TRAILRUNNING: RÜCKBLICK 2024

 

von Sabine

Was für ein Jahr war 2024?

Für mich war es ein Jahr voller Überraschungen. Gerade, als es so schien, als hätten wir im Trailrunning die aufregendsten Geschichten bereits erlebt – dass wir an einem Punkt angekommen sind, an dem nur noch kleine Fortschritte möglich sind – kam 2024 und belehrte uns eines Besseren. Dieses Jahr hat uns gezeigt, dass der Sport immer noch voller unvorhersehbarer Wendungen und außergewöhnlicher Momente steckt.

Es begann mit einer historischen Premiere: Jasmin Paris wurde die erste Frau, die den Barkley Marathons finishte. Kurz darauf schrieb Rod Favard, ein bis dato nahezu unbekannter Läufer, beim Western States Geschichte, als er sich mit niemand Geringerem als Jim Walmsley ein hartes Kopf-an-Kopf-Rennen lieferte. Beim gleichen Event beeindruckte Katie Schide, als sie nur knapp an Courtney Dauwalters legendärem „Jahrhundertrekord“ scheiterte. Und der UTMB? Den gewann völlig überraschend ein Läufer, den niemand auf dem Radar hatte: Vincent Bouillard. Als wäre das nicht genug, setzte Tara Dower im September dem Jahr die Krone auf, indem sie auf dem Appalachian Trail einen Overall-FKT aufstellte. Ein Jahr voller positiver Überraschungen – doch 2024 hatte nicht nur Glanzmomente zu bieten, sondern auch seine Schattenseiten. Fehltritte und Kontroversen sorgten ebenfalls für Gesprächsstoff.

Lasst uns also einen systematischen Blick zurückwerfen. Und wie immer gilt: Dieser Rückblick spiegelt meine ganz persönliche Meinung wider. Bei der Vielfalt an Veranstaltungen und Spielarten, die unser Sport bietet, lässt sich trefflich darüber diskutieren, wer wirklich die beeindruckendste Leistung des Jahres abgeliefert hat.

 

 

Trail-Moment des Jahres

Für mich steht ein Moment ganz klar im Mittelpunkt des Trailrunning-Jahres 2024: das historische Finish von Jasmin Paris bei den Barkley Marathons. Es war ein Meilenstein, der für viele – mich eingeschlossen – lange Zeit undenkbar schien. Ich habe mich oft gefragt, ob es überhaupt jemals einer Frau gelingen könnte, dieses Rennen zu finishen. Aber wenn es jemand schaffen könnte, dann Jasmin Paris.

Jasmin ist eine Ausnahmeathletin, deren unglaubliches Talent für Multiday-Events schon beim Spine Race 2019 aufblitzte, als sie das Rennen nicht nur gewann – gegen die gesamte Konkurrenz, Männer und Frauen -, sondern auch einen neuen Overall-Streckenrekord aufstellte. Ihre Wurzeln im britischen Fellrunning prägen sie bis heute: Unwegsames Gelände? No Problem! Keine technischen Hilfsmittel? No Problem! Sich selbst im Gelände orientieren? No Problem! Die Liste ihrer Siege bei Rennen wie dem Cheviot Goat, dem Dragon’s Back Race oder dem Fellsman ist beeindruckend. Ebenso hat sie bei den schwierigsten Skyraces der Welt wie dem Glen Coe Skyline, dem Hamperokken Skyrace und der Trofeo Kima bewiesen, dass sie technische und physische Herausforderungen meistert wie kaum eine andere. 

Aber der Barkley ist eine ganz andere Kategorie. Neben Physis, Technik und mentaler Härte erfordert er auch ein gutes Stück Glück – mit dem Wetter, mit der Verfassung und mit Konkurrenten, die sich gegenseitig helfen, die komplexe Streckenführung zu bewältigen. Dieses Jahr fügten sich all diese Faktoren perfekt zusammen. Das Wetter war gnädig, und mit Ihor Verys, John Kelly, Jared Campbell und Greig Hamilton erreichten gleich vier Männer das Ziel – ein seltener Erfolg. Doch die größte Überraschung kam 99 Sekunden vor Ablauf des 60-Stunden-Cutoffs: Jasmin Paris kam ein letztes Mal zurück zum Yellow Gate und wurde Finisher #20 – und damit die erste Frau, die dieses Meisterwerk vollbrachte.

