Koasamarsch: Über Stock und Stein durch's Kaisergebirge

Foto: Sportshot


von Sabine


Wir von TrailrunningHD sind große Fans vom Karwendelmarsch. Hier begann unsere Trailrunning-Geschichte, noch bevor es diesen Blog gab: 2012 haben Erik und ich den Karwendelmarsch absolviert. Und wir waren so begeistert, dass wir schon vier Mal wiedergekommen sind. 

In diesem Jahr wollten wir uns mal bei einem anderen Klassiker versuchen: beim Koasamarsch. Zwar ist diese Veranstaltung ein Jahr jünger als der Karwendelmarsch - am 7. Juni 1970 fiel um 7 Uhr morgens der Startschuss für den ersten Koasamarsch, damals noch eine reine Wanderveranstaltung. Aber anders als der Karwendelmarsch, der von 1991 bis 2008 eine Pause einlegen musste, findet der Koasamarsch seit seiner Premiere Jahr für Jahr statt, unterbrochen nur durch die Corona-Jahre 2020/21. Seit 2017 gibt es den Koasamarsch im heutigen Format – 4 Wanderdistanzen und 3 Trailrunning Wettbewerbe - und 2019 konnte man den 50. Geburtstag sogar mit einem 50km Ultramarathon feiern. Das Schöne: Trotz seiner langen Geschichte scheint der Koasamarsch unter Trailrunnern immer noch ein Geheimtipp zu sein. So kann man sich bei Bedarf noch bis zum Veranstaltungstag anmelden.

 

Der Koasamarsch hat Tradition - einige Fotos von "historischen" Auflagen des Rennens.

 

Wir, das sind Katrin, Andrea und ich, hatten uns schon Anfang des Jahres auf die 33km-Strecke – die „klassische“ Koasamarsch Distanz – festgelegt, die mit ihren 1730 ausgeschriebenen Höhenmetern und einem knackigen Profil eine echte Herausforderung darstellt. Als wir dann aber vor dem Anmeldungsformular sitzen, kommen wir ins Grübeln: Sollen wir uns zum Trailrun (dem Koasa Classic Run) oder zur Wanderung (der Koasa 40er Wanderung) anmelden? Auch wenn die Zahl „40“ etwas anderes suggeriert: Es handelt sich beim Classic Run und bei der Koasa 40er Wanderung um die gleiche Strecke. Zwar fühlen wir uns als Trailrunner, im alpinen Bereich, vor allem in technischem Gelände oder am Berg ist Trailrunning bei uns aber eher ein zügiges Wandern. Andererseits gibt’s für den Classic Run ITRA-Punkte, für die Wanderdistanzen aber nicht. Was sollen wir tun?

Für die Kategorie "Wanderung" spricht ein wesentliches Argument: Bei der Wanderung kann man ab 6 Uhr morgens starten. Dieser individuelle, frühe Start kommt uns sehr entgegen: Zum einen können wir den ersten, heftigen Anstieg dann noch im Kühlen bewältigen, und zum zweiten sollte es bei individuellen Starts in einem Zeitkorridor von 2 Stunden (zwischen 6 und 8 Uhr) nicht zum Stau kommen, wenn sich der Weg 2 km nach dem Start zum Pfad verengt. Dieses „Anstehen am Trail“ kann ich auf den Tod nicht ausstehen!

Wir sind alle einer Meinung: Wir starten in der „Wanderdisziplin“. Schnell ist die Anmeldung erledigt, und ein passendes Appartement finden wir in 10 km Entfernung in Walchsee. 


 

Wettkampftag

Um 4 Uhr klingelt der Wecker, und 3 noch etwas verschlafene Gestalten machen das, was man vor einem langen Rennen nun mal macht: Trailklamotten anziehen, reichlich Sonnencreme auflegen, Rucksäcke final zusammenpacken – und schon geht’s los Richtung Ebbs. Die Startnummern haben wir am Vorabend schon abgeholt, deshalb sind wir schon ortskundig und finden schnell einen Parkplatz – nur einen Katzensprung entfernt vom Start und Ziel in der Mittelschule Ebbs. 

Erik will uns heute gemeinsam mit Elli betreuen: Er wird von unserer Unterkunft in Walchsee direkt auf die Hochalm (Verpflegungspunkt 2) aufsteigen, von dort zum Hinterbärenbad (Verpflegungspunkt 4) hinunter und weiter über die Ritzau-Alm ins Ziel. Das wird auch für ihn, aber auch für Trailhündin Elli ein langer Tag werden. 

