Corona und Laufen: Es liegt auch an uns …






von Sabine

Nun gehen wir also in die vierte Woche der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen. Auch wenn die immer noch befremdlich sind – die anfängliche Machtlosigkeit ist gewichen. Denn seien wir mal ganz ehrlich: Es liegt an uns allen, was wir aus dieser Zeit machen. Dabei meine ich nicht nur unseren Beitrag bei der Bekämpfung der Virenausbreitung durch Social Distancing. Ich meine auch die Art, wie wir miteinander umgehen. Wir können mit unserem Handeln zu einem bestimmten Maß beeinflussen, wie die Welt nach Corona aussieht. Diese Krise wird tiefgreifende Veränderungen hinterlassen, so viel ist sicher. Aber wir alle – nicht nur der Staat – können bei der Überwindung der Krise helfen. Wir haben es mit in der Hand, das zu erhalten, was uns lieb und wichtig ist.

In der Zeit vor Corona hörte ich oft, dass man beim Laufen und bei Wettkämpfen viel Grundlegendes lernen kann. Der Ausdruck „Schule für’s Leben“ wurde immer wieder verwendet. Jetzt ist Krise. Mit riesigen Herausforderungen. Jetzt können wir zeigen, ob wir beim Laufen wirklich was fürs gelernt haben …

Aber was können wir tun?


In guten wie in schlechten Tagen

In den Zeiten vor Corona hatten wir als Läufer eine Infrastruktur, die für uns ganz selbstverständlich war: Wettkämpfe, Laufmagazine, Sporthändler, Trainer und Coaches, Podcasts und Filme über Laufen. Diese ganze Infrastruktur und die Akteure, die sie auf die Beine gestellt haben, sind durch die Krise und die Einschränkungen des öffentlichen Lebens in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Wettkämpfe finden derzeit nicht statt. Was nicht stattfindet, darüber können Laufmagazine und Podcasts nicht berichten. Noch schlimmer: Wie in jeder Krise werden weniger Werbeanzeigen geschaltet – und gleichzeitig gehen weniger Leute in Zeitschriftenläden. Die kleinen, lokalen Sportläden sind von den Corona-Verordnungen betroffen – sie können ihre Läden derzeit nicht öffnen. Langfristig könnte eine anhaltende Wettkampfflaute auch auf die Trainer und Coaches durchschlagen – zumindest ein Teil der Läufer ließ sich ja in der Vergangenheit von Trainern und Coaches auf Wettkämpfe vorbereiten.

Wenn wir als Läufer eine eingeschworene Gemeinschaft sind, dann sollten wir jetzt auch zusammenhalten. Und immer wieder überlegen, wen wir unterstützen können. Sicher gibt es Läuferinnen und Läufer, denen gerade die ganze Einkommensbasis wegbricht. Sie haben nicht viel Handlungsspielraum, um andere zu unterstützen. Aber es gibt auch andere, die sich derzeit nicht ganz so viele Sorgen machen müssen.

Was können wir also dafür tun, damit wir auch nach Corona noch eine Trail- und Ultrarunning-Szene vorfinden?
  1. Helft den Veranstaltern: Die Organisatoren sagen nicht gerne ihre Läufe ab, so viel ist sicher. Und sie hatten schon im Vorfeld der Veranstaltung Kosten, auf denen sie sitzenbleiben, wenn jeder seine Teilnahmegebühr zurückhaben will. Ein Veranstalter eines Laufs, für den ich registriert war, hat beispielsweise die angemeldeten Teilnehmer vor die Wahl gestellt: (a) Geld zurück, (b) Übertragung der Anmeldung auf das nächste Jahr, (c) keine Übertragung der Anmeldung, Geld bleibt als Spende beim Veranstalter. Wenn man selbst keine finanziellen Sorgen hat, sollte man m.E. nicht Variante (a) wählen. Und wenn das viele machen, wäre damit gerade den kleinen Veranstaltern geholfen.
  2. Abo statt Kiosk: In Zeiten des Social Distancing geht man vielleicht nicht gerne in einen Zeitschriftenladen, um sich die neuste Laufzeitschrift zu holen. Wie wäre es, jetzt ein Abo abzuschließen? Das erspart einem den Weg – und gibt gleichzeitig den Herausgebern der Laufzeitschriften eine größere finanzielle Sicherheit.
  3. Patreon & co: Einige Produzenten von Podcasts, Infoseiten und Filmen nutzen Social Payment als Einkommensquelle. Das war in den vergangenen Jahren eigentlich ein Erfolgsmodell. Der Vorteil für den „Patron“ ist, dass man sich hier nicht auf ein langfristiges Abonnement einlassen muss – man kann jederzeit seine monatlichen Zahlungen einstellen. Doch auch wenn jetzt mancher Finger nervös den Exit-Button klicken will – bitte tut es nicht, wenn nicht unbedingt nötig! Denn diejenigen, die trotz Corona Krise Content produzieren, sind auf Eure Treue angewiesen.
  4. Trainer und Coaches: Hier gilt das gleiche. Es ist richtig: Trainer und Coaches können Euch derzeit nicht auf einen Wettkampf vorbereiten – denn kein seriöser Mensch kann aktuell sagen, wann es wieder Wettkämpfe geben wird. Aber sie können helfen, Euch fit zu halten, das Training abwechslungsreich zu gestalten. Damit Ihr fit und möglichst verletzungsfrei über diese wettkampffreie Phase kommt. Daher: Wenn es finanziell möglich ist, haltet auch ihnen die Treue.
  5. Sporthändler: Ja, sie mussten die Läden dicht machen. Aber viele – auch kleine - Sporthändler bieten auch online-Versand an. Wählt gerade jetzt nicht die großen „Player“ im Online-Versandhandel, sondern schaut mal, was die kleinen, lokalen Sportläden so bieten. Damit könnt Ihr auch beim Shoppen helfen …