Dieses Finish war nicht nur ein „First of“. Es war ein Leuchtturm, ein Symbol dafür, was im Trailrunning möglich ist – insbesondere für Frauen. Niemand brachte die Bedeutung ihres Finishs besser auf den Punkt als John Kelly, dem Barkley-Finisher #15: „Meine Töchter waren [bei ihrem Finish] dabei und haben zugesehen. Danke, Jasmin, dass du ihnen gezeigt hast, was ich ihnen nie ganz zeigen konnte.“

 

 

Rennen des Jahres

Der Sierre Zinal 2024 mit dem Zweikampf zwischen Philemon Ombogo Kiriago und Kilian Jornet war ungemein spannend und obendrein eine Werbung für unseren Sport. 

Kilian Jornet legte los wie die Feuerwehr, setzte sich früh an die Spitze und schien darauf bedacht, die Konkurrenz so schnell wie möglich abzuschütteln. Doch der Plan ging nicht ganz auf: Noch im Anstieg wurde er von Josphat Kiprotich überholt, was das Rennen offenhielt. Erst im welligen Abschnitt hinter dem Hotel Weisshorn kristallisierten sich die beiden Hauptprotagonisten des Tages heraus: Kilian Jornet übernahm die Führung, gefolgt von Philemon Ombogo Kiriago.

Als die beiden in den technisch anspruchsvollen Downhill nach Zinal gingen, schien das Rennen entschieden. Kilian Jornet, bekannt für seine überragenden Downhill-Fähigkeiten, sah wie der sichere Sieger aus. Doch Philemon überraschte alle. Er schoss im Downhill an Kilian vorbei, der im ersten Moment sichtlich Mühe hatte, dem Tempo zu folgen.

Was dann folgte, war Trailrunning-Drama pur: Kilian bekam die zweite Luft, kämpfte sich zurück. Kurz vor Zinal gelang es ihm, Philemon erneut zu überholen, und die beiden lieferten sich einen packenden Schlussspurt. Am Ende triumphierte Kilian Jornet mit einem hauchdünnen Vorsprung von nur 2 Sekunden – ein Finish, das mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.

 

 

Trail-Läuferin des Jahres (international)

 

Platz 1: Katie Schide

Katie Schide zeigte 2024 eindrucksvoll, dass man immer mit ihr rechnen muss. Schon beim Canyons 100 fiel sie auf, als sie den Streckenrekord pulverisierte - eine Spitzenleistung noch sehr früh in der Saison. Doch beim Western States setzte sie noch einen obendrauf: Sie lief ein nahezu einsames Rennen und blieb nur 17 Minuten über dem Streckenrekord von Courtney Dauwalter. Diese Leistung kam für mich überraschend – ich hätte sie so nah an der Zeit von Courtney nicht erwartet. Dann kam der UTMB: Katie unterbot hier mit ihrem klaren Sieg den Streckenrekord von Courtney, den diese 2021 aufgestellt hatte. Was ich mir für 2025 wünschen würde, wäre ein direktes Duell zwischen diesen beiden Ausnahmeläuferinnen. Werden wir das sehen? Katie wird beim Hardrock 100 antreten, während Courtney zwar als Titelverteidigerin qualifiziert ist, aber bereits abgesagt hat. Katie wäre für den Western States als Titelverteidigerin qualifiziert, hat dort jedoch abgesagt, um sich ganz auf den Hardrock zu konzentrieren. Somit bliebe der UTMB als mögliche Plattform für ein direktes Aufeinandertreffen. Beide sind qualifiziert. Doch dafür müsste Katie das knallharte Hardrock-UTMB-Double meistern.

Platz 2: Courtney Dauwalter

Auch wenn die Rennen, die Courtney 2024 lief, nicht ganz die Sichtbarkeit der Rennen aus dem Vorjahr hatten und auch nicht so kompetitiv waren: Sie ist und bleibt eine feste Größe in der Trailrunning-Welt. In diesem Jahr gewann sie alle fünf Rennen, bei denen sie angetreten ist. Ihr Sieg beim Mt. Fuji 100 (vor den Namensstreitigkeiten mit dem UTMB bekannt als UTMF) wurden von der ITRA mit 872 Punkten fast genauso gut bewertet wie ihr Rekordlauf beim Western States im Vorjahr (875 Punkte). Vor allem der Vergleich mit dem übrigen Starterfeld zeigt ihre Dominanz: Beim Mount Fuji wurde sie Dritte im Gesamtklassement und schlug die zweitbeste Frau um satte 4 Stunden. Beim Nice Cote d’Azur war nur Cristofer Clemente schneller als sie, während sie die zweitbeste Frau um 5 Stunden distanzierte. Und beim Hardrock verbesserte sie zum dritten Mal in Folge den Streckenrekord – ein beeindruckender Beleg für ihre Konstanz und Stärke.

