von Sabine
Das vergangene Wochenende hat eindrucksvoll bewiesen: Es braucht nicht zwingend die „Big Shots" des Ultrarunning, damit der Western States zu einem wahren Spektakel wird. Mit Caleb Olson und Abby Hall haben sich zwei Überraschungssieger in die illustre Liste der Western States-Champions eingereiht. Das Rennen war so offen wie selten zuvor – und gerade deshalb außergewöhnlich spannend.
Überraschungssieger mit besonderen Geschichten
Weder Caleb Olson noch Abby Hall standen vor dem Rennen auf den Favoritenlisten ganz oben. Caleb, der seit 2018 auf Ultratrails unterwegs ist, hat zwar kontinuierlich solide Ergebnisse abgeliefert – jedoch nie die ganz großen Ausrufezeichen gesetzt. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildete sein Sieg beim diesjährigen Transgrancanaria. Und bereits im vergangenen Jahr bewies er sein Potenzial beim Western States: Bei seinem Debüt auf der legendären Strecke lief er auf Anhieb auf den fünften Platz.
Abby Halls Weg zum Sieg war noch bemerkenswerter. Sie brachte bereits ein Western States-Finish mit: 2021 landete sie bei den Frauen auf Platz 14. Ihre Stärken zeigte sie vor allem beim CCC, wo sie 2021 den zweiten und 2022 den dritten Platz erreichte. Doch dann kam der Rückschlag: Im Juni 2023 brach sie sich bei einem Trainingslauf das Bein – eine Verletzung, die sie weit zurückwarf. Ein ganzes Jahr dauerte es, bis sie wieder zu einem Wettkampf antrat: dem UTMB 2024, wo sie allerdings „nur“ Platz 31 belegte.
Dass Abby überhaupt beim diesjährigen Western States an der Startlinie stand, war alles andere als selbstverständlich. Beim Black Canyon landete sie auf Platz 5 und verpasste zunächst das Golden Ticket. Erst als EmKay Sullivan, die Drittplatzierte mit bereits akzeptiertem Golden Ticket, ihre Schwangerschaft bekannt gab, erhielt Abby die unverhoffte Chance auf ihren Start in Squaw Valley.
Rekorde und andere Zahlenwerke
Entgegen vieler Prognosen fiel auch in diesem Jahr weder der Streckenrekord bei den Männern noch bei den Frauen. Dennoch wurde es knapp: Caleb Olson verpasste Jim Walmleys Fabelrekord gerade mal um 1 Minute und 57 Sekunden, ist damit der zweitschnellste Mann, der jemals diese Strecke gelaufen ist. Bei den Frauen war der Abstand deutlicher – Abby Hall lag 1:07:43 hinter Courtney Dauwalters Bestmarke.
Die wahre Überraschung liegt jedoch in einer anderen Statistik: Der Western States zieht – auch international – immer mehr gute Läufer und Läuferinnen an, was zu einer historisch hohen Leistungsdichte an der Spitze führt. In diesem Jahr lagen zwischen den Plätzen 1 und 3 bei den Frauen lediglich 13 Minuten und 42 Sekunden, bei den Männern sogar nur 7 Minuten und 57 Sekunden – absolute Rekordwerte in der Geschichte des Rennens. So eng war es an der Spitze noch nie.
Besonders bemerkenswert ist die Entwicklung bei den Frauen. Während man in früheren Jahren oft beklagte, dass die Siegerin bereits früh feststand und das Rennen vorhersagbar wurde, erlebten wir 2025 eine nie dagewesene Leistungsdichte in den Top 10. Der Western States wird also Jahr für Jahr nicht zwangsläufig schneller – aber er wird definitiv spannender.
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Zeiten der Top 10 Männer (oben) und Frauen (unten) beim Western States zwischen 2010 und 2025 |
Faszinierend war auch die taktische Entwicklung des Rennens. Der Western States ist längst nicht mehr ein Lauf, bei dem jeder Teilnehmer sein mentales Spreadsheet abarbeitet. Stattdessen bildeten sich strategische Gruppen und temporäre Allianzen, die dynamisch waren und auch so wieder aufgelöst wurden, wie sie sich gebildet hatten.
So formierte sich in der High Sierra ein regelrechter „Men Train" mit anfangs zwölf Läufern – darunter Rod Farvard, Caleb Olson, Chris Myers, Vincent Bouillard, Hans Troyer, David Roche, Kilian Jornet, Hannes Namberger und Adam Peterman. Diese Gruppe zerbrach durch eine Tempoverschärfung von Seth Ruhling, Chris Myers und Caleb Olson. Doch auch dieses Dreier- und später Zweier-Bündnis löste sich beim Aufstieg nach Michigan Bluff auf, als sich Caleb Olson entscheidend absetzen konnte.
