerade förderlich für das mentale Wohlbefinden. Eher unterminierend hinsichtlich meiner Selbstmotivationsbemühungen. Und so mühe ich mich halt voran. Inzwischen bin ich dazu übergegangen, immer wieder anzuhalten und die Beine auszuschütteln und Gehpausen einzulegen, um die Beine und vor allem die Knie zu entlasten. Das bringt zwar nicht viel, unterbricht aber das ungute Gefühl beim Laufen und ist vor allem mental hilfreich.
Später verlaufe ich mich ein Mal, löse versehentlich den Brustgurt meines Pulsmesser, trete mir selbst gegen den Knöchel weil ich stolpere und bekomme einen Stein gegen die Achillessehne. Es macht sich das Gefühl breit: "Ein gebrauchter Tag heute."
Ob die Knieschmerzen und die weiteren, vor allem muskulären, Probleme von der sorglosen Vorbereitung kommen, weiss ich nicht. Was ich weiss ist, dass zuviel Selbstvertrauen auch schlecht sein kann und ich definitiv nicht mehr mangelhaft vorbereitet in ein solch langes Rennen gehen werde.
So geht das dann noch ein paar Stunden weiter. Ein endloses auf und ab des Weges, keine grossen Unterschiede oder Highlights, verpflegen, weiterlaufen, gehen, ausschütteln, weiterlaufen usw. Und irgendwann lassen sich die Gedanken kaum noch vertreiben:
Ich will nicht mehr! Ich kann nicht mehr! Es tut weh! Ich will nur noch, daß es aufhört!
Aufhören gibts nicht. So greife ich ein letztes Mal in die psychologische Trickkiste: Ein positives Bild für das Ziel muss her. Irgendetwas auf was man sich freuen kann, was einen ins Ziel trägt. Und was fällt mir tolles ein? Ich möchte mich hinlegen. Ich würde gerne aufhören zu laufen und mich einfach hinlegen. So stelle ich mir vor, wie ich über den Zielstrich laufe, mich hinschmeisse und liegen bleibe. Tatsächlich ein schöner Gedanke, der mich den letzten Teil des Rennens begleitet.
Inzwischen bin ich noch einmal überholt worden und habe selbst drei Läufer eingesammelt. Gehen alle. Sieht sehr steif aus. Auch andere haben Probleme...
Das letzte Überholmanöver, ca. drei Kilometer vor dem Ziel, motiviert mich tatsächlich noch mal etwas Gas zu geben. Den hinzugewonnenen Platz in der Platzierung will ich nicht mehr hergeben.
Kurz vor Schluss hört man schon im Wald den Lärm des Zielbereichs. Endlich da. Die letzten Meter, die klatschenden Zuschauer tun gut, rein ins Ziel und - hinschmeissen, nochmal ein fetter Krampf, einfach liegenbleiben. Ich liege auf dem Asphalt, mache die Augen zu und bleibe ein paar Minuten liegen. Wie ich es mir die ganze Zeit vorgestellt hatte. Herrlich.
Beim Aufstehen lasse ich mir helfen, humpele zur Verpflegung, esse ein paar Salzbrote und gönne mir zwei Erdinger alkoholfrei. Gehen fällt mit erkalten der Muskulatur zunehmend schwer. Alles steif und krampfig. Nach dem Duschen frage ich mich, was ich beim Zieleinlauf gefühlt habe, bzw. was ich jetzt fühle? Normalerweise ist man euphorisch, oder glücklich, oder stolz, oder zufrieden, oder unzufrieden, auf jeden Fall irgendein starkes Gefühl. Und heute? Eigentlich gar nichts. Seltsam. Hatte ich noch nie.
Mir kommt die Frage in den Sinn, warum ich mir das antue. Ich fühle mich einigermassen zerstört. Aber so ist das nunmal. Es gibt gute und schlechte Tage. Die guten überwiegen und die schlechten hakt man ab bzw. versucht etwas daraus zu lernen. Und sicherlich stellt sich mit etwas Abstand auch ein gewisser Stolz ein, nicht aufgegeben zu haben.
Das Ergebnis: 8h50,14. Gesamtrang 7, M50: Platz 1.
Nach dem Rennverlauf bin ich zufrieden. Was hätte ich bei gutem Verlauf schaffen können? Schwer zu sagen. 8h30, 8h15? Das schreit nach Wiederholung mit besserer Vorbereitung zur Überprüfung. ;-)
See you on the trails! Maybe see you at the Pfalztrail 2018.