Platz 3: Madalina Florea

Madalina Florea zeigte 2024 unglaubliche Konstanz, auch wenn sie keinen großen Sieg erringen konnte. Nachdem sie 2023 beim Golden Trail World Series Finale ihr Breakout-Race hatte, überzeugte sie in der European Off-Road Championship, wo sie in den beiden Bergläufen (Uphill und Up&Down) jeweils den 3. Platz belegte. Es folgten starke Leistungen beim Marathon du Mont Blanc und Sierre-Zinal, wo sie zweimal Platz 2 errang.  Auch in den beiden US-Rennen der GTWS war sie konstant stark – zweimal landete sie auf Platz 2. Und schließlich belegte sie beim Prolog der GTWS Finals den dritten Rang. Hätte ihr der Körper beim abschließenden GTWS Finale nicht den Dienst versagt – sie litt unter heftigen Magenproblemen und knickte im Rennen auch noch um – hätte sie in der Abschlusswertung was reißen können. Was mich beeindruck hat: sie gab das Rennen nicht auf, sondern quälte sich durch und beendete das Rennen auf Platz 43. Danach brach sie im Ziel zusammen - aber sie zeigte damit, was für ein Kampfgeist in ihr steckt.



Trail-Läufer des Jahres (international)


Platz 1: Elhousine Elazzaoui

Elhousine Elazzaoui, der für das Team NNormal läuft, war 2024 in nahezu unschlagbarer Form auf den Trail-Strecken bis hin zur Marathonlänge. Der Marokkaner hatte schon in der Vergangenheit immer wieder beeindruckende Trail-Resultate erzielt, aber in diesem Jahr setzte er Maßstäbe. Er begann mit zwei starken zweiten Plätzen beim Siguniang Mountain Race in China, das nun Teil der Golden Trail World Series ist, und beim Zegama Marathon. Doch seine größte Triumphphase kam später: Er gewann den Marathon du Mont Blanc und ließ bewusst das Rennen in Sierre-Zinal aus – ein Rennen, bei dem er nie besser abgeschnitten hat als Platz 31. Stattdessen reiste er in die USA, um die beiden wichtigsten GTWS-Rennen mitzunehmen und zu gewinnen – beim Mammoth 26 nach einem packenden Kopf-an-Kopf-Duell inklusive eines Ellbogenremplers gegen Patrick Kipngeno. Beim abschließenden GTWS-Finale in der Schweiz triumphierte er in beiden Wettbewerben – sowohl im Prolog als auch im Hauptwettkampf – und sicherte sich damit den Titel in der Golden Trail World Series mit einem perfekten Score von 1000 Punkten. Ein Trail-Jahr ohne Makel!

Platz 2: Kilian Jornet

Anders als Elhousine sucht sich Kilian mittlerweile gezielt seine Rennen aus – in diesem Jahr waren es „nur“ zwei: Der Zegama-Aizkorri und Sierre-Zinal. In Zegama gewann Kilian mit weitem Vorsprung – es war sein elfter Sieg in diesem Traditionsrennen, und er blieb dabei nur 1 ½ Minuten über seinem eigenen Streckenrekord von 2022. Beim Sierre-Zinal lieferte er sich den oben schon beschriebenen Zweikampf mit Philemon Kiriago, verbesserte seine eigene Rekordmarke um eine Sekunde und sicherte sich zum zehnten mal den Sieg. Doch was in diesem Jahr deutlich heraussticht, ist sein Projekt „Alpine Connections“, bei dem er alle 82 Viertausender der Alpen innerhalb von 19 Tagen und 16 Stunden bestieg. Das war eine echte Meisterleistung! Mehr dazu im Kapitel "FKT".

