von Sabine
In einem Jahr, in dem wettkampftechnisch nicht sehr viel läuft, war die Meldung mit Freude aufgenommen worden: Kilian Jornet, eigentlich bekannt für Trails der Marke steil&technisch, will sich in einem 24-Stunden-Rennen auf der Bahn versuchen.
Wenn auch von Kilian zu keinem Zeitpunkt gesagt wurde, dass er den Fabel-Weltrekord von Yiannis Kouros angreifen wolle, wurde der Name „Yiannis Kouros“ schon bei der Projektankündigung von Salomon genannt:
„Jornet hatte bereits seit einigen Monaten ein Auge auf dieses 24-Stunden-Rennen geworfen und wird, wie immer, keine Vorhersagen machen oder Erwartungen schüren, welche Distanz er in der Zeit laufen kann. Trotzdem stehen jedes Mal, wenn der geborene Spanier seine Salomon Laufschuhe schnürt, die Chancen gut, dass etwas Außergewöhnliches erreicht wird. Die offiziell längste, jemals in 24 Stunden gelaufene Distanz schaffte Yiannis Kouros im Jahr 1997 mit 303,506 Kilometern (188,59 Meilen), was Jornet im Vorfeld eine „absolut wilde Leistung” nannte.“
Das Projekt bekam einen weiteren „Spin“ durch die Ankündigung des Events von Ian Corless, der sich seit vielen Jahren recht offen als Promoter von Kilian hervortut.
„The news that Kilian will run a 24-hour race on a track is a real surprise. The additional news that he will attempt the 188.590-mile distance set by Yiannis Kouros is mind-blowing.“
Und so wurde kaum mehr hinterfragt, ob Kilian wirklich einen ernsthaften Rekordversuch unternehmen wollte – vielmehr wurde erbittert darüber diskutiert, ob Kilian für einen solchen Rekord die Voraussetzungen mitbringen würde.
Mit dem gleichen Recht, mit dem Ian Corless aus der Ankündigung von Salomon ein Rekordversuch herausgelesen hat, hätte man auch eine reine Promo-Aktion herauslesen können: „Jedes mal, wenn der geborene Spanier seine Salomon Laufschuhe schnürt …“. Und das sind nicht irgendwelche Laufschuhe, sondern der neue S/LAB Phantasm, der 2021 auf den Markt kommen soll. Sozusagen die carbonfreie Antwort von Salomon auf Vaporfly, Carbon X & co.
Wie ist es gelaufen?
Von Anfang an war klar: Es würde ein grenzwertig kaltes Event werden. So war auch im Stadion von Måndalen, in dem das Event stattfand, nur auf den beiden Innenbahnen der blaue Belag deutlich zu erkennen – die äußeren Bahnen lagen unter einer dünnen Schnee- oder Reifschicht. Aufgrund der geographischen Lage und der Jahreszeit war gerade mal für 8 Stunden Tageslicht, der Rest wurde in der Nacht gelaufen. Nicht gerade die besten Voraussetzungen für einen Rekordlauf.
Am Start waren neben Kilian fünf weitere Läufer, allesamt aus Norwegen:
- Didrik Hermansen, bekannt von seinem Sieg beim Lavaredo Ultra 2015, vor allem aber von seinem zweiten Platz beim Western States 2016. Wie Jornet ist er eher auf dem Trail zu Hause, aber weniger auf den technischen Trails. Seit Ende 2018 hat er aber keine Rennen mehr bestritten. Bestleistung im 24-Stunden Lauf: 181,272 km.
- Jo Inge Norum, ein echter 24-Stunden spezialist. Hielt bis jetzt den norwegischen Rekord über 100 Meilen. Bestleistung im 24-Stunden Lauf: 243,736 km.
- Simen Holvik, noch so ein Experte für „timed events“ – auch wenn er schon mit Trails Erfahrung gemacht hat. Hat von allen Startern des Events die beste 24-Stunden Vorleistung (253.355 km) – die drittbeste Leistung, die je ein Norweger erzielt hat.
- Harald Bjerke: Bislang keine internationalen Starts, wurde aber bei der diesjährigen Oslofjorden Rundt nur knapp von Simen Holvik geschlagen und hat aus diesen Lauf eine 100 Meilen Bestzeit von 18:31 stehen. Bislang ohne Erfahrung im 24-Stunden Lauf und daher eher Außenseiter.
- Sebastian Conrad Håkansson kannte im Vorfeld kaum jemand. Denn eigentlich kommt er aus der OCR-Szene. Dennoch hat er schon zwei Backyard-Teilnahmen (jeweils 80km). Ebenfalls ohne Erfahrung im 24-Stunden Lauf.
Von Anfang an wurde von Kilian ein Tempo vorgelegt, das mit einer Pace von 4:15-4:30 schneller war als der „even split“ für einen neuen Weltrekord. Überraschenderweise war aber Kilian nicht der schnellste: Sebastian Conrad Håkansson lief noch schneller und hatte so relativ bald einen Vorsprung von 2km auf Kilian.