Seid kreativ!

Kaum war nach Verhängung der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen die Schockstarre gewichen, schon poppten die ersten Virtual Races auf. Es gibt derzeit Virtuelle Rennen unterschiedlichster Länge und unterschiedlichster Art. Einige davon sind als Spendenlauf konzipiert, wie z.B. das OperationInspiration Virtual Race, veranstaltet von IRunFar, das über 50.000 Dollar für den Covid-19 Response Fund der WHO sammelte. Dann gab es den Quarantine Backyard Ultra, an dem mehr als 2000 Läufer aus aller Welt teilnahmen und – sei es zu Hause auf dem Laufband oder auf einer kleinen Runde nahe der eigenen Wohnung – pro Stunde eine Strecke von 4,167 Meilen zurücklegten. Am Ende gewann nach einem kuriosen Finale in der 63. Stunde Michael Wardian mit 262,5 Meilen. Und dann ist da beispielsweise das „Rennsteiglauf at Home“-Rennen: Es gilt eine der Distanzen (Halbmarathon, Marathon, Supermarathon) des – abgesagten - Rennsteiglaufs zu laufen – egal wo, möglichst natürlich heimatnah. Die Teilnahmespende (jeder kann entscheiden, wie viel er gibt) kommt den veranstaltenden Vereinen zugute.

Man kann jetzt schon vermuten: Es werden noch viele Virtual Runs folgen. Eine gute Sache – so hat man ein Ziel, läuft (regelkonform) alleine und trotzdem gemeinsam … und kann damit gegebenenfalls auch was Gutes tun.


Share the Trails

Wenn man derzeit im Wald unterwegs ist, dann trifft man dort nicht nur die notorischen Trailläufer und Wanderer – es ist ein bunter Mix aus Familien, Spaziergängern und Läufern mit unterschiedlichstem Erfahrungshorizont. Spätestens wenn einem ein Läufer mit einem durchgeschwitzten Baumwollshirt entgegenkommt, weiß man: Das ist jemand, der in dieser Krise zum Laufen gefunden hat.

Einige Läufer regen sich nun auf, dass so viele „Neulinge“ den Wald bevölkerten. Ich kann das nicht nachvollziehen. Zum einen haben diese Neu-Läufer das gleiche Recht wie wir, im Wald zu sein. Vielleicht bleiben sie ja auch nach der Krise dem Laufen treu – umso besser! Ja, der Wald ist zur Zeit sehr gut besucht – das kann auch mal zu Engpässen führen. Und das in einer Zeit, wo es doch so auf Abstand ankommt.

Aber mal ehrlich: Kennen wir nicht unsere Wälder wie unsere Westentasche? Wir kennen doch Trails, da verirrt sich weder die fünfköpfige Familie noch der Corona-bedingte Laufnovize hin. Wir müssen nicht gerade jetzt die Hotspots aufsuchen, wo es vor Menschen nur so wimmelt. Außerdem haben wir doch noch vor Wochen immer wieder damit geprahlt, dass wir meist in den „Tagesrandzeiten“ laufen gehen. Morgens um 5 Uhr vor der Arbeit, spät abends, oder auch am frühen Sonntagmorgen, wenn die Familie noch schläft. Weshalb sollte das jetzt nicht gehen?