Platz 3: Ludovic Pommeret

Ludovic Pommeret ist der lebende Beweis dafür, dass man auch im fortgeschrittenen Alter noch zu absoluter Höchstleistung fähig ist. Mit 49 Jahren gehört er zu den erfahrensten und besten Athleten der Szene und hat bereits viele der wichtigsten Trail-Events gewonnen: den UTMB, den TDS und die Diagonale des Fous auf La Reunion. Dieses Jahr trat er beim Hardrock 100 an und erzielte dabei einen beeindruckenden Sieg – er gewann mit einem Vorsprung von drei Stunden auf den Zweiten. Nicht nur das: Er verbesserte auch den Streckenrekord um drei Minuten, den zuvor kein geringerer als Kilian Jornet innehatte. Wenige Wochen später startete er dann – wieder einmal – beim UTMB, und wurde Fünfter. Die französischen Fans am Streckenrand waren außer sich vor Begeisterung - zurecht! Ludovic Pommeret beweist Jahr für Jahr, dass Alter im Trailrunning nur bedingt eine Grenze darstellt.


 

Trail-Läuferin des Jahres (national)


Platz 1: Nina Engelhard

Der Namen dieser Läuferin war mit bis zu diesem Jahr nicht bekannt. Dann kam die Qualifikation für die EM, die sich Nina ziemlich souverän sicherte. Und ihr Auftritt bei der EM selbst war dann schon mehr als souverän: Sie sicherte sich den Europameistertitel sowohl im Uphill- als auch im Up&Down Lauf. Und besiegte dabei Läuferinnen wie Maude Mathys, Judith Wyder oder Madalina Florea. Das allein ist ein Grund, sie hier an Platz eins zu setzen. Auch wenn man natürlich argumentieren kann, dass Nina keine Trailläuferin, sondern eine Bergläuferin ist. Aber hey, wachsen da nicht gerade zwei Disziplinen zusammen?

Platz 2: Rosanna Buchauer

Rosanna Buchauer feierte 2024 ein starkes Comeback nach ihrem DNF beim CCC 2023 und einer längeren Verletzungspause. Sie gewann den Lavaredo Ultra Trail, den Großglockner Trail und erreichte schließlich den 3. Platz beim CCC 2024, womit sie sich für den Western States 2025 qualifizierte – man darf gespannt sein, wie sich sich dort schlägt! Ein beeindruckendes Jahr, das sie zurück in die Weltspitze des Trailrunnings brachte.

Platz 3: Katharina Hartmuth

Katharina Hartmuth bleibt die deutsche Spezialistin für die ganz langen Kanten. Nach ihrem DNF beim Tor des Géants 2023 und einer längeren Verletzungspause tastete sie sich vorsichtig zurück, mit Platz 7 beim Transvulcania. Danach zeigte sie, was in ihr steckt: Sieg beim Andorra 100, Platz 3 beim Hardrock 100 hinter Courtney Dauwalter und Camille Bruyas – und schließlich der Sieg beim Tor des Géants 2024, gekrönt von einem neuen Streckenrekord. Ein beeindruckendes Jahr!


 

Trail-Läufer des Jahres (national)


Platz 1: Hannes Namberger

Hannes Namberger ist und bleibt der „Dauerbrenner“ im (Ultra-)Trailrunning – auch 2024. Allerdings musste er sich in dieser Saison zunächst „reinfuchsen“. Beim Ötzi Trail Naturns landete er hinter Benedikt Hoffmann und Sven Koch auf dem dritten Platz. Beim Transvulcania folgte ein aus seiner Sicht enttäuschender 14. Platz. Doch dann platzte der Knoten: Zum dritten Mal nach 2021 und 2022 gewann er den Lavaredo Ultratrail – ein beeindruckender Hattrick. Und beim UTMB erreichte er mit einem vierten Platz seine bisher beste Platzierung bei diesem prestigeträchtigen Rennen. Dass er die Saison wegen einer Lebensmittelvergiftung beim Ultratrail Cape Town nicht abschließen konnte? Geschenkt. Hannes bleibt der Maßstab im Ultra-Trailrunning in Deutschland.

Platz 2: Lukas Ehrle

Ein Hoffnungsträger für die Zukunft: Lukas Ehrle hat in diesem Jahr gezeigt, dass großes Talent und harte Arbeit sich auszahlen. Ursprünglich aus dem Berglauf kommend, fühlt sich Lukas auch auf kürzeren Trail-Strecken pudelwohl. Der amtierende Deutsche Meister im Berglauf, der aktuell in den USA trainiert, brachte von den European Off-Road Championships gleich zwei Medaillen mit nach Hause: Bronze im Uphill und Silber im Up&Down. Beim Großglockner-Berglauf wurde er Fünfter – als bester Europäer hinter vier Kenianern. Nur eine Woche später folgte sein erster WMRA-Weltcup-Sieg in Portugal. Im August krönte er seine Saison mit dem Sieg beim ETC im Rahmen des UTMB. Was für ein Jahr ...

