TRAILTICKER - Juni 2017

von Sabine








Langsam sind alle Trailrunner aus dem Winterschlaf erwacht – falls es so etwas überhaupt noch gibt. Denn mittlerweile gibt es so viele Trailläufe in der „Nebensaison“, dass es schon fast unmöglich ist, perfekt zu regenerieren und zu periodisieren. Der Mai bot einige spannende Rennen – spannend auch für diejenigen, die noch auf ihre(n) Saisonhöhenpunkt/e hintrainieren und daher die Wettkämpfe nur in den sozialen Medien oder per Live-Tracker verfolgen. Aber es passierte auch einiges abseits der organisierten Wettkämpfe – und der Blick auf den Juni-Kalender lässt einiges Spannendes erwarten.





Was gab es so alles im Mai?

Die großen Rennen fingen an mit dem Transvulcania auf der Kanareninsel La Palma am 13. Mai. DAS große Auftaktrennen für die Hochsaison, zumindest was diejenigen Läufer betrifft, die nicht die extrem langen Ultra-Läufe bevorzugen. Luis Alberto Hernando, der von 2014 an drei Jahre in Folge Sieger beim Transvulcania war, hatte kurzfristig abgesagt. Der Ultratrail kollidierte nämlich mit seinen Plänen, am 10. Juni bei der I-TRA Trail Weltmeisterschaft in Italien zu starten. Er zog es vor, beim Marathon und beim VK zu starten. Bei letzterem wurde er Zweiter, den Marathon gewann er. Trotz der Absage von Hernando beim Ultra startete ein illustres Feld mit den UTMB-Gewinnern Ludovic Pommeret und Xavier Thévenard, Tom Owens (GBR) und Daniel Jung (ITA), Pau Capell und Zaid Ait Malek (beide ESP) und Jason Schlarb und Hayden Hawks (beide USA). Es waren dann Hawks und ein weiterer US-Läufer, Tim Freriks, den man aufgrund seiner Leistungen in letzter Zeit nicht unbedingt für das Podium auf dem Schirm hatte, die lange Zeit gemeinsam an der Spitze arbeiteten. Hawks hatte sich wohl aber übernommen und musste Freriks am Ende des Aufstiegs zum Roque de los Muchachos ziehen lassen. Er selbst fiel zurück, lief aber – anders als viele Spitzenläufer in solchen Situationen – tapfer durch und belegte am Schluss Platz 71 bei den Männern. Beim Transvulcania hatten am Roque de los Muchachos schon öfter US-Boys geführt und den Sieg im folgenden steilen Abstieg wieder verspielt. Auch dieses mal war es der Abstieg, der das Feld neu sortierte, aber Freriks behielt seine Führung und war in 7:02:03 im Ziel. Hinter ihm Ludovic Pommeret, der sich vor allem im Abstieg  von den Verfolgern lösen konnte. Und weil andere Favoriten entweder schon beim Aufstieg Schwierigkeiten hatten oder nach dem Roque de los Muchachos zurückfielen, schnappte sich der Spanier Zaid Ait Malek den dritten Platz. Bei den Frauen legte – wie im Vorjahr – Ida Nilson (SWE) einen Start-Ziel Sieg hin, obwohl sie sich im Downhill bei einem Sturz eine solche Wunde zugezogen hatte, dass sie später genäht werden musste. Auf Platz 2 und 3 liefen Anne Lise Rousset (FRA) und Hillary Allen (USA) mit deutlichem Abstand zu Nilsson. Die Schweizer Viel-Läuferin Andrea Huser kam „nur“ auf Rang 6; allerdings zählen auch eher die ultralangen Ultras zu ihren Stärken.

Am 20. Mai machten sich dann wieder einmal beim Rennsteig Supermarathon über 2000 Läufer auf den Weg von Eisenach zum „schönsten Ziel der Welt in Schmiedefeld“. Die größte Lautstärke bewies im Vorfeld der Vorjahressieger Marc Schulze (Citylauf Verein Dresden), der einen neuen Streckenrekord ankündigte. Trash Talk ist in der Ultralauf-Szene eigentlich nicht sonderlich üblich – und wenn dennoch großspurige Ankündigungen gemacht werden, ist es selten gut ausgegangen. Siehe Jim Walmsley beim Western States 2016. Und so waren zwar alle Augen auf Schulze gerichtet, aber der musste nach anfänglich großem Vorsprung auf das übrige Feld zwischen Neuhöfer Wiesen und Grenzadler seinem hohen Anfangstempo Tribut zollen. Am Grenzadler in Oberhof ging er dann ganz aus dem Rennen. Der bisherige Zweite des Rennens, Frank Merrbach (LG Nord Berlin) übernahm die Führung und gab sie bis ins Ziel nicht mehr ab. Zweiter wurde Maik Willbrandt (DHfK Leipzig), der sich konstant hinter Merrbach gehalten hatte. Eine Aufholjagd lieferte ab Oberhof Christoph Latzko-Fünfstück (LG EXA Leipzig), der damit auf Platz 3 kam. Ebenfalls mit einem eher langsamen Start hatte sich die spätere Siegerin bei den Frauen Melanie Albrecht (Garmisch-Partenkirchen) nach anfänglichen Magenproblemen und Übelkeit Stück für Stück nach vorn gekämpft. Die 21-jährige, die eigentlich eine klassische Bergläuferin ist, konnte sich erst beim Abstieg vom großen Beerberg von der Zweiten im Ziel, Basilia Förster (Neuried), absetzen. Sie zeigte damit eindrucksvoll, dass große Probleme in der ersten Hälfte eines Ultramarathons noch nicht das Aus bedeuten müssen. Dritte wurde nach einem sehr konstanten Rennen Sonja von Opel (Pullach). 

