Absage! Und nun?





Von Sabine


Notsituationen sind der beste Prüfstand für Freundschaften. Gemäß dieser Erkenntnis werden derzeit in der Corona-Krise einige vermeintliche Freundschaften auf die Probe gestellt. Während manche Menschen derzeit über sich hinauswachsen, indem sie anderen helfen, Hilfe anstoßen, kreative Lösungsansätze für schier unüberwindliche Probleme entwickeln, ergehen sich andere in Larmoyanz und Egoismus.

Derzeit – so empfinde ich es zumindest – ist auch die Läufergemeinschaft auf dem Prüfstand. Was sind wir: Eine eingeschworene Community, in der jeder für den anderen einsteht? Oder dominiert dann doch letztlich der Kommerz?

In den guten Zeiten, den Zeiten vor Corona, in denen Trail- und Ultrarunning Jahr für Jahr riesige Zuwächse verzeichnete, wurde immer wieder auf den Zusammenhalt der „Trail-Community“ hingewiesen. Und gleichzeitig verdienten immer mehr Firmen, aber auch Einzelpersonen in Voll- oder Nebenerwerb an diesem Boom mit. Was die Frage aufwirft, ob nicht – auch entgegen der anderslautenden Beteuerungen - sehr viele kommerzielle Interessen beim Trail- und Ultrarunning eine Rolle spielen.

In guten Zeiten lässt sich trefflich von „Community“ reden. Aber wie ist es jetzt, da Veranstaltung um Veranstaltung abgesagt werden muss?

In den vorhergehenden Posts habe ich eher die Läufer im Fokus gehabt, von denen anfangs einige sehr harsch mit den Absagen der Veranstalter ins Gericht gegangen sind. Doch hier scheint sich die Lage gedreht zu haben. Wann immer eine Absage kommt: Die meisten Reaktionen sind verständnisvoll. Manch einer bietet freiwillig einen Verzicht auf die Rückzahlung des Startgelds an.

In den vergangenen Wochen gab es dann aber auch unterschiedlichste Signale der Laufveranstalter, wie sie mit der Absage bzw. Verschiebung umgehen und in welchem Maß sie Rückerstattungen gewähren. 

Der Rennsteiglauf beispielsweise hat angekündigt, die Startgelder nur zu 50% zu erstatten – mit Verweis auf bereits getätigte Investitionen wie Finishershirts und Vorleistungen bei bestelltem Material. Als Alternativveranstaltung gibt's jetzt einen virtuellen Lauf. Der Zugspitz Ultratrail zahlt die Anmeldegebühr in Form eines Gutscheins zurück, der zwei Jahre Gültigkeit haben soll und für alle Veranstaltungen von Plan B eingelöst werden kann. Außerdem gibt es für alle Angemeldeten eine Startplatzgarantie für den ZUT 2021. Wieder andere, beispielsweise das IATF, haben den Termin in den Herbst verschoben und alle Anmeldungen dorthin transferiert. Allerdings ist im Herbst der Wettkampfkalender inzwischen reichlich voll, die verschobenen Events kollidieren mit anderen Veranstaltungen, die traditionell im Herbst stattfinden … und dann mag auch der eine oder andere zu dem Ausweichzeitpunkt andere Pläne haben. Daher wurden zusätzliche Maßnahmenpakete geschnürt (Ummeldung, Startnummerntansfer, rabattierte Gutscheine für 2021), die die Auswirkung bei den Läufern abfedern sollen. Bei anderen Veranstaltungen, wie beispielsweise beim Schweriner Seentrail, kann man den Startplatz wahlweise auf den Ausweichtermin im Herbst oder auf den regulären Termin 2021 kostenfrei transferieren. Und dann gibt es Veranstaltungen, bei denen die Läufer eine ganze Reihe von Optionen haben, die von kompletter Rückerstattung der Anmeldegebühr über den kostenlosen Transfer des Startplatzes auf das Folgejahr bis zum Verzicht auf die Rückzahlung reichen. Klingt zwar kompliziert für den Veranstalter, aber Events unterschiedlichster Größe wie der Neubrandenburger Tollenseelauf, der Bienwald-Marathon, der 6-Stundenlauf Mörfelden und der Hannover Marathon gehen genau diesen Weg.