Aber so sehr man sich auch um Einsamkeit bemüht, man wird immer mal wieder Leuten im Wald begegnen. Mir ist in der letzten Zeit aufgefallen, dass manchen nicht ganz klar ist, wie man am besten komplikationsfrei und Social-Distancing-konform aneinander vorbei geht. Vor allem dann, wenn sich zwei „Minigruppen“ a 2 Personen begegnen. Da ja – falls man in der 2er-Gruppe nicht aus dem gleichen Haushalt stammt – der Mindestabstand berücksichtigt werden muss, ist auch eine „Waldautobahn“ schnell zu schmal. In einem solchen Fall wäre das Modell „Gänsemarsch“ angesagt – das ist freundlicher für die Entgegenkommenden, die so nicht in die Büsche ausweichen müssen. Am besten selbst ein Vorbild sein, das wirkt besser, als wenn man die anderen anmotzt.




Stichwort Gänsemarsch: In den letzten Tagen wurde in den Medien mehrfach auf eine Studie aus Leuven und Eindhoven hingewiesen. In dieser Studie wurde untersucht, wie weit die ausgeatmeten Droplets beim Laufen bzw. Fahrradfahren bei Spaziergängern, Läufern und Radfahrern fliegen und was in diesem Fall der geeignete Abstand ist, wenn man hintereinander her geht, läuft oder fährt. Hier wird für Gehen (4 km/h) ein Mindestabstand von 5 Metern und für Laufen (14,4 km/h) ein Mindestabstand von 10 Metern vorgeschlagen. Allerdings wurde diese Studie, die bislang nur im Preprint vorliegt und den Review-Prozess noch nicht durchlaufen hat, im Windkanal durchgeführt und nicht unter realistischen Bedingungen. Außerdem wird hier nicht berücksichtigt, dass im Freien auch starke Diffusionseffekte stattfinden, die eine mögliche Virenkonzentration weiter verringern. Dennoch: Es mag sinnvoll sein, beim Laufen einen noch größeren Sicherheitsabstand als normal einzuhalten – wenn man hintereinander läuft. Und – wenn die Temperatur es zulässt – kann man vielleicht auch mal den Buff über Mund und Nase ziehen.


No Whining

„No Whining“ – kein Gejammer – ist die Regel Nummer 1 beim Hardrock 100. Vielleicht sollte „No Whining“ auch Regel Nummer 1 für die Zeit der Corona-Krise sein.

Bitte nicht falsch verstehen: Ich kann sehr gut nachvollziehen, wenn sich Leute Sorgen machen um ihre eigene Gesundheit und um die ihrer Familie, wenn sie sich Sorgen machen um die wirtschaftlichen Folgen des Lockdown und der daran anschließenden Zeit, oder wenn sie Befürchtungen haben, die jetzt im Schnellverfahren getroffenen Entscheidungen könnten bleibende Folgen für unser politisches System haben.

Und diese Sorgen und Ängste darf und soll man auch ruhig ansprechen – es wäre schlimm, in dieser eh schon kontaktarmen Zeit sie in sich hineinzufressen.

Es geht nicht um diese Ängste – es geht um das Gejammer quasi als „Lebenseinstellung“. Meist sind es gerade nicht diejenigen mit den größten Sorgen, die am lautesten und ergiebigsten jammern.
Das Credo der US-amerikanischen Trail- und Ultraläuferin Darcy Piceu ist: “When I come into aid stations, I always try to have a smile on my face.” Das habe ich mir selbst in den letzten Jahren angewöhnt: Wann immer ich in einem Wettkampf an einen Verpflegungsstand komme, ermahne ich mich selbst zu lächeln und betont freundlich zu sein. Nicht nur aus Respekt vor den Helferinnen und Helfern – sondern weil ich meist genau diese positive Stimmung dann wieder zurückbekomme. Man kann sich mit Negativität sehr gut gegenseitig hinunterziehen – und genauso kann man sich durch eine positive Haltung auch gegenseitig aufbauen.

Deshalb: Gerade in diesen schwierigen Zeiten – berichtet doch lieber über das, was Euch gefreut hat als über das, was Euch geärgert hat. Teilt die Freude, die Ihr beim Laufen habt … und nicht den Ärger, dass Euch jemand ausgebremst hat, weil er im Weg rumstand. Bei allen Hiobsbotschaften: Es gibt immer noch genügend positive Dinge. Fangen wir mit denen an …


Bleibt gesund!

Das ist eigentlich das, was wir uns alle wünschen: Dass wir gesund bleiben.
Aber wie ist das denn mit ausgiebigen oder sehr intensiven Trainingseinheiten? Man spricht doch bei den Langstreckenläufen oft vom „Open Window Effect“ – dem Zeitraum von bis zu 72 Stunden nach einer harten Einheit oder einem Wettkampf, in dem das Immunsystem nicht so recht funktioniert. Aus diesem Grund verzichten derzeit einige Läuferinnen und Läufer auf sehr harte Einheiten, weil sie sich nicht einer erhöhten Ansteckungsgefahr aussetzen wollen.