  

Es geht steil hinab ...

... und steil hoch.

Katrin, Andrea und ich sind schnell laufbereit. Wir gehen direkt durch in den Startbereich und werden persönlich verabschiedet, nochmal abgelichtet und dann auf die Strecke geschickt. Die ersten beiden Kilometer geht es zunächst mäßig, dann immer steiler raus aus Ebbs in Richtung Wald. Nach zwei Kilometern ist der Einstieg des „Musikantensteigs“ erreicht. Dank des individuellen Starts gibt es keinerlei Stau und auch die Überholmanöver halten sich in Grenzen. Das ist auch ganz gut, denn jetzt geht’s zur Sache: Auf 3,3 Kilometern gilt es 760 Höhenmeter zu überwinden. Wir sind froh, dass wir einen so frühen Start gewählt haben und es noch angenehm kühl ist. Der Weg verläuft ausschließlich durch den Wald und über „Naturstufen“, die von Wurzeln und Steinen gebildet werden. Und es ist verdammt steil – teilweise sogar bis 50 Grad. Wir steigen in gemächlichem, möglichst gleichmäßigem Tempo hoch – jetzt in diesem Gelände nicht schon alle Kraft verpulvern! Katrin enteilt uns im zweiten Teil und empfängt uns oben an der ersten Verpflegungsstation (Vorderkaiserfeldenhütte). Doch ihr ist kalt – und wir lassen sie weiterziehen und verpflegen uns erst mal ausgiebig. Ich greife schon gleich mal ordentlich beim Cola zu – dieses Zuckergesöff hat mich noch immer über den Berg gebracht.

Dann brechen auch wir Richtung Hochalm auf.

 

Nur noch wenige Meter bis zur Vorderkaiserfeldenhütte.

 
... und weiter geht's!


Rollercoaster unterm Zahmen Kaiser

Zunächst geht es auf einem unproblematischen Singletrail schnell voran. Unsere Beine, von dem langen Anstieg über die hohen Stufen doch etwas ermüdet, erholen sich schnell. Auf der anderen Seite des rechts unter uns liegenden Kaisertals kommen immer mehr Gipfel des Wilden Kaisers in Sicht. Auch ein paar erste Wölkchen. Ich hoffe, dass die noch etwas größer werden, denn irgendwann werden wir auf diesem Höhenweg – auch Sonnkaiser Höhenweg genannt – den Schutz der Bäume verlassen müssen. 

 

Das erste Geröllfeld

 

Nach etwa zwei Kilometern verändert sich der Charakter des Pfads. Er wird immer enger, und die Hangneigung steigt jetzt, wo wir an die Hänge der Vorderen Kesselschneid gelangen. Wir geraten jetzt über die Baumgrenze und in riesige Latschenkieferfelder hinein. Und das ist nicht nur schön: Die Latschenkiefern haben verdammt ausladende Wurzeln, die teils kniehoch, an manchen Stellen sogar noch höher, über den Weg ragen. Ein erstes (unproblematisches) Geröllfeld gilt es zu überqueren. Die Hangneigung steigt weiter. Überholen ist jetzt nur noch an manchen Stellen möglich, denn der Pfad ist oft nur ein Fuß breit. Und er wird immer technischer. 

 

Wurzelpfad

 

Eigentlich war ich mit dem Kopf schon auf der Hochalm, dem nächsten Verpflegungspunkt. Dort wird Erik auf uns warten. Aber in dem Schneckentempo, das wir hier anschlagen, wird das noch sehr lange dauern. Also schnell etwas aus der mitgebrachten Verpflegung – ein Brötchen mit Salzbutter - essen, das tut jetzt gut! 

Dann geht’s weiter: Wir müssen jetzt unter der Hinteren Kesselschneid durch, auf einem schmalen Pfad im Schotter, der sich unter einem kleinen Steilabbruch entlangzieht. Aber wir sehen auch, dass der Weg jetzt nochmal steil nach oben geht, denn wir müssen die Bärentaler Wände oben umgehen. Uff, das ist heftig. Andrea fragt mich, wessen Idee das eigentlich war, den Koasamarsch zu machen. Kleinlaut gebe ich zu, dass ich die Schuldige bin …

 


 

Dann: Ein Schrei von hinten – der erste Läufer läuft auf uns auf. Es ist der Führende des Classic Runs. Meine Güte, der ist doch fast 3 Stunden nach uns gestartet – und hat uns jetzt schon eingeholt? Glücklicherweise ist hier etwas mehr Platz, denn ab jetzt müssen wir immer wieder auf die Seite treten, um Platz für die schnellen Läufer zu machen. Ich kann nur bewundernd nachschauen, wie die über die teilweise 1 Meter hohen Felsstufen und Wurzeln hinunterspringen, die ich häufig rückwärts abklettern muss. 