Interessant war ein Laufstilvergleich: Während Kilian recht dynamisch lief mit ordentlichem Knie- und Fersenhub, waren die anderen Läufer eher an ihrem Ultra-Schritt zu erkennen. Hier prallten wirklich zwei Rennstile aufeinander.
Kilian machte ganz stringent jede Stunde eine kurze Verpflegungspause und verschwand auch regelmäßig auf die Toilette. So häufig, dass man sich schon sorgen machen musste, ob bei ihm verdauungstechnisch alles in Ordnung ist.
Nach 50 km nahm Kilian etwas Tempo raus – die 10km Splits waren danach ca. 2 Minuten langsamer; dann drosselte er sein Tempo ab Kilometer 90 nochmals. Hätte er diese Splits (rund 47 Minuten für 10 km) weiter durchgehalten, wäre er auf Rekordkurs geblieben. Trotzdem war zu erwarten, dass gerade aufgrund der Kälte muskuläre Probleme auftreten könnten und ihn noch langsamer machen würden.
Aber dann kam am späten Abend die Überraschung: Ab Kilometer 120 wurde Kilian deutlich langsamer. Er schien derjenige der sechs Läufer zu sein, der am frühesten Probleme bekam. Dann, in Runde 338 trat er aus der Innenbahn, stand lange Zeit vornübergebeugt. Seine Betreuer liefen zu ihm, redeten auf ihn ein. Doch man sieht Kilian nicht weiterlaufen – er geht zu Boden, wird mit den Daunenjacken der Betreuer notdürftig zugedeckt. Aus. Nach 134,8 km in knapp 10 Stunden und 20 Minuten war das Projekt #Kilianphantasm24 zu Ende.
Alles zu Ende?
Damit wird bei den meisten Zuschauerinnen und Zuschauern das Interesse an dem Event deutlich reduziert haben. Schade eigentlich. Denn das Event brachte doch noch zwei Rekorde hervor: Der Sebastian Conrad Håkansson, der so schnell losgestürmt war, scheint seine eigene Agenda gehabt zu haben: Neuer norwegischer Rekord über 12 Stunden (153,6 km) und 100 Meilen (12 Stunden und 45 Minuten). Eine saubere Leistung.
Sehr sauber und überraschend war auch die Leistung des Siegers – und der war ausgerechnet der „Außenseiter“ Harald Bjerke. Er erreichte 232 Kilometer. Das ist angesichts der Witterungsbedingungen und in Anbetracht seiner fehlenden Vorleistungen ein hervorragendes Ergebnis.
Der Weltrekord von Yiannis Kouros aber wurde nicht mal annähernd angetastet. Es würde mich nicht wundern, wenn er noch eine Weile bestehen würde.
Alles nur eine Promo-Veranstaltung?
Während mir im Vorfeld die Leistungsfähigkeit von Kilian etwas zu sehr gehypt wurde, gab es stellenweise nach Kilians Ausscheiden Kritik und Häme, die ich unangebracht fand. Das sei ja alls vorherzusehen gewesen, das sei eine reine Promo-Aktion von Salomon.
Zum einen: Man kann durchaus Promo-Aktionen und große sportliche Leistungen miteinander verbinden. Das war bei der INEOS 1:59 Challenge so und auch beim Project Carbon X. Was natürlich nicht heißt, dass man nicht auch ohne die große Werbetrommel hervorragende Leistungen abliefern könnte.
Aber durch eine solche Promo-Aktion steht natürlich der Sportler – ob er nun einen Rekordversuch unternehmen will oder „nur“ ein persönliches Projekt – sehr im Scheinwerferlicht. Da werden dann übermäßige Erwartungen geschürt – und die werden zu großen Enttäuschungen, wenn sie nicht erfüllt werden. Wer nach den Sternen greift, riskiert zu scheitern. So ist das nun mal.
Und es wird auch vergessen, dass wir ohne diese Promo-Aktionen gar nicht in der Lage wären, Kilian (und den anderen Läufern) beim Rekordversuch zuzuschauen.
Und spätestens seit dem Statement von Kilian wurden viele hämische Kommentare Lügen gestraft: Denn es scheint bei ihm ein ernsthaftes Problem vorgelegen zu haben. Er berichtet darüber, dass er kurz vor seiner Aufgabe Stiche in der Brust gespürt habe – und ihm ziemlich schwindlig wurde. Beides sollte für jeden Sportler (ob Amateur oder Profi) ein Alarmsignal sein. Entsprechend wurde ihm vom anwesenden Rennarzt auch nahegelegt, sich ins nächstgelegenste Krankenhaus bringen zu lassen, wo er dann tatsächlich auch die Nacht verbracht hat und dann entlassen wurde. Kilian: So weit ist alles o.k., aber es müssen noch ein paar Tests gemacht werden.
Er ist nicht der erste Sportler, dessen Rekordversuch in der Notaufnahme endet – auch Courtney Dauwalter musste bei ihrem FKT-Versuch auf dem Colorado Trail die gleiche Erfahrung machen. Auf jeden Fall: Gute Besserung!
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