Bei der derzeitigen Viruslast ist allerdings die Ansteckungsgefahr für die meisten von uns überschaubar. Daher gibt es auch einige Trainer, die eher ein „normales“ Trainingsprogramm mit ihren Athleten durchziehen.

Im Hinblick auf eine erhöhte Ansteckungsgefahr mag eine Reduktion des Trainingsprogramms nicht notwendig sein – zumindest nicht, wenn man nicht beruflich bedingt zu einer Risikogruppe mit erhöhter Ansteckungsgefahr gehört.

Aber meines Erachtens greift diese Überlegung zu kurz. Denn es geht bei dem „Open Window Effect“ ja um die Dysfunktion des Immunsystems als solches, nicht nur um die Frage der Ansteckung. Nach allem, was man bislang von den klinischen Symptomen weiß, repliziert das Corona-Virus zunächst im oberen Rachenraum, bevor es in die tieferen Atemwege weiterwandert und dort größeren Schaden anrichten bzw. zu Komplikationen führen kann. Nun scheint schon in dieser frühen Phase der Virenvermehrung im Rachen die Immunantwort angestoßen und Antikörper gebildet zu werden – also zu einem Zeitpunkt, bei dem der Patient entweder keine oder nur geringe Symptome hat. Würde aber in einer solchen Zeit intensives Training durchgeführt, könnte durch den „Open Window Effect“ diese wichtige frühe immunologische Reaktion behindert werden.

Daher würde ich eher dazu raten, auf sehr belastende Trainingseinheiten zu verzichten. Und wenn sie denn unbedingt sein müssen, dann sollte man – noch genauer als sonst – auf seinen Körper hören und zusätzlich seine Vitalparameter vor einer solchen Einheit genau beobachten – insbesondere die Körpertemperatur und der Ruhepuls.


Träumen ist erlaubt …

Viele Läufer hadern derzeit mit der für uns eigentlich recht komfortablen Lage: Wir dürfen – mit ein paar Einschränkungen - unser Hobby weiterhin ausüben. Auch wenn es keinen Lauftreff gibt, einige Strecken in den Alpen gesperrt sind und keine Wettkämpfe stattfinden dürfen: Laufen heißt einfach: einen Fuß vor den anderen setzen. Das kann man alleine, das kann man zur Not auch in den eigenen vier Wänden tun. Zur Zeit werden Marathons auf dem eigenen Balkon gelaufen oder Ultramarathons um den Küchentisch.

Aber ist es denn o.k., dass wir so „fanatisch“ unserem Hobby nachgehen, wo derzeit so viele Menschen unter Covid-19 leiden – gesundheitlich und wirtschaftlich? Wenn man draußen läuft, wird man von einigen Leuten etwas schräg angeschaut. Manchmal auch angesprochen – dann wird schnell mal der moralische Zeigefinger gehoben: „Habt Ihr denn nichts Wichtigeres zu tun?“.

Anfangs ist mir – angesichts der Dimension der Krise – auch mal die Lust am Laufen vergangen. Nicht nur, weil mich Corona meines aktuellen Trainingsziels beraubt hat. Es kam mir plötzlich so trivial vor. Glücklicherweise hat sich das schnell wieder geändert. Ich schätze mein Hobby auch, weil dadurch mein Kopf wieder frei wird, weil ich mich beim Laufen ordentlich auspowern kann. Und weil es draußen zur Zeit sehr schön ist.

Und mal ganz ehrlich: Wem würde es helfen, wenn wir alle nicht mehr laufen würden? Wenn wir uns nicht mehr mit unserem Hobby beschäftigen würden? Kein einziger hätte durch unseren Verzicht weniger gesundheitliche oder wirtschaftliche Probleme. Sicher, wenn man vor die Wahl gestellt ist, der älteren Dame im Haus zu ihrem eigenen Schutz einen Einkauf abzunehmen – oder einen Lauf zu machen, dann sollte man ersteres tun. Aber meist ist doch die Situation so, dass es gar nicht um eine Entscheidung geht. Wir können beides machen: Helfen und laufen.

Wir dürfen laufen. Und wir dürfen träumen: Von dem, was möglich sein wird, wenn die Krise vorbei ist, wenn wir uns wieder frei bewegen können, wenn wir die Freunde aus der Community wieder Face-to-Face und nicht nur virtuell sehen.

In diesem Sinne: See you on the trails – but keep the distance!


P.S.: Viele Läuferinnen und Läufer haben viele Ideen – lasst sie uns teilen! Wisst Ihr von Leuten aus der Läufer-Community, die unsere Unterstützung brauchen? Habt Ihr kreative Ideen? Kennt Ihr virtuelle Rennen oder sonstige Aktionen? Dann schreibt es unten in die Kommentare.

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