Wie man beim Transvulcania und Rennsteig Supermarathon gesehen hat, kann sich in einem Ultramarathon immer noch einiges durchmischen, denn keiner ist gegen einen Leistungseinbruch gefeit. Bei Etappenrennen ist es oft weniger spannend, da die Dominierenden des Rennens oft riesige Vorsprünge herauslaufen. Nicht so beim diesjährigen Dragon’s Back Race (Ras Cefn Ddraig), der vom 22.-26. Mai stattfand und der über den „Rücken des Drachen“ – das von Norden nach Süden verlaufende Bergland in Wales – führt. Dieser Lauf war ein Krimi – und das sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen. Tag 1 führt von Conway Castle im Norden von Wales direkt in die technisch schwierigen Gebirgsketten der Carnedds, Glyders und des Snowdon-Massivs. Hier konnte sich der Sieger des Dragon’s Back von 2015, Jim Mann, einen Vorsprung von 42 Minuten auf Neil Talbott und 1:02 Stunden auf Marcus Scotney herauslaufen. Aber: Mann hatte beim Aufstieg zum Crib Goch den Kontrollpunkt nicht gefunden, an dem die Läufer elektronisch „einloggen“ müssen. Das Wettkampfgericht entschied: 15 Strafminuten und einen „Strike“ für Mann. Drei Strikes bedeuten Disqualifikation. Tag 2 führt über die technisch einfacheren Moelwyns und flacheren, aber zerklüfteten und unwegsamen Rhinogs. Dies war wieder eine Spielwiese für den technisch versierten Jim Mann, der seinen Vorsprung auf Scotney um weitere 22 Minuten auf 1:09 Stunden ausbauen konnte. Im Abstieg vom letzten Berg des Tages, dem Diffwys, ließ allerdings Scotney zum ersten mal durchblicken, wie schnell er sich in einfacherem Terrain bewegen kann. Neil Talbott lag nach Tag 2 mit deutlichem Rückstand auf Platz 3. An Tag 3 stand zuerst der mythische Gipfel Cadair Idris auf dem Programm, danach ging es Richtung Cambrian Mountains und damit in leichteres Terrain, ganz für Marcus Scotney gemacht. Doch war es nicht Scotney, sondern Jim Mann selbst, der sich gleich ein Bein stellte: Im Nebel auf dem Cadair Idris verlief er sich, und zwar heftig. Kaum auf dem Weg gelandet, verlief er sich gleich noch ein zweites mal. Als dann mittags die Sonne rauskam und es warm wurde, hatte er richtig zu leiden. Marcus Scotney dagegen flog richtiggehend über die Strecke und distanzierte Jim Mann um 1:36 in der Tageswertung – damit übernahm er die Führung mit fast 28 Minuten Vorsprung. Und die sanften Hügel von Tag 4 sollten ja auch eher Scotney als Mann liegen. Dann aber kam die Überraschung – schon kurz nach dem Start nahm Mann eine sehr viel geschicktere Route als Scotney – im überwiegenden Teil des Rennens können die Läufer selbst bestimmen, wie sie sich von Kontrollpunkt zu Kontrollpunkt bewegen. Scotney hatte dagegen – wie viele andere Läufer auch – eine Barkley-ähnliche Route genommen. Das kostete Zeit. Und auch sonst machte Mann an diesem Tag eine richtig gute Figur – er schaffte es, Scotney auf dessen Lieblingsterrain 20 Minuten abzunehmen. So trennten die beiden nur noch 8 Minuten. Aber: Scotney konnte nach den harten Laufeinheiten der beiden Vortage kaum mehr das Knie bewegen – es war sehr fraglich, ob er überhaupt würde zu Tag 5 starten können. Und Jim Mann hatte an einer der wenigen „Pflichtstrecken“ einen Navigationsfehler gemacht, der ihm zwar eher Zeit kostete, aber auch einen weiteren „Strike“ einbrachte. Noch ein Navigationsfehler und „Strike“ an Tag 5, und er wäre raus aus dem Rennen.