Die rechtliche Lage

Zuerst mal ein Disclaimer: Ich bin keine Juristin. Trotzdem habe ich Recherchen angestellt. Die haben ergeben, dass derzeit die Situation bei Veranstaltungen klar ist. Bei behördlicher Anordnung der Absage – und das ist ja derzeit der Fall, da keine Großveranstaltungen erlaubt sind - hat der Veranstalter die Absage zwar nicht verschuldet, das heißt: Er ist nicht schadensersatzpflichtig. Allerdings ist nach §275 BGB die Pflicht der Leistung aufgehoben, also die Pflicht zur Durchführung der Laufveranstaltung. Damit entfällt nach §326, Absatz 1 die Pflicht des Kunden zur Gegenleistung. Diese Gegenleistung besteht bei Laufveranstaltungen aus dem Bezahlen der Teilnahmegebühr.

Das bedeutet letztlich: Wenn die Laufveranstaltung aufgrund behördlicher Anordnung nicht durchgeführt werden kann, hat der Teilnehmer Anspruch auf vollständige Rückzahlung der bereits bezahlten Anmeldegebühren.

Die Rechtslage in Österreich scheint ähnlich zu sein, zumindest laut Aussage von dortigen Verbraucherschützern. Zur rechtlichen Situation in der Schweiz kann ich nichts sagen.

In Deutschland könnte sich allerdings die Lage noch etwas ändern, wenn die Gesetzesvorlage Bundestag und Bundesrat passiert, die von der Regierung zum Schutz von Veranstaltern eingebracht wurde. Im Rahmen dieser vom Kabinett erarbeiteten Gesetzesvorlage ist für alle vor dem 8. März gekauften Tickets/Anmeldungen eine Gutscheinregelung vorgesehen. Das heißt: Dem Teilnehmer an der Veranstaltung muss die Anmeldegebühr nicht ausgezahlt werden, sondern ihm kann ein Gutschein ausgestellt werden, der bis Ende 2021 Gültigkeit hat. Ist der Gutschein bis Ende 2021 nicht eingelöst, steht dem Kunden eine vollständige Rückzahlung der geleisteten Teilnahmegebühr zu. Sollte der Veranstalter Ende 2021 nicht mehr solvent sein, springt der Staat im Fall einer solchen Rückzahlung ein. Außerdem sind Härtefallregelungen für sehr bedürftige Kunden/Teilnehmer vorgesehen.

Die gesetzlichen Regelungen - sowohl die bestehenden wie die geplanten - verbieten im übrigen nicht, dass der Läufer auf eine Rückerstattung verzichtet. Aber dies muss in gegenseitigem Einvernehmen geschehen und nicht über den Kopf der Betroffenen hinweg.



Kommunikation und Fairness ist alles

So klar die rechtliche Situation, so unklar die Situation für die Veranstalter. Denn keiner weiß, wie lange uns Covid-19 und die entsprechenden Restriktionen noch beschäftigen werden. Man kann nur ahnen: Es werden eher Monate als Wochen sein. Daher ist auch nicht klar, ob Termine bzw. Ersatztermine überhaupt zu halten sind. Auch die Behörden können nicht in die Zukunft schauen.

Für manchen Veranstalter bringt das auch enorme wirtschaftliche Unsicherheiten. Wenn jetzt jeder sofort das Geld zurückbezahlt haben will, könnte das Loch, das damit gerissen wird, zu groß sein.

Allerdings – das möchte ich auch betonen – gilt das nicht für alle Veranstalter. Gerade bei Events und Playern, die schon länger auf dem Markt sind, zahlt es sich jetzt aus, wenn man in der Vergangenheit gut gewirtschaftet hat. So schreibt der Heidelberger Halbmarathon durch die Absage des Rennens zwar einen wirtschaftlichen Verlust, aber das ist aufgrund der soliden finanziellen Situation in diesem Fall kein Beinbruch – weshalb auch Startgebühren gar nicht erst eingezogen wurden.