 

Der Wilde Kaiser

 

Endlich geht es jetzt runter, der Pfad verzweigt sich in mehrere, parallel verlaufende Spuren, das ganze erinnert mich jetzt an den Abstieg zur Eng. Vor uns liegt die Hochalm. Wir sehen Erik und Elli – als Elli uns erkennt, stürmt sie auf uns zu und wir werden angemessen begrüßt. 

 

Hallo Elli! 😍

 

Erik hat schon das „Buffet“ auf einer Bank gegenüber der offiziellen Labestation aufgebaut, und wir stürzen uns auf die vorbereiteten Pellkartoffeln. Er berichtet, dass Katrin schon seit gut 10 Minuten weg ist. Auch wenn ich weiß, dass wir im ebenen Gelände wahrscheinlich schneller sind, es wird schwierig, sie nochmal einzuholen. Und auch für Erik wird es zeitlich eng. Wir schnappen uns alles, was er für uns mitgenommen hat, weil wir ihn wahrscheinlich nicht – wie geplant – in Hinterbärenbad sehen werden. Wir tragen die restliche Verpflegung jetzt selbst. 

Erik zieht los, nur kann sich Elli nicht wirklich von uns losreißen. Immer wieder will sie uns überzeugen, mit Erik die Abkürzung zu gehen. Nein, nein, wir sind im Wettkampf! Aber wie bringt man das einem anhänglichen Hund bei?

Schließlich haben wir uns ausreichend verpflegt und ziehen weiter – zum Stripsenjochhaus.


Die Kamelbuckel

Eigentlich sind wir der nächsten und höchsten Verpflegungsstation, dem Stripsenjochhaus, schon sehr nah. Aber noch befinden wir uns auf der Seite des „Zahmen Kaiser“, die nördlich von der Bergkette des „Wilden Kaiser“ verläuft. Beide Bergketten sind zwischen Hochalm und Stripsenjoch durch zwei Hügel verbunden, die von Westen aus wie Kamelbuckel aussehen: Ropanzen und Stripsenkopf. Wir müssen zwar nicht hoch bis zu ihren Gipfeln, haben aber nochmal zwei ordentliche Aufstiege vor uns. 

 

Da kommen wir her ...

 

Andrea sprintet mal wieder los, während ich zu viel gegessen haben und es in meinem Magen verdächtig blubbert. Ich stiefele hinter Andrea her und bekomme schlechte Laune. 

Das kann ich jetzt gar nicht gebrauchen. Aber was tun? Wir sind erst bei Kilometer 11, das Ziel ist noch weit. Und wir sind viel langsamer als gedacht. Aber wie heißt es doch: Fake it ´til you make it. Einfach freundlich sein und lächeln … Also feure ich alle LäuferInnen, die uns jetzt überholen, an und habe ein paar nette Worte für sie. Und die netten Worte kommen postwendend zurück. Die meisten bedanken sich, wünschen uns alles Gute. Genau das brauche ich jetzt! Mir geht es wieder besser. Und jetzt fällt mir auch auf, dass der Weg rechts und links mit Berganemonen und Enzian bestanden ist.

Andrea geht’s aber auch nicht mehr so gut. „Nur noch EIN Anstieg bis zum höchsten Punkt“ – kündige ich Andrea an, denn sie hat mittlerweile die Schnauze voll von den Anstiegen. Ein Läufer, den wir gerade überholen, hat das gehört und sagt: „Aber da kommt noch die Todeswiese“. Uiii. Todeswiese! Das hört sich ja nicht so prickelnd an … Und tatsächlich führt der Weg nochmal steil an der Flanke des Stripsenkopfs hoch. Selbst die Läufer, die uns jetzt überholen, schieben sich nur langsam hoch. Ihnen scheint allmählich ebenfalls die Kraft auszugehen. Dabei sieht man den höchsten Punkt des Wegs ganz genau, und er ist nicht mehr weit weg. Nochmal durchbeißen!