Link: www.pfalztrail.de
Copyright Saxoprint Pfalztrail |
Ich will nicht mehr! Ich kann nicht mehr! Es tut weh! Ich will nur noch, dass es aufhört! Ein Desaster!
Es ist Samstag, 16. September 2017, 11.30 Uhr. Der Saxoprint Pfalztrail im Leiningerland über 85,6 km und 2.440 Höhenmetern läuft seit 5 Stunden. Ich gehe eine moderate Steigung hinauf, die ich normalerweise locker laufen könnte. Meine Selbstmotivationsversuche verlieren sich im Nebel der mentalen Antriebslosigkeit. Macht das hier noch Sinn?
Nach dem Saisonhöhepunkt Eiger Ultra Trail E101 habe ich mir ein paar Wochen Zeit gegeben herauszufinden, was ich 2017 noch an Wettkämpfen machen möchte. Der Eiger hatte ein totales Gefühl der Zufriedenheit erzeugt und ---- Selbstvertrauen! Vor dem Eiger war ich nicht sicher, was mich erwartet und ob ich es schaffen würde. Unter anderem genau deshalb hatte ich ein solch langes, hartes Rennen ja auch ausgesucht. In den Wochen danach stellte sich dann das Gefühl ein: Ich kann alles schaffen! Ok, vielleicht nicht 100 Meter unter 10 Sekunden. Aber doch auf langen Distanzen. Egal, ob Ultra, Wüstenlauf, 24 Stunden oder was auch immer. Und das will und werde ich auch machen. 2018 kann kommen!
Für 2017 habe ich mir dann aber erstmal ein anderes Ziel gesetzt: Beim Frankfurt Marathon meine Bestzeit attackieren! Da ich aber nun mal so schön Ultra Trail trainiert hatte und das auch einfach Spaß macht, wollte ich trotzdem noch irgendeinen Trail laufen. Auf Sabines Empfehlung habe ich mir den Saxoprint Pfalztrail ausgesucht. Nicht weit weg, passt von der Planung noch so halbwegs zu Frankfurt, schöne Gegend, flowig zu laufen. Ob ich ihn dann wirklich laufe, wollte ich spontan entscheiden, in Abhängigkeit davon, wie viel ich zum Laufen komme. Bei der Arbeit viel zu tun, kurz vorher zwei Wochen Urlaub...
Und hier setzte nun das durch den Eiger Ultra neu hinzugewonnene Selbstvertrauen ein. Der Gedanke war: "Na ja, das sind ja nur 85km und knapp 2500 Höhenmeter. Das geht auf jeden Fall. Im Vergleich zum Eiger ist das doch Pillepalle!" Und außerdem hatte ich ja viele Kilometer durch die Eiger-Vorbereitung in den Beinen. Also, das wird schon auf jeden Fall gehen.
Das Resultat war, dass ich, nachdem ich für den Eiger Ultra acht Monate lang alles akribisch geplant und durchdacht hatte, ich für den Pfalztrail gemacht habe: Nix! Also zumindest nicht groß drüber nachgedacht. Im Urlaub und drumrum so viel laufen wie geht, klar. Die Strecke und das Profil habe ich mir nur mal flüchtig angeschaut und angemeldet habe ich mich drei Tage vor dem Rennen. Am Abend vor dem Wettkampf hatte ich dann auch das Gefühl, so mittel gut vorbereitet zu sein. Aber der Hauptwettkampf in der zweiten Jahreshälfte ist ja auch Frankfurt, also muss ich den Pfalztrail nicht voll Stoff laufen.
6.30 Uhr - Startschuss. Ich laufe locker los. Mein Plan ist, erstmal so um die 140 Puls zu laufen, da ich mit einer Laufzeit von 8 bis 9 Stunden rechne. Stirnlampe habe ich vergessen, passt in die laxe Vorbereitung. Egal, ich hänge mich an zwei Läufer die welche aufhaben. Erstmal Tempo und Rhythmus finden. Fühlt sich ganz gut an, recht locker. Bin so an fünfter Stelle. Puls etwas hoch, eher 150, nehme etwas Tempo raus und gehe konsequent alle Steigungen, die etwas steiler sind. Die könnte ich zwar laufen, aber ich will erstmal Kräfte sparen. Werde von ein paar Läufern überholt und bin nun an Position acht oder neun. Komischerweise tun mir jetzt schon etwas die Fußsohlen weh. Seltsam. Beim Eiger habe ich mit den gleichen Schuhen und Socken nach über 15 Stunden die Füsse kaum gespürt. Egal, ist ja nicht schlimm. Weiter. Problematischer ist da schon, dass nach ungefähr zwei Stunden Knieschmerzen kommen. In beiden Beinen. Na ja, sowas geht ja oft von alleine wieder weg. Also erstmal weiter.