Jetzt steht auf dem Prüfstand, ob in unserem Sport, aber auch bei den einzelnen Veranstaltern, Community oder Kommerz überwiegen. Wer jetzt versucht, die Situation und die derzeitig immer noch vorhandene Hilfsbereitschaft auszunutzen, wird auf Dauer dem Sport und der Laufcommunity Schaden zufügen.

Daher meine Wünsche an die Veranstalter:
  1. Informiert Euch über die gesetzlichen Vorgaben und haltet sie ein – auch wenn Ihr wirtschaftlich große Sorgen habt. Denn nichts kann mehr Schaden anrichten als eine negative Presse, ausgelöst durch Streit in den sozialen Medien bis hin zu gerichtlichen Auseinandersetzungen.
  2. Freiwilligkeit ist Trumpf. Mal ganz abgesehen davon, dass es einfach nicht rechtens ist, ohne Einverständnis der Teilnehmer einen bestimmten Teilbetrag der gezahlten Teilnahmegebühr einzubehalten: Bei der derzeitigen Solidaritätswelle ist damit zu rechnen, dass sehr viele Teilnehmer gerne auf einen Teil der Teilnahmegebühr oder sogar auf den gesamten Betrag verzichten. Aber lasst ihnen diese Wahl! Denn Zwang induziert Ärger. Ist aber die Entscheidung freiwillig, dann freuen sich die Läufer, dass sie hier den Vereinen und den Veranstaltern etwas Gutes getan haben. Solidarität stärkt Gemeinschaft – und deshalb auch unseren Sport.
  3. Bietet Alternativen an! Denn: Die persönlichen Gegebenheiten sind derzeit sehr unterschiedlich. Da gibt es die Läufer, die weiterhin ein geregeltes Einkommen beziehen. Andere wiederum sind in Kurzarbeit, arbeitslos oder erzielen als Selbständige derzeit keine Einnahmen. Daher mag es für den einen wirtschaftlich wichtig sein, die volle Anmeldegebühr zurückgezahlt zu bekommen, während der andere gut auf die Teilnahmegebühr verzichten kann. Ich weiß: Je mehr Optionen, desto mehr Arbeit für den Veranstalter. Aber dafür fällt ja manch andere Arbeit flach, wie die Planung und Veranstaltung des Rennens ...
  4. Findet kreative Einkommensmöglichkeiten! Ihr bleibt auf den Finisher-Shirts sitzen, die nun nicht mehr gebraucht werden? Ihr habt Goodies, die sonst in die Startertüte gekommen wären? Wie wäre es, sie in Eurem Online-Shop zu verkaufen? Oder veranstaltet ein virtuelles Rennen – in dem sich die Läufer die Finisher-Shirts verdienen können. Die veranstaltungsfreie Zeit will gefüllt sein, und technische Möglichkeiten gibt es inzwischen zuhauf. Aber bitte seht solche Veranstaltungen als eigenständige Events und nicht als Feigenblatt-Aktion, die lediglich die Einbehaltung von Startgeldern rechtfertigen soll.
  5. Vor allem aber: Seid fair – zu Euren Läuferinnen und Läufern und zu den Mitbewerbern. Man bekommt zurzeit den Eindruck, dass manche Veranstalter die anderen beim Jammern über die wirtschaftliche Situation überbieten wollen. Ja, es gibt Schäden; ja, es gibt Unsicherheit. Aber wie oben schon gesagt: Unterschiedliche Veranstaltungen sind unterschiedlich aufgestellt. Da mag es die neuen Player auf dem Veranstaltungsmarkt härter treffen als die Traditionsveranstaltungen, vor allem wenn diese bislang gut gewirtschaftet haben. Deshalb: Wenn ihr Hilfe braucht und darum bittet (!), auf die gesetzlich zustehende Rückzahlung (oder demnächst den Gutschein) zu verzichten, dann stellt Eure Situation transparent und ehrlich dar. Wenn jeder gleich laut jammert, dann kann man von außen nicht erkennen, wer die Hilfe am dringendsten nötig hat.

Ich wünsche mir, dass bei den Läuferinnen und Läufern die Welle der Solidarität erhalten bleibt. Dann können wir zeigen: It’s community, not commerce.

In diesem Sinne: See you on the trails – but keep the distance!


Kommentare