 

Vom höchsten Punkt der Strecke: "Todeswiese" und der Zahme Kaiser

 

Schließlich ist der Anstieg geschafft. Ich mache ein paar Fotos, dann geht es mal wieder ein Stück durch sehr technisches Gelände, teilweise über hohe Felsbrocken, die mit Trittklammern versehen sind. So kurzweilig das alles ist – kann der Weg nicht einfach mal leichter werden?

Eine schnelle Läuferin nähert sich von hinten. Wir lassen sie passieren. Dann: Ein fürchterlicher Schrei. Die Läuferin liegt quer über den Weg. Erst denke ich, dass sie was gebrochen oder gerissen hat und will schon am nicht mehr allzu weit entfernten Stripsenjochhaus Hilfe holen. Doch dann stellt sich heraus, dass es „nur“ ein Krampf ist. Sie war seitlich abgerutscht und hat dadurch einen Wadenkrampf ausgelöst. Schließlich ist sie wieder in der Vertikalen und rennt weiter. 

 

Stripsenjochhaus vor Totenkirchl, Fleischbank und Predigtstuhl.

 

Endlich ist das Stripsenjochhaus zu sehen. Ich frage mich, wie technisch und schwer der Abstieg werden wird. In Berichten hatte ich was von unrhythmischen Treppen gelesen. Damit werden doch hoffentlich nicht die Wurzeln und Felsen gemeint sein, die uns schon seit Stunden Schwierigkeiten machen. Von unserem Weg lässt sich der erste Teil des Downhills einsehen, und der sieht nicht furchterregend aus. Wenn das so bliebe, dann wäre ich sehr beruhigt!

Am Stripsenjochhaus „tanken“ wir Cola und eine Banane. Hier zieht es wie Hechtsuppe. Deshalb halten wir uns nur kurz auf. Um die Ecke – auf der Terrasse – scheint die Sonne und ich mache noch ein paar Fotos. Doch wir sind hier ja nicht zum Vergnügen 😉 ... also stürzen wir uns auf dem Downhill ins Tal.


Stairway to Hinterbärenbad

Der Eindruck vom Downhill, den ich beim „Sneak Peek“ vom Höhenweg aus gewonnen hatte, war richtig. Ja, es ist steil. Ja, es gibt Stufen und Rinnen, die sich immer wieder quer über den Weg ziehen. Aber der Weg lässt sich ordentlich laufen. Die Schwierigkeit ist höchstens, dass es unablässig steil hinunter geht: 720 Höhenmeter werden auf einer Streckenlänge von 3,7 km „vernichtet“. 

Der Weg ist hier breiter, und wenn jemand von hinten an uns ranläuft, dann können wir schnell auf die Seite springen. Kehre um Kehre geht es bergab. Irgendwann erreichen wir den Wald und es wird steiniger. Erinnert ein bisschen an den Jägersteig beim ZUT. Irgendwann fühlen sich die Knie müde an. Jetzt freuen wir uns schon auf Hinterbärenbad, denn dort ist der Downhill fürs erste vorbei.

 


 

Endlich sehen wir ein Haus. Doch wo ist der Verpflegungsstand? Wir sehen nichts. Ist das nicht das Anton-Karg-Haus in Hinterbärenbad? Nein, es ist das Hans-Berger-Haus, das etwa einen halben Kilometer und ein paar Höhenmeter oberhalb von Hinterbärenbad liegt. Da soll sich jemand auskennen bei den vielen Hütten! Wir folgen einem Läufer. Bald ist der aber weg, und ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob wir noch auf der richtigen Strecke sind. Wir fragen zwei Wanderer: Ja, wir sind richtig. Und tatsächlich: Nachdem wir auf die andere Bachseite gewechselt sind, sehen wir das Anton-Karg-Haus mit kleiner Verpflegungsstation. 

Erik ist schon weg – sonst würde es für ihn und Elli zu knapp, noch zu Katrins Zieleinlauf nach Ebbs zu kommen. Außerdem haben wir schon auf der Hochalm unseren ganzen Proviant eingesackt. Wir wollen schon die Labestation verlassen, da sieht Andrea auf die letzte Sekunde, dass es hier Marmorkuchen gibt. Der muss natürlich probiert werden! Außerdem lassen wir uns nochmal die Trinkblasen vollmachen, denn die nächste Verpflegung gibt’s erst in 10 Kilomentern!

 

Gelb markiert: Unser Weg zwischen Vorderkaiserfeldenhütte und Talausgang.