Platz 3: Benedikt Hoffmann

Nicht alles lief in diesem Jahr bei Benne nach Plan. Eine hartnäckige Achillessehnenverletzung bremste ihn ausgerechnet vor dem CCC aus und führte dort zu seinem ersten DNF in seiner langen Trailrunning-Karriere. Auch bei der Deutschen Meisterschaft im Ultratrail musste er sich überraschend mit Platz zwei zufriedengeben. Dennoch gab es auch zahlreiche Erfolgsmomente: Der Sieg beim Ötzi Trail Naturns, der zweite Platz über 50 km beim Trail Alsace Grand Est sowie mehrere erste Plätze bei kürzeren Rennen, wie dem Tschirgant Skyrun TS16, dem PIUT20 oder dem Transruinaulta curta. Besonders beeindruckend war sein Triumph auf der Langdistanz der Davos X-Trails. Was Benedikt Hoffmann jedoch besonders auszeichnet: Sein Einsatz für das Nationalteam. Er ist sich nie zu gut dafür, im Nationaltrikot bei einer Meisterschaft anzutreten – seien es bei einer Europameisterschaft oder einer Weltmeisterschaft. So auch in diesem Jahr bei den European Off-Road Championships: Da erreichte er einen starken achten Platz im Trail-Wettbewerb und war damit bester Deutscher.


FKT des Jahres, Frauen, international: Tara Dower, Appalachian Trail (supported)

Dieses Jahr ist die Wahl ein No-Brainer: Der Titel geht an Tara Dower für ihre unglaubliche FKT auf dem Appalachian Trail. Sie legte die 2.189 Meilen lange Strecke in 40 Tagen, 18 Stunden und 6 Minuten zurück – fast sechs Tage schneller als die bisherige Bestzeit von Jennifer Pharr-Davis. Besonders beeindruckend: Tara war sogar 13 ½ Stunden schneller als Karel Sabbe, der den Rekord seit 2018 innehatte. Das bedeutet, dass Tara nun die Overall-FKT auf einer der ikonischsten FKT-Strecken der Welt hält.

Natürlich wirft das wieder einmal die Frage auf, ob der Gender Performance Gap bei Mehrtagesevents bzw. auf ultralangen Strecken überhaupt noch relevant ist. Faktoren wie Schlafmanagement und Logistik scheinen hier eine größere Rolle zu spielen als reine physische Leistungsfähigkeit. Doch meiner Meinung nach ist diese Diskussion noch nicht endgültig entschieden.

Wie auch immer: Diese Leistung ist absolut beeindruckend! Und sie hat sich für Tara auch finanziell ausgezahlt. Wie Abby Levene von Outside Online berichtet, hat Tara nach ihrer FKT einen mehrjährigen Vertrag mit Altra unterschrieben. Dieser soll ihr jährlich einen sechsstelligen Betrag einbringen – zwischen 100.000 und 250.000 US-Dollar. Damit gehört sie zu den bestbezahlten Trailläuferinnen weltweit.

Was daran überrascht: Tara ist bisher in Wettkämpfen weniger aufgefallen. Zwar gewann sie letztes Jahr den Run Rabbit Run 100 sowie dieses Jahr den Umstead 100 und belegte einen vierten Platz beim Hardrock 100, doch mit einem ITRA Performance Index von 703 zählt sie eher zur „erweiterten Elite“. Bedeutet das, dass Athletinnen künftig verstärkt auf FKTs setzen sollten, um große Sponsorenverträge abzuschließen? Eher nicht. Um den Erfolg von Taras Vertrag zu verstehen, muss man wissen, dass Altra-Schuhe nicht nur bei Trailrunnerinnen, sondern vor allem bei Langstreckenwandernden beliebt sind – und genau in dieses Segment passt Taras FKT perfekt.


FKT des Jahres, Männer, international: Kilian Jornet, „Alpine Connections“ – alle 82 4000er der Alpen

Alles begann mit einer scheinbar beiläufigen Ankündigung von Kilian Jornet auf Social Media am 13. August: „Hi everyone, I’m feeling pretty good after Sierre-Zinal, so I’ve decided not to go home yet and enjoy the good conditions in the Alps...“. Niemand hätte geahnt, dass er die Alpen auf diese Weise genießen würde.