Geht aber nicht weg. Auch ausschütteln und dehnen hilft nichts. Ich versuche, möglichst locker zu laufen und hoffe weiter auf Selbstheilung. Um mich abzulenken konzentriere ich mich auf Strecke und Landschaft. Der Pfalztrail geht durch typischen Pfälzer Wald: Mittelgebirge, schöne Wälder, moderate Trails. Schön flüssig zu laufen. Keine zu giftige Steigungen. Wer gerne lange und entspannt auf und ab läuft, der ist hier richtig. Während ich mir so den Wald anschaue, bohrt sich ein spitzer Stock von vorne zwischen die Schnürsenkel in den Fuß. Aua, das tut weh. Jetzt bin ich wenigsten wach. Allerdings muss ich mal. Groß. Eine gute Stunde habe ich gewartet, in der Hoffnung, dass ich doch nicht muss, hilft aber nicht. Also, ab in die Büsche, hinhocken und - ich bekomme einen Krampf im Oberschenkel. Sackra. Hatte ich schon ewig nicht mehr. Kurz dehnen, zwei Salztabletten einwerfen und weiter. Der Krampf sollte sich im Verlauf des Rennens immer mal wieder melden.
Die Knieschmerzen haben sich nun verfestigt und sind stärker geworden. Kein stechender Schmerz, sondern eher dumpf. Nicht schlimm, aber unangenehm. So langsam fühlt sich die gesamte Beinmuskulatur nicht wirklich gut an. Wahrscheinlich lauf ich durch die Knieschmerzen unrund. Also versuche ich rund zu laufen. Und locker. Klappt auch. Fühlt sich gut an. Leider nur fünf Minuten. Dann ist es einfach wieder nur unangenehm und nervig. Ich horche in mich hinein, interpretiere jedes Gefühl, die Gedanken drehen sich um Schmerzen und mögliche Probleme. Pity Party würde Sabine jetzt sagen. Sich suhlen im Elend. Wie beim Eiger die ersten acht Stunden. Aber ich bin ja lernfähig und habe mir Strategien überlegt. Zum Beispiel Visualisierung. Also visualisiere ich jetzt. Vor meinem inneren Auge erscheint Haile Gebreselassie. Einer der besten Langstreckler aller Zeiten und vor allem mit einem leichten Laufstil gesegnet. Er schien immer zu fliegen, oder zu schweben. Ich kann ihn sehen, wie er dahinschwebt. Ich fühle es. Mein Laufstil passt sich an. Ich laufe locker, ich laufe leicht. Hey, das geht ja richtig gut. Eigentlich sind meine Beine garnicht müde. Eigentlich ist alles ok bis auf die Knie. Und so schwebe ich weiter - ca. fünf Minuten. Dann merke ich, dass neben den Knieschmerzen sich nun auch noch der Oberschenkel verhärtet hat und ab und an irgendetwas krampft. Inzwischen habe ich neben Haile auch Kilian Jornet und weitere Top-Läufer visualisiert, mir strahlenden Sonnenschein vorgestellt und bin auf einer Wolke geschwebt. Allerdings hilft alles immer nur wenige Minuten. Ich glaube, das mit dem Mentalen muß ich wohl noch etwas üben...
Und das mit dem Füsseheben. Inzwischen hat es mich nämlich mal wieder geschmissen. Gegen einen Stein getreten und den Bauchplatscher gemacht. Boden geküsst, Bein und Arm aufgeschürft, Fingerkuppe aufgerissen. Blutet. Aufrappeln. Weiter. Nicht gerade förderlich für das mentale Wohlbefinden. Eher unterminierend hinsichtlich meiner Selbstmotivationsbemühungen. Und so mühe ich mich halt voran. Inzwischen bin ich dazu übergegangen, immer wieder anzuhalten und die Beine auszuschütteln und Gehpausen einzulegen, um die Beine und vor allem die Knie zu entlasten. Das bringt zwar nicht viel, unterbricht aber das ungute Gefühl beim Laufen und ist vor allem mental hilfreich.