 


Der lange Weg zurück in die Zivilisation

Wir verlassen Hinterbärenbad über eine Brücke, die zurück auf die andere Seite des Kaisertals führt. Am Bach sitzen zwei Wanderer, die wir zuvor überholt haben, und kühlen ihre heiß gelaufenen Füße. Das würden wir jetzt auch gerne machen … aber hatte ich nicht gesagt: Wir sind hier nicht zum Vergnügen! Und wir wollen keine Zeit verlieren. Noch immer hoffen wir, auf Katrin aufschließen zu können. 

Das Stripsenjochhaus, von dem wir gerade kommen und das praktisch im Mittelpunkt des Kaisergebirges liegt, ist von Westen und von Osten über einen Talaufstieg zugänglich. Während von Osten ein knapp 3 Kilometer langer Weg vom Parkplatz zum Stripsenjoch führt, erstreckt sich das Kaisertal nach Westen über 13 Kilometer. Drei davon und die meisten Höhenmeter haben wir geschafft, jetzt müssen wir noch 10 Kilometer „abarbeiten“ – inclusive eines Gegenanstiegs von 250 Höhenmetern.

Der Gegenanstieg ist sehr viel „zahmer“ als gefürchtet. Eher wellig läuft der Pfad am Berghang entlang, meist durch den Wald. Das ist gut, denn mittlerweile ist es ziemlich warm geworden, wenn sich auch (glücklicherweise) immer wieder Wolken vor die Sonne schieben. Hier und da muss man mal einen kleinen Bachlauf auf einem der geländerlosen Stege überqueren, manchmal ist ein tiefer Taleinschnitt zu überwinden. Dann wird es mal kurz kraxelig, aber insgesamt ist dieser Teil sehr angenehm zu laufen. Andrea wirkt ziemlich geschafft; im Anstieg wird ihr immer wieder leicht übel. Hat sie zu viel oder zu wenig gegessen? Wir tippen auf „zu wenig“ und packen unsere Pellkartoffeln und sauren Gurken aus. Während ich Anfang des Laufs Appetit auf Hochkalorisches hatte – Haferriegel oder Brötchen mit Salzbutter – sind es jetzt nur noch die Kartoffeln und sauren Gurken, die mich „anmachen“. Und sie gehen super runter! Jetzt bräuchte es nur noch eine Cola. Aber die nächste Cola ist noch 8 Kilometer entfernt.

Schließlich erreichen wir einen breiten Schotterweg, der zunächst noch leicht ansteigt, dann aber deutlich abfällt. War’s das jetzt schon mit dem Gegenanstieg? Ich habe doch erst 200 Höhenmeter auf meiner Pulsuhr …

Wir laufen ein Stückchen, überholen drei Wanderer, die auch im Wettbewerb sind. Laufen geht von den Beinen noch sehr gut. Sorgen machen mir nur meine Fußsohlen – die schmerzen seit dem langen Abstieg vom Stripsenjoch – und die Tatsache, dass die Muskulatur meines rechten Fußes immer wieder krampft. Erstmals ist so ein Krampf oben beim Ropanzen aufgetreten, als ich einen Läufer vorbeilassen wollte und dabei mit meinem rechten Fuß auf einem abgerundeten Felsen stand. Seitdem merke ich immer wieder, dass ich häufiger mal knapp am Krampf vorbeischramme. Wenigstens das Problem mit der Fußsohle lässt sich lösen: Ich halte an und leere meine Laufschuhe – hervor kommt ein halbes Kieswerk. Blöd, dass meine Laufgamaschen sich nicht mit meinen Dynafit-Schuhen kombinieren lassen! Ohne Gamaschen schaufle ich mir immer wieder kleine Steinchen und Sand in die Schuhe. 

Wir laufen weiter bergab. Vor uns taucht ein Läufer auf – doch dann verschwindet der nach rechts oben in den Wald. What? Noch ein Gegenanstieg? Mein Höhenmesser war also wirklich genau, es fehlen uns noch 50 Höhenmeter. Nach einem ersten steilen Anstieg flacht aber auch dieser Pfad ab und mündet schließlich in einem breiten Fahrweg. Vor uns sehen wir schon die ersten Häuser der diversen Landgasthöfe, die am Anfang des Kaisertals auf die vielen Spaziergänger und Wanderer warten. Und wir sehen die Antoniuskapelle, das berühmte Postkartenmotiv aus dem Kaisergebirge. Prompt werden wir dort von einem offiziellen Fotografen abgelichtet. 

