von Sabine
Als vor einem Jahr die
Corona-Pandemie über die Welt schwappte, traf sie auch die
Laufveranstaltungen. Hektisch wurde abgesagt oder verschoben – oder verschoben
und dann abgesagt. Bei einigen Veranstaltern keimte aber die Idee: Lasst uns
doch einen virtuellen Lauf machen!
Nun gibt es bei virtuellen Läufen
solche und solche: Bei vielen virtuellen Läufen kann jeder Läufer und jede
Läuferin bestimmen, wo sie den Lauf absolviert. Vorgegeben ist nur die
Streckenlänge, manchmal noch nicht einmal das. Vorteil: Ist auch bei
Reisebeschränkungen machbar. Nachteil: Es will kein Wettkampf-Feeling
aufkommen, denn keine Strecke ist mit der anderen vergleichbar.
Das andere Konzept heißt: Feste Strecke, aber weiter Zeitkorridor.
Das bedeutet: Die Läuferinnen und Läufer absolvieren die Originalstrecke (oder
eine modifizierte Originalstrecke) und dokumentieren ihre Laufzeit über
irgendwelche Timing-Apps, laden die Daten dann beim Veranstalter hoch, der die
Zeiten und die Streckendaten dann ggf. noch auf Plausibilität prüft. Vorteil:
Jeder läuft die gleiche Strecke, die Laufzeiten sind also vergleichbar – ergo:
Wettkampffeeling, nur ohne soziale Kontakte. Nachteil: Alles spielt sich auf
der gleichen Strecke ab. Damit es sich dort nicht „knubbelt“ und die
Abstandsregeln weiter eingehalten werden, geben die Veranstalter meist einen
großen Zeitkorridor von mehreren Tagen, Wochen oder gar Monaten vor, in dem
man den Lauf absolvieren muss.
Mittlerweile, im zweiten Jahr der Pandemie, hat sich aus dieser
„Notlösung“ eine neue Form des Wettkampfs herausgebildet. Virtuelle Läufe mit
echtem Wettkampfcharakter werden nicht nur von Veranstaltern angeboten, die
auch in diesem Frühjahr ihre Läufe nicht wie geplant stattfinden lassen
können. Gerade im Trailrunning ist neuerdings ein Hybrid zwischen Fastest
Known Time (FKT) und virtuellen Veranstaltungen entstanden, beispielsweise
My Virtual Trail vom
Trailmagazin,
Fastest Known Time Austria
von einem Team um Michael Geisler, oder der
HFKT von den Veranstaltern des
Hartfüßler Trails im Saarland.
Wir laufen also wieder um die Wette … wenn auch auf Distanz.
Die Causa Wilhelmsburger Insellauf
So weit, so gut. Dann geschah am vergangenen Wochenende folgendes: In
der Nähe von Hamburg fand der Wilhelmsburger Insellauf statt. Oder: Er fand
irgendwie „virtuell“ statt. Aber bei dieser Traditionsveranstaltung, hinter
welcher „BMS Die Laufgesellschaft mbH“ steht, war doch einiges sehr real. Es
gab echte Startnummern, eine echte Zeitmessmatte, Streckenmarkierung,
Medaillen im Ziel und Fotografen an der Strecke. Das Ganze lief unter dem
Namen „Run&Collect“. Alternativ wurde den angemeldeten Läufern ein „digitales Format“ – d.h.
ein Lauf auf selbstgewählter Strecke angeboten. Damit der Abstand gewahrt
blieb, hatte der Veranstalter den Teilnehmern zeitliche „Startkorridore“
zugeteilt. Für Abstand auf der Strecke war also prinzipiell gesorgt …
Fakt war aber auch, dass der Lauf dadurch sehr sichtbar wurde.
Spaziergänger und andere Ausflügler entdeckten plötzlich Menschen mit
Startnummern und riefen die Polizei. Ob nun aus berechtigter Sorge oder aus
einer allgemeinen Blockwart-Mentalität, das sei dahingestellt.
Die Polizei wiederum kam und hat am Sonntag, 11.4. um 12:12 die
Zeitmessmatte entfernen und den Lauf abbrechen lassen. Dabei wurden – und das
ist nun besonders brisant –
auch die Personalien von knapp 100 Teilnehmern aufgenommen. Stichwort: Teilnahme an einer nicht genehmigten Veranstaltung, Verstoß
gegen die Corona-Bestimmungen.
BMS wiederum wehrt sich gegen den Vorwurf,
dass es sich um eine Veranstaltung gehandelt habe und hat dazu eine
ganz andere Meinung
„Der Tatbestand einer klassischen Veranstaltung liegt unseres Erachtens
nicht vor, da sich der Lauf auf eine digitale, semi-permanente Zeitmessung
beschränkte, die unter strenger Kontrolle von Abstandsregeln genutzt werden
konnte. Nicht zuletzt durch die abgestimmte Platzierung des
Start-/Zielbereichs auf einem nicht öffentlichen Grundstück sowie einer
Strecke, auf der jederzeit die StVO galt, der Unterrichtung aller
Teilnehmer, geltenden Vorschriften Folge zu leisten und der starken
Entzerrung aller Läufer sind nach unserer Auffassung keine Unterschiede zu
einer rein digitalen/virtuellen Veranstaltung mehr erkennbar.“
Final ist diese Sache noch nicht geklärt, schlägt aber schon jetzt in
der lokalen Lauf-Community hohe Wellen, zumal BMS gleich am kommenden
Wochenende
einen Lauf nach dem gleichen Konzept plant, aber auch am kommenden Sonntag der
„Corona Marathon“ des Hamburger Laufladens
mit 100 Läufern stattfinden soll – letzterer allerdings nach Aussagen der
Veranstalter mit behördlicher Genehmigung.