Zu keinem Zeitpunkt des Rennens schienen die Positionen in Stein gemeißelt – so dicht folgten sich die Läufer und Läuferinnen auf den Fersen.
Frauen laufen gleichmäßiger als Männer
Eine weitere bemerkenswerte Beobachtung bestätigte ein bekanntes Phänomen: Die Frauen teilten sich ihr Rennen deutlich gleichmäßiger ein als die Männer. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass die Männerspitze anfangs weit unter Rekordkurs lag, nur um später deutlich zurückzufallen. Viel aussagekräftiger ist die Entwicklung des Männer- und Frauenfelds zwischen Start und Ziel.
Bei Red Star Ridge nach 15 Meilen führten 20 Männer das Feld an – erst dann folgte die erste Frau. Diese Konstellation blieb weitgehend bis Devils Thumb bestehen, dem Halbstrecken-Marker: Hier konnten sich die führenden Frauen maximal bis auf Gesamtplatz 19 vorschieben.
Im Ziel bot sich ein völlig anderes Bild: Von den Gesamtplätzen 11 bis 20 waren acht Positionen von Frauen belegt. Ein eindeutiger Beleg dafür, dass nicht nur einzelne Läuferinnen konstant gelaufen waren, sondern die gesamte Frauenspitze eine durchdachtere Rennaufteilung gewählt und zum Ziel hin auf das Männerfeld aufgeholt hatte.
Das Rennen beginnt nicht länger in Foresthill
„Das Rennen beginnt in Foresthill" – diese Ultrarunning-Binsenweisheit gehört möglicherweise der Vergangenheit an. Dahinter stand die Erfahrung, dass Läufer, die in der High Sierra und den Canyons führten, häufig nicht bis Auburn durchhielten – oder zumindest nicht mehr die Reserven besaßen, um auf den letzten relativ flachen und schnellen 30 Meilen entscheidend einzugreifen.
2025 erlebten wir hier eine bemerkenswerte Trendwende. Bereits im Vorfeld äußerten mehrere Spitzenläufer mit Blick auf Jim Walmleys Rekord, dass Zeitgewinne am ehesten in den ersten 30 Meilen möglich seien. Die Konsequenz: Keiner der Topfavoriten ging das Rennen in der High Sierra und den Canyons konservativ an.
Nach dem ersten langen Anstieg zum Escarpment befanden sich die späteren Top 3 bereits unter den führenden acht Läufern. Das Frauenfeld wurde sogar von der späteren Siegerin Abby Hall angeführt. Diese machte damit eine zweite Western-States-Weisheit zunichte: „Those who win the climb to the Escarpment rarely win in Auburn.“
Auch die entscheidenden taktischen Schachzüge fielen früher als gewohnt: Im Abstieg zum Deadwood Canyon gelang es Chris Myers und Caleb Olson, das Spitzenfeld zu sprengen und sich abzusetzen. Beim Aufstieg aus dem El Dorado Creek distanzierte sich Caleb Olson erstmals von Chris Myers – der Grundstein für seinen späteren Sieg war gelegt.
Bei den Frauen sortierte sich das Feld ebenfalls bereits in den Canyons: Nach Attacken von Ida Nilsson und der Polin Martyna Mlynarczyk übernahm Abby Hall im Aufstieg nach Michigan Bluff wieder die Führung. Bis Foresthill hatte sich das Damenfeld praktisch so geordnet, wie es später auch im Ziel zu sehen war – mit einer Ausnahme: Ida Nilsson bezahlte für ihre frühe Tempoverschärfung und fiel zwischen Foresthill und Auburn noch von Platz 2 auf Platz 4 zurück.
Falls sich dieser Trend durchsetzt und Rennen künftig nur noch durch Läufer gewonnen werden, die von Beginn an hohes Tempo gehen, werden Michigan Bluff und Foresthill zum Scherbenhaufen für jene, die das Rennen zu aggressiv angegangen sind. In diesem Jahr traf es Martyna Mlynarczyk, Eszter Csillag, Heather Jackson, Riley Brady und David Roche. Auch für Adam Peterman wurde Foresthill zum Knackpunkt – von dort musste er die letzten 38 Meilen „nach Hause wandern".
Das Alter spielt (k)eine Rolle
Das Thema Alter stand in diesem Jahr besonders im Fokus – nicht zuletzt durch Kilian Jornet, der sich mit 37 Jahren nochmals dem Western States stellte, den er vor 14 Jahren gewonnen hatte. Seine diesjährige Zeit von 14:19:22 lag eine Stunde und 20 Minuten unter seiner Siegerzeit von 2011 – ein beeindruckender Beweis dafür, dass er nicht nur 14 Jahre älter, sondern vor allem 14 Jahre erfahrener geworden ist.