 


 
Picture, picture - an der Antoniuskapelle


Eine ältere Dame sitzt auf einer Bank in der Nähe der Kapelle. Sie fragt, woher wir kommen. Wir erzählen ihr vom Koasamarsch und dass wir gerade vom Stripsenjochhaus kommen. Ah ja, das Stripsenjochhaus! Da ist sie früher einmal im Jahr hochgegangen, aber von der östlichen, der kürzeren Seite. Jetzt kann sie das nicht mehr, seit ihrer Knie-OP. Aber dass wir sogar von Ebbs kommen und dorthin wieder zurücklaufen, ruft in ihr größte Bewunderung hervor. Sie wünscht uns viel Glück, und wir traben weiter.

 


 

Jetzt beginne ich einen Countdown – nicht bis zum Ziel, sondern bis zur Cola, die es an der letzten Labestation geben soll. Noch drei Kilometer bis zur Cola, noch zweieinhalb Kilometer, noch zwei Kilometer … 

Der Weg fällt jetzt steiler ab, und schließlich geht er in eine lang gezogene Treppe über. Andrea tun die Knie weh und sie will diesen Weg nicht rennen, um sich nicht vollständig die Knie zu ruinieren. Also gehen wir zügig. Und dennoch sammeln wir jetzt immer wieder Wanderer ein. 


Die Mühen der Ebene

Endlich erblicken wir die letzte Verpflegungsstation. Viel gibt’s hier nicht mehr, aber es ist noch genügend Cola da. Prima. Das wird uns die letzten sechs Kilometer ins Ziel tragen.

Nach dem kurzen Stopp führen die ersten drei Kilometer glücklicherweise durch den Wald bzw. am Waldrand entlang. Hier unten sind es inzwischen sicher 25 Grad, und der Himmel klart immer mehr auf. Da freuen wir uns über jeden Schatten!

Andrea fühlt sich jetzt wieder fit und würde gerne laufen. Das geht bei mir aber nicht so gut, weil immer wieder mein Fuß zu krampfen anfängt. Also machen wir Run-Walk auf unorthodoxe Weise: So weit wie möglich laufen, dann wieder gehen. Sobald der Fuß sich beruhigt hat, wieder laufen etc. Die Zeit vergeht schnell, und wir können noch ein paar Wanderer „einsammeln“. Katrin sehen wir aber nicht. Dann geht es links hinunter durch die Felder Richtung Oberndorf. Der Kirchturm von Ebbs, unweit vom Start- und Zielareal, ist schon in Reichweite.

 


 

An einem Dorfbrunnen versuchen wir uns nochmal runterzukühlen. Auf den letzten Kilometern haben wir gar keinen Schutz mehr vor der Sonne. Doch weit kann es nicht mehr sein, man bekommt immer mehr von der „Festwirtschaft“ im Ziel mit. Endlich sehen wir die Straße vor uns, die wir heute Morgen gelaufen sind. Ich schaue nach rechts hoch, Richtung Vorderkaiserfeldenhütte. Boah – da sind wir heute morgen hochgeklettert? Wie gut, dass wir so früh gestartet sind, jetzt ist nämlich der ganze Wald an der Westflanke des Zahmen Kaisers in der Sonne.

Ein letztes Mal traben wir an. Es geht über eine Wiese durch den Zielbogen. Vom Zielsprecher werden wir irgendwie nicht bemerkt, weil er noch dabei ist, dem vor uns einlaufenden Läufer diverse Grüße auszurichten. Aber Katrin, Erik und Elli stehen an der Absperrung, jubeln uns zu und machen ein paar Fotos. Elli freut sich, dass ihr „Rudel“ wieder beisammen ist, und ich lasse etwas Wassermelone von der Zielverpflegung zu ihr hinüberwachsen. 

 


 

Andrea und ich haben 10 Stunden, 6 Minuten und 52 Sekunden gebraucht, Katrin war in 9:41:25 im Ziel. Wir haben also fast 3 Stunden länger gebraucht als beim „kleinen“ Karwendelmarsch (der Variante bis zur Eng), die nominell eine ähnliche Streckenlängen und vergleichbare Höhenmeter hat. Aber der Koasamarsch ist mit dem Karwendelmarsch nicht zu vergleichen. Er ist ungleich technischer und auch die Zahl der Höhenmeter ist sehr konservativ geschätzt. Nach dem vielen auf und ab auf dem Höhenweg habe ich sogar mehr als 2000 Höhenmeter auf der Pulsuhr stehen. Nun sind wir stolz und froh, mal wieder einen Lauf gemeinsam gefinisht zu haben. Und Erik hat uns sehr gut betreut! Beim nächsten Mal – in 6 Wochen bei Pitz Alpine – sind WIR wieder mit dem Betreuen dran und Erik darf laufen 😎. 