Einen Tag später kündigte Kilian sein Projekt Alpine Connections an. Zunächst hieß es nur, er wolle so viele 4000er wie möglich besteigen. Doch schon bald wurde klar, dass er alle 82 4000er der Alpen in Angriff nehmen würde – ein Unterfangen, das bereits von Legenden wie Ueli Steck (2015, in 62 Tagen, ohne motorisierte Hilfsmittel, mit Gleitschirm) oder Chrigel Maurer und Peter von Känel (2024, in 51 Tagen, mit Gleitschirm und Skiern) angegangen worden war.

Kilian setzte bei seinem Projekt jedoch neue Maßstäbe: Er war ausschließlich zu Fuß und mit dem Fahrrad unterwegs; nur seine Begleiter nutzten gelegentlich den Gleitschirm. Am 31. August erreichte er mit dem Barre des Écrins den südlichsten 4000er der Alpen und vollendete sein Vorhaben. Das Ergebnis: 82 Gipfel, 1.207 Kilometer und 75.344 Höhenmeter in nur 19 Tagen und 16 Stunden – eine Rekordzeit, die schlicht unfassbar ist. Und das alles bei einem durchschnittlichen Schlaf von 5:17 Stunden pro Nacht.

Ist das nun eine klassische FKT, bei der eigentlich auch die Strecke definiert sein muss? Oder Peak Bagging? Oder einfach ein außergewöhnliches Projekt? Für mich ist es alles zusammen – vor allem aber eine Leistung, die jenseits des Vorstellbaren liegt.


 

FKT des Jahres, Frauen, national: Clara Carste, Watzmann-Traverse (supported)

Während der wettkampffreien Corona-Zeit avancierte die Watzmann-Traverse zum beliebten „Spielplatz“ für Trailläufer, die sich hier spannende FKT-Duelle lieferten: 2020 lieferten sich Hannes Namberger und Anton Palzer ein episches Battle, bei dem sie sich gegenseitig die Bestzeit abnahmen.
Am 22. Juni 2024 schrieb die erst 25-jährige Clara Carste ihre eigene Geschichte auf dieser Strecke. Früh am Morgen startete sie mit dem Ziel, die Frauen-FKT der Watzmann-Traverse zu brechen. Vier Stunden und 13 Minuten später kehrte sie zurück zum Parkplatz an der Wimbachbrücke – und unterbot die bisherige Bestzeit von Stefanie Maurer um satte 27 Minuten. Stefanie hatte 2023 eine unsupported FKT aufgestellt, während Clara supported unterwegs war.

Das Besondere an Claras Erfolg: Sie ist erst vor zwei Jahren zum Trailrunning gekommen. Ihre Motivation für diese FKT? Nach eigener Aussage wurde sie durch das legendäre Battle zwischen Hannes Namberger und Anton Palzer inspiriert.


 

FKT des Jahres, Männer, national: Benni Bublak & Johannes Stimpfle, Jubiläumsgrat-Runde (unsupported)

Auch diese FKT weckt Erinnerungen an das legendäre Duell zwischen Hannes Namberger und Anton Palzer – nicht wegen des Watzmanns, sondern wegen des ebenso packenden und zeitlich noch dichteren Wettstreits, der sich hier abspielte.

Im Gegensatz zu den USA, wo FKTs oft auf Fernwanderwegen aufgestellt werden, konzentrieren sie sich in Deutschland eher auf „Gipfelrunden“. Beispiele dafür sind die Watzmann-Traverse oder die Jubiläumsgrat-Runde. Letztere ist eine anspruchsvolle Tour, die nicht nur die Überschreitung des Jubiläumsgrats umfasst, sondern eine vollständige Runde ist, die am Wanderparkplatz in Hammersbach startet und endet. Der Aufstieg zur Zugspitze – dem Beginn des Jubiläumsgrats – führt durch das Höllental, während der Abstieg vom Hochblassen – dem Endpunkt des Grats – größtenteils über den Jägersteig erfolgt.
Im Juli 2022 stellte Marcel Höche eine erste bemerkenswerte FKT auf dieser Strecke auf. Am 19. Juli 2024 verbesserte Marcel Geisler diese Zeit um 14 Minuten auf 6 Stunden, 11 Minuten und 48 Sekunden. Doch gerade mal einen Tag später folgte die „Revanche“: Benni Bublak und Johannes Stimpfle starteten frühmorgens vom Parkplatz Hammersbach ins Höllental – und setzten eine neue FKT. Sie pulverisierten die gerade erst aufgestellte Bestzeit von Geisler mit einer unglaublichen Zeit von 5 Stunden, 30 Minuten und 53 Sekunden.