Auch als erfahrener Ultraläufer kann man(n) sich verlaufen:
In Blau der Weg, den Jim Mann lief, Rot die empfohlene (schnellste Route) 

Bei den Damen gab es ein Führungstrio: Sabrina Verjee (GBR) hatte sich von Tag 1 an einen kleinen, aber stetig wachsenden Vorsprung auf Caroline McIllroy (GBR) und Carol Morgan (IRL) herausgelaufen. Dann kam Tag 4 mit warmem Wetter, und Sabrina Verjee verlor einiges ihres Vorsprungs auf die beiden Verfolgerinnen, da sie zunehmend Atmungsprobleme bekam. Und so lagen zwischen der ersten und der dritten am Ende von Tag 4 ganze 15 Minuten Differenz – und das bei 40 Stunden Gesamtlaufzeit! Da war alles möglich! Nach der Hitzeschlacht von Tag 4 lag Sabrina Verjee gerade noch 7 Minuten vor Carol Morgan. Auf Platz 3 Caroline McIllroy. Der Abstand zu den nächstplatzierten Frauen war groß genug, dass wohl nur diese drei für das Podium in Frage kommen würden, es sei denn, es gäbe verletzungsbedingte Aufgaben.
Das sollte also an Tag 5 ein echter „Nailbiter“ werden, wie der Engländer sagt. Und der Renndirektor des Dragon’s Back, Shane Ohly, setzte noch einen drauf: Er setzte an Tag 5 für die ersten beiden Männer und die ersten 3 Frauen einem „Chase Start“ an, es wurde also ein Jagdrennen, bei dem die Führenden auf die Strecke geschickt wurden und die Verfolger mit ihrem Zeitabstand im Gesamtklassement folgten. Hielt das Knie von Scotney? Würde Mann einen weiteren Fehler machen? Wie würde es Sabrina Verjee ergehen? Zunächst einmal blieben die Abstände relativ konstant. Dann aber, beim Aufstieg in die Black Mountains – dem letzten Bergmassiv des Rennens, sah man, dass wohl Scotney mit seinem Knie ganz gut klarkam, während Mann wohl bei seiner Aufholjagd am Tag zuvor zu viel gegeben hatte. Scotney zog Mann davon und war schließlich 1 Stunde und 40 Minuten vor Jim Mann im Ziel. Auf Platz 3 kam in deutlichem Zeitabstand Neil Talbott. Platz 5 und 6 belegten die international bekannteren Jez Bragg (GBR) und Nick Hollon (USA). 
Und bei den Frauen? Da konnte Sabrina Verjee Carol Morgan nicht auf Distanz halten. Am Foel Fraith musste sie mit ansehen, wie Morgan an ihr vorbeizog. Im Ziel war dann aus den 7 Minuten Vorsprung 48 Minuten Rückstand geworden. Caroline McIllroy wurde Dritte. Auf Platz 6 und 7 kamen zwei Deutsche, Barbara Drews (Non-Stop-Ultra Brakel) und Anja Karau (LAV Stadtwerke Tübingen).

Das Pfingswochenende brachte dann jede Menge Rennen. Zum einen den ältesten und größten Ultramarathon der Welt, den Comrades Marathon von Durban nach Pietermaritzburg in Südafrika. Für die, die den Comrades verpasst haben und sich die ganzen 11 Stunden anschauen wollen: Die 11 Stunden Live-Übertragung ist HIER zu finden. Bei den Männern wird das Rennen seit Jahren von Läufern aus Südafrika und Zimbabwe dominiert – der letzte Läufer, der in diese Phalanx einbrechen konnte, war 2008 Leonid Shvetsov aus Russland. Bei den Frauen dagegen war es über 10 Jahre langweilig – es war immer nur die Frage, wer von den beiden Nurgaliewa-Zwillingen gewinnen würde: Elena oder Olesya. Bis dann 2014 Ellie Greenwood mit einem beherzten Lauf die Dominanz der beiden Russinnen beendete – noch immer sehenswert (hier das Video, ab 1:25h die entscheidenden Szenen). Dieses Jahr waren nun die Nurgalieva-Zwillinge erstmals seit Jahren nicht mehr am Start. Den Titel bei den Frauen sicherte sich – zum ersten mal seit Ann Trason 1996 und 1997 – wieder eine US-Amerikanerin, Camille Herron. Der Zieleinlauf war jedoch skurril: Herron dachte beim ersten Bogen über die Strecke, das wäre schon das Ziel und spazierte danach an den Zuschauerrängen entlang, sichtlich erschöpft, und ließ sich abklatschen. Kein Ordner und kein Zuschauer konnte sie davon überzeugen, weiterzulaufen und ihre nur wenige Minuten betragende Führung ins Ziel zu retten. Erst ein Läufer, der vorbeikam und ihr Bescheid sagte, stimmte sie um – und plötzlich verfiel sie aus dem Spaziergang in einen Sprint. Sie war nicht die einzige US-Amerikanerin, der dieser Fehler unterlief. Da muss man sich fragen, warum man sich da nicht etwas besser auf die etwas anderen Ziel-Gepflogenheiten vorbereitet hatte – Videos gibt es über den Comrades ja zuhauf. Make Amerika think again!
Bei den Männern siegte mal wieder ein Lokalmatador, dem naturgemäß kein solches Missgeschick passierte wie Herron. Bongmusa Mthembu, allenfalls eingefleischten Comrades-Fans von seinem Sieg 2014 bekannt, gewann das Rennen der Männer. 