Jetzt müssen die Tanks aufgefüllt werden!



Das Fazit zu meinem Lauf

Ganz ehrlich: Das war technisch der härteste Lauf, den ich bislang gemacht habe. Es gab längere Läufe und Läufe mit mehr Höhenmetern. Aber was einem der Koasamarsch zwischen Kilometer 2 und 20 abverlangt, ist richtig hart. Deshalb bin ich zunächst einmal froh, dass ich heil durchgekommen und nicht gestürzt bin. Das ist für mich, die sich schon so häufig auch in leichtem Gelände flachgelegt hat, ein echter Erfolg.


Was gut lief

  • Die Auswahl der Rennkategorie. Ich bin sehr froh, dass wir uns für die Kategorie „Wandern“ angemeldet haben. Denn dadurch konnten wir früh starten, hatten weder Gedränge im Aufstieg noch auf dem Höhenweg. Wir standen um 6:20 an der Startlinie – beim nächsten Mal würde ich sogar schon um 6 Uhr starten wollen. Denn dann laufen die schnellsten Läufer erst kurz vor der Hochalm zu einem auf, und dort wird der weg breiter und man kann die schnellen Läufer besser passieren lassen. 
  • Die Verpflegung: Wir hatten alles dabei (oder ließen es von Erik bringen), was wir über die Verpflegung an den Labestationen hinaus brauchten: Riegel, Brötchen, Kartoffeln, Gewürzgurken. Alles hat super funktioniert – und alles zu seiner Zeit. Am Anfang die Riegel, in der Mitte das Brötchen mit Salzbutter – und am Schluss gingen nur noch die Kartoffeln und Gürkchen. Ich habe rechtzeitig gegessen und genügend getrunken – und damit nicht die Fehler von Transruinaulta oder ZUT  wiederholt. 
  • Das Training: Ich hatte relativ wenig lange Strecken trainiert, dafür eher häufiger und kürzer. Der Fokus lag auf Gehen am Berg, häufig sogar Gehen am steilen Berg. Das hat alles gepasst und zum Ende war es mein Fuß, nicht meine Ausdauer, der verhindert hat, die gesamte Strecke in der Ebene zu laufen.


Was nicht gut lief

  • Marsch ist nicht gleich Marsch: Ich habe den Lauf gnadenlos unterschätzt. Für mich war der Koasamarsch der kleine Bruder des Karwendelmarschs. Doch der Koasamarsch ist anders. Er ist – vor allem auf den ersten 5 Kilometern – wahnsinnig steil. So steile Aufstiege hatte ich in beinen bisherigen Wettkämpfen nicht. Allein der Schlußanstieg zur Vorderkaiserfeldenhütte: 300 Höhenmeter auf einen Kilometer. Da glühen die Oberschenkel. Nun hatte ich mit der Steilheit gerechnet und war auf sie auch gut vorbereitet. Nicht gerechnet habe ich mit dem technischen Gelände zwischen VP1 und VP2. Erst jetzt, wenn ich nochmal die Bilder aus anderen Rennberichten anschaue, sehe ich, was ich vorher übersehen habe ...


Für diejenigen, die den Koasamarsch auch mal machen wollen: die Marschtabelle. Die Daten sind extrapoliert auf Basis der Zeiten der schnellsten Damen von 2019.