Besonders ärgerlich ist, dass beim Insellauf Teilnehmer betroffen sind,
die wahrscheinlich im Glauben gehandelt haben, dass es sich um eine genehmigte
Veranstaltung handelt.
Aber jetzt mal ehrlich: Wann ist eine Veranstaltung eine Veranstaltung?
Das ist ein echtes Problem. Eine feste, juristische Definition des
Begriffs „Veranstaltung“ gibt es nicht, obwohl der Begriff der Veranstaltung in
zahlreichen Gesetzen erwähnt ist. Allgemein wird folgende Definition
angenommen: „Eine Veranstaltung ist ein organisiertes Ereignis mit einem bestimmten
Zweck und einem begrenzten Zeitumfang, an dem eine Gruppe von Menschen
teilnimmt.“
Zunächst kann man mal sagen: Diese Definition trifft auf die oben
genannten Läufe durchweg zu – auch unter der Prämisse des „Run and Collect“.
Dabei sollte keine Rolle spielen, dass die Zeitmessmatten auf privatem Gelände
aufgebaut waren oder die Zeitnahme digital mit einer „semipermantenten
Zeitmessung“ erfolgte.
Ich bin keine Juristin, würde mich aber sehr wundern, wenn BMS damit
durchkommt.
Und virtuelle Läufe?
Das ist nun schwer zu sagen. Man ist hier in einer sehr breiten
Grauzone. Denn auch virtuelle Läufe sind organisiert, auch sie verfolgen einen
bestimmten Zweck (Laufen, Wettkampf), auch bei ihnen nimmt eine Gruppe von
Menschen teil und auch sie haben einen begrenzten Zeitumfang.
Die Frage ist natürlich, wie stark der Grad der Organisation ist. Gibt
es Startnummern? Ist die Strecke markiert? Oder wird nur ein GPS-Track
ausgegeben? Meldet man sich im Vorhinein an, zahlt man möglicherweise sogar
Startgebühren? Oder läuft man einfach die Strecke und trägt die Daten dann
post hoc in ein System ein? Grundsätzlich kann man natürlich auch
argumentieren, dass es sich bei einem virtuellen Lauf nicht um EIN Ereignis
handelt, sondern um viele individuelle Ereignisse, die lediglich miteinander
verglichen werden – hierzu muss allerdings der Termin des Starts dem
Teilnehmer freigestellt sein (in einem möglichst breiten Zeitkorridor).
Ein Festlegen von Startzeiten - auch zur Entzerrung - geht in diesem Sinne gar nicht.
Von dieser Warte her sehe ich insbesondere bei „My Virtual Trail“ oder
„FKT Austria“ kaum eine Möglichkeit, das ganze wirklich als „Veranstaltung“ zu
werten. Anders könnte es aber sein, wenn Veranstaltungen auf virtuelle Läufe
umstellen und in einem engen Zeitkorridor, mit Streckenmarkierungen und
Startnummern die Läufer auf die Strecke schicken.
Was jetzt?
Die Situation ist derzeit sehr aufgeheizt. Sicher noch viel stärker als im
ersten Lockdown. Daher würde ich denjenigen, die einen virtuellen Lauf
anbieten, unbedingt raten, das „low profile“ zu machen.
Wie man beim
Wilhelmsburger Insellauf gesehen hat: Es waren Passanten, denen die
Startnummern aufgefallen sind und die die Polizei gerufen haben. Dazu mag man
stehen, wie man will: Im Zweifelsfall kann man damit die Teilnehmer in
Schwierigkeiten bringen.
Als Veranstalterin eines virtuellen Laufs würde ich daher auf Folgendes
achten:
- Keine Startnummern.
- Streckendefinition auf Basis von GPS-Daten. Keine Start/Ziel Banner, keine Streckenmarkierungen. Hier ist übrigens zu beachten, dass abhängig vom Bundesland Streckenmarkierungen sowieso genehmigungspflichtig sind (Forstbehörde).
- Möglichst breiter Zeitkorridor, in dem die Läufer starten können.
- Wenn der virtuelle Lauf eine reale Veranstaltung „ersetzen“ soll, sollte der Zeitkorridor möglichst so gelegt werden, dass er das ursprüngliche Veranstaltungsdatum nicht enthält. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass besonders viele LäuferInnen genau zum Startzeitpunkt der realen Veranstaltung an der (virtuellen) Startlinie stehen.
- Läufer verpflegen sich selbst.
- Keine Anmeldung zum Lauf selbst; lediglich Anmeldung in einem Portal, in dem die Strecken/Zeiten hochgeladen werden.
- Keine Startgelder.
- Grundsätzlich auf die Einhaltung der jeweiligen Corona-Bestimmungen hinweisen.
Bei virtuellen Veranstaltungen mit höherem „Organisationsgrad“ und größerer
„Sichtbarkeit“ würde ich aber grundsätzlich den Kontakt zu den Behörden
suchen. Auch und gerade zum Schutz der Teilnehmer.
Das alles nochmals versehen mit dem Caveat, dass ich keine Juristin bin -
Kommentare von Juristen sind daher sehr willkommen!
See you on the (virtual) trails!
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