Zeitgleich fand am Pfingstwochenende mit dem Hochkönigman auch ein Neu-Klassiker statt – erstmals ausgetragen 2015, der sich inzwischen wachsender Beliebtheit erfreut, der aber anders als die anderen Trail-Events (noch) nicht notorisch ausverkauft ist. Hier gewannen mit Florian Grasel bei den Männern und Sigrid Huber bei den Frauen zwei Österreicher(innen). 

Neben diesen Events fanden noch zwei Rennen statt, die etwas speziell sind. Zum einen der Keufelskopf-Ultratrail im Pfälzer Bergland an der Grenze zwischen Rheinland-Pfalz und Saarland. Für diejenigen, die ihn nicht kennen: Nein, ich habe mich nicht verschrieben. Es heißt Keufelskopf und nicht Teufelskopf. Das spezielle bei diesem Lauf ist nicht nur der Name. Sondern: Der Veranstalter versucht, möglichst viele Höhenmeter in die Strecke zu packen, und so kommt man derzeit auf 3600 Höhenmeter beim 85km Trail. Nicht schlecht für die sanft-hüglige Nordpfalz. „Derzeit“ bedeutet: Von Jahr zu Jahr hat Eric Tuerlings, dessen „Baby“ dieser Lauf ist, Höhenmeter um Höhenmeter draufgepackt. War der Lauf anfangs noch ein Einladungslauf, hat er sich inzwischen etabliert und 2014 wurde sogar die Deutsche Meisterschaft im Ultratrail dort ausgetragen. In diesem Jahr gehört er zum DUV Ultra Cup. Dennoch herrscht weiterhin familiäre Atmosphäre, und die Lyonerpfanne, die jeder Ultraläufer nach erfolgreichem Finish bekommt, ist legendär. Auch für Mittelgebirge eher unüblich: Der Lauf findet in teilweiser Autonomie statt, d.h. bestimmte Gegenstände und Verpflegung müssen die Läufer selbst mitnehmen. Die Sieger in diesem Jahr waren der Freiburger Nils Riegel (8:43:40), der im letzten Jahr noch Vierter war, und Lisa Esser (Saarburg) in 12:32:47.