Nach ihrem Rekordlauf produzierten sie außerdem einen sehenswerten Film über ihr Abenteuer, der einen sehr unmittelbaren Eindruck von dieser Leistung vermittelt.

 

Trailrunning 2024 – und sonst so?

Das waren die beeindruckenden Rekordleistungen des letzten Jahres. Doch unsere Sportart hat 2024 noch viele weitere Schlagzeilen produziert – leider nicht nur positive. Hier eine kurze Zusammenfassung.

The Good

Yeah! Es gibt endlich ein neues Online-Medium für deutschsprachige Trailrunner: Es nennt sich „Alles Laufbar“. Die Plattform bietet News, Hintergrundartikel, Podcasts und gut recherchierte Beiträge aus unterschiedlichsten Rubriken. Die meisten Inhalte sind frei verfügbar, aber wer ein wirklich unabhängiges Medium im Trailrunning unterstützen möchte, sollte über ein Abonnement nachdenken.

Disclaimer: Ich schreibe selbst hin und wieder für Alles Laufbar. Aber unabhängig davon freue ich mich einfach über ein Medium, das am Puls der Zeit ist. Vor allem, dass ich in der Rennsaison mittlerweile jeden Montag alle relevanten News übersichtlich zusammengefasst finde – ohne mich mühsam durch die amerikanischen Medien wühlen zu müssen, die die europäische Szene ohnehin oft vernachlässigen.


The Bad

Vor ein paar Wochen kam die ernüchternde Nachricht: Die Golden Trail Series hat angekündigt, die Golden Trail National Series (GTNS) in Europa und den USA einzustellen. Ein herber Rückschlag! Besonders die GTNS im DACH-Raum war ein niederschwelliges Format, das sich hervorragend für NachwuchsathletInnen eignete. Genau jetzt, wo in Deutschland endlich darüber diskutiert wird, wie dringend es an Nachwuchsförderung und Jugendrennen im Trailrunning fehlt, trifft diese Entscheidung mitten ins Mark.

Diese Entwicklung sollte uns daran erinnern, wie riskant es ist, die Nachwuchsförderung – oder die Sportförderung insgesamt – in die Hände eines wirtschaftlich agierenden Unternehmens zu legen. Denn trotz aller Lippenbekenntnisse steht hier nicht die organische Entwicklung des Sports im Fokus, sondern die wirtschaftlichen Interessen.

Das wird besonders deutlich, wenn man den Teil der Nachricht betrachtet, der oft unter den Tisch fällt: Die GTNS ist nicht vollständig verschwunden. Sie lebt weiter – allerdings ausschließlich in den Märkten Asia-Pacific. Die GTNS in China, Japan, Südkorea und Australien bleibt bestehen. Vor diesem Hintergrund wird die Entscheidung noch einmal brisanter, wenn man bedenkt, dass Salomon seit 2019 Teil des chinesischen Konzerns ANTA-Sports ist. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt ...

… and the Ugly

Und dann gab es noch wirklich üble Nachrichten. Gar nicht so wenige in diesem Jahr.

