Bernina Ultraks Gletschermarathon - Wettkampfbericht


 

von Erik

 

Bernina Ultraks - ein legendär schönes Traillaufevent im wunderschönen Engadin steht schon lange auf meiner Liste. Am ersten Juliwochenende 2023 ist es nun endlich so weit. 

Schon die Anreise ist ein Traum, vor allem, wenn man mit dem Motorrad anreist und diverse Pässe auf dem Weg nach Pontresina nahe Sankt Moritz mitnimmt. 



Der Bernina Ultraks  besteht aus fünf Rennen:

  • Bernina Gletschermarathon (42,2km, 2600HM)
  • Govertical (6,5km, 1400HM, nur hoch)
  • Corvatsch (30km, 1800HM)
  • Steinbock (16km, 870HM)
  • Mini-Ultraks (1,5km, kidsrace)

Ich laufe den Bernina Gletschermarathon. Für die Teilnahme habe ich mich recht spontan entschieden, nachdem durch zahlreiche Krankheiten meine gesamte Jahresplanung über den Haufen geworfen wurde.

Der Gletschermarathon schien mir perfekt geeignet als Vorbereitungswettkampf für meinen Hauptwettkampf, den Pitz Alpine Glacier Trail am 4./5. August. Mit fünf Wochen ein ausreichender Abstand, optimal im Zuschnitt. Vom Profil und gesamten Set-Up fast identisch mit dem Pitz Alpine, nur halt kürzer. Große Höhe, 1800 bis 3000m, Gletscherüberquerung, steile lange Anstiege, technisch und teils ruppig. So kann ich einerseits testen, ob mein Fitnesslevel nach den vielen Trainingspausen überhaupt ausreichend ist, um einen 100er anzugehen und wenn dem so sein sollte, gleichzeitig den bestmöglichen Vorbereitungswettkampf zu absolvieren.

Angereist bin ich dann einen Tag früher als meist, also am Mittwoch, um etwas mehr Zeit zum Akklimatisieren zu haben. Selbst das ist natürlich eigentlich viel zu kurz. Man sagt ja schon bei moderateren Höhen um 1200m, dass man mindestens fünf Tage vorher vor Ort sein soll. Bei einem Wettkampf über 1800m um so mehr. Aber wer kann schon immer eine Woche vorher anreisen? 


Ich quartiere mich im Berninahaus auf 2000 Meter ein. In der Nähe geht die Wettkampfstrecke vorbei. Von der Terrasse aus blickt man zur Diavolezza, hinter dem Haus geht es Richtung Alp Languard.

Die verbleibenden zwei Tage nutze ich, um die Gegend zu erkunden und mir Teile der Wettkampfstrecke anzuschauen. Vor allem will ich unbedingt zum Gletscher. In einem Wettkampf über einen Gletscher zu rennen habe ich noch nie gemacht und die vorgeschriebenen Spikes ruhen noch jungfräulich in der Verpackung und wollen dringend ausprobiert werden.

So wandere ich am Donnerstag von Morteratsch zur Bovalhütte. Ja, ja, ich weiß, man soll zwei Tage vor dem Wettkampf keine Wanderung mit 600 HM machen. Ich bin aber seeehr langsam gegangen. Ehrlich!!

Zu  Füßen der Hütte liegen die Gletscher, die zu überqueren sind und außerdem wird dort der erste Verpflegungsposten sein. Der Weg dorthin ist wunderschön, ein traumhafter Pfad der viel durch den Wald führt.


Es gibt schöne Ausblicke, immer auch wieder auf die Gletscher.


Insgesamt eine herrliche Landschaft. Ein Wandertraum...

Am Samstag wird dies Streckenkilometer 10 sein. Ab hier ändert sich nun die Szenerie. Um von der Bovalhütte zum ersten Gletscher zu gelangen, gilt es, knapp 100 Höhenmeter zu vernichten. Der Weg führt hierbei über ein Geröllfeld. Allerdings kann von Weg nicht die Rede sein. Es gibt keinen Weg. Es gibt nur ein riesiges Steinfeld, auf dem die Markierungen meist nur zu erahnen sind. Die Steine sind groß und scharfkantig und alle komplett lose. Hier ist also höchste Achtsamkeit angesagt. So erreiche ich dann den Gletscher und lege meine neuen Spikes an: Die Snowline Chainsen Light.

Der Lauftest verläuft äußerst positiv. Das funktioniert nicht nur super, sondern macht sogar richtig Spaß.