Und dann fand im französischen Département Isère die Premiere eines Laufs statt, der als „europäischer Barkley“ beworben wird: Der Chartreuse Terminorum. Organisator dieses Laufs, bei dem 5 Runden à 60km zu laufen sind und bei dem man 22000 Höhenmeter zu überwinden hat, ist Benoît Laval. Kein Unbekannter in der Ultrarunning-Szene. Denn er ist Gründer und CEO von RAIDLIGHT, dem französischen Hersteller von Bekleidung und Aurüstung für Trailrunning. Außerdem nahm Laval zweimal – 2016 und 2017 – am Barkley Marathons teil – und hat dabei jeweils 2 Runden absolviert (seinen Barkley 2016 dokumentiert dieser Film). Vieles an diesem Rennen erinnert nicht nur an die Barkley Marathons, sondern sind 1:1 kopiert: das unglaubliche Preis-Leistungsverhältnis (1 Cent pro km = 3 Euro Teilnahmegebühr), die Autokennzeichen zur Anmeldung, auf der Strecke kein GPS, nur Kompass und Karte, Kurs nicht markiert. Und anstelle von Zeitmatten, die dokumentieren, dass die Läufer die Strecke korrekt passieren, liegen 17 Bücher aus, von denen man je eine Seite als Beweis mitbringen muss. Entsprechend dieser Logik war auch der Veranstalter der Barkley Marahons, Gary Cantrell alias Lazarus Lake, beim Start des Rennens dabei und eröffnete es mit dem charakteristischen Anzünden seiner Zigarette. Zur Rennpremiere waren 36 Läufer am Start, und der Lauf hatte keinen Finisher. Am weitesten kam Gaetan Janssens, der 2 Runden absolvierte und auf der 3. Runde aufgab. 
So weit, so gut. Ich muss aber zugeben, dass ich etwas befremdet war, als ich von diesem Lauf gelesen habe. Zwar finde ich das Konzept des Barkley, die Läufer an die Grenze des gerade noch möglichen zu bringen, sehr interessant. Ich verfolge jedes Jahr am „April Fools Weekend“ diesen Lauf in Tennessee mit dem eher unergiebigen Twitter-Feed. Ich weiß auch, dass 40 Startplätze pro Jahr reichlich wenig sind für die vielen Interessenten, die sich gerne mal mit dem Kurs messen würden. Aber muss es sein, dass man nicht nur die Grundidee, sondern auch die Durchführung kopiert? Sozusagen ein „Barkley-Franchising“? Gerade das widerspricht der Idee eines Laufs, der zutiefst unkonventionell und anti-kommerziell ist. Leute: Die Grundidee zu kopieren mag ja noch angehen, aber dann strengt doch mal Eure Phantasie an und setzt diese Idee individuell um! Natur und Kultur sind so vielfältig, dass sich doch da eine große Vielfalt an Konzepten für ein solches Rennen entwickeln lassen sollte. Der Lauf ist nicht, wie auf seiner Facebook-Seite steht „the french Ultra inspired by the Barkley Marathons“, sondern es ist eine Barkley-Kopie. Schade.
Des Weiteren stimmt mich bedenklich: Benoît Laval ist kein Tennessee Hillbilly Redneck, sondern der CEO einer Sportartikelfirma. Sicher kann der mit den Startgeldern zum Chartreuse Terminorum nichts verdienen, aber der Lauf an sich ist natürlich Promotion für seine Firma. Und das widerspricht ganz ordentlich dem Geist von Barkley, wo nicht Hersteller und Marken im Vordergrund stehen, sondern viele mit ausgedienter Kleidung und Handschuhen aus dem nächsten Baumarkt antreten. 
Ich bin gespannt, ob der Chartreuse Terminorum in den nächsten Jahren sein eigenes Gesicht bekommen wird …





Wir stehen in diesem Jahr noch vor der Hauptsaison der Trail- und Ultraläufe, daher ist es noch zu früh für Dokumentationen dieser Rennen. Aber es gibt ein paar interessante Filme, auf die ich hinweisen möchte:

Oben habe ich vom Dragon’s Back Race berichtet – dieser Lauf hat ein „Schwesterrennen“, das zweijährlich im Wechsel mit dem Dragon’s Back stattfindet: Der Cape Wrath Ultra in Schottland – ein Etappenlauf über 8 Tage und 400 km durch die schottischen Highlands bis zum Cape Wrath, dem nordwestlichsten Punkt von Schottland. Über den Cape Wrath Ultra 2016 kam nun im Frühjahr diesen Jahres ein halbstündiger Film heraus, der die Läufer verfolgt und die grandiose Natur dokumentiert. Eine Empfehlung für alle, die schon immer mal über die Schottischen Fells laufen oder wandern wollten. Übrigens läuft gerade die Anmeldefrist für den Cape Wrath Ultra 2018.
Inzwischen betreiben Sportartelhersteller zunehmend Marketing über Filme, die qualitativ nicht hinter den „independent“-Filmen zurückstehen müssen. 

Für den Film The Last Darkness: Running 170 miles through the Owyhee Canyonlands ist Patagonia verantwortlich. Er dokumentiert eine 4-tägige Lauf-Expedition von Jeff Browning und Jessen Haynes auf dem neu angelegten Oregon Desert Trail. Sicher nicht ein Standard Trail-Run. Aber auch nicht die Standard-Kulisse, die so oft für Läufe durch die Natur herhalten muss … seien es der Grand Canyon oder die bekannten Nationalparks der USA. Hier läuft man „off the beaten track“ – und genau das macht diesen Film sehr sehenswert.

Hayden Hawks, der Trailrunner aus Utah, der beim Transvulcania so lange auf einem Spitzenplatz lag und sich dann tapfer zu Platz 71 durchkämpfte, machte im Frühjahr von sich reden, als er den FKT auf der Zion Traverse lief. Es handelt sich hierbei um einen landschaftlich enorm abwechslungsreichen und anspruchsvollen Trail durch den Zion Nationalpark in Ost-West Richtung. Hoka One One hat den FKT von Hayden Hawks in einem schönen, 2 ½ Minuten dauernden Filmchen dokumentiert. 