  • Da war zum einen der E-Mail Leak durch Martin Cox, Inhaber von VO2maxcoaching.  Diese E-Mail hatten Kilian Jornet und Zach Miller an einen ausgewählten Kreis von Elite-AthletInnen geschickt, um eine wichtige Frage in den Raum zu stellen: Könnte man sich vorstellen, sich zum Saisonhöhepunkt 2024 nicht beim UTMB, sondern bei einem anderen, noch nicht näher definierten Rennen zu treffen? Hintergrund dieser e-mail, die offensichtlich intern bleiben sollte, waren die wachsenden Kontroversen um den UTMB. Doch Martin Cox veröffentlichte die E-Mail – die wohlgemerkt nicht einmal an ihn persönlich gerichtet war, sondern an einen seiner betreuten Athleten. Dieser Leak konterkarierte die Bemühungen von Kilian und Zach vollständig. Statt den Druck auf den UTMB zu erhöhen und wirklich etwas zu bewegen, blieb ihnen nur noch die Möglichkeit, in einer Reihe wenig aussagekräftiger Statements Schadensbegrenzung zu betreiben. Das eigentlich Bittere an der Geschichte? Martin Cox hat eine vertrauliche E-Mail veröffentlicht, die ihn gar nicht direkt betraf, und sich damit auf fragwürdige Weise ins Rampenlicht gestellt. Ein echter Held …
  • Der norwegische Trailrunner Stian Angermund, bekannt durch seine Siege beim OCC und seine Weltmeistertitel, gab im Februar 2024 bekannt, dass er nach seinem Sieg bei der OCC im August 2023 positiv auf die verbotene Substanz Chlorthalidon getestet wurde. Chlorthalidon ist ein Diuretikum, das häufig zur Behandlung von Bluthochdruck eingesetzt wird, aber im Sport als Dopingmittel gilt, da es zur schnellen Gewichtsabnahme und als Maskierungsmittel für andere Substanzen verwendet werden kann. Dieser Fall gilt als der erste hochkarätige Dopingfall im Trailrunning. Angermund jedoch beteuert seine Unschuld und gibt an, keine Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel eingenommen zu haben. Laut Aussagen von ihm arbeitet er zusammen mit Laboren intensiv daran, die Quelle der Kontamination zu identifizieren und seine Unschuld zu beweisen. Derzeit ist er suspendiert, die Untersuchungen dauern noch an.
  • Im Sommer 2024 geriet der US-amerikanische Sporternährungshersteller Spring Energy in die Kritik, als bekannt wurde, dass sein beliebtes Produkt "Awesome Sauce" erheblich weniger Kalorien und Kohlenhydrate enthielt als auf der Verpackung angegeben. Laut Etikett sollte das Gel 180 Kalorien und 45 Gramm Kohlenhydrate pro Portion liefern. Unabhängige Labortests, die von Athleten und Trainern in Auftrag gegeben wurden, zeigten jedoch, dass der tatsächliche Gehalt weniger als die Hälfte dieser Werte betrug. Diese Enthüllungen führten zu heftigen Diskussionen in der Läufergemeinschaft über die Genauigkeit von Nährwertangaben und die Verantwortung von Herstellern. Spring Energy reagierte, indem es eine Überprüfung der Produktzusammensetzung ankündigte.Das Vertrauen dürfte allerdings auf lange Zeit verspielt sein.
  • Im September 2024 sorgte die US-amerikanische Ultraläuferin Camille Herron mit einem Wikipedia-Skandal für Aufsehen, der die Laufszene aufhorchen ließ. Untersuchungen des Canadian Running Magazine deckten auf, dass Wikipedia-Accounts, die offensichtlich von Herron und ihrem Ehemann sowie Trainer Conor Holt betrieben wurden, “Umformulierungen” auf den Wikipedia-Seiten von Mitbewerbern wie Courtney Dauwalter und Kilian Jornet durchgeführt haben. Dabei wurden die Leistungen dieser Athleten herabgesetzt und Herrons eigene Erfolge hervorgehoben. Nachdem diese Aktivitäten öffentlich wurden, räumte Holt ein, allein für die Änderungen verantwortlich zu sein, und betonte, dass Herron nicht involviert gewesen sei. Er erklärte, er habe versucht, Herron vor herabsetzenden Formulierungen zu schützen, die ihre psychische Gesundheit beeinträchtigten. Es stellte sich jedoch heraus, dass die von ihm explizit genannten “Cyber-Bullies” freiberufliche Wikipedia-Redakteure waren, die lediglich auf eine sachliche Formulierung achten. Trotz dieses Schuldeingeständnisses von Holt beendete Herrons Hauptsponsor Lululemon die Zusammenarbeit mit ihr. Ja, sicher: Camille Herron hat weder betrogen noch gedopt. Und doch markiert dieser Wikipedia-Skandal einen Tiefpunkt in unserem Sport – einem Sport, der von gegenseitiger Fairness und Anerkennung leben sollte, nicht von Selbstinszenierung. Der Outside-Autor Frederick Dreier bringt es in einem hervorragenden Artikel treffend auf den Punkt: 'In den vergangenen Jahren wurden Ausdauersportler für Aussagen in Interviews, für Betrug und für ihr Verhalten in den sozialen Medien kritisiert. Aber dass ein Ausdauersportler wegen Änderungen auf Wikipedia ins Kreuzfeuer gerät – das ist tatsächlich ein Novum.



Das war meine Sicht auf das Trailrunning-Jahr 2024. Was waren für Euch die beeindruckendsten Leistungen und die größten Entwicklungen im Trailrunning-Sport 2024? Ich freue mich, Eure Meinungen zu hören! Schreibt mir gerne in den Kommentaren auf den sozialen Medien oder per E-Mail an: redaktion.trailrunninghd@gmail.com

 



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