Mein Fazit zur Veranstaltung


Was mir gefällt

  • Die Landschaft: Der Koasamarsch ist ein Lauf mit einer ganz eigenen Dramaturgie: Er startet an einem unspektakulären Ort im Inntal. Der erste Aufstieg bringt einen auf den Sonnkaiser Höhenweg, der ein einziger Aussichtsbalkon in Richtung Wilder Kaiser ist – nur muss man leider dem schwierigen Weg so viel Aufmerksamkeit schenken, dass man gar nicht genügend Zeit hat, die Landschaft zu bewundern. Lange Zeit verdecken die unspektakulären Grashügel Ropanzen und Stripsenkopf die Aussicht auf die Felswände des Wilden Kaisers. Dann biegt man um die letzte Kurve, und plötzlich sind die Steilwände von Predigtstuhl, Fleischbank und Totenkirchl zum Greifen nah. Auch der Rückweg durchs Kaisertal ist nochmal super – zumal man dann die Blicke auch mal über die Berge schweifen lassen kann, ohne gleich einen Sturz zu riskieren.
  • Die Streckenabschnitte: Die einzelnen Verpflegungsstationen teilen die Strecke in Abschnitte, die von ihrer Charakteristik ganz unterschiedlich sind. Auf einen super steilen Anstieg (bis VP1) folgt ein sehr technischer Singletrail, der kurz vor VP 2 nochmals ein paar giftige Anstiege hat. Dann folgt die technisch unschwierige, aber nochmal mit zwei steilen Anstiegen gespickte Traverse zum Stripsenjoch (VP3), ein knackiger, aber leicht zu laufender Downhill zu VP4, ein sanfter Gegenanstieg und leicht abfallende Strecke bis VP5 und schließlich die ebenen 6 Kilometer am Schluss. Anders als der Karwendelmarsch, wo die steilsten Abschnitte spät im Rennen kommen, ist der Koasamarsch ein „Vorderlader“: Nach nicht mal der Hälfte der Strecke hat man fast alle Anstiege geschafft, und ab Kilometer 23 kann man es einfach nur noch rollen lassen. 
  • Familiäre Veranstaltung: Mit ca. 600 Teilnehmern (summiert über alle Strecken) ist diese Veranstaltung alles andere als überlaufen. Es gibt kein Gedränge, kein Anstehen – sei es an den Labestationen oder auf der Toilette. Man kann sich sogar kurzfristig für diesen Wettkampf entscheiden und sich noch am Wettkampftag anmelden. So etwas gibt es heute nur noch selten! Die Stimmung auf der Strecke ist sehr relaxt. Und das ist gerade in den technisch schwierigen Passagen von Vorteil!
  • Preis-Leistungs-Verhältnis: Selbst wenn man sich kurzfristig für die längste Strecke anmeldet, zahlt man nur 75 Euro. Für Frühentschlossene bzw. Teilnehmer auf kürzeren Strecken ist es noch günstiger. Wir haben uns für die „Classic“ Strecke zwei Wochen vor dem Rennen angemeldet und zahlten 60 Euro (frühere Anmeldung: 45 Euro). Zum Vergleich: Eiger E35: 135 Euro, ZUT Garmisch Partenkirchen Trail (32 km): 85 Euro, Karwendelmarsch: 75 Euro. Die Teilnahmegebühr ist also vergleichsweise niedrig. An den Verpflegungsstationen bekommt man so viel zu essen und zu trinken wie man will. Hier wird nicht geknausert – anders als beim Eiger Ultra Trail, wo es um einen „Refill“ auch mal zu Diskussionen kommen kann. Bei der festen Verpflegung setzt man hauptsächlich auf Obst (Bananen, Äpfel, Melonen) und auf Gurken. Hier hätte ich mich über mehr Salziges gefreut (Tipp: Pellkartoffeln sind super für Labestationen!). 


Was mir nicht gefällt:

  • Der Zielbereich: Der war mir einfach zu laut. Ein paar Dezibel weniger hätten es auch getan. Wir haben dann relativ schnell die Flucht angetreten – das war schade!
  • Trinkbecher: Bei der Pflichtausrüstung wird extra darauf hingewiesen, dass man einen Trinkbecher mitführen muss. An den Labestationen setzte man aber auf vorgefüllte Plastikbecher. Das müsste heutzutage nicht mehr sein. Mittlerweile hat doch fast jeder einen Faltbecher oder kleine Flasks, die man auch zum Trinken an den Labestationen nutzen kann. Es wäre gut, wenn die Organisatoren das bald umstellen würden!



Und nun?

Kurz vor der Hochalm, als wir gerade mal wieder über ein halbes Dutzend Wurzeln gestiegen waren, sagte Andrea zu mir: Diesen Lauf mache ich NIE WIEDER! In diesem Moment stimmte ich ihr zu. Mittlerweile bin ich aber nicht mehr so sicher. Denn der Koasamarsch ist ein familiärer Lauf, der keine Show macht und sie auch nicht benötigt und mit einer wunderschönen Landschaft punkten kann. Die Streckenabschnitte sind kurzweilig und abwechslungsreich. Und ab Kilometer 23 kann man es richtig schön rollen lassen. 

Ich kann Euch nur empfehlen: Meldet Euch mal an! Es lohnt sich. Und vielleicht finden wir ja auch nochmal den Weg nach Ebbs.

See you on the trails!

 

Einen Pokal haben wir zwar nicht gewonnen - aber es hat Spaß gemacht!

 



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