Vor 3 Jahren fand zum ersten mal die Ultra Trail World Tour statt. Hinter allem, was im Trailrunning-Business notorisch das „registered Trademark“ Zeichen verwendet, steht meist das nicht unumstrittene und sehr geschäftstüchtige Ehepaar Michel und Catherine Poletti, das auch im Organisationskomitee des UTMB seine Finger im Spiel hat und im Vorstand der International Trail Running Association (ITRA) im Vorstand sitzt, die die Qualifikationspunkte für den UTMB vergeben. Unumstritten ist aber, dass die Zahl der Wettkämpfe im UTWT-Zirkus wächst, und dass von diesen Wettkämpfen immer sehenswerte Dokumentationen entstehen. So auch in diesem Jahr. Im letzten Monat erschienen sind Teil 1 und Teil 2 der Dokumentation über die UTWT 2017, wobei über den Hong Kong 100k, der Tarawera Ultratrail (Neuseeland) und der Marathon des Sables (Marokko) berichtet wird. Für die frankophilen Leser unter Euch gibt’s die Filme auch auf Französisch (Teil 1, Teil 2). 





Welche Ultra- und Trailläufe sind im Juni besonders interessant? Wohl vor allem die Klassiker – ob in USA, in Europa oder in Deutschland/Österreich. Hier die vielleicht wichtigsten:

16.-18. Juni 2017: Zugspitz-Ultratrail. Sagte ich Ultratrail? Und das ohne registred Trademark? Denn das hatte sich ja das oben schon genannte Ehepaar Poletti gesichert. Ja, die Leute von Plan B, die unter anderem den ZUT veranstalten, haben schon vorgesorgt, denn sie haben sich die Marke „Zugspitz Ultratrail“ schützen lassen. Zurecht, wie ich finde, denn es ist ein Rennen und nicht nur ein Wort. Und die Veranstalter des ZUT müssen das eingetragene Markenzeichen auch nicht so affig vor sich hertragen, wie man es beim UTMB sieht. Aber zurück zum Lauf selbst. Es ist längst nicht mehr nur der Ultratrail, für den der ZUT bekannt ist. Neben der vollen Umrundung der Zugspitze auf 100km und 5400 Höhenmetern gibt es ein wahres Trailrunning-Festival mit Streckenlängen von 81km (ab Ehrwald), 63 km (ab Leutasch), 39 km (ab Mittenwald) und 25 km (ab Garmisch). Und wenn ich es richtig sehe: zu allen Läufen kann man sich jetzt, eine Woche vor dem Lauf, noch anmelden. Ob das wohl daran liegt, dass der ZUT seit letztem Jahr aufgrund der Markenrechtsstreitigkeiten mit den UTMB-Organisatoren keine Qualifikationspunkte für den UTMB mehr vergibt? Egal – es ist ein super organisiertes Rennen, und die Strecken sind anspruchsvoll und abwechslungsreich zugleich. 

24.-25. Juni 2017: Western States Endurance Run. It’s Statesmas! Das sagen zumindest die Trailverrückten Läufer im Westen der USA, wenn im Juni das Datum des Western States Endurance Run herannaht. Dann versammelt sich alles, was national – und zunehmend auch international – Rang und Namen hat in Squaw Valley, dem Austragungsort der Winterolympiade 1960. Von dort geht es 100 Meilen durch die Berge und Canyons der Sierra Nevada bis nach Auburn, wo auf dem Sportplatz der Placer High School der Lauf endet. Für US-Amerikaner wie auch für die meisten internationalen Ultraläufer DER Klassiker schlechthin. Zwar ist er nicht der älteste Ultralauf, aber sicher einer der bekanntesten. Und wie steht es in diesem Jahr um die Besetzung? Es wird mit Sicherheit wieder ein spannendes Rennen. Bei den Männern ist fehlt zwar der Sieger und der Zweite des letzten Jahres, Andrew Miller und Didrik Hermansen (NOR), aber einige der letztjährigen Top Ten wie Jeff Browning, Chris Mocko und Thomas Lorblanchet (FRA) sind wieder dabei. Dazu Tofol Castanyer (ESP) und vor allem Jim Walmsley, der dieses Jahr seinen Schnitzer vom letzten Jahr wieder gut machen will und sich sicher die Strecke besser eingeprägt hat. Dies ist aber noch gar nichts gegen die Leistungsdichte bei den Frauen: Kaci Lickteig, die Gewinnerin von 2016, Magda Boulet, Siegerin von 2015 und Stephanie Violett (früher Howe), Siegerin von 2014. Daneben Camille Herron, die in diesem Jahr schon den Ultra Trail Australia und den Comrades gewonnen hat. Immer gut für Spannung und einen der vorderen Plätze sind Amy Sproston, Meghan Arbogast (inzwischen schon 56 Jahre!), Emely Harrison, Clare Gallagher und Nicole Kalogeropoulos (früher Studer). Und dann gibt es noch zwei „Internationale“, die mitmischen könnten: Die Ungarin Ildiko Wermescher und die Vielläuferin aus der Schweiz, Andrea Huser, der die Strecke ggf. zu flach ist. Sie mag es ja sehr lang und sehr steil. Bei mir sind es aber zwei Läufer, die ich besonders beobachten werde, und die sind sicher nicht an der Spitze des Felds: Gunhild Swanson (72), die vor zwei Jahren 4 Sekunden vor dem Cutoff ins Ziel kam und Wally Hesseltine (73), der beim letzten mal den Cutoff um knapp zwei Minuten verfehlte. Startplätze gibt es selbstverständlich bei dem mehrfach überbuchten Rennen keine mehr, aber der Western States ist im Internet sehr präsent, sei es z.B. durch die Interviews und Reportage während des Rennens von Bryon Powell von IRunFar, aber auch das live-Tracking von ultralive.net und das Western States Veterans Panel, das wie immer auf dem Youtube-Kanal von irunfar zu finden ist.