Die Beine fühlen sich auch gut an. Höhenluft merke ich zwar, aber scheint nicht dramatisch zu sein. Alles bestens also. So nutze ich die verbleibende Zeit bis zum Rennen zu intensivem Tapern - also nichts mehr machen. Das sieht dann so aus:

Mittagspause auf der Alm


Kann man schöner Abendessen?

Am Freitag hole ich meine Startnummer ab. Die Infrastruktur ist eher minimalistisch. Dafür sind die Helfer umso netter.



Samstag, 1. Juli. Wettkampftag

Der Startschuss wird um 7.30 Uhr fallen. Da ich etwas außerhalb wohne, reise ich frühzeitig an, um keinen Stress aufkommen zu lassen. So habe ich genügend Zeit, meinen Plan nochmals in Ruhe durchzugehen. Der Ultraks soll für mich Test- und Vorbereitungslauf sein. Da ich außerdem nicht optimal trainiert bin, werde ich sehr defensiv angehen. Normalerweise ist mein Wettkampfpuls bei Ultras mit 100km bei 155 Herzschlägen, also ca. 10 Schläge unterhalb Marathontempo. Obwohl heute nur Marathondistanz zu absolvieren ist und keine 100 km, will ich zu Beginn den Puls unter 150 halten. Zumindest die ersten 10 km, dann mal schauen, wie es sich anfühlt. Tendenziell das gesamte Rennen nicht am Limit laufen, wie erwähnt handelt es sich um einen Vorbereitungslauf.

Natürlich habe ich schon mal geschaut, was man denn so bringen muss, um in der Altersklassenwertung vorne mitzulaufen. Der Vorjahressieger, ein Norweger, der auch dieses Jahr wieder am Start ist, hat mit 6h31 gewonnen. Das ist flott. Ich habe Sabine den Auftrag gegeben, mir zur Halbzeit eine SMS mit meiner Platzierung und den Zeitabständen zu schicken. Man weiß ja nie. Sollte es knapp sein zum Podium, könnte man ja darüber nachdenken, doch ein wenig Gas zu geben. 

So reihe ich mich in die Startaufstellung ein. Das Wetter ist bestens, die Stimmung ist gut. Kann los gehen. Pack mers...

Der Startschuss fällt, das Rennen läuft.


Nach wenigen hundert Metern verlässt man Pontresina und läuft talaufwärts Richtung Morteratsch. Die ersten fünf Kilometer sind relativ flach, gerade einmal rund 100 Höhenmeter, perfekt also zum einrollen. Wie geplant halte ich meinen Puls bei maximal 150 und versuche einen guten Rhythmus zu finden. Trotz des moderaten Pulses fühlt sich das aber zu schnell an. Also reduziere ich etwas das Tempo und hoffe, dass sich das gibt. Nach gut fünf Kilometern, kurz hinter Morteratsch, geht es nun etwas steiler den Berg hinauf, es warten 600 Höhenmeter bis zur Bovalhütte. 

Die Verpflegung, mein großes Problem bei jedem Ultra, habe ich trainiert und die ersten Clif Bloks sind unten. Bei den Verpflegungsstationen will ich überwiegend auf die dort angebotenen Gels zurückgreifen. 

Trotz des eigentlich konsequent niedrig gehaltenen Pulses fühlt sich alles weiter mühsam an, die Beine sind irgendwie etwas kraftlos. Also lenke ich mich mit den herrlichen Ausblicken ab und harre der Dinge. Wäre nicht das erste Mal, dass sich das "rausläuft". 


Dort wird es später hinuntergehen. Geröllfelder, Gletscherquerung und dann links im Bild die Gletscherzunge den Berg hinauf


Die Bovalhütte kommt in Blickweite, kurz unterhalb ist die Verpflegungsstation


Flasks auffüllen, drei Gels einpacken und weiter. Im Laufen mache ich das erste Gel auf und stelle fest: Die sind gelinde gesagt "gewöhnungsbedürftig". Die Konsistenz ist viel breiiger als normalerweise und der Geschmack ist wenig erfreulich. Während ich mich über die Gels ärgere, anstatt auf den Weg zu achten, trete ich einen handballgroßen Stein los, der mir außen, oberhalb des Knöchels gegen eine Sehne donnert. Es durchzuckt mich ein heftiger Schmerz, der ganze Körper ist kurz wie erstarrt. Ich bleibe stehen und atme durch. Boah, das war heftig. Die Sehne schmerzt und der Knöchel ist erstarrt, ich kann nicht auftreten. Nach dem Schmerz durchzuckt mich ein Schreck: Verdammt, ich muss doch nicht jetzt schon das Rennen abbrechen? Nochmals tief durchatmen, nach einer Minute scheint es wieder zu gehen. Langsam gehe ich los, laufe ein paar Schritte - und es funktioniert. Also renne ich weiter und hoffe, das sich das nicht mehr meldet.