Später verlaufe ich mich ein Mal, löse versehentlich den Brustgurt meines Pulsmesser, trete mir selbst gegen den Knöchel weil ich stolpere und bekomme einen Stein gegen die Achillessehne. Es macht sich das Gefühl breit: "Ein gebrauchter Tag heute."
Ob die Knieschmerzen und die weiteren, vor allem muskulären, Probleme von der sorglosen Vorbereitung kommen, weiss ich nicht. Was ich weiss ist, dass zuviel Selbstvertrauen auch schlecht sein kann und ich definitiv nicht mehr mangelhaft vorbereitet in ein solch langes Rennen gehen werde.
So geht das dann noch ein paar Stunden weiter. Ein endloses auf und ab des Weges, keine grossen Unterschiede oder Highlights, verpflegen, weiterlaufen, gehen, ausschütteln, weiterlaufen usw. Und irgendwann lassen sich die Gedanken kaum noch vertreiben:
Ich will nicht mehr! Ich kann nicht mehr! Es tut weh! Ich will nur noch, daß es aufhört!
Aufhören gibts nicht. So greife ich ein letztes Mal in die psychologische Trickkiste: Ein positives Bild für das Ziel muss her. Irgendetwas auf was man sich freuen kann, was einen ins Ziel trägt. Und was fällt mir tolles ein? Ich möchte mich hinlegen. Ich würde gerne aufhören zu laufen und mich einfach hinlegen. So stelle ich mir vor, wie ich über den Zielstrich laufe, mich hinschmeisse und liegen bleibe. Tatsächlich ein schöner Gedanke, der mich den letzten Teil des Rennens begleitet.
Inzwischen bin ich noch einmal überholt worden und habe selbst drei Läufer eingesammelt. Gehen alle. Sieht sehr steif aus. Auch andere haben Probleme...
Das letzte Überholmanöver, ca. drei Kilometer vor dem Ziel, motiviert mich tatsächlich noch mal etwas Gas zu geben. Den hinzugewonnenen Platz in der Platzierung will ich nicht mehr hergeben.
Kurz vor Schluss hört man schon im Wald den Lärm des Zielbereichs. Endlich da. Die letzten Meter, die klatschenden Zuschauer tun gut, rein ins Ziel und - hinschmeissen, nochmal ein fetter Krampf, einfach liegenbleiben. Ich liege auf dem Asphalt, mache die Augen zu und bleibe ein paar Minuten liegen. Wie ich es mir die ganze Zeit vorgestellt hatte. Herrlich.
Beim Aufstehen lasse ich mir helfen, humpele zur Verpflegung, esse ein paar Salzbrote und gönne mir zwei Erdinger alkoholfrei. Gehen fällt mit erkalten der Muskulatur zunehmend schwer. Alles steif und krampfig. Nach dem Duschen frage ich mich, was ich beim Zieleinlauf gefühlt habe, bzw. was ich jetzt fühle? Normalerweise ist man euphorisch, oder glücklich, oder stolz, oder zufrieden, oder unzufrieden, auf jeden Fall irgendein starkes Gefühl. Und heute? Eigentlich gar nichts. Seltsam. Hatte ich noch nie.
Mir kommt die Frage in den Sinn, warum ich mir das antue. Ich fühle mich einigermassen zerstört. Aber so ist das nunmal. Es gibt gute und schlechte Tage. Die guten überwiegen und die schlechten hakt man ab bzw. versucht etwas daraus zu lernen. Und sicherlich stellt sich mit etwas Abstand auch ein gewisser Stolz ein, nicht aufgegeben zu haben.
Das Ergebnis: 8h50,14. Gesamtrang 7, M50: Platz 1.
Nach dem Rennverlauf bin ich zufrieden. Was hätte ich bei gutem Verlauf schaffen können? Schwer zu sagen. 8h30, 8h15? Das schreit nach Wiederholung mit besserer Vorbereitung zur Überprüfung. ;-)
See you on the trails! Maybe see you at the Pfalztrail 2018.
Link: www.pfalztrail.de
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