23.-25.6.2017: Die Dolomiten sind immer eine gute Kulisse für einen Trailrun, und so hat sich inzwischen der Lavaredo Ultra Trail (120km) und der Cortina Trail (48km) fest etabliert. Diese Veranstaltung findet am gleichen Wochenende statt wie der Western States Endurance Run, und ist wie der WSER Bestandteil der Ultra Trail World Tour. Daher sind es auch die „üblichen Verdächtigen“ auf dieser Tour, die im Teilnehmerfeld des Lavaredo Ultra Trail auftauchen: Didrik Hermansen (NOR), Daniel Jung (ITA), Gediminas Grinius (LTU), Francois d’Haene (FRA), dazu noch Seth Swanson (USA), der bislang nicht auf der UTWT in Erscheinung getreten ist. Bei den Frauen sind es Fernanda Maciel (BRA) und  Caroline Chaverot (FRA), die wohl weit vorn mitspielen werden. Wie auch in den vergangenen Jahren ist sowohl der Lavaredo Ultra Trail als auch der Cortina Trail ausverkauft, bei Twitter wird man aber am Renntag auf dem Laufenden gehalten: @LavaredoUT.





Die Bergsaison beginnt! Wer immer noch an seiner Technik, bergauf zu laufen feilt, dem sei dieser Film von Michael Arend empfohlen zum Thema Trail Running Technik - BERGAUF LAUFEN

Aber auch, wenn man das mit der Lauftechnik gut im Griff hat, braucht man immer noch eine gute Portion Kraft, um über den Berg zu kommen. TrailRunnerMag hat einen 5-minütigen Zirkel zusammengestellt mit spezifischen Übungen zur Kräftigung der Beine für die Berge. 





Kilian Jornet zweimal auf dem Everest

Die meisten werden es wahrscheinlich mitbekommen haben: Im Rahmen seines „Summits of my life“ Projekts war Kilian Jornet wieder am Everest. In den beiden vorherigen Jahren konnte er seinen Rekordversuch wegen des Erdbebens 2015 bzw. wegen schlechter Witterungs- und Schneebedingungen 2016 nicht wie geplant durchführen. Doch nun war es soweit. Von seiner Besteigung des Cho Oyu gut akklimatisiert und mit weiteren Akklimatisationseinheiten am Everest brach er am 20. Mai um 22 Uhr vom Basislager am Rongbuk Kloster auf und erreichte nach 26 Stunden um Mitternacht in der Nacht vom 21. auf den 22. Mai den Gipfel des Everest. Dabei verwendete er keine Hilfsmittel, also weder Fixseile noch Sauerstoff. Eigentlich wollte Jornet einen Rekord für den Weg hoch und runter aufstellen, allerdings bekam er ab 7700 HM im Aufstieg Probleme mit zunehmender Übelkeit. Trotzdem setzte er seinen Aufstieg bist zum Gipfel fort. Nachdem es ihm auch beim Abstieg nicht besser ging beschloss er, die Tour nicht wie geplant im Basislager, sondern im Advanced Base Camp (ABC) zu beenden. Dort war er um 12:15 am 22. Mai. Killian Jornet hat sich damit zwar nicht einen Rekord für die Strecke vom Basislager zum Gipfel und zurück geholt, allerdings mit 26 Stunden eine „Fastest Known Time“ für den Aufstieg vom Basislager gesetzt – den bisherigen Geschwindigkeitsrekord für den Aufstieg - allerdings vom ABC aus und unter Verwendung von Fixseilen – hält der östereichische Bergsteiger Christian Stangl (16:42, 2006). 