Rennen ist nun allerdings erstmal relativ: es geht über das fiese Steinmeer, das ich bei meiner Erkundungswanderung am Donnerstag schon genießen durfte. Durch die Wettkampfmarkierungen hat man heute zumindest so halbwegs eine Orientierung. 

Seht ihr den Weg? Nein? Genau, es gibt keinen.


Ich erreiche unfallfrei den Gletscher, an dessen Rand eine Dame der Bergwacht aufpasst, dass auch jeder seine Spikes anzieht. 

 

Vorne der zu überquerende Morteratschgletscher, hinten der Persgletscher.


Der erste Gletscher ist schnell überquert. Eigentlich soll nun der zweite Gletscher kommen, den man längs abläuft und zwar bergauf. Da ist aber kein Eis, sondern normaler, gerölliger Untergrund.

Also Spikes wieder ausziehen und im Rucksack verstauen. Und in den Bergsteigermodus wechseln - es wird richtig steil. Also Stöcke ordentlich einsetzen und einen guten Rhythmus finden. Kaum habe ich den gefunden, ruft es: "Spikes an". Wieder sitzt ein Mitglied der Bergwacht auf einem Felsen. Es beginnt erneut ein Abschnitt auf Gletschereis. Diesmal allerdings steil bergan.






Diavolezza - die Teufelin

Mit den Spikes geht das super und aufgrund Schnee und Eis ist die Temperatur angenehm kühl. So stapfe ich nach oben, ca. 600 Höhenmeter geht es nun hinauf. Die Beine sind immer noch müde und ich habe auch nicht das Gefühl, besonders schnell zu sein. Aber zumindest habe ich ein Tempo gefunden das sich korrekt anfühlt. Beim nächsten Blick nach oben fühlt es sich aber nicht mehr korrekt an: Nachdem es steil war, wird es nun sausteil. Die letzten Höhenmeter auf die Diavolezza (ca. 3000 m ü.M.) sind heftig. Die Läufer vor mir quälen sich auch, aber das macht es nicht wirklich besser. Das sind die Momente in einem langen Wettkampf, wo es durchzuhalten gilt. Lässt man hier locker, verliert man richtig viel Zeit. Inzwischen habe ich einen Modus gefunden, alles auszublenden und das schnellstmögliche Tempo zu laufen bzw. hiken, das gerade noch geht, ohne dass die Beine zumachen. Die Belastung für den Körper ist gerade noch tolerabel. 

So schleppe ich mich auf den Gipfel, kurze Verpflegung und weiter. Noch wenige Höhenmeter, dann geht es bergab. Das ist eigentlich mein Metier. Im Downhill bin ich gut, da mache ich immer Zeit und Plätze gut. Auf den ersten Metern hinunter merke ich aber, dass ich Puddingbeine habe und insgesamt richtig müde bin. Also entscheide ich, den Downhill erstmal zu nutzen, um zu regenerieren. Daraus wird aber zunächst nichts, denn es reihen sich nun mehrere Schneefelder aneinander. Auf Schnee laufe ich zwar eigentlich gerne. Doch das hier ist teils sehr weicher Sulzschnee auf dem man nicht stabil laufen kann und sondern einsinkt. Einmal sacke ich bis zum Oberschenkel, ein und muss mich freischaufeln. Dann endlich kommen laufbare Wege. Und hier finde ich auch wieder etwas Kraft und lasse es laufen. Ich kann erstmals Läufer überholen und habe den Eindruck, dass ich Zeit aufholen kann. 

Da fällt mir plötzlich auf, dass ich schon länger keine Wegmarkierung mehr gesehen habe. Ich schaue mich um und sehe, dass die Läufer, die ich überholt habe, alle den gleichen Weg laufen. Bin ich also auf dem richtigen Weg? Oder sind die einfach hinter mir hergelaufen und auch falsch? Inzwischen bin ich mir sicher, dass wir falsch abgebogen sind. Auf der Landkarte sah die Routenführung anders aus. Ich entscheide, weiter bergab zu laufen und mich bei der nächsten Möglichkeit in Richtung der Wettkampfstrecke zu orientieren. Als ich zu dieser zurückfinde, sehe ich Läufer, die ich beim Aufstieg zur Diavolezza gesehen hatte. Allzu viel Zeit dürfte ich nicht also verloren haben.