Auch Ida Nilsson bewies Konstanz im Alter: Die mittlerweile 41-Jährige lief mit 17:00:48 nahe an ihren eigenen Masters-Rekord (W40) von 16:56:52 aus dem Vorjahr heran. Nicht ganz so erfolgreich war Jeff Browning, der in der Kategorie M50 Steven Moores Rekord von 18:14:57 aus dem Jahr 2019 anvisiert hatte, aber erst in 19:12:58 das Ziel erreichte.
Dass das Alter dennoch eine entscheidende Rolle spielt, zeigte sich bei den noch älteren Teilnehmern dramatisch. Nicholas Bassett, der als erster über 80-Jähriger finishen wollte, musste früh aufgeben – schon nach 16 Meilen war für ihn Schluss. Gleiches Schicksal ereilte Jim Howard, den Sieger von 1981 und 1983, der mit über 70 Jahren angetreten war, in Foresthill. Von sechs Läufern über 70 Jahren erreichte nur Jan Vleck das Ziel in Auburn. Auch Anne Johnson, mit 63 Jahren die älteste Frau im Feld, konnte das Rennen nicht beenden.
Fazit: Die relativ strikten Cutoffs einzuhalten wird zur enormen Herausforderung, wenn die Leistungskurve altersbedingt nach unten zeigt.
Glück und Unglück bei den Deutschen
Bei den deutschen Startern bot sich ein Bild mit Licht und Schatten.
Das erste Unglück traf Rosanna Buchauer, die als erste Läuferin das Rennen aufgeben musste. Obwohl sie anfangs noch gut im Frauenfeld positioniert war, begann ihr Magen zu rebellieren. Nach nur 25 Meilen war in Duncan Canyon bereits Schluss für die Golden-Ticket-Gewinnerin.
„Es war einfach zu heiß. Dafür bin ich nicht gemacht" – das waren Hannes Nambergers erste Worte nach seinem Zieleinlauf in Auburn. Doch trotz der Klage war Hannes die Konstanz in Person. Von Beginn an lief er knapp hinter den Top 10, konnte durch einige Rennaufgaben in Foresthill sogar kurzzeitig in die Top 10 vorrücken, verlor diese Position aber wieder an Läufer wie Peter Frano, Ryan Montgomery und Kai Hiroki. Sein elfter Platz erspart ihm immerhin das Grübeln über eine erneute Teilnahme 2026 – denn mit einem Top-10-Platz hätte er sich automatisch qualifiziert.
Die größte deutsche Überraschung war zweifellos Johannes Obermüller. Mit nur zwei Losen über das Losverfahren qualifiziert, lief er eine beeindruckende 18:05:56 und wurde 15. bei den Männern beziehungsweise 24. in der Gesamtwertung. Damit ist er der drittbeste Deutsche in der Western States-Geschichte hinter Janosch Kowalczyk und Hannes Namberger – und der beste Deutsche, der sich je über das Losverfahren qualifiziert hat.
Adrian Koch erreichte den 56. Gesamtplatz und war damit sogar schneller als Routinier Adam Peterman. Auch Matthias Glück blieb als 88. mit 23:47:29 unter der magischen 24-Stunden-Marke und sicherte sich den begehrten Silver Belt Buckle.
DNFs und glückliche Wendungen
Pech hatte Adam Popp, der erste Läufer mit Knie-Amputation, der jemals beim Western States startete. Auf der Cal Street im Abstieg zur Rucky Chucky River Crossing musste er sein Rennen beenden – ein bitteres Ende eines mutigen Versuchs.
Eine Glücksgeschichte schrieb dagegen Russell Gardham: Der Brite stand auf Position 65 der Warteliste und bekam in der Woche vor dem Rennen vom Race Director einen Anruf, dass es sich eventuell aufgrund mehrerer Absagen mit dem Start ausgehen könnte. Also flog er über den Atlantik in die USA – nur um während des Fluges zu erfahren, dass er tatsächlich einen Startplatz erhalten hatte. Diese kuriose Wendung zahlte sich aus: Er finishte das Rennen in 29:22:39 – beeindruckend für einen Läufer, der noch mit ordentlich Jetlag zu kämpfen hat!
Fazit: Ein Western States für die Geschichtsbücher
Der Western States 2025 hat eindrucksvoll bewiesen: Manchmal entstehen die besten Geschichten, wenn die größten Stars fehlen. Ohne Walmsley, Dauwalter und Schide entwickelte sich eine Dramatik und Unvorhersagbarkeit, die in der jüngeren Geschichte des Rennens ihresgleichen sucht. Und das ist möglicherweise das Beste, was einem Rennen widerfahren kann, das nach 52 Jahren immer noch zu überraschen vermag.
Der Western States 2025 hat die zeitlose Wahrheit bestätigt: Die wahre Magie liegt nicht im Vorhersagbaren, sondern im Unerwarteten.
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