Als ob eine Speed-Besteigung nicht genügend Risiko wäre glaubte man dann nicht recht zu lesen, als am 27. Mai berichtet wurde, dass Kilian Jornet noch einen zweiten Versuch gestartet hatte – dieses mal aber vom ABC aus. Heftige Winde im Gipfelaufbau verhinderten, dass er auch hier einen neuen Rekord setzte – mit 17 Stunden vom ABC bis zum Gipfel blieb er gerade mal 18 Minuten hinter dem weiterhin bestehenden Rekord von Christian Stangl zurück. 

Auch die Tatsache, dass er zweimal innerhalb von gut 5 Tagen auf dem höchsten Gipfel der Welt stand, brachte ihm keinen Rekord ein, denn fast zur gleichen Zeit bestieg Anshu Jansempa, eine Bergsteigerin aus Indien, den Everest von der Südostseite zweimal innerhalb von 5 Tagen – am 16. und am 21. Mai. Die bisherigen Bergsteiger, die den Gipfel zweimal innerhalb von 5 Tagen erreichten, waren allesamt Sherpas gewesen.

Kilian Jornet kehrt also „nur“ mit einem Aufstiegsrekord zurück – man wird sehen, ob das so sehr ein Stachel in seinem Fleisch ist, dass er in den kommenden Jahren noch einmal einen Rekordversuch macht. Allerdings wäre mit Blick auf den tödlichen Absturz von Ueli Steck Anfang Mai zu hoffen, dass Jornet es mit diesem Rekord im Aufstieg gut sein lässt …



Andrea Huser oder: Kann so viel Laufen gesund sein?

Einen – inoffiziellen – Rekord ganz anderer Art stellt derzeit Andrea Huser auf: Die Schweizerin läuft und läuft und läuft. Wenn man ihren Rennkalender (und darüber hinaus die Ergebnisse) von 2016 und 2017 anschaut, dann wird einem schwindlig: 
  • März 2016: Transgrancanaria 125km (2. Platz bei den Frauen)
  • April 2016: Madeira Island Ultra Trail 115km (2.)
  • Mai 2016: Trail des Allobroges 60km (1.)
  • Mai 2016: MaXi Race Annency  83.5km (1.)
  • Juni 2016: Scenic Trail 54km (3.)
  • Juni 2016: Lavaredo Ultra Trail 120km (1.)
  • Juli 2016: Zermatt Ultra Marathon 45.6km (4.)
  • Juli 2016: Eiger Ultra Trail 101 km (1.)
  • Juli 2016: Swiss Alpine 76km (2.)
  • August 2016: Swiss Iron Trail 201km (1.)
  • August 2016: UTMB 160km (2.)
  • September 2016: Trail d’Albertville 48km (1.)
  • Oktober 2016: Grand Raid Réunion (1.)
  • Januar 2017: Ultra Trail Tai Mo Shan 162km (1.)
  • Februar 2017: Transgrancanaria 125km (2.)
  • April 2017: Madeira Island Ultra Trail 115km (1.)
  • Mai 2017: MaXi Race Annency 83.5km (2.)
  • Juni 2017: Western States Endurance Run 100Meilen
  • Juli 2017: Eiger Ultra Trail 101 km
Wann macht die Frau mal Pause? Wann kann sie überhaupt trainieren? Und kann das auf Dauer gesund sein? 

Man hat es in der Vergangenheit sehr oft gesehen, dass Läufer oder Läuferinnen, die nur einen Bruchteil dieses Programms liefen, innerhalb weniger Jahre entweder aufgrund einer (Ermüdungs-)Verletzung aus dem Rennen waren – wie z.B. Rob Krar nach seinen drei 100-Meilen Erfolgen im Jahr 2015 – oder einen Burn-Out hatten – wie Geoff Roes 2011. Zwar ist das Angebot an reizvollen Rennen riesig und Wertungen wie die Ultra Trail World Tour verleiten zum Binge-Running. Selten hat das zu langlebigen Karrieren geführt. Dass Andrea Huser diese Dauerbelastung schon so lange und mit diesen Ergebnissen durchhält zeigt, dass sie eine unglaubliche Konstitution haben muss – sicher auch mit bedingt durch ihr „Erstes Leben“ als Mountainbikerin und Triathletin. Es wäre ihr zu wünschen, dass sie noch lange in der Trailrunning-Szene dabei ist, aber auch, dass sie ein vernünftiges Maß an Rennen findet, dass ihr die Langlebigkeit ermöglicht. Sicher aber sollte man ich diese Häufung von Rennen nicht zum Vorbild nehmen – die meisten Körper sind dafür nicht gemacht. 






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