Nach ca. 900 Höhenmeter Downhill erreiche ich Lagalp, die nächste Verpflegungsstation. Ungefähr Halbzeit. Ich bin müde, kraftlos. Seit längerem denke ich schon nicht mehr über Platzierung und Endzeit nach, sondern will den Wettkampf einfach ordentlich zu Ende bringen. Auf keinen Fall aufgeben - auch wenn ich den Berg auf allen vieren hochschleiche. Mein Handy brummt. Das ist wahrscheinlich die SMS von Sabine mit meiner aktuellen Platzierung und den Zeitabständen. Das Handy bleibt im Rucksack, ich schaue nicht drauf. Momentan ist mir das grade völlig wurscht. Kurze Verpflegung, Flasks auffüllen und weiter. Ich versuche weiter das schnellstmögliche Tempo zu laufen, von dem ich denke, dass ich es bis zum Ende durchhalten kann. 

 


 

 

 Zur Segantini Hütte

Es folgt nun der dritte Anstieg mit ca. 850 Höhenmetern Richtung Fuorcla Pischa, 650 davon auf 3km. Also wieder richtig steil. Die Verpflegungsstation habe ich mit einem Pärchen verlassen, das in der ersten Rennhälfte die ganze Zeit vor mir war. Ich hänge ich mich dran, da die beiden ungefähr mein Tempo laufen. Und dranhängen spart mentale Kraft. Die werde ich nun nämlich brauchen. Der dritte Berg wird zur Charakterfrage. Nach schönen Wegen über Almenwiesen wird es steiler und immer steiler. 

An manchen Stellen wurde wirklich extrem gut markiert.


Der finale Anstieg zum Gipfel ist dann extrem giftig. Und plötzlich geht mir der Saft aus. Es ist zum Glück nicht, als ob man den Stecker gezogen bekommt, aber das Energielevel ist auf Minimalniveau. 

Dieses Gefühl und eine solche Situation kenne ich nun aber aus zahlreichen Wettkämpfen. Und ich weiß, dass man sich immer wieder regenerieren kann. Wenn man dem Gefühl nicht nachgibt, verliert man unter Umständen auch nicht zu viel Zeit. Da heute zwar der Körper müde ist, aber der Kopf stark, schaffe ich es immer wieder, auf Autopilot zu schalten und auf Zug durchzuziehen.

Da überholt mich, fast tänzelnd, ein dünner Läufer, der meine Altersklasse sein könnte und zieht davon. Der Versuch dranzubleiben scheitert sofort, das ist mir zu schnell. Trotzdem schalte ich automatisch, ohne bewusste Entscheidung, von Autopilot auf Wettkampfmodus. Ich weiß zwar nicht, wie ich darauf komme, bilde mir aber ein, dass der dünne Läufer in meiner Wettkampfklasse bestimmt Position zwei oder drei ist und ich nun vier. Es geht also ums Podium. Und das kann man nicht so einfach aufgeben, oder? Also überlege ich, was noch kommt. Wir dürften bald oben sein, dann kommen ca. 600 Meter Downhill, hier könnte ich die Lücke wieder schließen. Es folgt der vierte und letzte Anstieg mit ca. 400 Höhenmetern, hier müsste ich versuchen, nicht zu viel Boden zu verlieren, um dann das Podium auf dem finalen Downhill mit fast 1000 Metern hinunter nach Pontresina klarzumachen. 

Also beiße ich die Zähne zusammen, gebe Gas und hole auf den letzten Metern zum Gipfel raus, was noch da ist. Das tut nun richtig weh. Außerdem melden sich nun wieder Wade und Oberschenkel. Seit ein paar Stunden verspüre ich Krampfneigungen. Das ging bei der Stolperei auf dem Geröllfeld los und hatte sich durch die Rutscherei auf den Schnellfeldern verstärkt. Alle Salztabletten, die ich dabei hatte, habe ich schon eingeworfen, habe mehrfach kurz gedehnt und es scheint kontrollierbar. Beruhigend ist das natürlich nicht. 

Trotzdem stürze ich mich in den Downhill. Zunächst hänge ich mich an zwei jüngere Italiener, die recht flott bergab stürmen. Nach einiger Zeit haben sich meine Beine an die neue Bewegung gewöhnt und es fühlt sich ganz gut an, auch wenn ein steiler und auch noch technischer Pfad bergab mit müden Beinen nicht ganz ohne ist. Ich beschließe es zu versuchen, lehne mich nach vorne und lasse es laufen. Das ist zwar ein wenig harakirimässig, aber nachdem ich die beiden Italiener überholen konnte und wenig später den dünnen Altersklassenkonkurrenten vor mir sehe, bekomme ich einen Motivationsschub und lasse es richtig laufen. 

Tatsächlich laufe ich bis zur nächsten und vorletzten Verpflegungsstation einen ordentlichen Vorsprung heraus. Von dort geht es nochmal 400 Höhenmeter hinauf, bevor der finale Abstieg beginnt. Das könnte also klappen. 

Zur Erinnerung: zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung, auf welcher Position ich liege. Die Schlacht mit dem dünnen Läufer ums Podium war reine Fiktion.

Ich verpflege mich nur kurz, fülle die Flaschen auf und gehe sofort weiter. Ja keine Zeit verlieren. Nach einigen Minuten blicke ich mich um, der dünne Läufer ist nicht zu sehen. Super, das passt. Allerdings merke ich nun, dass der schnelle Downhill vorhin vielleicht doch zu schnell war und nun seinen Tribut fordert: meine Beine sind völlig im Eimer und ich bin total kaputt. Der Gedanke, mich über den Berg zu retten und die Sache auf dem letzten Downhill zu sichern zerschlägt sich nach wenigen weiteren Minuten. Als ich mich wieder umdrehe ist der dünne Kollege direkt hinter mir, er überholt lässig und zieht davon. Und wir haben noch nicht einmal die Hälfte der Höhenmeter. Da man im alpinen Gelände gute Sicht hat, kann ich schön beobachten, wie der Konkurrent davonzieht. Das wars dann wohl. 

Ich schalte wieder auf Autopilot und will den Kampf nun zumindest mit der bestmöglichen Zeit belohnen. Ein junger Läufer, der mich bergauf schon mehrfach überholt hat, läuft in konstantem Abstand vor mir her. Ich scheine nicht der einzige zu sein, der auf dem letzten Zylinder läuft.

Da das aber nun der letzte Berg ist, kann man ja die letzten Reserven abrufen. Also ziehe ich durch. Die letzten Energiereserven zu verbraten, wenn noch ein Downhill von fast 1000 Metern wartet, ist natürlich nicht schlau. Aber wenn das ganze Blut in den Beinen ist und nicht im Kopf, denkt es sich so schlecht. Dass das ganz und gar nicht schlau ist, wenn der Downhill auch noch technisch ist, merke ich auf den ersten Metern bergab. Es haut mich direkt mal hin. Ich bekomme meine Beine nicht mehr hoch und bleibe an einem Felsen hängen. Aber egal, Knochen sortieren, weiterlaufen.

 

Zielgerade nach Pontressina

Und wen sehe ich da? Den dünnen Läufer! Wieso habe ich den denn nun wieder eingeholt? Egal, jetzt gilt es wieder. Mich packt sofort das Wettkampffieber. Vorhin habe ich ihn bergab ja schon mal abgehängt, also Gas geben und davonziehen. Bevor ich das in die Tat umsetzen kann, stolpere ich wieder. Hoppala, das war knapp. Beinahe der nächste Sturz. Mensch, Erik, konzentrieren und dann vorbei! Der nächste Stolperer, nach wenigen Metern der dritte. Verdammt, es geht nicht. Also versuche ich, erstmal dranzubleiben. Das klappt so halbwegs, ist aber echt hart. Wenn die Beine am Ende sind und das Energielevel am unteren Rand der Reserve, läuft es sich nicht mehr geschmeidig. Das scheppert ganz gut durch. Aber das ist jetzt egal. Es sind vielleicht noch vier Kilometer und 500 Höhenmeter, ich bin im Schlussspurtmodus. Augen zu und durch.

Nach und nach verändert sich nun der Pfad: immer weniger technisch und laufbarer. Da kann man es dann auch ohne Kraft laufenlassen. Und so schaffe ich es, die Lücke, die sich zwischenzeitig aufgetan hat, wieder zuzulaufen. Ich setze zum finalen Überholmanöver an - und lege mich wieder hin. Obwohl ich mich schnell wieder aufrappele, hat sich wieder eine Lücke von 100 Metern aufgetan. Irgendwie ist mir das gerade völlig egal. Ich befinde mich in dem genialen Gefühl, das ich oft auf den letzten Kilometern eines langen Rennen habe: trotz völliger Entkräftung die Bremse lösen zu können und noch mal richtig Gas zu geben. Der Körper jammert, der Kopf jubiliert. Es ist schwer zu beschreiben ...

Nach und nach werde ich immer schneller, nach wenigen Momenten überhole ich nun endgültig den dünnen Läufer und kann zügig einen Vorsprung herauslaufen. Dann ein weiterer Sturz, verursacht dadurch, dass ich mich umdrehe um den Abstand zu kontrollieren. Ich nehme ihn gelassen hin. Die letzten Meter hinab ins Dorf sind Genuss pur. Hundert Meter Zielgerade auf der Hauptstrasse - Gänsehaut. Ich stolpere ins Ziel und schaffe es gerade noch, mir die Finisher-Medaille umhängen zu lassen. 

Ich bin am Ende meiner Kräfte. Und glücklich. Und zufrieden. Trotz schwierigem Verlauf nie aufgegeben, durchgekämpft und alles gegeben. Erschöpft falle ich auf eine Bank und lasse die Glückshormone ihre Wirkung entfalten. 


Eine Minute nach mir kommt mein dünner Lauffreund ins Ziel. Es stellt sich heraus, dass er gar nicht in meiner Altersklasse ist, sondern eine drüber. Die große Schlacht, die wir uns geliefert hatten, war also keine. Das Ganze hatte aber trotzdem etwas gutes. Sabines Nachricht zur Halbzeit, die ich nicht gelesen hatte, beinhaltete, dass ich auf dem dritten Rang lag, ca. zwei Minuten vor dem vierten. Und der vierte war im Ziel knapp vier Minuten hinter mir. Hätte mich das Duell nicht dazu angestachelt, alles herauszuholen, wäre ich definitiv deutlich langsamer gelaufen und vierter geworden. 

 

Fazit

So wurde es eine Endzeit von 7h04:56. Dritter Platz in der Altersklasse und 28. Platz Overall. Damit bin ich super zufrieden. Vor allem in Anbetracht der moderaten Vorbereitung.

Dass heute wirklich nicht viel mehr drin gewesen war merke ich, als ich mit dem Motorrad aus der Tiefgarage fahren will. Ich bin so entkräftet, dass die Maschine ins Kippen gerät und ich umgefallen wäre, wenn mich nicht der Parkautomat aufgefangen hätte...

Was sagt mir nun all dies in Bezug auf den Pitz Alpine Glacier Trail? Denn der Bernina Gletschermarathon war auch ein Testlauf. 

Schwer zu sagen. Einerseits habe ich es in einer guten Zeit gepackt, andererseits war ich nach einem Sieben-Stunden-Rennen auch noch nie so erschöpft. Ob mein Trainingszustand für ein 100km Rennen ausreicht kann ich also nicht sagen, vor allem bei einem besonders heftigen Wettkampf wie dem Pitz. Läufer meiner Leistungsklasse laufen dort oft vier bis sechs Stunden langsamer als bei vergleichbaren Wettkämpfen. Falls ich die nächsten Wochen Training gut durchziehen kann, glaube ich trotzdem daran, den Pitz packen zu können. Auf jeden Fall werde ich dort aber eine sehr, sehr defensive Strategie fahren müssen. 

Nun gilt es aber erstmal, den Bernina Ultraks zu genießen. Das war ein super tolles Wochenende. Es hat wirklich alles gepasst. Von der herrlichen Anreise über endlose Paßstrassen, die schöne Gegend, traumhafte Spaziergänge und Wanderungen an den freien Tagen und vor allem natürlich der Wettkampf. Eine tolle Strecke, die alles bereithält, was Traillaufen ausmacht. Unterschiedlichste Landschaften und Pfade, mal lieblich und schön, mal rau und schroff, wurzelige Pfade durch den Wald, hochalpines Geläuf, die Gletscher, Schneefelder, Downhills unterschiedlichster Ausprägung. Unglaublich variabel und abwechslungsreich, anspruchsvoll und fordernd. Dazu freundliche Helfer und insgesamt eine entspannte Atmosphäre. Großes Lob und vielen Dank an alle Beteiligten des Bernina Ultraks.

Ich komme wieder!



In diesem Sinne: See you on the Trails...




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